Urteil des LSG Sachsen vom 02.10.2001
LSG Fss: beitragszeit, ddr, sozialversicherung, universität, anerkennung, verordnung, vormerkung, ingenieur, arbeiter, industrie
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 02.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 8 RA 304/00
Sächsisches Landessozialgericht L 4 RA 91/01
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 07. Mai 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen des Vormerkungsverfahrens über die Anerkennung eines Forschungsstudiums als
rentenrechtliche Zeit.
Der am ... geborene Kläger erlernte nach Ablegung des Abiturs im Mai 1963 zunächst den Beruf eines Drehers
(Facharbeiterzeugnis vom 31.08.1964). Vom 01.09.1964 bis 28.02.1969 absolvierte er ein Hochschulstudium an der
Technischen Universität D ..., welches er als Hochschul-Ingenieur in der Fachrichtung Landmaschinentechnik
abschloss. Daran anschließend, in der Zeit vom 01.03.1969 bis 31.08.1972, nahm er an einem Forschungsstudium an
der TU D ... teil und promovierte zum Doktor-Ingenieur auf dem Gebiet Landtechnik (Promotion vom 27.10.1972). Ab
01.09.1972 war der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VEB Kombinat I ... E ... versicherungspflichtig
beschäftigt.
Auf seinen Antrag auf Kontenklärung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 31.05.1999 nach § 149 Abs. 5 Sechstes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre
zurückliegen, verbindlich fest. Als Ausbildungszeiten (Anrechnungszeittatbestände) wurden 36 Kalendermonate
(30.03.1962 bis 24.07.1963 und 27.08.1963 bis 28.02.1966) vorgemerkt. Die Beklagte lehnte u.a. eine Vormerkung der
Zeit vom 01.09.1964 bis 31.08.1972 als rentenrechtliche Zeit ab, da es sich um Zeiten der Hochschulausbildung
handele.
Auf den Widerspruch des Klägers, mit dem er u.a. eine Anerkennung der Zeit des "sogenannten Forschungsstudiums"
(01.03.1969 bis 31.08.1972) als Beitragszeit begehrte, wies ihn die Beklagte mit Schreiben vom 22.06.1999 darauf
hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Zeit einer Hochschulausbildung
lediglich bis zu ihrem ersten Abschluss als Anrechnungszeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI gelte.
Diesen erste Abschluss habe der Kläger am 01.03.1969 erlangt. Es liege auch keine Beitragszeit vor (§ 248 Abs. 3
Satz 2 Nr. 1 SGB VI), da er als Vollstipendiat beitragsfrei in der Sozialversicherung versichert gewesen sei, was auch
die Technische Universität in ihrem Schreiben vom 18.02.1999 bestätigt habe.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2000 zurück. Zur Begründung führte sie
aus, das Forschungsstudium könne nicht als Hochschulausbildung anerkannt werden. Die Teilnahme setze
grundsätzlich eine abgeschlossene Hochschulausbildung voraus. Die Grundsätze zu Promotionsstudienzeiten, wie sie
vom BSG entwickelt worden seien, fänden Anwendung. Etwas anderes könne gelten, wenn ein Studium
aufgenommen worden sei, ohne dass der Student bereits früher einen akademischen Grad erworben habe. Der Kläger
habe jedoch bereits zum 01.03.1969 sein Studium an der TU D ... abgeschlossen. Mangels Beitragsentrichtung
komme auch eine Anerkennung als Beitragszeit nicht in Betracht.
Mit der am 23.05.2000 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren zur
Anerkennung der Zeit des Forschungsstudiums als Beitragszeit weiter. Er führte aus, das Forschungsstudium sei
eine Mischung zwischen Studium und Assistenz gewesen. Als Forschungsstudent sei er in die wissenschaftliche
Arbeit des Instituts einbezogen gewesen und habe in bestimmtem Umfang Lehrtätigkeit ausgeführt. Er habe
gearbeitet wie ein Assistent. Das im Rahmen seiner Dissertation bearbeitete Thema sei von der Industrie als
Vertragsforschung finanziert worden. Für diese Sonderform seiner Beschäftigung in der DDR könne nicht das
bundesdeutsche Rentenrecht vor 6/1990 angewandt werden, sondern diese Zeiten müssten nach dem Geist des
Renten-Überleitungsgesetzes bewertet werden.
Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Schreiben vom 28.12.2000 die Entscheidung des BSG vom 23.03.1999 - B 4
RA 18/98R (SozR 3-2600 § 248 Nr. 4) zur Kenntnis gegeben und auf die fehlenden Erfolgsaussichten hingewiesen.
Nach Anhörung der Beteiligten wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.05.2001 ab. Der
streitige Vormerkungsbescheid sei nicht zu beanstanden. Die Zeit vom 02.03.1969 bis 31.08.1972, in der der Kläger
ein Forschungsstudium bei der Technischen Universität D ... absolvierte, sei nicht als Beitragszeit vorzumerken (vgl.
§ 55 SGB VI; § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI). Nach § 248 Abs. 3 Satz 2 SGB VI zählten Zeiten der Schul-, Fach-
oder Hochschulausbildung im Beitrittsgebiet nicht als Beitragszeiten. Soweit Versicherungspflicht in der sogenannten
Studentenversicherung der ehemaligen DDR bestanden habe, liege keine Beitragszeit nach § 248 Abs. 3 SGB VI vor.
In der ehemaligen DDR habe ab 01.04.1952 für Studenten, Hoch- und Fachschülern Versicherungspflicht bestanden
(vgl. Verordnung über die Sozialpflichtversicherung der Studenten, Hoch- und Fachschüler vom 02.02.1950 [GBl. Nr.
11 S. 71]; ab 01.04.1962 gemäß Verordnung vom 15.03.1962 [GBl. II 1962 S. 126]). Ferner habe zur Zeit des vom
Kläger absolvierten Forschungsstudiums die "Verordnung über die Pflichtversicherung der Studenten und Aspiranten
bei der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten" vom 15.03.1962 (GBl. II Nr. 15) gegolten. Nach § 1 Abs. 1
dieser Verordnung unterlagen Studenten und wissenschaftliche Aspiranten der Universitäten und Hochschulen der
Pflichtversicherung bei der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten. Hierfür wurde von der Lehranstalt für
jeden Studenten monatlich ein Sozialversicherungsbeitrag von 6,00 DM an den Rat des Kreises bzw. Stadtkreises,
Abteilung Finanzen, gezahlt (§ 5 der Ersten Durchführungsbestimmung vom 15.03.1962, GBl. II S. 127). Der Kläger
habe in der hier streitigen Zeit keine eigenen Beiträge an die Sozialversicherung entrichtet, er sei vielmehr von der
Verpflichtung zur Beitragsentrichtung befreit gewesen. Dies habe auch die Technische Universität im Schreiben vom
18.02.1999 bestätigt. Eine Beitragszeit nach § 248 Abs. 3 SGB VI ist deshalb nicht vorzumerken.
Die Zeit vom 02.03.1969 bis 31.08.1972 wäre als gleichgestellte Beitragszeit nach § 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI nur
vorzumerken, wenn "Beiträge gezahlt worden" seien. Das sei nicht der Fall. Zwar wurde das Studium im System der
Sozialversicherung der DDR als Pflichtbeitragszeit berücksichtigt (vgl. § 2 Abs. 2 Buchst. e der Rentenverordnung
vom 23.11.1979; GBl. I Nr. 38 S. 401). Aber auch hier habe es sich um eine "beitragslose" Zeit gehandelt, die nur im
Wege der Fiktion "als versicherungspflichtige Tätigkeit" einbezogen worden sei. Bei dem vom Kläger absolvierten
Forschungsstudium habe es sich um eine Zeit der Hochschulausbildung i.S.d. § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI
gehandelt (vgl. zum Begriff "Hochschulausbildung" BSG SozR 3-2600 § 248 Nr. 4). DDR-spezifischen Besonderheiten
seien, wegen der damit verbundenen Benachteiligung der aktuellen Beitragszahler gerade nicht zu berücksichtigen.
§ 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI stehe der Vormerkung eines Zeitraumes als Beitragszeit nicht entgegen, wenn eine
Ausbildung in ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis integriert gewesen oder wenn neben der Ausbildung eine
entgeltliche Beschäftigung ausgeübt oder wenn ein anderer Tatbestand erfüllt worden sei, der eine Beitragszeit
begründe. Ein solcher Ausnahmefall liege indes nicht vor. Es sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass
der Kläger aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Sozialversicherungsbeiträge entrichtet habe.
Der Zeitraum vom 02.03.1969 bis 31.08.1972 könne auch nicht als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung
anerkannt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sei der Anrechnungszeittatbestand der Schulausbildung
nur erfüllt, wenn ein immatrikulierter Student an einer Hochschule durch Teilnahme an den universitätsspezifischen
Lehrveranstaltungen sich die Inhalte seines Studienfaches derart aneigne, dass ihm erstmals der Weg in einem seiner
Ausbildung entsprechenden Beruf eröffnet werde (vgl. BSG, Urteile vom 23.03.1999 - B 4 RA 18/98 R -; vom
31.07.1997 - 4 RA 76/96 - und - 4 RA 22/96 - sowie vom 25.03.1997 - 4 RA 48/96). Eine Anrechnungszeit als
Hochschulausbildung komme somit nur bis zum Abschluss des Studiums am 01.03.1969 (Zeugnis als Hochschul-
Ingenieur) in Betracht.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angewandte Rechtsvorschrift des § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI
bestünden nicht. Weder ergebe sich eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) noch sei
eine Verletzung des Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 1 GG) ersichtlich.
Gegen den dem Kläger am 11.05.2001 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich seine am 30.05.2001 eingelegte
Berufung. Dazu trägt der Kläger vor, er habe während des Forschungsstudium 2 Wochenstunden Lehraufgaben und
vergütungspflichtige Vertragsforschung für die Industrie ausgeführt, so wie es im damals gültigen Gesetzblatt der
DDR festgelegt gewesen sei (GBl. II Nr. 54 vom 01.07.1970, § 5 Abs. 6). Von seinem damaligen Arbeitgeber, der TU
Dresden, seien für diese Tätigkeit entgegen den gesetzlichen Bestimmungen der DDR kein Honorar und
entsprechende Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden. Seine Tätigkeit habe sich damit eindeutig von der eines
normalen westdeutschen Aspiranten-Doktoranten, der nach abgeschlossenem Studium ausschließlich an seiner
Promotion arbeite, unterschieden. Er habe damit während seiner Forschungsstudienzeit auch eine entgeltliche
Beschäftigung ausgeübt, die als Beitragszeit anerkannt werden müsse. Diese Tatsache sei im Gerichtsbescheid nicht
gewürdigt worden.
Der nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 07.05.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung
des Bescheides vom 31.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2000 zu verurteilen, die Zeit
vom 02.03.1969 bis 31.08.1972 als Beitragszeit vorzumerken.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen
und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§ 153
Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 SGG) ist zulässig, erweist sich in der Sache
jedoch als unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf
Vormerkung der Zeit der Absolvierung seines Forschungsstudium vom 02.03.1969 bis 31.08.1972 weder als Beitrags-
noch als Anrechnungszeit zu.
Der Senat schließt sich nach eigenen Prüfung in vollem Umfang der ausführlich begründeten erstinstanzlichen
Entscheidung an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Kläger übersieht, dass er, selbst wenn er Honoraransprüche gegen die Universität geltend machen könnte, damit
ein Arbeitsrechtsverhältnis nicht begründet hätte. Vielmehr hätte es sich um eine selbständige Tätigkeit gehandelt, für
die - soweit versicherungspflichtige Einkünfte erzielt worden wären - er selbst Beiträge zur Sozialversicherung an das
Finanzamt hätte abführen müssen. Für den hier streitigen Zeitraum hat der Kläger jedoch eine von ihm
vorgenommene Beitragszahlung nicht belegt. Vielmehr ist mit dem Schreiben der Universität vom 18.02.1999 lediglich
bestätigt, dass er - wenn auch ein erhöhtes - Stipendium bezogen hatte und beitragsfrei versichert war.
Aus den genannten Gründen blieb die Berufung ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).