Urteil des LSG Sachsen vom 20.11.2001

LSG Fss: versorgung, körperpflege, aufstehen, ernährung, rollstuhl, pflegebedürftigkeit, aufwand, wohnung, nahrungsaufnahme, persönliches erscheinen

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.11.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 5 P 1/97
Sächsisches Landessozialgericht L 1 P 9/00
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17.02.2000 abgeändert und die Klage
abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin gegen die beklagte Pflegekasse auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die
Zeit ab 01.04.1995.
Die am ... geborene Klägerin leidet an einer infantilen Cerebralparese mit Tetraspastik mit Gebrauchsunfähigkeit aller
vier Extremitäten, ausgeprägter Kyphoskoliose und hochgradiger geistiger Retardierung mit gelegentlichen
Krampfanfällen (Grand mal-Epilepsie). Von montags bis freitags ist die Klägerin in der Wohnstätte für Menschen mit
Behinderungen "H ... W ..." der Inneren Mission L ... e.V. untergebracht und besucht dort die Schule für Geistig- und
Körperbehinderte. Jeweils freitags nach der Schule wird die Klägerin mit dem Fahrdienst nach Hause gebracht und
montags früh wieder abgeholt. An den Wochenenden, Feiertagen und in den Ferien lebt die Klägerin bei ihrer Mutter,
von der sie dann gepflegt und betreut wird. Mit Bescheid des Amtes für Familie und Soziales L ... vom 21.10.1993
wurde bei ihr ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt und ihr die Merkzeichen "B", "G", "aG, "H" und "RF"
zuerkannt.
Am 31.03.1995 stellte die Klägerin durch ihre Mutter einen Antrag auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III. In dem von
der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 08.09.1995
gelangte Dr. K ... nach Untersuchung in häuslicher Umgebung vom 01.09.1995 zu der Einschätzung, dass die
Pflegestufe II begründet sei. Bei der Klägerin liege eine infantile Cerebralparese mit Tetraspastik und mittelgradiger
geistiger Retardierung (Imbezillität) vor. Das Kind könne nicht laufen und nicht frei sitzen, sondern liege oder befinde
sich in der Sitzschale. Es könne nicht sprechen und sei harn- und stuhlinkontinent. Das 15jährige Mädchen benötige
zu allen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe. Es könne keinerlei eigenständige Handlungen
ausführen, weder gehen noch stehen, es spreche nicht und müsse gefüttert und gewindelt werden. Die Mutter betreue
das Kind allein sehr fürsorglich. Es sollte eine Kommunikationshilfe bereit gestellt werden. Mit Bescheid vom
13.09.1995 gewährte die Beklagte daraufhin Leistungen nach der Pflegestufe II.
Hiergegen erhob die Mutter der Klägerin mit Schreiben vom 21.09.1995 Widerspruch. Die Gutachterin Frau Dr. K ...
habe sicher eine völlige Hilflosigkeit ihrer Tochter festgestellt, weshalb sie um eine nochmalige Prüfung bitte.
Die Beklagte veranlasste daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK, das von Dr. P ... nach Untersuchung in
häuslicher Umgebung vom 24.11.1995 erstellt wurde. Im Gutachten Vom 07.12.1995 sind die Diagnosen wie im
Vorgutachten festgestellt. Seit September 1995 würden gelegentliche Krampfanfälle mit Bewusstseinsstörung
auftreten. Es bestehe eine Unfähigkeit zu selbständigem Sitzen, Gehen und Stehen. Ein Sprachverständnis sei nicht
gegeben. Der tägliche Pflegebedarf wurde wie folgt angegeben: Körperpflege: Waschen: ja, 2mal, Duschen/Baden: ja,
einmal wöchentlich, Zahnpflege: ja, 2mal, Kämmen/Rasieren: ja, 1mal, Darm-/Blasenentleerung: ja, 4-5mal,
Ernährung: Mundgerechte Zubereitung: ja, 3mal, Nahrungsaufnahme: ja, 3mal füttern, Mobilität: Aufstehen/Zu-Bett-
Gehen: ja, 2mal, An-/Auskleiden: ja, 2mal, Stehen: ja, mehrfach täglich, Gehen: ja, wird im Rollstuhl gefahren,
Treppensteigen: nein, Verlassen/Wiederaufsuchen der Whg: ja, nur in Begleitung, 6mal wöchentlich. Zeitangaben sind
im Gutachten nicht gemacht. Bei der Klägerin liege die Pflegestufe II vor. Infolge ihrer Mehrfachbehinderung mit
Gebrauchsunfähigkeit aller Gliedmaßen mit spastischer Lähmung und Unfähigkeit zu sinnvollem Handeln bei mittel-
bis hochgradiger Retardierung bedürfe sie bei allen Verrichtungen der Grundpflege der Hilfe. Hierzu würden mehr als
zwei Stunden täglich notwendig. Der Pflegeaufwand gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern sei wesentlich erhöht.
Die beantragte Pflegestufe III könnte jedoch nicht befürwortet werden, da nicht täglich vier Stunden im Bereich der
Grundpflege Hilfe benötigt würde. Nächtliche Hilfe werde häufig, jedoch nicht regelmäßig notwendig. Das Mädchen
schlafe unruhig und müsse einmal nachts zu einer festgelegten Zeit gewindelt werden. Damit seien aber die
Voraussetzungen der Pflegestufe III nicht erfüllt.
Nach Darlegung der Einzelheiten der gesetzlichen Bestimmungen des SGB XI mit Schreiben vom 18.12.1995 lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 24.01.1996 Leistungen nach der Pflegestufe III unter Bezugnahme auf die eingeholten
Gutachten des MDK ab. Den Widerspruch vom 09.02.1996, mit dem auf die völlige Hilflosigkeit der Klägerin
hingewiesen wurde, hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1996, zugestellt am 12.12.1996,
zurückgewiesen. Für die Pflegestufe III müsse der wöchentliche Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger, Nachbar
oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für alle die Versorgung des Pflegebedürftigen nach Art und
Schwere seiner Pflegebedürftigkeit erforderlichen Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und
pflegeunterstützenden Maßnahmen benötige, im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei der
pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse. Dies
bedeute, dass der Anteil der Grundpflege bei der Pflegestufe III mindestens vier Stunden betragen müsse. Nach den
Beurteilungen des MDK, die für die Leistungsbeurteilung richtungsgebend seien, liege ein Hilfebedarf von vier Stunden
im Bereich der Grundpflege nicht vor.
Hiergegen richtete sich die am 06.01.1997 beim Sozialgericht erhobene Klage. Die Mutter hat vorgetragen, die
Klägerin sei von Geburt an gelähmt und nicht in der Lage, irgendwelche Verrichtungen alleine auszuführen. Sie könne
sich nicht selbst bewegen und bedürfe in sämtlichen Bereichen des Lebens der Hilfe, so z.B. beim Waschen,
Zähneputzen, Kämmen, An-, Um- und Ausziehen. Auch müsse sie gewindelt werden. Die Speisen müssten
mundgerecht zubereitet werden. Die Nahrungsaufnahme sei nur durch Füttern möglich. Sie könne nicht gehen, stehen
und schon gar nicht Treppensteigen. Zum Verlassen und Wiederaufsuchen müsse sie mit dem Wagen befördert
werden. Der Wagen sei eine Spezialanfertigung, weil ihre Tochter auch nicht aufrecht sitzen könnte. Sie müsse in das
Bett getragen und auch wieder herausgehoben werden. Nicht verständlich sei, weshalb die Gutachter des MDK den
Hilfebedarf mit weniger als fünf Stunden wöchentlich eingeschätzt hätten.
Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte bei Dr. B ..., Facharzt für Kinderheilkunde in
der Kinderklinik der Universität L ..., und bei Dr. B ..., Fachärztin für Kinderheilkunde und zugleich Heimärztin der
Behinderteneinrichtung, eingeholt. Nach dem Befundbericht von Dr. B ... leidet die Klägerin an einem frühkindlichen
Hirnschaden mit spastischer Tetraplegie und geistiger Behinderung vom Schweregrad einer Idiotie und epileptischem
Anfallsleiden (Grand mal-Epilepsie). Sie sei aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Behinderung völlig hilflos und
bedürfe für sämtliche Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe einer Pflegeperson. Im Befundbericht von Dr. B ...,
Heimärztin, ist darüber hinaus angegeben, die Klägerin leide an Inkontinenz und Neurodermitis, chronische
Obstipation. Im beigefügten Fragebogen zum täglichen Pflegeaufwand, ausgefüllt von einer Heimpflegerin, wurden
folgenden Angaben gemacht: Körperpflege: Waschen: 3mal täglich, 60 min., Duschen/Baden: 1mal täglich - 30 min.,
Zahnpflege: 3mal täglich - 15 min., Kämmen/Rasieren: 3mal täglich - 5 min., Darm-/Blasenentleerung: mindst. 3mal
täglich - 60 min. mit An- und Auskleiden, Ernährung: Mundgerechte Zubereitung: 3mal täglich - 40 min.,
Nahrungsaufnahme: 3mal täglich - 90 min., Mobilität Aufstehen/Zu-Bett-Gehen: 3mal täglich täglich - 30 min., An- und
Auskleiden: 3mal täglich - 20 min., Stehen: - Gehen: - Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung: 20 min., mit An- und
Auskleiden und Schuhe umziehen, Lagerungshilfe: 2 min. täglich.
Auf Anforderung des Gerichts hat die Mutter der Klägerin für den Zeitraum vom 09.04.1998 bis 15.04.1998 ein
Pflegeprotokoll, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, vorgelegt, in dem bis auf drei Tage ein Hilfebedarf
von mehr als 240 min. täglich angegeben ist. Ergänzend wurde ausgeführt, die Tochter habe einen Computer, der als
Kommunikationshilfe diene. Eine Bedienung sei aber nur möglich, wenn der Schalter für sie erreichbar bzw. für sie
eingestellt sei. Nach einer Veränderung der Position (z.B. in Wagen setzen, wieder hinlegen) müsse die
Schaltervorrichtung neu eingestellt werden. Das erwähnte Sitzen und Hinlegen habe sie im Pflegetagebuch nicht
erfasst, weil nicht erkennbar sei, welchen Verrichtungen dies zuzuordnen sei. Auf Nachfrage des Gerichts zum
nächtlichen Hilfebedarf hat die Mutter erläutert, pro Nacht falle mindestens dreimal Hilfebedarf an. Wegen der
häufigen, aber nicht regelmäßigen Muskelkrämpfe müssten die Beine oder Arme zur Lockerung massiert werden. Dies
dauere 15 bis 20 min ... Einmal nächtlich müsste die Windel gewechselt werden (5 bis 10 min.). Wegen der
Rückenschmerzen durch die sehr stark ausgeprägte Skoliose sei dreimal nächtlich eine Umlagerung notwendig (7 bis
10 min.). Die Zeiten für die verschiedenen Hilfestellungen seien sehr unterschiedlich und von ihrer und vor allem der
momentanen Verfassung ihrer Tochter abhängig. Den nächtlichen Hilfebedarf halte sie so kurz wie möglich.
Außerdem verfüge sie nicht über die Kondition einer ausgebildeten Pflegekraft, so dass die Verrichtungen mit unter
länger dauerten. Sie müsse rund um die Uhr für ihre Tochter da sein.
Von der Beklagten wurde geltend gemacht, die im Pflegeprotokoll gemachten Angaben seien nicht nachvollziehbar,
insbesondere dürften die Zeiten für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung mit z.B. 23, 39 und 35 min. deutlich
überhöht in Ansatz gebracht worden seien. Nach den Begutachtungs-Richtlinien vom 21.03.1997 gehöre nur das
unmittelbar der Nahrungsaufnahme vorgelagerte Zerkleinern/Portionieren der Mahlzeiten zur mundgerechten
Zubereitung der Nahrung und nehme lediglich etwa 3 min. pro Vorgang in Anspruch.
Mit Urteil auf mündliche Verhandlung vom 17.02.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 13.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1996 verurteilt, der Klägerin ab
06.04.1995 Leistungen der Pflegestufe III zu gewähren. Der für die Pflegestufe III erforderliche tägliche Hilfebedarf
von mindestens 240 min. Bereich der Grundpflege sei bei der Klägerin gegeben. Der anfallende Hilfebedarf bei den
gesetzlich definierten Verrichtungen sei in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Die zugrunde gelegten Zeiten
orientierten sich an den von der Mutter der Klägerin im Pflegeprotokoll angegebenen Zeiten und ihrer in der
mündlichen Verhandlung gemachten Angaben. Im einzelnen ist das Sozialgericht von folgendem täglichen
Pflegebedarf ausgegangen: Körperpflege: Waschen: 49,6 min. (2mal Ganzkörperwäsche, zweimal kleine Wäsche),
Duschen: 7,1 min., Zahnpflege: zweimal täglich - 16 min., Kämmen: 5 min., Blasen-/Darmentleerung: 37,2 min.
(Windeln viermal täglich mit Reinigung), Ernährung: Mundgerechte Zubereitung: vier Mahlzeiten - 8 min.,
Nahrungsaufnahme: 74,8 min., Mobilität: Aufstehen/Zu-Bett-Gehen: 11,75 min., nächtliches Umlagern: 7 bis 10 min.,
An- und Auskleiden: 16,25 min. Hinzu kämen die Rollstuhltransfers innerhalb der Wohnung, die praktisch für jede
Verrichtung notwendig seien. Die Klägerin müsse im Rollstuhl zu den Mahlzeiten, in das Bad, zum Bett aber auch zu
den Arztbesuchen gefahren werden. Für vier Mahlzeiten täglich, zweimal Aufstehen- und Zu-Bett-Gehen, viermal
Blasen-/Darmentleeren seien für 10 Rollstuhltransfers je 2 min. insgesamt 20 min. in Ansatz zu bringen. Der
Gesamtaufwand im Bereich der Grundpflege betrage daher 254 min ... Die Voraussetzungen eines nächtlichen
Hilfebedarfs seien mit dem Windeln, Umlagern und gelegentlichem Reichen eines Getränks ebenfalls erfüllt. Der
Anspruch auf Pflegegeld stehe der Klägerin anteilig für die Zeit ab 06.04.1995 und insbesondere auch nach der alten
Fassung von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zu (BSG vom 29.04.1999, Az.: B 3 P 11/98 R). Zwar sei die Klägerin von
Montag früh bis Freitag mittag im Behindertenheim untergebracht, während der Zeit an den Wochenenden, an
Feiertagen und in den Ferien sei sie jedoch im Haushalt ihrer Mutter aufgenommen, in dem sie gepflegt werde. Diese
Aufenthaltsdauer könne auch nicht als unerheblich außer Betracht gelassen werden.
Gegen das ihr am 29.03.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 17.04.2000 eingelegte Berufung der Beklagten. Der
vom Sozialgericht zugrunde gelegte Hilfebedarf von 254 min. täglich sei für die Beklagte nicht überprüfbar. Es sei
nicht nachvollziehbar wie das Sozialgericht den Hilfebedarf ermittelt habe. Allein aus dem Pflegeprotokoll könnte
dieser nicht hergeleitet werden. Vielmehr habe das Sozialgericht wohl die Angaben aus dem Pflegeprotokoll nur
teilweise übernommen und in Kombination mit den Angaben der Mutter in der mündlichen Verhandlung ermittelt. Der
zeitliche Bedarf sei damit zu einem wesentlichen Teil auf den bloßen Beteiligtenvortrag der Mutter der Klägerin
gestützt worden. Die Sitzungsniederschrift enthalte weder eine Zeugenvernehmung noch eine schriftliche
Protokollierung der Angaben der Mutter. Die in den Urteilsgründen vorgenommene Berechnung sei deshalb nicht
nachvollziehbar. Die Ergebnisse der Gutachten des MDK unberücksichtigt geblieben. Auch könnte nicht ohne
weiteres davon ausgegangen werden, dass der vom Gericht ermittelte Zeitaufwand von 254 min. unverändert seit fast
5 Jahren bestanden habe. Eine weitere Sachverhaltsermittlung durch Einholung eines Gutachtens erscheine
unumgänglich, ggf. auch könnte auch der MDK erneut in Anspruch genommen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17.02.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Mutter der Klägerin hat vorgebracht, ihre Tochter könne keine der maßgeblichen Verrichtungen ganz oder nur zum
Teil alleine auszuführen. Ein erneutes Gutachten durch den MDK werde nach ihrer bisherigen Erfahrung ebenfalls
nicht objektiv ausfallen. Die Auswahl eines unabhängigen Gutachters, der sich mit der Pflege jugendlicher Behinderter
auskenne, erscheine sachgerecht. Es würde sich anbieten, das geschulte Personal des Wohnheimes ihrer Tochter,
die sie ständig betreuten, zu befragen. Pflegegeld werde nur anteilig geltend gemacht.
Auf Anforderung des Gerichts hat das Diakonische Werk, Innere Mission L ... e.V., Wohnstätten für Menschen mit
Behinderungen "H ... W ..." in L ..., für den Zeitraum vom 27.07.2000 bis 02.08.2000 ein Pflegetagebuch vorgelegt,
auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Der Senat hat weiter Beweis erhoben und bei der Pflegekraft A ... S ... ein Gutachten nach Untersuchung in
häuslicher Umgebung eingeholt. Die Gutachterin hat nach Hausbesuch vom 27.04.2001 im Gutachten vom
10.05.2001 unter Angabe der bisherigen Diagnosen ausgeführt, die Skoliose habe sich nach den Angaben der Mutter
verschlechtert. Dies habe zu einer Verschlechterung der Haltung geführt und es komme in größeren Abständen zu
Druckstellen am rechten Becken. Die Zeit, in der ein Sitzen im Rollstuhl mit einer Sitzschale oder gestützt auf dem
Sofa möglich sei, habe sich verkürzt. Die Klägerin könne nicht sprechen. Zur Verständigung werde ein Computer mit
Sprachfunktion verwendet, mit dessen Hilfe auf einfache Fragen logisch geantwortet werden könnte. Die Nutzung sei
nur möglich, wenn der Computer auf einem Beistelltisch passend hingestellt, die spezielle Vorrichtung für die Maus für
die rechte Hand und der Bildschirm sichtgerecht eingestellt sei. So könnte mit dem Computer der Wunsch auf Toilette
zu gehen, geäußert werden. Die Arme seien in Ruhestellung angewinkelt. Der rechte Arm könnte auf Anforderung
ausgestreckt und angehoben werden. Eine willkürliche Armbewegung links sei nicht möglich. Die linke Hand sei zur
Faust geschlossen und könnte nicht willkürlich geöffnet werden. Rechts lägen nur grobmotorische Fähigkeiten vor.
Die Wirbelsäule habe wegen der Skoliose eine deutliche S-Form. Der Oberkörper knicke nach rechts ab. Die
Rippenknochen würden auf dem Beckenknochen liegen. Folgende Abläufe seien selbständig nicht möglich: Sitzen,
Lagewechsel im Liegen, jeglicher Transfer vom Rollstuhl auf andere Sitzmöglichkeiten, Stehen mit und ohne
Hilfsmittel, Gehen mit und ohne Hilfsmittel, Aufstehen. Die Verkrümmung der Wirbelsäule führe zu einer
Einschränkung der Lungenkapazität. Dies wirke sich negativ auf die Sitzzeit aus, so dass die Klägerin viel liege.
Wegen der ausgeprägten Einschränkungen müssten Körperpflege und Ernährung voll übernommen werden. Am
Samstag und am Mittwoch werde gebadet. Ansonsten werde die Körperpflege im Wohnzimmer verrichtet, weil das
Bad zu klein sei. Für das Zähneputzen sei wegen der Abneigung eine besondere Motivationsarbeit erforderlich. Im
häuslichen Bereich werde zur Ausscheidung der Nachtstuhl verwendet. Zur Nacht werde eine Windel angelegt.
Hilfebedarf bestünde für folgende Abläufe: Transfer vom Sofa oder Rollstuhl auf den Nachtstuhl, Beaufsichtigung des
Sitzens, kleine Pflege im Anschluss, Hilfe beim An- und Auskleiden, Transfer vom Nachtstuhl auf das Sofa oder den
Rollstuhl. Um tagsüber eine Windel im häuslichen Bereich vermeiden zu können, müsse sich die Mutter immer in
Rufweite des Computers aufhalten. Das An- und Auskleiden müsse ebenfalls vollständig übernommen werden.
Nächtlicher Hilfebedarf bestehe wegen der erforderlichen Umlagerung. Die verkrümmte Körperhaltung bedinge beim
langen Liegen auf einer Stelle Schmerzen. In unregelmäßigen Abständen müsse nachts die Windel gewechselt und
trinken gereicht werden. Der tägliche Hilfebedarf ist im Gutachten wie folgt angegeben: Körperpflege: Waschen: 2mal -
20 min., Duschen: 2mal wöchentlich - 30 min. pro Bad, Zahnpflege: 3mal - 7 min., Kämmen: 3mal - 3 min. Darm-
/Blasenentleerung: 4mal - 10 min., Hilfe beim Lagewechsel nachts: 1mal - 5 min., Hilfe beim Windelwechseln nachts:
4mal pro Woche - 7 min., Ernährung: Mundgerechte Zubereitung: 3 Mahlzeiten - 5 min., Trinken - 10 min.,
Nahrungsaufnahme: 3mal - 10 min., Trinken 2mal - 5 min., Mobilität: Aufstehen/Zu-Bett-Gehen: 2mal - 3 min., An-und
Auskleiden: 2mal - 5 min., Transfer: 2mal - 3 min ... Der notwendige Transfer beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen und
zur Ausscheidung sei bei den jeweiligen Verrichtungen bereits berücksichtigt. Der tägliche Aufwand betrage im
Bereich der Hilfe am Körper 187,6 min., im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 64,4 min ... Der Zeitaufwand
für die Nahrungsaufnahme wurde von der Sachverständigen in der tabellarischen Übersicht im Bereich der
hauswirtschaftlichen eingestellt, so dass sich für den Bereich der Grundpflege ein Aufwand von 202,6 min. ergibt.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, nach dem gerichtlich eingeholten Gutachten seien die Voraussetzungen der
Pflegestufe III mit einem Zeitaufwand von mindestens 240 min. im Bereich der Grundpflege nicht erfüllt.
Die Mutter der Klägerin hat zum Gutachten vorgetragen, bei Addition von Körperpflege und hauswirtschaftlicher Hilfe
ergebe sich ein täglicher Aufwand von insgesamt 252 min., so dass trotz des teilweise sehr knapp bemessenen
Hilfebedarfes der Zeitaufwand für die Pflegestufe III von 240 min. erreicht werde. Auch wenn der Hilfe am Körper den
höheren Stellenwert einnehme, dürfe die Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich nicht ganz außer Acht gelassen
werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen
sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat den Bescheid vom 13.09.1995 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1996, soweit also über die Pfle- Unrecht aufgehoben und die
Beklagte mithin zu Unrecht zu Leistungen nach der Pflegestufe III verurteilt.
Der Antrag, die Klägerin der Pflegestufe III zuzuordnen und ihr Leistungen zu gewähren, die für Pflegebedürftige im
Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vorgesehen sind, ist unbegründet, da Pflegebedürftigkeit in dem nach
dieser Regelung erforderlichen Umfang nicht vorliegt. Die Klägerin benötigt bei den auf die Grundpflege (Körperpflege,
Ernährung, Mobilität) entfallenden Verrichtungen nicht in einem Umfang Hilfestellungen, die für eine nicht ausgebildete
Pflegekraft einen täglichen Zeitaufwand von vier Stunden (240 min.) erfordern (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI).
Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass für die Klägerin wegen ihres Aufenthaltes von Montag früh
bis Freitag mittag in Behindertenheim nur ein Anspruch auf anteiliges Pflegegeld in Betracht kommt. Für die Zeit vom
01.04.1995 bis zum 24.06.1996 ergibt sich die Möglichkeit auf anteiliges Pflegegeld aus § 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §
37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der bis zum 24.06.1996 geltenden Fassung (a.F.) durch das Pflegeversicherungsgesetz
(PflegeVG) vom 26.05.1994 (BGBl. I S. 1014). Danach erhalten Pflegebedürftige, die in ihrem oder einem anderen
Haushalt, in den sie aufgenommen worden sind, gepflegt werden, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als
Sachleistung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F., wobei sie statt dessen auch ein Pflegegeld beantragen können (§ 37
Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F.). Der Anspruch setzt nach Satz 2 voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld
und dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine
Pflegeperson in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor. Sie wird
während der Wochenenden und der Ferien von ihrer Mutter gepflegt und dazu in deren Haushalt aufgenommen. Die
Klägerin ist nicht für jeweils wenige Tage bei der Mutter zu Besuch. Vielmehr handelt es sich um einen planmäßigen
Wechsel des Aufenthalts zwischen Behindertenheim und Wohnung der Mutter. Bei dem kontinuierlichen häuslichen
Aufenthalt an den Wochenenden und darüber hinaus auch an den Feiertagen und in den Ferien kann die
Aufenthaltsdauer bei der Mutter nicht als unerheblich außer Betracht gelassen werden. Für die Zeit ab 25.06.1996 ist
für einen Anspruch auf anteiliges Pflegegeld auf §§ 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI
abzustellen, deren Voraussetzungen nach dem gerade ausgeführten ebenso vorliegen. Mit der Neufassung hat der
Gesetzgeber rückwirkend klargestellt, dass nicht eine Pflegeperson im Sinne von § 19 SGB XI a.F. und insbesondere
nicht die dort genannte Mindestpflege von 14 Stunden wöchentlich durch diese Pflegeperson verlangt werden sollte.
Die Zahlung eines anteiligen Pflegegelds ist grundsätzlich zulässig (§ 37 Abs. 2, § 38 Satz 2, § 41 Abs. 3 Satz 2
SGB XI). Für Schwerstpflegebedürftige ergibt sich ein tägliches Pflegegeld von 43,33 DM (1.300: 30). Die
Berechnungsweise folgt aus § 37 Abs. 2 SGB XI. Dabei ist ein Tag dort zu zählen, wo er unter Berücksichtigung der
12.00 Uhr-Grenze überwiegend verbracht wurde in Bezug auf die Wochenenden nur für Samstags und Sonntags
beansprucht werden kann (BSG, Urteil vom 29.04.1999 - B 3 P 11/98).
Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen oder seelischen Krankheit oder
Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf
Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche oder regelmäßig wiederkehrende
Verrichtungen sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI das Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm-
und Blasenentleeren (Körperpflege), das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung (Ernährung), das
selbständige Aufstehen und Zu- Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität) sowie das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln
und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen der Wohnung (hauswirtschaftliche Versorgung). Hilfe im
genannten Sinne besteht nach Abs. 3 dieser Vorschrift in Unterstützung, teilweise oder vollständigen Übernahme der
Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung und Anleitung dieser Verrichtungen mit
dem Ziel der eigenständigen Übernahme der Handlung. Für die Leistungen nach dem SGB XI sind die
Pflegebedürftigen gemäß § 15 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 SGB XI einer der drei Pflegestufen zuzuordnen.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI (i.d.F. des 1. SGB XI- Änderungsgesetzes 1.SGB XI-ÄndG vom 14.06.1996,
BGBl. I S. 830) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe III voraus, dass er bei der Körperpflege,
der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf, und zusätzlich mehrfach in der
Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Zusätzlich wird (nach § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB
XI i.d.F. des 1. SGB XI-ÄndG) vorausgesetzt, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete
Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt,
wöchentlich im Tagesdurchschnitt (gemeint: täglich im Wochendurchschnitt) fünf Stunden beträgt, wobei auf die
Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssen.
Die in der Zeit seit Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 01.04.1995 bis zum 24.06.1996
geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt die zuletzt genannte Voraussetzung noch nicht. § 15 Abs. 3
SGB XI ermächtigte seinerzeit lediglich die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw. das Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen Pflegeaufwand in
den Richtlinien nach § 17 SGB XI bzw. in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu regeln. Die Richtlinien der
Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit und den Pflegestufen
sowie zum Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien vom 07.04.1994)
enthielten in ihrer ursprünglichen Fassung vom 07.11.1994 bezüglich des Mindestaufwands bei der Pflegestufe III die
Voraussetzung, der wöchentliche Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für
Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und pflegeunterstützende Maßnahmen benötige, müsse im
Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem
hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse.
Für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ab 01.04.1995 ist sowohl die ursprüngliche Fassung des § 15
SGB XI (für die Zeit vom 01.04.1995 bis 24.06.1996) als auch für die nachfolgende Zeit die durch das 1. SGB XI-
ÄndG geänderte Fassung maßgebend. Das Gesetz ließ in § 15 Abs. 3 SGB XI a.F. lediglich erkennen, dass die
Annahme von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen überhaupt von der Erfüllung
zeitlicher Mindestvoraussetzungen abhängen sollten. Der Gesetzgeber hat aber das Regelungsdefizit durch die
Neufassung des § 15 Abs. 3 SGB XI auch für die zurückliegende Zeit ausgefüllt, weil diese Regelung deutlich macht,
dass die im Vergleich dazu für die Betroffenen großzügigeren Regelungen des Mindestzeitaufwands in den PflRi
jedenfalls insoweit von seinem Willen getragen waren (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 1 S. 3).
Für die Zuordnung der Pflegestufe III ist damit erforderlich, dass der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder
eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und
hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, mindestens fünf Stunden beträgt, wobei auf die Grundpflege mindestens
vier Stunden entfallen müssen. Entgegen der Annahme der Mutter der Klägerin ist damit auch nicht ausreichend,
wenn die Hilfe im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen gerechnet mehr als
240 min. ergeben. Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach der Pflegestufe III lässt sich auch nicht daraus
ableiten, dass sie als Schwerbehinderte mit einem GdB von 100 und als hilflos im Sinne des
Schwerbehindertengesetzes anerkannt ist. Diesen Feststellungen kommt keine Bindungswirkung zu. Die
Voraussetzungen für die Zuordnung zur Pflegestufe III sind vielmehr nach den § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3
Nr. 3 SGB XI nach den dort aufgezeigten eigenständigen Kriterien zu ermitteln (BSG, Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P
20/97).
Der Anspruch der Klägerin scheitert hingegen nicht schon an dem Erfordernis der nächtlichen Pflegeleistungen im
Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI. Zur Frage, wann ein nächtlicher Hilfebedarf vorliegt, ist in der
höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheiden, dass ein Pflegebedarf rund um die Uhr, auch nachts als
Voraussetzung für die Zuordnung zur Pflegestufe III gegeben ist, wenn entsprechend den Vorgaben in den Richtlinien
der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des
Sozialgesetzbuches (BRi) vom 21.03.1997 ein nächtlicher Grundpflegebedarf für zumindest eine der in § 14 Abs. 4 Nr.
1 bis 3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen grundsätzlich jede Nacht entsteht (BSG, Urteile vom 19.02.1998, SozR 3-
3300 § 15 Nr. 1; B 3 P 2/97 R, B 3 P 6/97 R nicht veröffentlicht). Der nächtliche Hilfebedarf muss prinzipiell also jeden
Tag auftreten; soweit an wenigen einzelnen Tagen im Laufe eines Monats eine solche Hilfe nicht geleistet werden
muss, ist dies allerdings unschädlich (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 10 sowie § 15 Nrn. 1 und 5). Eine Hilfeleistung
findet nachts statt, wenn sie zwischen 22.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens geleistet wird. Allein eine tatsächliche
Leistungsabforderung bzw. -erbringung ist indes nicht ausreichend. Die Hilfeleistung muss vielmehr in dem genannten
Zeitraum aus pflegerischen Gründen objektiv erforderlich sein, die Hilfe also nicht auf einen Zeitpunkt vor 22.00 Uhr
oder nach 6.00 Uhr verlegt werden können (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 5). Die Klägerin muss nachts regelmäßig
gewindelt werden, so dass ein Hilfebedarf besteht.
Ein Grundpflegebedarf von mindestens vier Stunden (240 min.) ist bei der Klägerin indes nicht gegeben. Die Klägerin
bedarf zweifellos wegen körperlicher, geistiger und seelischer Behinderungen für die gewöhnlichen und regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer der Hilfe, weshalb ihr die Beklagte auch
Leistungen nach der Pflegestufe II gewährt. Sie leidet an einer infantilen Cerebralparese mit Tetraspastik mit
Gebrauchsunfähigkeit aller vier Extremitäten, einer ausgeprägten Kyphoskoliose und einer hochgradigen geistigen
Retardierung mit gelegentlichen Krampfanfällen. Sie bedarf auch, wie sich insbesondere aus den Gutachten des MDK
vom 01.09.1995 und vom 07.12.1995 als auch aus dem gerichtlich eingeholten Gutachten vom 10.05.2001 ergibt und
zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, bei allen Verrichtungen der Grundpflege Hilfe in Form einer Übernahme
durch eine Pflegeperson.
Gleichwohl ist ein regelmäßiger täglicher Pflegeaufwand von 240 min. nicht gegeben. Der Senat stützt sich dabei in
zusammenfassender Bewertung auf die Angaben der Sachverständigen S ... wie auch auf die Angaben der Mutter der
Klägerin. Für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen ist allein der Hilfebedarf
bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen maßgebend. Für die berücksichtigungsfähigen Hilfestellungen
im Bereich der Grundpflege ist somit folgender täglicher Zeitaufwand in Ansatz zu bringen: Körperpflege: Waschen: -
45 min. Baden - 9 min., Zahnpflege - 14 min., Kämmen: 6 min., Darm-/Blasenentleerung - 40 min., Windelwechseln
nachts - 7 min., Ernährung: mundgerechte Zubereitung - 15 min., Nahrungsaufnahme - 55 min., Mobilität:
Aufstehen/Zu-Bett-Gehen - 6 min., Anziehen/Ausziehen - 15 min., Rohlstuhltransfers - 6 min., Dies ergibt einen
Zeitaufwand von insgesamt 218 min ... Der Ansatz dieser Zeiten übersteigt teilweise die in Begutachtungs-Richtlinien
vom 21.03.1997 genannten Werte, wobei die besonderen Behinderung der Klägerin mit bewertet wurde.
Der Senat geht dabei von einer zusammenfassenden Würdigung der Angaben der Gutachterin als auch der Angaben
der Mutter der Klägerin aus. Die Sachverständige hat das Gutachten vom 10.05.2001 aufgrund eines Hausbesuchs
erstellt und die Pflegesituation der Klägerin ausführlich beschrieben. Dabei wurden sowohl die Angaben der Mutter der
Klägerin als auch die Vorgasichtigt.
Für das Waschen hat die Sachverständige einen Zeitaufwand von 20 min. angegeben, was den Vorgaben in den BRi
entspricht, aber auch den Angaben der Mutter im Pflegeprotokoll nahe kommt. Allerdings wird die Klägerin zweimal
wöchentlich gebadet, so dass an diesen Tagen eine zweimalige Ganzkörperwäsche nicht erforderlich ist. Dies ergibt
dann einen umgerechneten täglichen Zeitaufwand von 35 min ... Für das Baden hat die Sachverständige 30 min. pro
Bad in Ansatz gebracht, was den Wert in den BRi um 5 min. übersteigt und umgerechnet einen täglichen Hilfebedarf
von 9 min. entspricht. Für zwei zusätzliche Teilwäschen Hände/Gesicht berücksichtigt der Senat entsprechend der
Angaben der Mutter Klägerin im Pflegeprotokoll jeweils 5 min ... Die Zahnpflege wird nach den Angaben der Mutter in
Pflegeprotokoll tatsächlich nur zweimal täglich ausgeführt, so dass insgesamt nur 14 min. berücksichtigt werden
können. Gleiches gilt für das Kämmen mit 3 min. zweimal am Tag, so dass hierfür 6 min. in Ansatz gebracht werden
können. Der Zeitumfang für die Hilfe bei Blasen- und Darmentleerung mit durchschnittlich 10 min. viermal am Tag
entspricht ebenso in etwa den Angaben der Mutter. Die Hilfe beim Lagewechsel nachts mit 5 min. hat die
Sachverständige wegen des durch Skoliose verkrümmten Rückens und dadurch bedingter Schmerzen nachvollziehbar
erläutert und auch der Zeitaufwand für das nächtliche Windelwechseln mit 7 min. erscheint dem Senat ebenso
sachgerecht.
Für den Bereich der Ernährung ist hervorzuheben, dass zur mundgerechten Zubereitung der Nahrung nur die letzte
Vorbereitungshandlung nach der Fertigstellung der Mahlzeit, so z.B. das Zerkleinern von Fleisch, gehört. Für diesen
Vorgang können pro Hauptmahlzeit nicht mehr als der in den BRi vorgegebene Höchstwert 3 min. in Ansatz gebracht
werden, nicht hingegen die von der Mutter der Klägerin angegebenen höheren Werte von bspw. 15 bzw. 25 min., so
dass einschließlich Bereitstellen zusätzlicher Getränke nicht mehr als 15 min. in Ansatz gebracht werden können. Für
die Nahrungsaufnahme sieht der Senat in Abweichung von der Einschätzung der Sachverständigen und in Würdigung
der Angaben der Mutter der Klägerin im Pflegeprotokoll sowie in Übereinstimmung mit den BRi einen Zeitumfang von
15 min. für 3 Mahlzeiten sowie für weitere Getränkereichungen pro Tag ein Hilfebedarf von insgesamt 55 min. als
gerechtfertigt an.
Beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen ist der Zeitaufwand für den körperlichen Bewegungsvorgang gemeint, um in das
Bett hineinzugelangen (BSG, Urteil vom 29.04.1999 - B 3 P 7/98). In den BRi ist dabei ein Zeitaufwand für den
Transfer vom Rollstuhl von 1 min. angegeben. Die Sachverständige hat demgegenüber für die Klägerin einen Aufwand
pro Vorgang von 3 min. in Ansatz gebracht. Für das morgendliche Anziehen (10 min.) wie auch das abendliche
Ausziehen (5 min.) erscheinen die Angaben der Mutter im Pflegeprotokoll, die insbesondere auch mit den Vorgaben in
den BRi in Einklang zu bringen sind, nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung von zwei weiteren Rollstuhltransfers
zum Mittagessen und Abendessen von insgesamt 6 min. ergibt sich ein Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege von
insgesamt 218 min ...
Weiterer berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf ist nicht anzuerkennen. Ein zusätzlicher Hilfebedarf etwa für
Maßnahmen der Monatshygiene kann keine Berücksichtigung finden. Wenngleich nicht täglich notwendige
Verrichtungen jedenfalls bei der Ermittlung des insgesamt anfallenden Hilfebedarfs zu berücksichtigen sind, so zeigt
doch das Abstellen in § 15 Abs. 3 SGB XI auf den wöchentlichen Tagesdurchschnitt, dass nur solche Hilfen in die
Zeiterfassung eingestellt werden können, die regelmäßig wenigstens einmal pro Woche auf Dauer (d.h. mindestens
sechs Monate) anfallen (BSG, Urteil vom 29.04.1999 - B 3 P 7/98 R). Gleiches gilt im Übrigen für Arztbesuche, die
ein persönliches Erscheinen der Behinderten erforderlich machen. Anhaltspunkte für einmal wöchentliche notwendige
Arztbesuche sind weder vorgetragen noch ergeben sich hierfür aus den Unterlagen Anhaltspunkte.
Ebenso wenig können Hilfen für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung wegen der Fahrt zum Heim, dem
Besuch der Schule sowie für sonstige Freizeitgestaltung berücksichtigt werden. Gleiches gilt für damit in
zusammenhängende Hilfeleistungen des Umkleidens und Transfers. In den Entscheidungen des Bundessozialgerichts
vom 24.06.1998 (B 3 P 4/97 R) und vom 06.08.1998 (B 3 P 17/98 R), der sich der Senat anschließt, ist die Hilfe
außerhalb der Wohnung nur dann pflegeversicherungsrechtlich von Bedeutung, wenn sie erforderlich ist, um ein
Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Beim Besuch einer Förderschule, Behindertenwerkstatt und
auch bei Freizeitaktivitäten fehlt der erforderliche Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Existenz in der
häuslichem Umgebung. Sie dienen vielmehr der Stabilisierung und Entwicklung der geistigen und körperlichen
Fähigkeiten.
Auch die im Zusammenhang mit der Bedienung der Kommunikationshilfe erforderlichen Verrichtungen, insbesondere
ein Umsetzen bzw. Transfer der Klägerin wie auch die darüber hinaus im Ablauf der täglichen Lebens erforderlichen
Transfers der Klägerin vom Rollstuhl bzw. Sofa können keine Berücksichtigung finden. Für die Feststellung der
Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen ist allein der Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI
genannten Verrichtungen und die in § 14 Abs. 3 SGB XI genannten Arten der Hilfe maßgebend und eine Ausdehnung
auf dort nicht genannte Pflegebereiche, Verrichtungen und Hilfeleistungen grundsätzlich ausgeschlossen (BSG, Urteil
vom 19.02.1998, B 3 P 5/97 R). Dies schließt auch eine Berücksichtigung des von der Mutter Klägerin angegebenen
Zeitaufwandes für die Muskellockerungen aus. Hierbei handelt es sich nicht um eine Katalogverrichtung, sondern um
eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme (das sind Hilfeleistungen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung
verursacht werden) und die nicht in unmittelbaren zeitlichen und sachlichem mit einer Katalogverrichtung erforderlich
ist. Die Hilfe beim Gehen, Stehen, Sitzen bzw. der sie ersetzenden Verrichtungen durch einen Transfer der
Pflegeperson sind nur dann berücksichtigungsfähig, wenn sie im Zusammenhang mit einer der gesetzlich definierten
Verrichtungen der Grundpflege anfallen (BSG, Urteil vom 29.04.1999, B 3 P 7/98 R). Insoweit wurden von der
Sachverständigen die im Zusammenhang mit der Blasen- und Darmentleerung erforderlichen Transfers vom
Sofa/Rollstuhl auf den im häuslichen Bereich verwendeten Nachtstuhl bereits dort mit berücksichtigt.
Nicht berücksichtigungsfähig ist auch der bei Klägerin zweifellos gegebene allgemeine Aufsichtsbedarf. Das Gesetz
bietet keine Grundlage für die Berücksichtigung eines Hilfebedarfs in Form einer ständigen Anwesenheit und Aufsicht
einer Pflegeperson eines geistig Behinderten (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8, st. Rspr.).
Soweit in dem von Behindertenheim vorgelegten, während der dortigen Aufenthalts der Kläger geführten
Pflegetagebuch bei einzelnen Verrichtungen ein wesentlich höherer, zum Teil aber auch geringerer Hilfebedarf bei den
einzelnen Verrichtungen angegeben, im Ergebnis aber ein Zeitaufwand von mehr als 240 min. täglich ausgewiesen ist,
stellt dieses keine geeignete Grundlage zur Feststellung des Hilfebedarfs dar. Für die Feststellung der
Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu einer Pflegestufe ist der Bedarf an häuslicher Pflege maßgebend. Würde
sich die Bemessung des Pflegebedarfs an den in einem Pflege- bzw. Behindertenheim existierenden Bedingungen
orientieren, so ergäben sich zwangsläufig Abweichungen von den Ergebnissen, die auf der Grundlage der bei der
häuslichen Pflege maßgebenden Bedingungen gewonnen werden. Die Pflegebedürftigen wären bei Zugrundelegung der
in den stationären Pflege tatsächlich bestehenden Bedingungen (z.B. bauliche Verhältnisse, gemeinsame Einnahme
der Mahlzeiten) zwar nicht durchweg höher einzustufen; in zahlreichen Fällen wird für die Pflegeverrichtungen im
Gegenteil ein geringerer zeitlicher Aufwand anzunehmen sein (z.B. geschultes Personal). Die Heranziehung eines
einheitlichen Maßstabes für die Feststellung von Pflegebedüftigkeit nach den häuslichen Verhältnissen entspricht
aber dem Vorrang der häuslichen Pflege, so dass die Inanspruchnahme stationärer Pflege gegenüber der ambulanten
Pflege nicht durch einen großzügigeren Maßstab begünstigt werden darf (BSG, Urteil vom 10.02.2000 - B 3 P 19/99
R).
Im Ganzen ist zwar nachgewiesen, dass die Klägerin aufgrund der nachgewiesenen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen in beträchtlichem Umfang der Hilfe bedarf. Der nach den rechtlichen Grundlagen im Rahmen des
Pflegeversicherungsgesetzes berücksichtigungsfähige Zeitaufwand liegt im Bereich der Grundpflege jedoch unter 240
min ... Die Pflegeversicherung ist, auch wenn dies anders für die Betroffenen wünschenswert wäre, nicht auf die
lückenlose Erfassung jeglichen Hilfebedarfs und gleichsam nicht auf eine pflegerische Vollversorgung ausgerichtet.
Wegen des Fehlens der für die Pflegestufe III erforderlichen Zeitumfangs von vier Stunden kann der benötigte
Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung dahingestellt bleiben.
Aus den genannten Gründen war mithin das Urteil des Sozialgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).