Urteil des LSG Sachsen vom 19.09.2001
LSG Fss: behinderung, verschlechterung des gesundheitszustandes, gleichstellung, prothese, progredientes leiden, gutachter, coxarthrose, belastung, mangel, thrombose
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 10 SB 188/98
Sächsisches Landessozialgericht L 1 SB 38/00
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 16.05.2000 und der Bescheid des
Beklagten vom 01.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.1998 abgeändert. Der Beklagte
wird verurteilt, dem Kläger mit Wirkung ab 26.11.1997 einen Grad der Behinderung von 90 anzuerkennen. Im übrigen
wird die Berufung zurückgewiesen. II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden
Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung eines GdB von mehr als 80 und über die Zuerkennung des
Nachteilsausgleichs "aG".
Der am ... geborene Kläger erlitt nach einem Motorradunfall am 02.11.1984 eine offene Unterschenkelfraktur III.
Grades links und einen Teilverlust des 3. und 4. Fingers sowie Verwundungen im Bereich des 2. und 5. Fingers der
linken Hand. Nach einer Unterschenkelamputation kam es in Folge einer Infektion zur Nachamputation im
Oberschenkelbereich. Auf seinen Antrag stellte der Beklagte bei ihm mit bindend gewordenem Bescheid vom
30.09.1993 unter Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" einen GdB von 80 mit folgenden
Funktionsbeeinträchtigungen fest:
1. Verlust des Beines links im Oberschenkel; 2. Verlust des 2., 3. und 4. Fingers der linken Hand.
Am 26.11.1997 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag wegen Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für eine
Parkerleichterung. Er sei wegen des Vorliegens von Stumpfrandknoten teilweise nicht in der Lage, seine Beinprothese
zu tragen.
Daraufhin erteilte ihm das Versorgungsamt unter dem 01.04.1998 einen Änderungs-Bescheid (GdB: 80;
Nachteilsausgleich "G") mit folgenden Feststellungen:
1. Verlust des Beines links im Oberschenkel; 2. Verlust des 2., 3. und 4. Fingers der linken Hand; 3.
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen.
Der Kläger widersprach hiergegen unter Hinweis auf die Einschätzung seines behandelnden Arztes. Wegen der
gestiegenen Arbeitsanforderungen habe sich seine Belastungsfähigkeit erheblich verringert. Wegen seiner Tätigkeit
als Reha-Techniker im Außendiensteinsatz benötige er die Parkgenehmigung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.1998 (Zustellung am 17.07.1998) half der Beklagte dem Widerspruch insoweit
ab, als er zur Funktionsbeeinträchtigung zu 1. zusätzlich feststellte: "Leistungsschwäche der Beinvenen rechts
(Postthrombotisches Syndrom)", und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat sich die am 04.08.1998 erhobene Klage gerichtet. Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe ein höherer
GdB zu. Die Behinderungen der Beine, Finger und Wirbelsäule stünden unabhängig nebeneinander und beträfen
verschiedene Bereiche des täglichen Lebens. Zusätzlich seien bei ihm nach Antragstellung im November 1997
weitere Behinderungen aufgetreten, die nicht berücksichtigt worden seien. So sei er Anfang Januar 1998 wegen einer
Beckenvenenthrombose in stationärer Behandlung gewesen.
Im dem von Sozialgericht eingeholten Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. W ... vom 29.03.1999 ist unter
anderem angegeben, seit dem Umfall sei es ständig zu Phantomschmerzen gekommen.
Ferner hat das SG bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. L ... ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der
Sachverständige hat in seinem dem SG am 09.10.1999 erstatteten Gutachten ausgeführt, der Kläger habe bei der
Anamneseerhebung als Beschwerden angegeben, dass bei ihm in unregelmäßigen Zeitabständen Entzündungen am
linken Oberschenkelstumpf aufträten, die mit Anschwellen des Stumpfes und schmerzhafter Schwellung der
Leistenlymphknoten einhergingen. Dann sei ihm das Tragen der Prothese - oft über mehrere Wochen - nicht möglich.
Die dann erforderliche Verwendung von Unterarmstützen sei wegen der Fingeramputation erschwert, weil er den
Handgriff der Stütze nicht richtig erfassen könne. Dadurch sei das Laufen sehr unsicher. Die gestörte Greiffunktion
der linken Hand wirke sich aber auch nachteilig aus, wenn die Prothese getragen werden könne. Dann benutze er - mit
der rechten Hand - einen Gehstock. Zum Tragen von Gegenständen stehe nur die andere Hand zur Verfügung. Seit
der Thrombose im bis dahin gesunden rechten Bein träten in Abhängigkeit von der körperlichen Belastung, vor allem
nach längerem Sitzen wie z.B. nach längeren Autofahrten, Schmerzen in der rechten Wade und im Bereich des
rechten Sprunggelenks auf. Es komme im Laufe des Tages zunächst zu einer Spannung und einem Schweregefühl
im rechten Bein und zunehmend zu Schmerzen, die das Laufen stark erschwerten. Bei gleichzeitigem Auftreten von
Entzündungen im Oberschenkelstumpf und verstärktem Auftreten der durch die Thrombose verursachten Schmerzen
im rechten Bein sei das Laufen kaum möglich.
Bei der Untersuchung der oberen Extremitäten fand der Gutachter am linken Arm eine relativ kräftige Ober- und
Unterarmmuskulatur bei freier Beweglichkeit im Schulter- und Ellenbogengelenk. Die Streckung und Beugung im
linken Handgelenk war nur unwesentlich, stärker aber die Ulnarabduktion eingeschränkt. Daumen und Kleinfinger
waren in allen Gelenken frei beweglich. Der 2. Finger, der in Höhe des Mittelgliedes abgesetzt ist, war im Grund- und
Mittelgelenk noch ausreichend beweglich, so dass der Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger noch
eingeschränkt möglich war. Der 3. und 4. Finger, die im Grundglied abgesetzt sind, seien wegen ihrer sehr kurzen
Stümpfe für den Tragegriff bedeutungslos. Das Zufassen mit der linken Hand sei dadurch stark behindert, das Tragen
von schweren Gegenständen nicht möglich.
Für die unteren Extremitäten hat der Gutachter als Untersuchungsbefund angegeben, dass das linke Bein in Höhe des
mittleren Oberschenkeldrittels amputiert sei. Es bestehe ein 32 cm langer Oberschenkelstumpf mit ausreichender
Weichteildeckung. An der Stumpfvorderseite bestehe ein handflächengroßer Bluterguss. Das Stumpfende sei dadurch
verdickt, das Tragen der Prothese dadurch momentan nicht möglich. Der Stumpf sei im linken Hüftgelenk frei
beweglich bei normaler Durchblutung und kräftigem Puls über der Arteria femoralis links (Leistenpuls). Am rechten
Bein werde ein Oberschenkelkompressionsstrumpf getragen. Sämtliche Gelenke des rechten Beines seien frei
beweglich, die arterielle Durchblutung normal. Am distalen Unterschenkel und über beiden Knöcheln sei nur
andeutungsweise ein Oedem nachweisbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung eine
dreistündige Körperbelastung vorausgegangen und ein Kompressionsstrumpf angelegt gewesen sei. An der Innenseite
des Unterschenkels seien einige Subkutanvenen gering erweitert. Eine ausgesprochene Krampfaderbildung liege nicht
vor.
Zusammenfassend gelangte der Sachverständige zur Einschätzung eines Gesamt-GdB von 85 "v.H." (Verlust des
linken Beines im Oberschenkel mit 70; Teilverlust des 2. Fingers links und Totalverlust des 3. und 4. Fingers links mit
30; chronisch venöse Insuffizienz Stadium II des rechten Beines mit 20; lumbale Myogelosen mit 10). Das
Gehvermögen des Klägers sei wegen des postthrombotischen Syndroms nicht exakt bezifferbar sei. Je nach Schwere
der Blutrückflussstörung könne die Gehstrecke des Klägers bei Beginn der Tagesbelastung unbegrenzt und nach
mehrstündigem Stehen oder Sitzen, weniger beim Laufen auf wenige Meter begrenzt sein. Daher könne das
Gehvermögen im Tagesverlauf einmal erheblich und schlimmstenfalls kaum über dem liegen "was einem an beiden
Oberschenkeln Amputierten noch zugemutet werden kann". Der Kläger sei genauso schwer behindert wie ein einseitig
Oberschenkelamputierter, der keine Prothese oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könne. Er sei nicht so schwer
geschädigt wie ein Oberschenkelamputierter mit gleichzeitigem Armverlust. Eine zusätzliche Schädigung der
verbliebenen Extremitäten nach Oberschenkelamputation verstärke die Gehbehinderung. Allerdings solle nach seiner
Ansicht das Merkzeichen "aG" zuerkannt werden, weil dasjenige Beschwerdebild zu bewerten sei, dass sich beim
Kläger nach mehrstündiger Belastung einstelle.
In einer nachgereichten Stellungnahme vom 12.01.2000 bekräftigte der Gutachter seine Einschätzung unter Hinweis
darauf, dass beim Kläger zumindest in der zweiten Tageshälfte eine "zeitweilige Vergleichbarkeit" mit einem an
beiden Oberschenkeln amputierten bestehe. Er sei der Meinung, dass das Vorliegen einer genau definierten, wenn
auch nur zeitweilig, aber regelmäßig auftretenden schweren Gehbehinderung der Maßstab für das Merkzeichen "aG"
sei und nicht eine Progredienz oder zwangsläufige Verschlimmerung bei Verweigerung dieses Kennzeichens vorliegen
müsse.
Mit Urteil auf mündliche Verhandlung am 16.05.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig,
jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe weder einen Anspruch
auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 90 noch auf Feststellung der gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG". Zwar sei fraglich, ob der Beklagte einen Änderungsbescheid nach § 48
des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) erlassen durfte, da er mit Feststellung einer
"Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen" lediglich den Begründungsteil des
Bescheides erweitert habe. Der Verfügungsteil, der die Regelungen nach dem Schwerbehindertengesetz ausspreche,
sei aber unverändert geblieben.
Unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), die als antizipierte Sachverständigengutachten auch von den Gerichten
anzuwenden seien, ergebe sich kein Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 80. Der Wertung des
Gutachters Dr. L ... konnte sich die Kammer nicht uneingeschränkt anschließen. Es sei der Kammer nicht verwehrt,
von unzutreffenden rechtlichen Folgerungen abzuweichen, die aus ärztlichen Gutachten ersichtlich sind. Der
Einschätzung des ärztlichen Sachverständigen komme keine bindende Wirkung zu, auch wenn ärztliche
Beurteilungen im Hinblick auf die Gesamtschau der wechselseitigen Beziehungen von Behinderungen zueinander oft
unerlässlich seien. Weil der Sachverständige mit Bezeichnung eines Gesamt-GdB von "85 %" eine unzutreffende
Feststellung getroffen habe, sei die Kammer gehalten, den Gesundheitszustand des Klägers selbst unter
Berücksichtigung aller Umstände zu würdigen. Dabei sei auf die vom Sachverständigen erhobenen Befunde
zurückzugreifen.
Der Leidenszustand des Klägers werde maßgeblich durch die Oberschenkelamputation links mit rezidivierenden
Entzündungen am Stumpf bestimmt. Nach Darstellung des Sachverständigen bestehe ein 32 cm langer
Oberschenkelstumpf mit ausreichender Weichteildeckung, wobei zum Zeitpunkt der Begutachtung wegen eines
Blutergusses das Tragen der Prothese nicht möglich gewesen sei. Für diese Behinderung sei nach den
Anhaltspunkten (AHP Nr. 26.18, S. 148) ein GdB von 70 angemessen. Dies entspreche im Übrigen auch der Wertung
des Gutachters und der bisherigen Einschätzung durch den versorgungsärztlichen Dienst. Ein höherer GdB von 80
wäre nur dann zu veranschlagen, wenn es sich um einen sehr kurzen Oberschenkelstumpf handeln würde, wovon bei
einer Stumpflänge von 32 cm nicht auszugehen sei.
Für die Amputation des 3. und 4. Fingers im Grundglied sowie des 2. Fingers in Höhe des Mittelgliedes sei ein GdB
von 30 zu veranschlagen ein. Die AHP (Nr. 26.18, S. 146) sähen insoweit einen GdB von 40, für den Verlust von drei
Langfingern in anderer Kombination sowie für den Verlust des 2. und 3. oder 2. und 4. Fingers einen GdB von 30 vor.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger, wenn auch nur
eingeschränkt, noch möglich sei, sei ein GdB von 30 maßgeblich.
Für die eher geringfügigen Funktionseinschränkungen an der Wirbelsäule sei in Übereinstimmung mit dem ärztlichen
Sachverständigen ein GdB von 10 festzustellen. Neben einer Verhärtung der Muskulatur habe der Sachverständige
hier keine funktionellen Auswirkungen feststellen können. Der behandelnde Arzt habe darüber hinaus funktionelle
Wirbelsäulenblockierungen, insbesondere im LWS-Bereich, benennen können. Unter Berücksichtigung dieser Befunde
sei von einem leichten Wirbelsäulensyndrom auszugehen, welches mit einem GdB von 10 zu berücksichtigen sei
(AHP Nr. 26.18, S. 139).
Der Einschätzung des Gutachters hinsichtlich des postthrombotischen Syndroms mit einem GdB von 20 könne sich
die Kammer nicht anschließen. Ein GdB von 20 auf diese Durchblutungsstörung setze eine erhebliche Oedembildung
mit häufig rezidivierenden Entzündungen voraus (AHP Nr. 26.9 S. 91). Zwar sei bei der Untersuchung durch den
ärztlichen Sachverständigen andeutungsweise ein Oedem nachweisbar gewesen. Jedoch finde sich kein Hinweis auf
rezidivierende Entzündungen. Dabei sei nicht zu verkennen, dass der Kläger gezwungen sei, Kompressionsstrümpfe
zu tragen, und dass dennoch in Abhängigkeit von der körperlichen Belastung Schmerzen und Schwellungen in der
rechten Wade aufträten. Doch handele es sich hierbei um belastungsabhängige Oedeme, welche nach den
Anhaltspunkten einen GdB von 10 bedingten.
Bei Berücksichtigung der mithin maßgeblichen Einzel-GdB-Werte (Oberschenkelamputation: 70, Fingerverletzung: 30,
postthrombotisches Syndrom und Wirbelsäulenbeschwerden: jeweils GdB 10) bleibe es bei einem GdB von 80. Dem
Vorschlag des Sachverständigen könne die Kammer nicht folgen, da das Schwerbehindertengesetz lediglich durch 10
teilbare Werte kenne. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB verbiete sich jede rechnerische Methode; insbesondere sei
die Addition unzulässig (AHP Nr. 19, S. 33). Maßgebend seien die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen in ihrer
Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der konkreten Beurteilung des
Gesamt-GdB sei von der Funktionsbehinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedinge, und dann im
Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der
Behinderungen größer werde. Von Ausnahmefällen abgesehen, führten zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die
nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der
Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könne, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte
Gesundheitsstörungen nebeneinander bestünden. Beim Kläger lägen massive Verletzungen der Gliedmaßen vor.
Insofern sei unter Berücksichtigung der Fingerverletzung der höchste Einzel-GdB (für die Oberschenkelamputation)
auf einen Gesamt- GdB von 80 zu erhöhen. Die weiteren mit einem GdB von 10 zu bewertenden Behinderungen
wirkten sich jedoch nicht erhöhend aus. Auch wenn Beschwerden am verbliebenen rechten Bein im Falle des Klägers
besonders belastend seien, erreichten sie doch nicht ein Ausmaß, dass es rechtfertige, den Gesamt-GdB auf mehr
als 80 zu erhöhen.
Ebenso wenig seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" gegeben. Dieses Merkzeichen
sei im Ausweis des Schwerbehinderten einzutragen, wenn der Schwerbehinderte außergewöhnlich gehbehindert im
Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher
Vorschriften sei. In der vom Bundesminister für Verkehr erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1
Nr. 11 der Straßenverkehrsordnung (StVO) auf Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG werde der begünstigte
Personenkreis wie folgt umschrieben: Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung seien solche
Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens nur mit fremder Hilfe oder nur mit Anstrengung
außerhalb ihres Kfz bewegen können. Hierzu zählten Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte,
Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande
sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich Unterschenkel- oder
armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von
Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Dem in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Personenkreis könne der Kläger nicht
zugeordnet werden. Zwar sei er einseitig oberschenkelamputiert, doch nicht dauerhaft außerstande, ein Kunstbein zu
tragen. Lediglich bei Auftreten von Stumpfbeschwerden könne er seine Prothese nicht benutzen und sei insoweit auf
den Gebrauch von Gehhilfen angewiesen. Ansonsten sei er jedoch voll prothesenfähig und zähle daher nicht zum
ausdrücklich genannten Personenkreis.
Eine Gleichstellung scheide aus. Gleichgestellt werden könnten nur solche Personen, bei denen die Auswirkungen der
Leiden denjenigen gleich zu achten seien, die der Bundesminister für Verkehr in seiner straßenverkehrsrechtlichen
Vorschrift genannt hat. Der Leidenszustand müsse wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die
Fortbewegung auf das Schwerste einschränken. Die Gleichstellung müsse im Hinblick auf die funktionellen
Auswirkungen gerechtfertigt sein. Bei den ausdrücklich genannten Personen lägen vornehmlich Schäden der unteren
Gliedmaßen in einem erheblichen Ausmaß vor. Die Kammer sei sich durchaus des Umstandes bewusst, dass auch
bei dem Kläger erhebliche Behinderungen im Bereich der Beine vorlägen. Diesem Umstand sei indessen mit der
Vergabe des Merkzeichens "G" ausreichend Rechnung getragen.
Die Kammer könne sich nicht der Wertung des medizinischen Sachverständigen anschließen. Soweit der
Sachverständige ausführe, dass die dem Kläger mögliche Wegstrecke im Tagesverlauf einmal erheblich und
schlimmstenfalls kaum über demjenigen liege, was einem an beiden Oberschenkeln Amputierten noch zugemutet
werden könne, fehle es an dem für das Merkzeichen "aG" notwendigen Dauerzustand. Selbst wenn man der darin
enthaltenen Aussage des Gutachters folgen wolle, der ausgeführt habe, dass die Funktionsauswirkungen des
postthrombotischen Syndroms nach einer länger dauernden Belastung genauso stark seien wie bei einer
Oberschenkelamputation, treffe dies eben nur für die Abendstunden zu. Keinesfalls könne festgestellt werden, dass
der Kläger sich dauernd nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne. Der Kläger
könne überwiegend seine Prothese benutzen. Medizinische Tatsachen, die dennoch eine Gleichstellung mit einem
einseitig Oberschenkelamputierten ohne Prothese bedingten, seien nicht zu ersehen. Auch nach Wertung des
Gutachters sei die Schädigung an der linken Hand nicht einem gleichzeitigen Armverlust vergleichbar. Daher sei auch
insofern keine Gleichstellung mit dem genannten Personenkreis möglich.
Die fehlende Zuerkennung des Merkzeichens "aG" führe nicht zu einer Leidensverschlechterung. Zwar träten bei der
chronisch venösen Insuffizienz nach längerer Belastung stärkere Beschwerden auf. Entgegen der Ansicht des
Gutachters sei nicht nur dieser Zustand mit den größten Auswirkungen der Beurteilung zugrunde zu legen.
Kennzeichnend für die Erkrankung sei auch der Umstand, dass sich die Symptome nach einer längeren Ruhephase
(Nachtruhe) wieder zurückbildeten. Insofern folge die Kammer der Aussage des Versorgungsärztlichen Dienstes, dass
beim Kläger gerade kein progredientes Leiden vorliege. Bei der Oberschenkelamputation handele es sich um einen
Endzustand, der durch äußere Einflüsse wenig beeinflusst werden könne. Die chronisch-venöse Insuffizienz
verschlimmere sich zwar im Laufe des Tages. Sie könne aber auch wieder einer gewissen Regeneration zugeführt
werden. Es sei nicht ersichtlich, dass beim Kläger ein Zustand vorliege, bei dem die Verweigerung des Merkzeichens
"aG" eine erhebliche Verschlechterung geradezu provoziere.
Gegen das am 06.07.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, dem 07.08.2000 eingelegte Berufung. Der
Kläger ist der Ansicht, die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen erreichten ein größeres Ausmaß als vom
SG und vom Beklagten angenommen. Wegen des Verlusts der Finger bestehe bei ihm ein unsicherer Gang,
insbesondere bei Schnee und Eis. Das SG sei hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" zu Unrecht von den
Einschätzungen des Sachverständigen abgewichen (Berufungsbegründungen vom 05.09.2000, vom 15.02.2001 und
vom 08.06.2001).
In dem vom Senat eingeholten Befundbericht vom 01.11.2000 nebst beigefügten berufsgenossenschaftlichen
Gutachten führt der Chefarzt Dr. B ... ( ...-Klinik B ... K ...) aus, dass die "jetzige Gehbehinderung als einseitig
Oberschenkelamputierter nicht so schwerwiegend" sei, dass eine Gleichstellung gerechtfertigt sei. In seinem
hausärztlichen Bericht vom 14.11.2000 nebst Anlagen schätzt Dr. W ... ein, dass der Kläger mit der prothetischen
Versorgung "ständig neue Probleme" habe. Eine Gleichstellung sei gerechtfertigt.
Im "unfallchirurgischen Fachgutachten", dass der Chefarzt für Chirurgie Dr. B ... dem Senat nebst Vorlage eines
röntgenologischen Zusatzgutachtens am 23.05.2001 als Sachverständiger erstattet hat, ist ausgeführt, die
Funktionsbeeinträchtigungen seien beim Kläger unzutreffend bezeichnet und bewertet. Beim Kläger bestehe überdies
eine Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit (10), eine Coxarthrose (20), ein Zustand nach tiefer
Beinvenenthrombose (10), ein Protein-S-Mangel mit Hyperkoabilität und drohenden rezidivierenden Thrombosen bzw.
Lungenembolien (20) sowie eine Falithrombehandlung mit Komplikationsmöglichkeiten (10). Daraus ergebe sich in der
Gesamteinschätzung ein GdB von 90 (%).
Dem Kläger stehe der Nachteilsausgleichs aG zu, und zwar bedingt durch die Oberschenkelamputation, die venöse
Rückflussstörung rechts und eine beginnende überlastungsbedingte Coxarthrose rechts nebst
Wirbelsäulenbeschwerden. Zudem drohe eine rasch zunehmende Verschlechterung wegen des Fortschritts der
Arthrose im rechten Hüftgelenk. Ebenso drohe durch die Thromboseneignung eine Wiederentstehung der Thrombose.
Dem Kläger sei eine Gehstrecke von 200 m zumutbar. Dafür benötige er vermutlich 15 min.
Der Kläger sieht sich in seinem Anspruchsbegehren durch das Gutachten von Dr. B ... bestätigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 16.05.2000 und den Bescheid des Beklagten vom 01.04.1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.1998 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger mit
Wirkung ab 26.11.1997 einen GdB von 90 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG"
festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Kläger sei der Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger möglich. Die kleineren Beeinträchtigungen mit
einem Einzel-GdB von jeweils 10 führten nicht zu einer wesentlichen GdB-Erhöhung. Er bezieht sich im Übrigen auf
die versorgungsärztlichen Äußerungen vom 25.01.2001 und vom 25.07.2001. Gegen das Gutachten von Dr. B ... hat
der Beklagte unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 25.07.2001 insbesondere
eingewandt, ein Einzel-GdB von 20 wegen der Coxarthrose sei bei der vom Gutachter dokumentierten guten
Beweglichkeit der Hüftgelenke nicht gerechtfertigt. Auch ein Protein-S-Mangel mit Hyperkoabilität und drohenden
rezidivierenden Thrombosen wie auch die Falithrombhehandlung mit Komplikationsmöglichkeiten seien für eine
Feststellung nicht geeignet. Maßgebend seien allein bestehende Funktionsbeeinträchtigungen. Das rechte
Handgelenk sei unter Beachtung der AHP normal beweglich, wobei auch für das linke Handgelenk unter Beachtung
der Normalwerte der AHP ein GdB von 10 nicht erreicht werde. Gleiches treffe für die Deformierung der Mittelhand zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden
Rechtszügen und auf die beigezogene Schwerbehindertenakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig und zum Teil
begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 01.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13.07.1998 ist rechtswidrig, soweit die Höhe des festgestellten Grades der Behinderung betroffen ist. Der Kläger
kann von dem Beklagten die Feststellung eines GdB von 90 verlangen. Soweit er die Zuerkennung des
Nachteilsausgleich "aG" begehrt, hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch auf
Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" besteht nicht.
Statthafte Klageart für das Klagebegehren ist eine mit der Anfechtung der Verwaltungsakte des Beklagten
einhergehende Verpflichtungsklage als Sonderfall der Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom
12.04.2000, Az.: B 9 SB 3/99 R). Für eine derartige Klage ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 54 Rdnr. 34).
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers sind daher die Bestimmungen des am 01.07.2001 in Kraft getretenen
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom
19.06.2001 (BGBl. I S. 1046).
Gemäß § 69 Abs. 1 und 4 SGB IX stellt die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständige
Behörde das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Ebenso trifft sie diejenigen
Feststellungen, die, neben dem Vorliegen einer Behinderung, für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen
maßgeblich sind. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige
Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei
mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich (§
69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Der Beklagte hat dabei im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 69 SGB IX nur das Vorliegen einer unbenannten
Behinderung und den GdB festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zu Grunde liegende Gesundheitsstörung
und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind demgegenüber lediglich in der
Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben. Insoweit ist in den Bestimmungen des SGB IX keine Änderung der
Rechtslage gegenüber dem Schwerbehindertengesetz, das bis zum 30.06.2001 galt (vgl. dazu BSG, Urteile vom
24.06.1998, Az.: B 9 SB 18/97 R, B 9 SB 20/97 R, B 9 SB 1/98 R und B 9 SB 17/97 R), eingetreten.
Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB IX ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als GdB nach
Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG
normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer
Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern.
Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch
Einschränkungen bei der Ausführung von Tätigkeit im Haushalt oder der Freizeit Berücksichtigung. Das SGB IX gilt
gleichermaßen für Berufstätige wir für Nichtberufstätige.
Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des
GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller behinderten Menschen die Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP), die das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung aktualisiert im Jahr 1996 herausgegeben hat. Die Rechtsprechung
der Sozialgerichte erkennt die AHP als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnis der
medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an. In
den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung der Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben
und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende
Rechtsprechung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem
Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den AHP kann daher nur in medizinisch begründeten
Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung
mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der AHP steht. Das Bundessozialgericht
hat mehrfach die Bedeutung der AHP auf das Gerichtsverfahren herausgestellt und den AHP den Charakter
antizipierter Sachverständigengutachten beigemessen (vgl. insoweit BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1, 5 und 6). Vorliegend
hat der Senat keine Bedenken, die AHP seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Sie sind gerade auch für die
Rechtsanwendung im Rahmen des SGB IX maßgeblich.
Hervorzuheben ist, dass der GdB nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff umfaßt, so dass seine
Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern
auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen
sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlußfolgerung bilden zwar die Einschätzungen der Sachverständigen
wertvolle Hilfen; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht mehr um die Erörterung medizinischer, sondern
um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (BSG, Urteil vom 29.08.1990 -
9a/9 RVs 7/89 = 3-3870 § 4 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 90. Dies ergibt
sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme.
Bei dem Kläger liegt eine Oberschenkelamputation links im oberen Drittel mit mäßigen Stumpfverhältnissen, eine
Amputation der Finger D 3 und D 4 im Grundglied und D 2 im Mittelglied, eine Deformierung der linken Mittelhand, eine
Einschränkung der Beweglichkeit im linken Handgelenk, eine beginnende Coxarthrose rechts, eine reaktive
Spondylose mit rechtsseitiger Kyphoskoliose, ein Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose sowie ein Protein-S-
Mangel mit Hyperkoabilität vor. Auch ist eine Falithrombehandlung notwendig. Der so beschriebene
Gesundheitszustand des Klägers ergibt sich aktuell aus dem Gutachten vom 15.05.2001 von Dr. B ..., Chefarzt der
Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie des Krankenhauses D ... Gleichwohl können nicht alle diese
beim Kläger vorliegenden Erkrankungen als Behinderung in die Feststellung des Grades der Behinderung einfließen,
weil sie keinen Einzel-GdB von 10 bedingen.
Wegen der Oberschenkelamputation links ist mit dem Beklagten nach den AHP (Nr. 26.18 S. 148) von einem GdB
von 70 auszugehen. Nach der Beschreibung des Sachverständigen Dr. B ... im Gutachten besteht ein 37,5 cm langer
Oberschenkelstumpf mit ausreichender Weichteildeckung. Ein höherer GdB ist nicht anzunehmen, weil ein sehr
kurzer Oberschenkelstumpf nicht vorliegt.
Auch der Verlust der Finger D 3 und 4 im Grundglied und D 2 im Mittelglied ist von dem Beklagten mit einem GdB von
30 zutreffend bewertet. Diese Bemessung entspricht den AHP, die für den Verlust von zwei Fingern mit Einschluß
des Daumens, des 2. und 3. oder des 2. und 4 Fingers einen GdB von 30 und für den Verlust von drei Fingern mit
Einschluß des Daumens oder des 2., 3. und 4. Fingers einen GdB von 40 und ansonsten einen GdB von 30 vorsehen.
Insoweit ist unter Würdigung der Tatsache, dass der Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger, wie die Gutachter
Dr. L ... und Dr. B ... festgestellt haben, behindert, aber möglich ist, ein GdB von 30 angemessen. Für die
Beschwerden an der Wirbelsäule ist ein GdB von 10 angemessen. Dr. L ... hat insoweit eine Verhärtung der
Muskulatur festgestellt. Darüber hinaus sind erhebliche funktionelle Auswirkungen nicht zu ersehen. Bei der
gutachterlichen Untersuchung von Dr. L ... lag eine ausreichende Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule vor. Dies
stimmt mit den Befunden von Dr. B ... überein, der eine Muskelverspannung paravertebral beidseits festgestellt hat.
Seine Bewegungsmessungen der Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule sind mit Seitwärtsneigen rechts/links 30-0-30,
Drehen im Sitzen 30-0-30, Ott 30/31 cm, Schober 10/14 cm angegeben und bestätigen nur eine allenfalls geringe
Funktionseinschränkung, die bei vom Kläger angegebenen und von Dr. W ... berichteten Schmerzsymptomen im
Sinne eines Wirbelsäulensyndroms einen GdB von 10 bedingen können (AHP Nr. 26.18, S. 139).
Das sowohl im Gutachten von Dr. L ... als auch im Gutachten von Dr. B ... festgestellte posttrombotische Syndrom
mit Kompressionsbehandlung am rechten Bein ist mit einem GdB von 10 zu bemessen. Soweit beide Gutachter einen
GdB von 20 angenommen haben, ist diese Einschätzung nicht mit den AHP in Einklang zu bringen. Das Sozialgericht
hat zu Recht ausgeführt, dass ein GdB von 20 nach Nr. 26.9, Seite 91 der AHP erst dann gerechtfertigt ist, wenn eine
erhebliche Oedembildung mit häufig rezidivierenden Entzündungen vorliegt. Zwar war sowohl bei der gutachterlichen
Untersuchung von Dr. L ... und auch bei der Begutachtung von Dr. B ... ein Oedem zu erkennen, allerdings bei beiden
Untersuchungen nur andeutungsweise. Bei der Untersuchung von Dr. B ... lag nur ein gering eindrückbares Oedem
prätibial vor. Durchblutung, Motorik und Sensibilität im rechten Bein wurden als regelgerecht befundet. Hinweise auf
häufig (mehrmals in Jahr) rezidivierende Entzündungen, die einen GdB von 20 bedingen könnten, sind dem gesamten
medizinischen Befundunterlagen nicht zu entnehmen. Die vom Beklagten für das posttrombotische Syndrom
vorgenommene Bewertung mit einem GdB von 10 ist damit nicht zu beanstanden.
Für das linke Handgelenk liegt entgegen den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. B ...
keine Bewegungseinschränkung vor, die im Sinne der AHP beachtenswert ist. Die AHP sehen in Nr. 26.18, Seite 145
für eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 30-0-40) einen
GdB von 0 bis 10 vor. In Würdigung der von Dr. B ... mitgeteilten Messungen für das Bewegungseinschränkung des
linken Handgelenks nicht zu erkennen. Eine sekundäre Funktionsbeeinträchtigung, die bei einer Deformierung eines
oder mehrerer Mittelhandknochen einen GdB von 10 rechtfertigten könnte, ist dem Gutachten von Dr. B ... ebenfalls
nicht zu entnehmen.
Auch für die im Gutachten von Dr. B ... festgestellte beginnende Coxarthrose rechts ist ein GdB von 20 nicht mit den
AHP in Einklang zu bringen. Insoweit ist hervorzuheben, dass allein ein röntgenologischer Befund den Ansatz eines
GdB nicht berechtigt. Die mit bildgebenden Verfahren festgestellten Veränderungen allein rechtfertigen noch nicht die
Annahme eines GdB. Nach den AHP ist auch hier vielmehr die daraus ergebende Funktionsbeeinträchtigung
entscheidend. Nach Nr. 26.18, Seite 150 der AHP wird erst eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen
Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit)
einseitig mit einem GdB von 10 bis 20 und beidseitig mit 20 bis 30 bewertet. Unter Beachtung der auf Seite 14 der
AHP zugrunde zulegenden Normalwerte entsprechend der Neutral-Null-Methode ergibt sich aus den von Dr. B ...
erhobenen Bewegungsmessungen für das rechte Hüftgelenk für Streckung/Beugung mit 0-0-110, Abspreizen/Anführen
mit 30-0-40, Drehung gebeugt auswärts/einwärts mit 50-0-20 und Drehung gestreckt auswärts/einwärts mit 50-0-30
keine im Sinne der AHP relevante Funktionsbeeinträchtigung.
Auch der beim Kläger vorliegende Protein-S-Mangel mit Hyperkoabilität des Blutes und drohenden rezidivierenden
Thrombosen wie auch die erforderliche Falithrombehandlung mit Komplikationsmöglichkeiten bedingen keinen GdB.
Der Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht in der Zukunft ggf. zu erwartende
Behandlungsnotwendigkeiten, sondern gegenwärtige Funktionsbeeinträchtigungen maßgeblich sind.
Die im Sinne der AHP relevanten Funktionsstörungen bedingen einen Gesamt-GdB von 90. Bei der Ermittlung des
Gesamt-GdB ist gemäß Nr. 19 der AHP bei Vorliegen mehrerer Funktionsstörungen zwar der jeweilige Einzel-GdB
anzugeben. Maßgeblich ist jedoch der Gesamt-GdB, welcher nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt
wird, nicht für Einzelfunktionsbeeinträchtigungen. Bei den Einzel-GdB-Werten handelt es sich lediglich um
Einsatzgrößen, bei denen die Einschätzung des Gesamt-GdB vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und
damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Sie gehen als bloße Meßgrößen
für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im Gesamt-GdB auf und erwachsen nicht in
Rechtskraft.
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsstörungen zusammen dürfen nach Nr. 19 Abs. 1 AHP die
einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind ungeeignet. Maßgebend sind die
Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtschau unter Berücksichtigung ihrer
wechselseitigen Beziehungen zueinander. Auch ist bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB von 10 es in der
Regel nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der
Beurteilung des Gesamt-GdB ist daher in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten
Einzel-GdB bedingt. Im Hinblick auf alle weiteren Funktionsstörungen ist zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das
Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsstörungen mehrere Punkte hinzuzufügen
sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist zu beachten, wie weit
die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche
im Ablauf der täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere nachteilig auswirkt, wie weit sich
die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden und ob das Ausmaß einer Behinderung durch eine hinzutretende
Gesundheitsstörung nicht verstärkt wird.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung eines GdB mit 90. Die vorliegenden
Funktionsstörungen im Form der Oberschenkelamputation links mit einem Einzel-GdB von 70, der Amputation der
Finger D 3 und D 4 links sowie der Teilverlust des 2. Fingers links von 30, der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
von 10 und des postthrombotischen Syndroms von 10 bedingen einen Gesamt-GdB von 90. Der Gutachter Dr. L ...
hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die neben der Oberschenkelamputation vorliegenden Schädigungen den
Stütz- und Bewegungsapparat betreffen und die aus Oberschenkelamputation resultierende Gehbehinderung
wesentlich verschlimmern.
Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den
Nachteilsausgleich "aG". Nach § 69 Abs. 4 und 5 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der
Schwerbehindertenausweisverordnung (neugefaßt durch Bekanntmachung vom 25.07.1991, BGBl. I. S. 1739, in der
Fassung durch Art. 56 des Gesetzes vom 19.06.2001, BGBl. I. S. 1046) ist im Ausweis für schwerbehinderte
Menschen der Nachteilsausgleich "aG" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich
gehbehindert ist im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften. Wann der Nachteilsausgleich "aG" damit anzuerkennen ist, richtet sich nach
der aufgrund von § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift
zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, vgl. auch AHP Nr. 31, Seite 167). Nach der genannten
Verwaltungsvorschrift sind als außergewöhnlich gehbehindert solche Personen anzusehen, die sich wegen der
Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges
bewegen können. Hierzu zählen Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexatrikulierte und einseitig
Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese
tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach
versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis
gleichzustellen sind.
Dem vorstehend im einzelnen angesprochenen Personenkreis ist der Kläger nicht zuzuordnen. Einem einseitig
Oberschenkelamputierten kann der Nachteilsausgleich "aG" nur dann zuerkannt werden, wenn er dauernd
außerstande ist, ein Kunstbein zu tragen. Dies trifft auf den Kläger nicht zu. Beim Kläger liegt ein prothesenfähiger
Amputationsstumpf am linken Oberschenkel vor. Er ist prothetisch versorgt und kann mit der Prothese auch gehen.
Auch wegen der bei ihm in unregelmäßigen Zeitabständen auftretenden Entzündungen am linken
Oberschenkelstumpf, die dann ein Tragen der Prothese unmöglich machen, auch in Zusammenhang mit den bei ihm
vorliegenden weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen wegen der Fingeramputationen und des postthrombotischen
Syndroms ist eine Gleichstellung mit dem oben umschriebenen Personen nicht begründet. Das BSG hat in mehreren
Entscheidungen Maßstäbe für die Behandlung der Gleichstellungsfälle aufgestellt. Nach den Urteilen vom 08.05.1981
(BSG SozR 3870 § 3 Nr. 11) und vom 03.02.1988 (BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26) kann ein Schwerbehinderter eine
Gleichstellung nur verlangen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur
unter ebenso großen Anstrengungen wie der beispielhaft aufgeführte Personenkreis oder nur noch mit fremder Hilfe
fortbewegen kann. Im Urteil vom 17.12.1997 (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22) hat das BSG die Bedeutung der Regelung
in den VwV-StVO unterstrichen und daran festgehalten, dass das Gehvermögen einer gleichzustellenden Person auf
das Schwerste beeinträchtigt sein und zusätzlich eine Vergleichbarkeit mit den in der Vorschrift aufgezählten
Personen gegeben sein muss.
Die enge Auslegung der Vorschrift folgt aus ihrem Zweck. Mit der Eintragung des Nachteilsausgleich "aG" in den
Schwerbehindertenausweis wird der Behinderte berechtigt, bei der Teilnahme am Straßenverkehr Vergünstigungen in
Anspruch zu nehmen, die in §§ 45 Abs. 1b und 48 Abs. 1 StVO und der dazu ergangenen VwV-StVO geregelt sind.
Der Ausweis mit dem Merkzeichen "aG" befreit den Behinderten insbesondere von Beschränkungen des Haltens und
Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete Parkmöglichkeiten. Behinderten Menschen
mit außergewöhnlicher Gehbehinderung soll ermöglicht werden, mit einem Kraftfahrzeug, also einem PKW, möglichst
nahe an das jeweilige Ziel zu fahren, denn der Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "aG" darf in Fußgängerzonen
parken, Parkzeiten überschreiten oder ohne Gebühr parken. Damit solche Parkplätze ortsnah zur Verfügung stehen,
sind nach den Verwaltungsvorschriften Parkplätze in der Nähe von Behörden, Krankenhäusern oder anderen
öffentlichen Gebäuden, aber auch vor der Wohnung oder in der Nähe der Arbeitsstätten der Behinderten einzurichten,
wenn in zumutbarer Entfernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums nicht
vorhanden ist. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich
anfallende Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen
ist, denn mit der Ausweitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer
Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber
dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnah Parkraum nicht
beliebig geschaffen werden kann. Aus dem so begründeten Gebot sollen Sonderparkplätze denjenigen
Schwerbehinderten vorbehalten bleiben, denen nur noch Wegstrecken zumutbar sind, die von diesen
Sonderparkplätzen aus üblicherweise bis zum Erreichen des Eingangs des Gebäudes zurücklegen können. Diese
Wegstrecken über Straßen und Gehwege in die Eingangsbereiche der genannten Gebäude hinein liegen regelmäßig
unter 100 m. Insoweit wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ein Anspruch auf eine Gleichstellung verneint,
wenn der Gehbehinderte noch in der Lage ist, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges mehr als 100 m ohne fremde
Hilfe zu bewegen, selbst wenn er diese Strecke nur mit einer Stockhilfe oder Unterarmstützen zurücklegen kann (vgl.
LSG Baden-Württemberg: Urteile vom 18.01.1990 L 7 Vs 1079/88 und L 7 VS 1424/88 -, vom 07.10.1993 - L 7 Vs
343/93 - , vom 04.03.1999 L 6 SB 1266/97 -, vom 16.09.1999 - L 11 SB 1177/99, vom 27.01.2000 L 11 SB 2373/00 -,
vom 11.05.2000 L 11 SB 3832/99 -, vom 26.10.200 L 11 SB 2404/99, vom 14.12.2000 L 11 SB 2786/00, vom
15.03.2001 L 11 SB 4527/00; LSG Rheinland-Pfalz: Urteile vom 14.08.1997 L 4 Vs 131/96; LSG für das Saarland
Urteil vom 06.02.2001 L 5b SB 67/99).
Zwar hat Dr. B ... das Gangbild des Klägers mit zwei Gehstöcken als auf den ersten Metern nach dem Aufstehen als
äußerst beschwerlich und sich dann im flüssigen Vorwärtsgang als leicht verbessernd beschrieben. Nach der
Einschätzung von Dr. B ... ist dem Kläger noch eine Gehstrecke von 200 m, wenngleich bei sehr langsamer
Gehgeschwindigkeit, zumutbar, die indes nahezu doppelt so lang ist wie diejenige, die die in den
straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften angeführten Personengruppen üblicherweise noch zu Fuß zurücklegen
können, so dass eine Gleichstellung auszuscheiden hat. Der Senat verkennt nicht, dass beim Kläger eine erhebliche
Einschränkung seiner Gehfähigkeit vorliegt. Die Auswirkungen auf die Gehfähigkeit hat Dr. B ... mit
Einlaufbeschwerden und Belastungsbeschwerden durch die Coxarthrose rechts, Belastungsbeschwerden durch die
degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, Problemen beim Gehen ohne Gehstöcke auf unebenem Gelände, beim
Treppenauf- und absteigen, Schmerzen und Ungeschicklichkeit sowie Kraftminderung beim Tragen der Gehhilfen
linksseitig und Unmöglichkeit des Gehen ohne Gehstock für mehr als 10 m beschrieben. Eine Einschränkung des
Gehvermögens auf das Schwerste ist damit indes nicht belegt. Auf die zur Gleichstellung zusätzlich erforderliche
Vergleichbarkeit mit den in der VwV-StVO aufgeführten Personengruppen, wie sie insbesondere im Gutachten von Dr.
L ... und seiner ergänzenden Stellungnahme erörtert wurde, kommt es sonach nicht mehr an.
Die von Dr. B ... angeführte Gefahr einer rasch zunehmenden Verschlechterung durch den Fortschritt der Arthrose im
rechten Hüftgelenk und einer Wiederentstehung der Thrombose ist nicht dazu geeignet, den streitigen
Nachteilsausgleich festzustellen. Zwar kann auch ein erst bevorstehendes Krankheitstadium im Einzelfall den
Nachteilsausgleich "aG" rechtfertigen. Dies ist indes auf besonders gelagerte Einzelfälle beschränkt, in denen die
akute Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung eines progredienten Leidens vorliegt. Dies ist insbesondere dann
gerechtfertigt, wenn der durch das Merkzeichen auszugleichende Nachteil bereits unmittelbar droht und sein Eintritt
nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten (hier: Verzicht auf jedes überflüssige Gehen) zeitlich
hinausgezögert werden kann. Die durch den Nachteilsausgleich gebotene Erleichterung fällt mithin dann
prophylaktisch ins Gewicht, wenn der Schwerbehinderte aus medizinischen Gründen zur Vermeidung einer weiteren
alsbald eintretenden erheblichen Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes das Gehen in allen Lebensbereichen
soweit wie möglich einschränken muss. Hiervon ist allerdings erst dann auszugehen, wenn medizinisch feststeht,
dass er zu Vermeidung überflüssiger Gehstrecken regelmäßig einen Rollstuhl benutzen soll (BSG SozR 3-3870 § 4
Nr. 23). Eine derartige akute Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers ist den eingeholten
Gutachten indes nicht zu entnehmen. Vielmehr hat Dr. B ... beim Kläger noch eine Gehstrecke von 200 m für
zumutbar eingeschätzt, so dass er nicht auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen ist. Bei alledem ist
festzustellen, dass die von der Rechtsprechung aufgestellten strengen Kriterien zur Zuerkennung des
Nachteilsaugleichs "aG" bei einem erst bevorstehenden Krankheitsstadium beim Kläger zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht vorliegen.
Bei alledem hatte die Berufung nur teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).