Urteil des LSG Sachsen vom 17.04.2007

LSG Fss: wiedereinsetzung in den vorigen stand, grundsatz der effektivität, grundsatz der gleichwertigkeit, nachfrist, einzelrichter, konstitutive wirkung, persönliches erscheinen, falsche auskunft

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 17 AL 214/03
Sächsisches Landessozialgericht L 1 AL 282/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Dresden vom 10. November 2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) hat.
Die Klägerin war aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 16.02.1999 als Büroleiterin und Assistentin der Bauleitung bei
ihrem – mittlerweile von ihr geschiedenen – Ehemann A. M. in dessen Unternehmen M. Haus Bauträger und
Projektentwicklung A. M. e.K. (so der Name der Firma im Arbeitsvertrag) bzw. M. Haus Generalunternehmen und
Projektent-wicklung A. M. e.K. (so der Name der Firma im Insolvenzverfahren; im Folgenden: der Arbeitgeber)
beschäftigt. Als Monatsgehalt waren 3.000 DM brutto vereinbart. Das Ar-beitsverhältnis wurde durch
Arbeitgeberkündigung zum 30.04.2000 beendet. Der Betrieb des Arbeitgebers wurde Anfang 2001 auf die M. H.-M.
System GmbH übertragen, die später zahlungsunfähig wurde, was wiederum zur Insolvenz des Arbeitgebers als
natürlicher Person führte.
Am 22.01.2001 zog der Arbeitgeber aus der damaligen Ehewohnung aus. Zunächst versuchte die Klägerin mit
anwaltlicher Hilfe im Jahre 2001 und 2002 Gehaltsansprüche gegen den Arbeitgeber durchzusetzen. Seit Beginn des
Jahres 2002 kommunizierten die Klä-gerin und der Arbeitgeber im Wesentlichen nur noch über ihre
Prozessbevollmächtigten im Scheidungsverfahren. Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde aufgrund des
Beschlusses des Amtsgerichts Dresden vom 07.05.2002 (541 IN 528/02) mit Wirkung vom 08.05.2002, 00.00 Uhr,
das Insolvenzverfahren eröffnet. Als die Klägerin erfahren hatte, dass der Arbeitgeber einen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gestellt hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 31.05.2002 an den Insolvenzverwalter und
machte u.a. für die Monate Februar bis April 2000 einen Gehaltsanspruch geltend, den sie in DM (irr-tümlich) mit
4.123,50 und in EUR mit 3.642,19 bezifferte.
Die Klägerin stellte am 26.07.2002 bei der Beklagten einen Insg-Antrag. In dem Formular-antrag vom 31.07.2002
machte sie für die Monate Februar bis April 2000 ein ausgefallenes Bruttoarbeitsentgelt von jeweils 3.000 DM/Monat
und hieraus – entsprechend der Gehaltsabrechnung – ein Nettoarbeitsentgelt von jeweils 2.374,50 DM/Monat geltend.
Hierzu teilte der Insolvenzverwalter durch den Zeugen W. der Beklagten mit, die Geschäftsunterla-gen des Schuldners
hätten keine offenen Verbindlichkeiten gegenüber ehemaligen Arbeitnehmern ausgewiesen. Außerdem habe der
Arbeitgeber ihm, dem Zeugen W., versichert, dass sämtliche Lohn- und Gehaltsansprüche ausgeglichen seien. Es
habe daher keine Notwendigkeit bestanden, ehemalige Arbeitnehmer aufzufordern, Insg zu beantragen. Die Beklagte
bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 05.09.2002 Insg als Vorschuss in Höhe von 2.000 EUR. Mit Schreiben vom
29.10.2002 ermittelte die Beklagte weiter und wies darauf hin, dass der Insg-Antrag nicht innerhalb der zweimonatigen
Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestellt worden sei. Am 14.11.2002
legte der Insolvenzverwalter der Beklagten die am 08.11.2002 ausgefüllte Insg-Bescheinigung vor (ausgefallenes
Nettoarbeitsentgelt von Februar bis April 2000 jeweils 2374,50 DM).
Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 17.11.2002 lehnte die Beklagte die
Gewährung von Insg mit Bescheid vom 21.11.2002 wegen verfristeter Beantragung ab. Die Klägerin habe trotz
Kenntnis von der Insolvenzer-öffnung nicht rechtzeitig Insg beantragt, sondern ihre Forderungen nur beim Insolvenz-
verwalter angemeldet. Auch dann sei keine Nachfrist einzuräumen, wenn die Klägerin die Vorschriften über das Insg
nicht gekannt habe. Der bereits gezahlte Vorschuss sei zu erstatten. Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom
04.12.2002 Widerspruch ein, den sie u.a. damit begründete, dass sie von dem zuständigen Sachbearbeiter des
Insolvenzverwalters, dem Zeugen Wagner, die Auskunft erhalten habe, er werde zunächst prüfen, ob die Ansprüche
aus der vorhandenen Masse beigetrieben werden könnten. Gegebenenfalls melde er sich wieder bei ihr, sofern Insg
beantragt werden müsse. Hierauf habe sie sich verlassen. Erst am 26.07.2002 sei ihr telefonisch mitgeteilt worden,
dass eine Antragstellung erforderlich sei. Den Antrag habe sie dann umgehend gestellt. Im Übrigen sei die Nachfrist
schon deswegen zu gewähren, weil der verfristete Antrag angenommen worden und sogar ein Vorschussbescheid
ergangen sei. Mit Bescheid vom 30.01.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Insg aus den zuvor benannten
Gründen erneut ab. Auf die Erstattung des Vorschusses ging sie hingegen nicht erneut ein. Mit dem Widerspruchsbe-
scheid vom 31.01.2003 wies sie den Widerspruch – "nach Erteilung des Änderungsbe-scheides vom 30.01.2003" –
zurück. Aus der Begründung des Widerspruchsbescheides geht – im Einklang mit den verwaltungsinternen
Aktenvermerken – hervor, dass durch den Bescheid vom 30.01.2003 auf die Geltendmachung der Rückzahlung des
Vorschusses verzichtet werden sollte. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Im Übrigen folgt der
Widerspruchsbescheid der Begründung der Insg-Ablehnung in den angegriffenen Bescheiden.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.02.2003 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben und zur Begründung die
Ausführungen des Widerspruchsschreibens vertiefend wie-derholt.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen
im Widerspruchsbescheid verwiesen. Die Klägerin sei zudem nicht aus tatsächlichen Gründen gehindert gewesen,
einen Insg-Antrag rechtzeitig zu stellen. Sie habe sich lediglich über Voraussetzungen für die Stellung des Antrags
geirrt, wenn man nach ihrem Vorbringen unterstelle, dass sie einen Mitarbeiter des Insolvenzverwalters zu Rate
gezogen habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 22.12.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, unwiderlegt habe
sie vorgetragen, dass sie von dem zuständigen Sachbearbeiter des Insolvenzverwalters die Auskunft erhalten habe,
eine Insg-Antragstellung sei erst er-forderlich, wenn er ihr mitteilen müsse, dass aus dem Vermögen des Arbeitgebers
keine Zahlungen mehr möglich seien. Sie habe sich damit in einer Weise und einem Umfang rechtlichen Rat
eingeholt, der nicht zu beanstanden sei. Sie habe aus ihrer Sicht keinen zuverlässigeren Auskunftgeber als den beim
Insolvenzverwalter zuständigen Mitarbeiter finden können. Sie habe auch keinen Anlass gehabt anzunehmen, dass er
ihr falsche Auskünfte erteile. Sie habe sich hiernach die Überzeugung gebildet, dass die sofortige Antrag-stellung,
insbesondere die Einhaltung von Fristen nicht erforderlich sei. Die Vorschussleis-tung habe auch konstitutive Wirkung
hinsichtlich der Nachfristsetzung und der Einhaltung dieser Nachfrist durch die Klägerin.
Auf die Anfrage des Senats, warum die Klägerin, auch wenn sie denn auf Ausführungen eines Mitarbeiters des
Insolvenzverwalters vertraut habe, nicht zugleich vorsorglich Insg beantragt habe, hat sich die Klägerin wie folgt
geäußert: Die Fehlinformation habe sich nicht lediglich auf die Tatsache bezogen, dass die zur Verfügung stehende
Masse auch zur Befriedigung ihrer Ansprüche ausreichen werde, sondern auch auf den Umstand, dass die
Beantragung von Insg erst möglich und erforderlich sei, wenn sich erweise, dass die Masse hierzu nicht ausreiche.
Sie habe daher gar keine Veranlassung gehabt, entgegen der Auskunft des Mitarbeiters des Insolvenzverwalters
vorsorglich Insg zu beantragen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Dresden vom 10. November 2004 und des Bescheides
vom 21. November 2002 in der Gestalt des Bescheides vom 30. Januar 2003 – mit Ausnahme der Entscheidung über
den Vorschuss – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2003 die Beklagte zur Zahlung von
1.642,19 EUR zu verurteilen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin habe unstreitig die Zweimonatsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt, welche – gerechnet ab
dem Insolvenzereignis, dem 08.05.2002 – am 08.07.2002 geendet habe. Die Nachfristgewährung nach § 324 Abs. 3
Satz 2 SGB III setze voraus, dass der Antragsteller bis zum Ende der Zweimonatsfrist an der Antragstellung
gehindert gewesen sei. Ferner dürfe der Antragsteller die Fristversäumnis nicht zu vertreten haben. Zu vertreten habe
der Antragsteller auch die Nichtbeachtung einer ihm nach seinen Ver-hältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter
Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner
Verkehrsanschauung vernünftiger Weise erforderlich sei. Es genüge also leichte Fahrlässigkeit, um die
Nachfristgewährung auszuschließen. Die Klägerin habe gewusst, dass ausgefallene Gehaltsansprüche durch das Insg
abgesichert seien. Aus dem bisherigen Vorbringen der Klägerin könne kein Grund für eine Nachsichtgewährung
abgeleitet werden. Habe der Sachbearbeiter tatsächlich falsche Auskünfte erteilt, müsse sich der Insolvenzverwalter
den Fehler zurechnen lassen. Hieraus könne die Klägerin aber keine Ansprüche gegen die Beklagte ableiten. Die
Vorschussbe-willigung sei zwar rechtsfehlerhaft, hierdurch sei aber keine Nachfrist eingeräumt worden.
Dem ist die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.04.2005 entgegengetreten. Wegen der Einzel-heiten wird hierauf
verwiesen.
Der Einzelrichter des Senats hat die Insolvenzakte des Amtsgerichts Dresden (541 IN 528/02) beigezogen, den
Arbeitgeber schriftlich zum Gehalt der Klägerin befragt (Blatt 71, 72 der LSG-Akte) – wegen dessen Antwort wird auf
Blatt 77 bis 79 der LSG-Akte verwie-sen – und den Mitarbeiter des Insolvenzverwalters, der nach den Angaben der
Blatt 77 bis 79 der LSG-Akte verwie-sen – und den Mitarbeiter des Insolvenzverwalters, der nach den Angaben der
Klägerin mit ihr gesprochen habe, als Zeugen vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sit-zungsniederschrift
vom 24.04.2006 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter einverstanden erklärt
(Schriftsätze vom 20.10. und vom 25.10.2005). Ferner haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am
24.04.2006 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Dem Kläger steht der mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) geltend
gemachte Anspruch auf Insg nicht zu.
Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der hier ab 01.01.2002 maßgeblichen Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch
auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3.
vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröff-nung des Insolvenzverfahrens
nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offen-sichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt,
(Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt
haben. Insg ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Mo-naten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324
Abs. 3 Satz 1 SGB III). Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird
Insg geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungs-grundes gestellt wird (§ 324
Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Die Klägerin hat die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ver-säumt.
Ein Insolvenzereignis im Sinne der Nr. 2 oder Nr. 3 des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist hier nicht gegeben.
Insbesondere fehlt es an einer vollständigen Einstellung des Betriebes des Arbeitgebers bei gleichzeitiger
offensichtlicher Masselosigkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Vielmehr ist der Betrieb des Arbeitgebers,
wie aus dem Schlussbe-richt des Insolvenzverwalters hervorgeht, von der M. H.-M. System GmbH fortgeführt worden.
Da auch der Arbeitgeber, wie ebenfalls aus dem Schlussbericht des Insolvenzver-walters hervorgeht, zunächst
weiterhin in der Lage war, Forderungen zu bedienen, bestand auch keine offensichtliche Masselosigkeit.
Für den Beginn der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist der Eintritt des jeweiligen Insolvenzfalls
maßgebend, wobei im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfah-rens auf den ersten Tag des Insolvenzverfahrens
abzustellen ist. Die Frist beginnt ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Arbeitnehmers vom Eintritt eines
Insolvenzereignisses im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Ausgehend von der Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens am 08.05.2002 hat die zweimonatige Ausschlussfrist an dem nachfolgenden Tag, dem 09.05.2002, begonnen
und endete am 08.07.2002, einem Montag, so dass der von der Klägerin am 26.07.2002 gestellte Antrag nicht
fristgemäß war.
Der Klägerin ist auch keine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III einzuräumen. Dies folgt aber nicht schon
daraus, dass der Klägerin ein – angeblicher – Beratungsfehler des Zeugen Wagner zugerechnet werden könnte,
sondern aus der Nichterweislichkeit einer Falschberatung, die das Vertretenmüssen der verspäteten Antragstellung
ausschließen könnte.
Eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Versäumung der
Antragsfrist nicht zu vertreten hat. Der Arbeitnehmer hat die Versäu-mung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht
mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). § 324
Abs. 3 Satz 2 SGB III stellt eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinset-zung in den
vorigen Stand (§ 27 SGB X; § 67 SGG) dar (BSG, Urteil vom 18.01.1990 – 10 RAr 14/89 – EzS 89/66). Insbesondere
die bloße Unkenntnis vom Eintritt des Insolvenzer-eignisses oder des Laufes der Antragsfrist eröffnet daher noch
nicht die Nachfrist (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.1985 – 10 RAr 11/84 – SozR 4100 § 141e Nr. 8). Die Unkenntnis darf
nicht auf Fahrlässigkeit beruhen (BSG, Urteil vom 26.08.1983 – 10 RAr 1/82 – SozR 4100 § 141e Nr. 5). Maßgeblich
ist daher, ob die Klägerin die Antragsfrist unter Außer-achtlassung derjenigen Sorgfalt, die von einem gewissenhaft
Handelnden, orientiert an den Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten seiner Person (subjektiver
Fahrlässigkeitsmaß-stab; ständige Rechtsprechung des BSG auch zu § 67 SGG, vgl. nur BSG, Urteil vom
18.03.1987 – 9b RU 8/86 – SozR 1500 § 67 Nr. 18 S. 42; Æurkoviæ in Hennig, SGG, § 67 Rn. 12, Stand August
2003), erwartet werden kann, versäumt hat. So ist es dem nicht juris-tisch vorgebildeten Arbeitnehmer zumutbar, bei
Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für den Eintritt eines Insolvenzereignisses sich sachkundig zu machen,
Rechtsrat einzuho-len und zumindest vorsorglich einen Antrag auf Insg zu stellen. Des Weiteren muss er sich
bemühen, seine arbeitsrechtlichen Ansprüche durchzusetzen.
Dabei hat nach der Rechtsprechung des BSG auch der nicht rechtskundige Arbeitnehmer Beratungsfehler Dritter, um
deren Rechtsrat er nachgesucht hat, in gleicher Weise zu ver-treten wie andere Berechtigte. Nach dem Wortlaut der
Regelungen über die Wiedereinset-zung in den vorigen Stand gilt dieser Grundsatz allerdings nur dann, wenn jener
Beratungs-fehler einem Vertreter des Betroffenen zur Last zu legen ist. Nach dem über § 202 SGG im
sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) steht das
"Verschulden des Bevollmächtigten ... dem Verschulden der Partei gleich"; nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist das
"Verschulden eines Vertreters dem Vertre-tenen zuzurechnen". Nicht jede Person, an die sich der Betroffene
rechtsuchend wendet, ist in diesem Sinne ihr Vertreter. Deshalb stellt es in der Regel einen Wiedereinsetzungsgrund
dar, wenn der Betroffene von einer Person eine falsche Auskunft erhalten hat, auf deren Sachkunde er vertrauen
durfte, die er jedoch nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut hatte.
Mit den genannten Regelungen ist ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter jedenfalls dann gemeint, wenn er für
jenes Verwaltungsverfahren bestellt wurde, in dem eine Frist versäumt wurde. Die Rechtsprechung hat jedoch als
Vertreter, dessen Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurechenbar ist, nicht nur den
unmit-telbar Verfahrensbevollmächtigten angesehen. Sie hat dem Betroffenen auch das Ver-schulden solcher
Personen zugerechnet, die er nicht beauftragt und bevollmächtigt hatte, bestimmte Erklärungen abzugeben bzw. einer
bestimmten Behörde oder einem Gericht gegenüber aufzutreten, sondern denen insoweit lediglich
Vorbereitungshandlungen obla-gen (z.B. die Erarbeitung einer Rechtsmittelbegründung und die Beauftragung eines
zuge-lassenen Prozessbevollmächtigten; die Anfertigung eines Rechtsmittelgutachtens). Darüber hinaus ist jedenfalls
das Verschulden einer Person dann zurechenbar, wenn sie der Betrof-fene ausdrücklich zu seiner Vertretung bestellt
hat und die Vornahme der fristwahrenden Handlung bzw. das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte
Verhalten in deren Aufgabenbereich fällt. Es kommt also jeweils darauf an, ob der Dritte noch im Rahmen des ihm
erteilten Auftrags tätig wird. Dieser Vorgaben beruhen auf dem allgemeinen Rechts-gedanken, dass sich niemand
einer Verantwortung, die ihm im Außenverhältnis obliegt, dadurch entledigen kann, dass er eigene Aufgaben einem
anderen zur Erledigung überträgt. Diese vom BSG zum Konkursausfallgeld (Kaug) aufgestellten Grundsätze gelten
auch bei Anwendung des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Denn auch hier besteht kein Grund, den Ar-beitnehmer von
seinen Obliegenheiten freizustellen, wenn sie von einer anderen Person in seinem Auftrag wahrgenommen werden.
Damit kommt es darauf an, ob ein Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigter im Rahmen des ihm erteilten Auftrags
auch zur Stellung eines Antrags auf Insg befugt war oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag,
der er nicht nachgekommen ist. Dann wäre es gerechtfertigt, einem Arbeitnehmer bei einem entsprechenden
Versäumnis seines Bevollmächtigten nicht die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zugute kommen zu lassen,
sondern ihn auf evtl. Regressansprüche gegen diesen Bevollmächtigten zu verwei-sen (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil
vom 29.10.1992 – 10 RAr 14/91 – SozR 3-4100 § 141e Nr. 2 m.w.N.).
Insoweit zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr die Auskünfte des Insol-venzverwalters bzw. eines
seiner Mitarbeiter, hier des Zeugen W., nicht zugerechnet wer-den könnten. Der Insolvenzverwalter und seine
Mitarbeiter sind – von atypischen Fallges-taltungen abgesehen – weder in einem rechtlichen noch auch nur in einem
tatsächlichen Sinne Vertreter oder Bevollmächtigte der von der Arbeitgeberinsolvenz betroffenen Ar-beitnehmer. Sie
sind – anders als im Falle des Kurzarbeitergeldes – keine Verfahrens- und Prozessstandschafter der Arbeitnehmer.
Als sich die Klägerin – noch während des Laufs der Ausschlussfrist – am 31.05.2002 in Kenntnis der
Insolvenzeröffnung erstmals an den Insolvenzverwalter wandte und mit dem Zeugen W. sprach, suchte sie bei einem
sachkun-digen Dritten um Auskünfte nach. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den
Insolvenzverwalter mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen wollte. Es kann daher auch dahingestellt
bleiben, ob der Insolvenzverwalter (oder seine Mitarbeiter) im Hinblick auf seine sich aus der Insolvenzordnung
ergebende Rechtsstellung überhaupt be-fugt wäre, das Einzelinteresse eines Massegläubigers wahrzunehmen.
Der Einzelrichter des Senats ist jedoch aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und der von der Klägerin im
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren abgegebenen Erklärungen nicht davon überzeugt, dass die Klägerin falsch
beraten und deswegen ohne Verschulden von einer rechtzeitigen Insg-Antragstellung abgehalten wurde.
Der Einzelrichter des Senats sieht es im Sinne des – hier erforderlichen – Vollbeweises als nicht erwiesen an, dass
der Zeuge W. der Klägerin gesagt habe, die Beantragung von Insg sei erst möglich und erforderlich, wenn sich
herausstelle, dass die Masse hierzu nicht aus-reiche.
Die mangelnde Überzeugung ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten:
Die Klägerin hat zunächst in Beantwortung des Auskunftsersuchens der Beklagten selbst vorgetragen (Schreiben vom
17.11.2002): "Dann erfuhr ich, dass Herr ... [der Arbeitgeber] Insolvenz beantragt hat und habe fristgerecht meine
Forderungen beim Insolvenzverwalter eingereicht." Diese Antwort kann man nur dahin verstehen, dass die noch nicht
anwaltlich vertretene Klägerin davon ausgegangen ist, eine Anmeldung der nicht erfüllten Arbeitsentgeltansprü-che
beim Insolvenzverwalter sei ausreichend. Die Klägerin hat dort gerade nicht vorgetra-gen, sie sei vom
Insolvenzverwalter bzw. dem Zeugen W. erst durch dessen Auskunft von der rechtzeitigen Insg-Beantragung
abgehalten worden. Vielmehr ist sie am 17.11.2002 noch davon ausgegangen, dass die Geltendmachung ihrer
Arbeitsentgeltansprüche gegen-über dem Insolvenzverwalter fristwahrend sei.
Auch in der Begründung des Widerspruchs vom 04.12.2002 hat sie noch nicht vortragen lassen, sie sei in dem Sinne
falsch beraten worden, dass die Beantragung von Insg erst möglich und erforderlich sei, wenn sich erweise, dass die
Masse hierzu nicht ausreiche. Vielmehr ist dort ausgeführt worden: " ..., dass durch unsere Mandantin die
ursprüngliche Frist von 2 Monaten unverschuldet versäumt wur-de, da sie von dem zuständigen Sachbearbeiter Herrn
W. der Kanzlei D. & Partner als Insolvenzver-walter die Mitteilung erhielt, dass dieser zunächst prüfe, ob die
Entgeltansprüche aus der vorhandenen Masse betrieben werden können und sich gegebenenfalls wieder bei ihr melde,
sofern Insolvenzgeld beantragt werden müsse. Auf diese Weise informiert, hat sich die Mandantin darauf verlassen
und wurde erst am 26.07.2002 telefonisch davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Antragstellung erforderlich sei.
Hierauf hat sie – dies ist unstreitig – unverzüglich am 26.07.2002 eine telefonische Antragstellung vorgenommen." Im
Hinblick auf das Verhalten des Insolvenzverwalters ist auch nicht plausibel, dass er bzw. der Zeuge Wa der Klägerin
am 26.07.2002 geraten haben soll, deswegen Insg zu be-antragen, weil die Masse nicht ausreiche, um die Forderung
(vollständig) zu erfüllen. Denn der Insolvenzverwalter hat – auch im Hinblick auf die Angaben des Arbeitgebers – zu-
nächst die Existenz der Forderung bestritten und der Beklagten mit Schreiben vom 02.08.2002 mitgeteilt, die
Geschäftsunterlagen des Arbeitgebers wiesen keine offenen Verbindlichkeiten gegenüber ehemaligen Arbeitnehmern
aus und dies habe der Arbeitge-ber ihm, dem Insolvenzverwalter, gegenüber auch bestätigt. Er habe daher keine
Veranlas-sung gehabt, die Klägerin aufzufordern, Insg zu beantragen. Der Insolvenzverwalter hat erst mit der Erteilung
der Insg-Bescheinigung vom 08.11.2002 die vorläufig bestrittenen Forderungen der Klägerin anerkannt. Dies hat auch
der Zeuge W. nochmals bestätigt.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und auch noch im
Berufungsverfahren daran festgehalten. Auf die Anfrage des Einzelrichters des Senats, warum die Klägerin, auch
wenn sie denn auf Ausführungen ei-nes Mitarbeiters des Insolvenzverwalters vertraut habe, nicht zugleich vorsorglich
Insg beantragt habe, hat sich die Klägerin wie folgt geäußert: " ... stelle ich für die Klägerin klar, dass sich die
Fehlinformation nicht lediglich auf die Tatsache be-zogen hat, dass die zur Verfügung stehende Masse auch zur
Befriedigung ihrer Ansprüche ausreichen werde, sondern auch auf den Umstand, dass die Beantragung von
Insolvenzgeld erst möglich und er-forderlich ist, wenn sich erweist, dass die Masse hierzu nicht ausreicht." Zwar kann
der Einzelrichter des Senats nicht gänzlich ausschließen, dass die Klägerin nur aus Versehen diese Angaben im
Verwaltungs-, Klage- und auch (zunächst) im Berufungs-verfahren nicht gemacht hat. Angesichts der gegenüber den
Erstangaben festzustellenden zwei inhaltlichen Sprünge, zum einen markiert durch die anwaltliche Vertretung der Klä-
gerin im Widerspruchsverfahren und zum anderen durch die Nachfrage des Einzelrichters des Senats, drängt sich
jedoch der Eindruck auf, dass die Klägerin verfahrenstaktisch ihren Vortrag angepasst hat. Dies legt die Annahme
nahe, dass die Erstangaben der Klägerin zutreffend sind und der spätere Sachverhalt von der Klägerin konstruiert
wurde, um zu erklären, warum sie erst am 26.07.2002 den Insg-Antrag gestellt hat. Andererseits kann auch nicht
gänzlich ausgeschlossen werden, dass die nachfolgenden Angaben der Klägerin den wahren Sachverhalt
wiedergeben.
Der Einzelrichter des Senats hat daher in der Gegenwart der Klägerin – deren persönliches Erscheinen war angeordnet
– den Zeugen W. in der mündlichen Verhandlung am 24.04.2006 vernommen. Der Zeuge hat bestätigt, dass er
mehrfach mit der Klägerin am Telefon gesprochen habe, sich aber nicht mehr an den Inhalt der Gespräche erinnern
kön-ne. Er hat ferner ausdrücklich in Abrede gestellt ("Ich habe mit Sicherheit nicht gesagt"), dass er der Klägerin
mitgeteilt habe, sie könne erst dann Insg beantragen, wenn feststehe, dass die Masse zur Erfüllung der
Arbeitsentgeltforderung nicht ausreiche. Der Einzelrich-ter des Senats hat keinen Anlass an den Angaben des Zeugen
W. zu zweifeln. Er hat in der mündlichen Verhandlung seine Aussagen recht knapp gehalten, aber jeweils ohne zu zö-
gern präzise geantwortet. Auch hat die Klägerseite dem Zeugen keine Vorhaltungen ge-macht, die geeignet gewesen
wären, dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Der Einzel-richter des Senats hat zudem berücksichtigt, dass es sich
bei der Rechtsanwaltssozietät, D. und Partner, die das Insolvenzverfahren durchgeführt hat, um eine gerichtsbekannt
in Insolvenzverfahren besonders bewanderte Kanzlei handelt (vgl. auch die Nachweise unter www ...de). Hätte der
Zeuge W. die von der Klägerin behauptete Aussage tatsächlich ge-macht, müsste ihm der Einzelrichter des Senats
eine völlige Unkenntnis in einem zentralen Problemkreis des Insolvenzrechts attestieren. Der Zeuge W. hat diesen
Eindruck der fach-lichen Ungeeignetheit aber gerade nicht vermittelt.
Zwar kann auch der Einzelrichter des Senats letztlich nicht feststellen, was Inhalt der zwi-schen der Klägerin und dem
Zeugen W. geführten Telefonate war. Jedenfalls sind, wie bereits oben dargestellt, die Angaben der Klägerin nicht
derart plausibel, dass der Einzel-richter des Senats allein auf die Aussage der Klägerin hin sich die Überzeugung
bilden kann, dass der Zeuge W. der Klägerin gesagt habe, die Beantragung von Insg sei erst mög-lich und
erforderlich, wenn sich erweise, dass die Masse hierzu nicht ausreiche. Der Ein-zelrichter des Senats ist nicht einmal
davon überzeugt, dass der Zeuge W. gesagt hat, er prüfe zunächst, ob die Entgeltansprüche aus der vorhandenen
Masse beigetrieben werden könnten und sich gegebenenfalls wieder bei ihr melde, sofern Insolvenzgeld beantragt
werden müsse. Im Hinblick auf den erfahrungsgemäß niedrigen Deckungsgrad, der durch die Verwertung der Masse
im Insolvenzverfahren erzielt werden kann, erscheint es auch nicht glaubhaft, dass ein Insolvenzverwalter bzw. ein
von ihm in maßgeblicher Funktion bestellter Mitarbeiter eine derartige Aussage treffen würde, wenn man diesem nicht
eine völlige fachliche Inkompetenz unterstellen will. Hinzu kommt, dass aufgrund des offen-sichtlich sehr
konfliktbeladenen Scheidungsverfahrens, worüber auch die Angaben des Arbeitgebers in seinem Schreiben vom
06.04.2006 noch einen Eindruck vermitteln, die Annahme nahe liegt, dass die Klägerin in den Telefonaten mit dem
Zeugen W. versucht hat, diesen davon zu überzeugen, ihre Ansprüche bestünden zu Recht und die Angaben des
Arbeitgebers seien böswillig falsch. Warum die Klägerin gerade am 26.07.2002 den Insg-Antrag bei der Beklagten
telefonisch gestellt hat, kann auch der Einzelrichter des Senats letztlich nicht mit Gewissheit erklären. Er ist aber aus
den vorgenannten Gründen jeden-falls nicht davon überzeugt, dass der von der Klägerin im Klage- und
Berufungsverfahren vorgetragene Sachverhalt den Tatsachen entspricht.
Hiernach wäre es der Klägerin – da beweisrechtlich davon auszugehen ist, dass sie nicht durch einen Beratungsfehler
des Zeugen W. von der Insg-Antragstellung abgehalten wurde – möglich gewesen, binnen der Zweimonatsfrist den
Insg-Antrag zu stellen, da ihr schon zu einem frühen Zeitpunkt des Laufs der Ausschlussfrist bekannt war, dass das
Insolvenz-verfahren gegen den Arbeitgeber eröffnet worden war. Immerhin hat sich die Klägerin bereits am 31.05.2002
schriftlich an den Insolvenzverwalter gewandt und dort ihre An-sprüche angemeldet. Sollte ihr damals nicht bekannt
gewesen sein, dass es einen Anspruch auf Insg gibt, entlastet dies die Klägerin nicht. Diese eventuelle
Rechtsunkenntnis hat sie zu vertreten. Insoweit wird auf die oben wiedergegebene höchstrichterliche Rechtspre-chung
verwiesen.
Soweit die Klägerin geltend macht, schon durch die Zahlung des Vorschusses sei ihr eine Nachfrist eingeräumt
worden, beachtet sie nicht hinreichend, was Inhalt dieses Verwal-tungsaktes vom 05.09.2002 ist. Der Verfügungssatz
betrifft lediglich die Zahlung eines Vorschusses über 2.000 EUR. Der Bescheid enthält jedenfalls keine Entscheidung
darüber, dass darüber hinausgehende Beträge dem Grunde nach bestehen.
Der Einzelrichter des Senats geht ferner davon aus, dass die Vorschrift des § 324 Abs. 3 SGB III
europarechtskonform ist.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem auf Vorlage des Sozialgerichts Leipzig ergangenen Urteil vom
18.09.2003 – C- 125/01 – (SozR 4-4300 § 324 Nr. 1) die Verein-barkeit einer Ausschlussfrist mit der Richtlinie des
Rates zur Angleichung der Rechtsvor-schriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG) vom 20. Oktober 1980 bestätigt, wenn die Ausschluss-frist,
binnen deren ein Arbeitnehmer nach nationalem Recht einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld nach Maßgabe
dieser Richtlinie stellen muss, so ausgestaltet ist, dass die betreffende Frist nicht weniger günstig ist als bei
gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und nicht so ausgestaltet ist, dass sie die
Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der
Effektivität). Wegen der in § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eingeräumten Nachfrist erfüllt § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III die
beiden europarechtlichen Vorgaben der Gleichwertigkeit und Effektivität (ebenso Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III,
§ 324 Rn. 46, Stand August 2004; Hünecke in Gagel, SGB III, § 324 Rn. 21a f, 30a, Stand Dezember 2006).
Die gesetzliche Regelung ist gleichwertig im Sinne der EuGH-Entscheidung.
Ein Vergleich mit den im Sozialrecht gängigen Verjährungs- und Ausschlussfristen (§ 45 Erstes Buch
Sozialgesetzbuch [SGB I] und § 44 Abs. 4 SGB X) von vier Jahren ist hier schon deswegen nicht anzustellen, weil es
sich nicht um Antragsfristen handelt, die erst den Zugang zu Sozialleistungen eröffnen sollen. Die Nachfrist von
weiteren zwei Monaten gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III bedeutet auch nicht, dass die Frist insgesamt nur vier
Monate beträgt. Sie ist zudem im Vergleich zu den allgemeinen Wiedereinsetzungsfristen günstiger, weil hier nicht die
Jahresfrist des § 27 Abs. 3 SGB X und des § 67 Abs. 3 SGG gilt. Unter den Voraussetzungen des
Nichtvertretenmüssens eröffnet § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III auch noch nach vielen Jahren den Anspruch auf Insg (so
vom erkennenden Einzel-richter des Senats mit Urteil vom 12.01.2007 – L 1 AL 101/05 – in einem Sachverhalt zu
Gunsten des Klägers entschieden, bei dem die inhaltlich identische Kaug-Ausschlussfrist im Februar 1995 endete und
der Antrag erst im Dezember 2002 gestellt wurde). Eine zeit-liche Grenze der Wiedereinsetzung findet sich hier nur in
den Grundsätzen über die Ver-wirkung.
Sonstige Antragsfristen, die mit dem Insg vergleichbar sind, sind zum Teil mindestens e-benso restriktiv. Dies gilt
insbesondere für die beim Zugang zum Kurzarbeitergeld (Kug) zu beachtende Anzeigepflicht nach § 173 Abs. 2 SGB
III, bei der zudem streitig ist, ob und in welchem Umfang die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
eröffnet ist (vgl. nur Bieback in Gagel, SGB III, § 173 Rn. 26 ff, Stand Dezember 2006; Estelmann in Eicher/Schlegel,
SGB III, § 173 Rn. 9 ff., 57 ff., Stand Dezember 2000). Aber auch sonst gilt für das Kug und ergänzende Leistungen
nach § 175a SGB III gemäß § 325 Abs. 3 SGB III eine dreimonatige Ausschlussfrist (siehe ferner zum bisherigen
Recht die für Wintergeld, Winterausfallgeld und für die Erstattung der vom Arbeitgeber allein zu tra-genden Beiträge
zur Sozialversicherung nach § 325 Abs. 4 SGB III geltende dreimonatige Ausschlussfrist). Schließlich wird auch das
Arbeitslosengeld (Alg) nicht für Zeiträume vor der Antragstellung gezahlt (§ 325 Abs. 2 SGB III). Zwar gilt nach § 323
Abs. 1 Satz 2 SGB III Alg mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere
Erklärung abgibt. Damit wird die zu den Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 117 f. SGB III) zählende Arbeitslosmeldung
mit dem verfahrensrechtlichen Antragserfordernis verklammert. Im Hinblick auf die nur eingeschränkte Fortwirkung der
Arbeitslosmeldung nach § 122 Abs. 2 SGB III kann aber eine erneute Antragstellung, die erst nach einer mehr als
sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit erfolgt, gravierende finanzielle Konsequenzen für den Arbeitslosen
haben (zu weiteren Überlegungen siehe Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rn. 4b, Stand Oktober 2005).
Der Grundsatz der Effektivität wird beachtet. Aufgrund des subjektiven Fahrlässigkeits-maßstabs werden auch keine
überhöhten Anforderungen an das Vertretenmüssen gestellt. Hierbei ist auch nochmals auf die nicht befristete
Wiedereinsetzung nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III hinzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.