Urteil des LSG Sachsen vom 17.12.2001
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Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.12.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 7 U 82/99
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 113/00
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 29.05.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung von Bescheiden, mit denen sie zur Zahlung von Beitragsschulden einer Vor-
GmbH herangezogen worden ist.
Die Klägerin und Herr P ... M ... (im Folgenden: M.) schlossen am 28. November 1995 einen notariell beurkundeten
Gesellschaftsvertrag zur Gründung der ... GmbH (im Folgenden: GmbH i. G.). Vom Stammkapital in Höhe von
50.000,00 DM übernahmen die Klägerin und M. je die Hälfte. M. wurde zum alleinigen Gesellschafter bestellt und
beantragte am 27. November 1995 die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Am 01. Dezember 1995
nahm die GmbH i. G. ihre Geschäftstätigkeit mit Zustimmung der Klägerin auf und beschäftigte in der Folgezeit
mehrere Arbeitnehmer. Der Antrag auf Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister wurde mit Beschluss des
Amtsgerichts Dresden vom 18. August 1996 zurückgewiesen, weil die Eintragung in die Handwerksrolle nicht erfolgt
war. Eine erneute Anmeldung lag im September 1997 noch vor, wurde aber wieder zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 13. Mai 1997 beantragte die ... krankenkasse ... die Eröffnung des
Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH i. G. Das Amtsgericht Dresden holte ein Gutachten
zur Vermögenslage der GmbH i. G. ein und lehnte mit Beschluss vom 01. August 1997 die Eröffnung der
Gesamtvollstreckung mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse ab. Zum 01. August 1997
stellte die GmbH i. G. den Geschäftsbetrieb ein.
Mit Beitragsbescheid vom 06. November 1997 nahm die Beklagte die Klägerin als "Mitunternehmer der Firma E ...
und P ... M ..." auf Zahlung der von der GmbH i. G. geschuldeten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die
Geschäftsjahre 1995 und 1996 unter Anrechnung bereits geleisteter Zahlungen in Höhe von insgesamt 11.928,02 DM
in Anspruch. Mit Bescheid vom 08. Dezember 1997 setzte die Beklagte die Beitragsschuld auf 10.048,69 DM herab.
Mit Beitragsbescheid vom 24. April 1998 wurde der für das Geschäftsjahr 1997 zu zahlende Betrag auf insgesamt
4.875,45 DM festgesetzt. Auf die vorbezeichneten Beträge wurden 129,00 DM von der GmbH i. G. sowie 5.024,35
und 2.437,73 DM von M. gezahlt.
Gegen den Bescheid vom 08. Dezember 1997 legte die Klägerin mit der Begründung Widerspruch ein, dass nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) die Gründungsgesellschafter bei einer fehlgeschlagenen GmbH-
Gründung nicht im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern der Vor-GmbH hafteten, sondern nur im Innenverhältnis
gegenüber der Vor-GmbH. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1999, der dem Prozessbevollmächtigten der
Klägerin am 24. Februar 1999 zugestellt wurde, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde
ausgeführt, dass die Bescheide vom 06. November 1997 und 24. April 1998 bestandskräftig geworden seien, da
gegen diese kein Widerspruch eingelegt worden sei. Der Bescheid vom 08. Dezember 1997 sei rechtmäßig, da die
Klägerin als Mitgesellschafterin gesamtschuldnerisch hafte. Denn die Gründung der GmbH sei ohne
Auflösungsbeschluss und Liquidation aufgegeben worden, so dass nicht das Recht der Vorgesellschaft, sondern das
Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) anzuwenden sei.
Am 24.03.1999 hat die Klägerin Klage mit dem Begehren der Aufhebung der Beitragsbescheide erhoben.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 29.05.2000 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahin abgegeben,
dass sie die in den Bescheiden vom 06.11.1997, 08.12.1997 und 24.04.1998 geforderten Beiträge auf die Hälfte
reduziert hat. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst
ausgeführt, die Klage sei zulässig gewesen, da die angefochtenen Bescheide alle Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens geworden seien. Zum anderen sei die Klage jedoch unbegründet. Die angefochtenen
Bescheide in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 29.05.2000 seien rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Bescheide
für die Geschäftsjahre 1995 und 1996 seien die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); für den
Bescheid für das Geschäftsjahr 1997 fänden sich die Rechtsgrundlagen im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
VII). Die Klägerin hafte der Beklagten für die von der GmbH i. G. geschuldeten Unfallversicherungsbeiträge
einschließlich Altlastenumlage und Konkursausfallgeld entsprechend ihrer Beteiligung an der GmbH i. G. zu 50 %. Die
Vor-GmbH sei Schuldnerin der anfallenden Unfallversicherungsbeiträge geworden. Sie sei Unternehmerin i. S. des §
658 Abs. 2 Nr. 1 RVO (§ 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Sofern wie hier eine GmbH ihren Geschäftsbetrieb nach
Abschluss des Gesellschaftsvertrages, aber vor der Eintragung in das Handelsregister aufgenommen habe, sei sie
schon in diesem Stadium Unternehmerin i. S. dieser Vorschriften (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28.
Februar 1986 - 2 RO 21/85 -). Für die an die Beklagte gemäß § 723 Abs. 1 RVO - § 150 Abs. 1 SGB VII - zu
leistenden Beiträge hafte die Klägerin, nachdem die Eintragung der GmbH in das Handelsregister gescheitert sei,
entsprechend der Höhe ihrer Beteiligung an der GmbH i. G. Insoweit schließe sich das Gericht wie auch das BSG
(Urteil vom 08.12.1999 - B 12 Kr 10/98 R) und der Bundesfinanzhof (BFH NJW 1998, 2926 ff.) der neueren
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, NJW 1997, 1507 ff.) zur Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH
an. Seine frühere Rechtsprechung zur Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH für von dieser geschuldete
Unfallversicherungsbeiträge habe das BSG mit Beschluss vom 31. Mai 1996 (Az.: 2 S(U) 3/96) aufgegeben, dieser
Rechtsprechung folge das erkennende Gericht ebenfalls nicht.
Zwar hafte der Gesellschafter einer Vor-GmbH für deren Verbindlichkeiten grundsätzlich nicht gegenüber den
Gläubigern der Vor-Gesellschaft, sondern nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft. Eine - hier relevante - Ausnahme
von dieser Regel mit der Folge, dass bei ihrem Vorliegen die Gesellschafter einer Vor-GmbH eine unbeschränkte
Außenhaftung für sämtliche Verbindlichkeiten der Vor-GmbH treffe, greife jedoch bei Vermögenslosigkeit der Vor-
GmbH ein.
Die Klägerin hafte für die Beitragsschulden der Vor-GmbH, weil diese vermögenslos gewesen sei und die Klägerin der
Aufnahme des Geschäftsbetriebes der GmbH i. G. zugestimmt habe. Nach der Rechtsprechung sowohl des BSG
(Urteil vom 08.12.1997 - B 12 Kr 10/98 R) als auch des BFH (a. a. O.) sei anerkannt, dass Vermögenslosigkeit
anzunehmen sei, wenn die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Vor-GmbH
mangels Masse abgelehnt worden sei.
Dem könne die Klägerin auch nicht entgegenhalten, dass das in der Gesamtvollstreckungsakte enthaltene Gutachten
zur Vermögenslage der Vor-GmbH ergeben habe, dass die GmbH i. G. zum damaligen Zeitpunkt noch über ein
Aktivvermögen in Höhe von ca. 18.000,00 DM verfügt habe. Der BGH habe die grundsätzliche Innenhaftung der
Gesellschafter gegenüber der Vor-GmbH u. a. damit begründet, dass bei einer unmittelbaren Haftung der
Gesellschafter ein Gläubiger-Wettlauf mit ungleichen Befriedigungschancen der Gläubiger zu befürchten sei
(Vorlagebeschluss vom 04.03.1996, - 2 ZR 123/94 -, NJW 1996, S. 1210, 1212 rechte Spalte, sowie Urteil vom 27.
Januar 1997, a. a. O., S. 1509 linke Spalte). Dieser Gesichtspunkt trage aber nur dann, wenn aufgrund der
Durchführung eines ordnungsgemäßen Gesamtvollstreckungsverfahrens die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger
der Vor-GmbH gewährleistet sei. Sofern die Vermögenssituation der Vor-GmbH jedoch so schlecht sei, dass noch
nicht einmal ein Gesamtvollstreckungsverfahren durchgeführt werden könne, bestehe keine Rechtfertigung dafür, die
Gläubiger auf den beschwerlichen Weg der Pfändung des Verlustdeckungsanspruches der Vorgesellschaft gegen die
Gründungsgesellschafter zu verweisen, da eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger bei Ablehnung der Eröffnung
der Gesamtvollstreckung sowieso nicht mehr gewährleistet sei. In diesem Fall sei es daher interessengerecht, den
Gläubigern der Vor-GmbH den direkten Zugriff auf das Vermögen der Gesellschafter der Vor-GmbH zu ermöglichen.
Dabei sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass Vermögenslosigkeit nicht bedeute, dass überhaupt keine aktiven
Vermögenswerte mehr vorhanden seien. Vielmehr seien bei der Prüfung, ob Vermögenslosigkeit vorliege, auch die
Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Deshalb sei Vermögenslosigkeit als Voraussetzung der Außenhaftung der
Gesellschafter für die Verbindlichkeiten einer Vor-GmbH grundsätzlich jedenfalls dann anzunehmen, wenn bei
Überschuldung das verbleibende Aktivvermögen noch nicht einmal zur Deckung der Kosten des
Gesamtvollstreckungsverfahrens ausreiche. Hiernach hafte die Klägerin der Beklagten für die Beitragsschulden der
Vor-GmbH im Verhältnis ihrer Anteile an derselben, also zu 50 %.
Die Klägerin hat am 27.07.2000 Berufung gegen das ihr am 28.06.2000 zugestellte Urteil vom 29.05.2000 eingelegt.
Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 29.05.2000 und die Bescheide vom 06.11.1997, 08.12.1997 und
24.04.1998 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 23.02.1999 in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom
29.05.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid, auf die dem SG gegenüber abgegebenen Stellungnahmen sowie auf die
Ausführungen im Urteil vom 29.05.2000 verwiesen.
Der Senat hat mit Schreiben vom 29.11.2001 die Beteiligten zur beabsichtigten Enscheidung durch Beschluss gemäß
§ 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
aus beiden Rechtszügen, die Gesamtvollstreckungsakte des Amtsgerichts Dresden mit dem Az ... und die
beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Die Entscheidung konnte durch Beschluss gem. § 153 Abs. 3 Satz 1 SGG ergehen, da die gem. S. 2 erforderliche
Anhörung der Beteiligten erfolgt ist.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und die Klägerin durch
die Bescheide nicht in ungerechtfertigter Weise beschwert wird. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug
genommen auf die Gründe des Urteils des SG.
Der Senat schließt sich insbesondere, ebenso wie das SG, der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 08.12.1999 -
B 2 KR 10/98 R - an; zum einen hinsichtlich des Umstandes, dass entscheidend für die Feststellung der
Vermögenslosigkeit die Einstellung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels einer
kostendeckenden Masse ist, zum anderen den Ausführungen in diesem Urteil, dass die Verweisung auf eine
Innenhaftung dem Gläubiger unzumutbar ist, wenn die Vor-GmbH vermögenslos ist. Des Weiteren folgt der Senat der
Rechtsprechung des BSG in dem genannten Urteil, soweit es ausführt, dass die Vermögenslosigkeit die unmittelbare
Inanspruchnahme der Gesellschafter nur im Verhältnis ihrer Anteile rechtfertigt, da die Außenhaftung nicht kann als
die Innenhaftung gehen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).