Urteil des LSG Sachsen vom 15.02.2010

LSG Fss: bedürftigkeit, gewissheit, abgabe, beruf, rechtsschutzversicherung, sozialhilfe, vergütung, entlastung, gerichtsakte, fremder

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 15.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 20 AS 2185/09 ER
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 570/09 B PKH
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 19. August 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt mit der Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein inzwischen
abgeschlossenes Verfahren vor dem Sozialgericht.
Der Antragsteller ist im Verfahren vor dem Sozialgericht von einer Rentenberaterin vertreten worden, die sich auf ihre
uneingeschränkte Zulassung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz für das Sozialrecht berufen hat. Die
Bevollmächtigte des Antragstellers hat am 4. Mai 2009 Klage erhoben (Az.: S 20 AS 2143/09) und um die Gewährung
vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht (Az.: S 20 AS 2185/09 ER). Ferner hat sie "vorsorglich [ ...]
PKH-Antrag ohne Ratenzahlung gestellt." Das Sozialgericht hat die Antragstellerbevollmächtigte mit Beschluss vom
15. Mai 2009 gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückgewiesen, weil sie nicht die zur
geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erforderliche Erlaubnis besitze. Das daraufhin vom
Antragsteller angebrachte Ablehnungsgesuch gegen die Kammervorsitzende hat das Sächsische Landessozialgericht
mit Beschluss vom 4. August 2009 (Az.: L 4 SF 41/09 AB, L 4 SF 42/09 AB) zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 19. August 2009
abgelehnt. Der Antrag sei abzulehnen gewesen, weil die Antragstellerbevollmächtigte als Prozessbevollmächtigte
zurückgewiesen worden sei. Außerdem könnten nur Rechtsanwälte im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet
werden. Schließlich liege kein vollständiger Antrag vor. Denn der Antrag sei nur vorsorglich und ohne Beifügung der
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt worden.
Der Antragsteller hat hiergegen am 31. August 2009 Beschwerde eingelegt. Dem Sozialgericht sei bekannt, dass die
Beklagte nach Einschaltung des Gerichtes bereits partiell wieder ihre Leistungen angewiesen habe, er also trotz der
geringen Übergangsgeldleistungen und nicht voll gedeckten Kosten der Berufsförderungsmaßnahme weiterhin
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) beziehe.
Ferner wendet er sich gegen die Zurückweisung seiner Bevollmächtigten.
Die Beschwerdegegnerin, die Staatskasse, hat ausgeführt, dass in dem abgeschlossenen Verfahren vor dem
Sozialgericht kein Rechtsanwalt mandatiert worden sei. Damit seien keine im Rahmen der Prozesskostenhilfe
erstattungsfähigen Auslagen und Gebühren entstanden, sodass eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe dem Grunde
nach nicht in Betracht komme. Rechtsbeistände und Prozessagenten seien nur beizuordnen, wenn sie nach § 209 der
Bundesrechtsanwaltsordnung in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommen worden seien. Außerdem sei in einem
abgeschlossenen Verfahren keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mehr möglich, da kein Rechtsschutzbedürfnis
mehr bestehe. Schließlich liege keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des
Antragstellers vor, sodass der Prozesskostenhilfeantrag nicht vollständig sei.
Mit Beschluss vom 26. August 2009 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen
Rechtsschutzes abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde (Az.: L 3 AS 604/09 B ER) hat der Antragsteller am
15. Dezember 2009 für bewendet erklärt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Beschwerdeverfahrens, des
Beschwerdeverfahrens Az: L 3 AS 604/09 B ER und des Antragsverfahrens Az.: S 20 AS 2185/09 ER Bezug
genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft. Sie ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen.
Eine Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen,
wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe
verneint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Zwar hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch damit begründet, dass der
Antragsteller nicht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1
SGG i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung [ZPO]) dem Antrag beigefügt habe. Der Fall, dass der
Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt worden ist, weil überhaupt keine solche Erklärung abgegeben worden ist, fällt
ebenso unter die Beschwerdeausschlussregelung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG wie der Fall, dass der
Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt worden ist, weil nach Auffassung des Sozialgerichtes der nach § 73a Abs. 1 Satz
1 SGG i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 4 ZPO i. V. m. der Prozesskostenhilfevordruckverordnung (PKHVV)
vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3001) in der Fassung des Art. 36 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I
S. 3022) erforderliche Vordruck nicht vorgelegt worden ist (vgl. zu letzterem: SächsLSG, Beschluss vom 6. August
2009 – L 3 AS 375/09 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 4, m. w. N.).
Das Sozialgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag jedoch auch noch aus zwei anderen Gründen abgelehnt. Diese
beiden anderen Ablehnungsgründe betreffen aber nicht die Frage, ob dem Antragsteller gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1
SGG i. V. m. § 119 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, sondern die grundsätzlich nachrangige Frage, ob im
Falle eines Anspruches auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zusätzlich noch nach Maßgabe von § 73a Abs. 1
Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO eine Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes besteht.
Selbst wenn das Sozialgericht, worauf der Aufbau der Beschlussbegründung hindeutet, die Auffassung vertreten
haben sollte, dass bei einem Verfahrenbeteiligten, der zu den kostenfreien Beteiligten im Sinne des § 183 SGG zählt,
das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag fehlt, solange er keinen
beiordnungsfähigen Bevollmächtigten benennt, würde dieser Rechtsstandpunkt eine Sachurteilsvoraussetzung
betreffen und nicht die materielle Bewilligungsvoraussetzung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des
Antragstellers.
Alle drei Ablehnungsgründe stellen sowohl nach ihrer Abfolge als auch nach dem Wortlaut der Beschlussbegründung
eigenständige Begründungen für die Entscheidung dar. Keiner der drei Ablehnungsgründe ist nur in Form einer
Hilfserwägung formuliert. Wenn aber ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus mehreren eigenständigen,
die Entscheidung jeweils allein tragenden Gründen abgelehnt wird, und nicht alle Ablehnungsgründe die Bedürftigkeit
des Antragstellers betrifft, hat das Gericht nicht im Sinne von § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG "ausschließlich die
persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint".
Für eine erweiternde Auslegung von § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist bereits auf Grund von dessen eindeutigem Wortlaut
("ausschließlich") kein Raum. Aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/7716 S. 22) ergibt sich zudem nicht,
dass dem Gesetzgeber der Fall einer alternativen, nicht nur das Tatbestandsmerkmal der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse betreffenden Ablehnungsbegründung vor Augen stand. Vor dem Hintergrund des
verfassungsrechtlichen Gebotes der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02
– BVerfGE 107, 395 [416] = JURIS-Dokument Rdnr. 69) muss es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, die Regelung
über den Beschwerdeausschluss auch auf diese Fallvariante auszudehnen, sofern er dies im Hinblick auf eine
Verfahrenskonzentration und eine Entlastung der Rechtsmittelgerichte als zweckmäßig erachtet.
2. Über die Beschwerde kann auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Verfahrens zur
Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes, entschieden werden (vgl. zur Zulässigkeit einer rückwirkenden
Beschwerdeentscheidung nach rechtskräftigem Abschluss des vorausgegangenen Hauptsacheverfahrens:
SächsLSG, Beschlüsse vom 11. Februar 2008 – L 3 B 31/08 AS-PKH – und vom 20. Oktober 2008 – L 3 B 318/08
AS/PKH –; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 73a Rdnr. 12c; vgl.
auch LSG Niedersachesen, Beschluss vom 15. Mai 1995 – L 8 S (Vs) 52/95 – Breithaupt 1995, 735). Denn die Frage,
ob der Antragsteller alles Erforderliche getan hat, um vor Wegfall der Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens
eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erwirken, und die Frage, ob der Bevollmächtigte beigeordnet
werden konnte mit der Folge, dass der Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von Auslagen und Gebühren
gemäß §§ 45 ff. des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) entstehen konnte, betrifft nicht die Zulässigkeit der Beschwerde, sondern
deren Begründetheit.
3. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Denn der von der Antragstellerbevollmächtigten gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe war zu keinem Zeitpunkt
entscheidungsreif. Dem Antrag waren nämlich weder der nach den bereits oben bezeichneten Vorschriften
erforderliche Vordruck der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin noch
sonstige Unterlagen beigefügt, die eine Prüfung der prozesskostenhilferechtlichen Bedürftigkeit des Antragstellers
ermöglicht hätten. Zur Abgabe einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind aber auch
Empfänger von Arbeitslosengeld II verpflichtet (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 20. November 2009 – L 3 B 261/08
AS-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 19, m. w. N.).
Auf die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses konnte auch nicht deshalb verzichtet
werden, weil das Sozialgericht, wie der Antragsteller meint, seine Bedürftigkeit daraus habe erkennen könne, dass
ihm Grundsicherungsleistungen nach den SGB II gewährt worden sind. Das Bundessozialgericht hat in diesem
Zusammenhang wiederholt darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Vordrucks das Gericht in die Lage
versetzen soll, sich auf Grund der gemachten Angaben und vorgelegten Belege eine ausreichende Gewissheit über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten,
Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsschutzversicherung) zu verschaffen. Dazu bedarf es aber Erklärungen,
welche in dem Vordruck gefordert werden, einschließlich der Versicherung über die Vollständigkeit und Richtigkeit der
gemachten Angaben (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007 – B 2 U 131/07 B – JURIS-Dokument Rdnr. 3, m. w.
N.). Das Bundessozialgericht hat deshalb weder die Vorlage einer Ablichtung eines im Insolvenzverfahren
aufgestellten Vermögensverzeichnisses sowie weiterer Belege (vgl. BSG, a. a. O.) noch die Vorlage eines
Bescheides über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (vgl. BSG,
Beschluss vom 17. August 2007 – B 1 KR 6/07 BH – JURIS-Dokument Rdnr. 3, m. w. N.) ausreichen lassen. Zudem
bedingt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht notwendigerweise einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. So sind
beispielsweise die Regelungen in § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) einerseits und in § 12 SGB II andererseits über das
einzusetzende Vermögen nicht deckungsgleich.
Da der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits wegen der Unvollständigkeit des Antrages nicht
entscheidungsreif war, kann dahingestellt bleiben, ob die Bevollmächtigte des Antragstellers die Voraussetzungen für
eine Beiordnung und damit für einen Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von Auslagen und Gebühren
erfüllt hat.
4. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (§ 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens
sind nicht erstattungsfähig (§ 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).