Urteil des LSG Sachsen vom 26.04.2010

LSG Fss: aufschiebende wirkung, aufrechnung, hauptsache, rechtsschutz, auszahlung, geldstrafe, ausnahme, notlage, rechtsmittelinstanz, auflage

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 26.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 3 AS 3463/09 ER
Sächsisches Landessozialgericht L 7 AS 125/10 B ER
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 06.11.2009 wird
verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in
der Zeit im 01.10.2009 bis 31.01.2010 ohne Kürzung wegen Aufrechnung zur Tilgung eines wegen Stromschulden
gewährten Darlehens.
Der 1969 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) bezieht seit Januar 2005
Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 17.07.2009 bewilligte ihm die Antragsgegnerin und
Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.01.2010 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 635,85 EUR. Mit Bescheid vom 10.09.2009 änderte die
Antragsgegnerin den Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 01.10.2009 bis 31.01.2010 und rechnete monatlich einen
Betrag i. H. v. 34,70 EUR zur Tilgung eines zuvor nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II gewährten Darlehens (Höhe
insgesamt 280,79 EUR) auf. Ferner wurden für die Monate Oktober 2009 und November 2009 von der Regelleistung
ein Betrag von 26,00 EUR und ein Betrag von 6,79 EUR abgezogen, wobei die 26,00 EUR als Abschlag für
Stromkosten direkt an die Stadtwerke L. GmbH und die 6,79 EUR als Warmwasseraufbereitungspauschale direkt - mit
den Kosten der Unterkunft und Heizung -an den Vermieter überwiesen wurden. Für Oktober und November 2009
wurden jeweils 291,51 EUR an den Antragsteller ausbezahlt.
Am 12.10.2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Leipzig (SG) einen Antrag auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes mit dem Begehren der Auszahlung seiner Regelleistung ohne Kürzung wegen Aufrechnung zur
Tilgung des Darlehens gestellt. Er sei in einer Notlage, da er monatlich 60,00 EUR zur Begleichung einer Geldstrafe,
deren Gesamtsumme derzeit 2754,59 EUR betrage, zahlen müsse, anderenfalls werde er inhaftiert. Bis er diese
Summe abbezahlt habe, benötige er die volle Regelleistung.
Das SG hat mit Beschluss vom 06.11.2009 den Antrag vom 12.10.2009 sowohl als Widerspruch gegen den Bescheid
vom 10.09.2010 als auch als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ausgelegt,
festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die Aufrechnungsverfügung im Bescheid vom 10.09.2009
aufschiebende Wirkung habe und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Aufrechnungsbeträge in Höhe von jeweils 34,70
EUR für Oktober und November 2009 im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung auszuzahlen. Im Übrigen hat es den
Antrag abgelehnt. Soweit eine Auszahlung der nicht um die Aufrechnungsbeträge gekürzten Leistungen über den
31.01.2010 hinaus begehrt werde, sei der Antrag bereits unzulässig. Insoweit habe der Antragsteller kein
Rechtsschutzbedürfnis, da es an der entsprechenden vorherigen Antragstellung bei der Antragsgegnerin fehle. Zudem
seien insoweit weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Beschluss sei nicht
anfechtbar, da in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2009 ist der Änderungsbescheid vom 10.09.2009 dahin geändert worden, dass
die Aufrechnung der Darlehensschuld ab dem 01.01.2010 in Höhe von monatlich 34,70 EUR erfolge. Klage gegen den
Bescheid ist nicht erhoben worden; auch sind weitere Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz beim SG nicht gestellt
worden.
Am 04.01.2010 hat der Antragsteller einen Antrag auf Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt.
Mit Bescheid vom 21.01.2010 sind für Januar 2010 Leistungen in Höhe von 635,85 EUR bewilligt worden, somit ohne
dass eine Aufrechnung eines Teils der Darlehensschuld vorgenommen wurde.
Mit weiterem Bescheid vom 21.01.2010 sind vom 01.02.2010 bis 31.07.2010 Leistungen in Höhe von monatlich
635,85 EUR bewilligt worden. Der Widerspruchsbescheid vom 04.12.2009 sei bestandskräftig geworden, so dass ab
Februar 2010 monatlich 34,70 EUR von der Regelleistung einbehalten und zur Tilgung der Darlehensrückforderung
direkt an die Regionaldirektion Sachsen überwiesen würden. Ab 01.03.2010 würden die monatlichen
Abschlagszahlungen an die Stadtwerke L. in Höhe von 20,00 EUR überwiesen.
Der Antragsteller hat sich mit Schreiben vom 26.01.2010, beim erkennenden Gericht am 02.03.2010 eingegangen,
gegen den ihm am 10.11.2009 zugestellten Beschluss gewandt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt,
dass seine Notlage unverändert fortbestehe. Er könne seinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Im Februar seien
44,00 EUR von seiner Regelleistung einbehalten worden und im März 64,00 EUR. Außerdem habe er nicht 69,40
EUR, wie im Beschluss vom 06.11.2009 angeordnet, erhalten, sondern 23,90 EUR. Der Einbehalt für Strom in Höhe
von 26,00 EUR monatlich habe nicht erfolgen dürfen, da er selbst Abschlagszahlungen in Höhe von 10,00 EUR
monatlich gezahlt habe. Auch der Abzug wegen der Warmwasserpauschale sei nicht rechtens Eine Berichtigung der
Rechtslage halte er für unabänderlich.
Er beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 09.11.2009 zu ändern und die Antragsgegnerin vorläufig zu
verpflichten, ihm ab 01.02.2010 die Regelleistung ohne Kürzung aufgrund von Aufrechnung auszubezahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat auf die den Beschluss vom 09.11.2009 tragenden Gründe verwiesen.
Dem Senat liegen die Leistungsakte der Antragsgegnerin und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Sie waren
Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig und war zu verwerfen (§ 202 Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. § 572 Abs. 3
Zivilprozessordnung – ZPO), da sie nicht statthaft ist.
Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung ist die
Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung
nicht zulässig wäre. Damit sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten im einstweiligen Rechtsschutz nicht gegenüber
denjenigen im Hauptsacheverfahren privilegiert werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucksache
820/07 vom 15.11.2007, Seite 28f). Dabei ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Beschwerde in o.
g. Verfahren stets ausgeschlossen, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes zulässig ist, sondern
der Zulassung bedürfte (vgl. ausführlich Beschluss vom 03.12.2008 - Az. L 7 B 683/08 AS ER; vgl. auch den
Beschluss des 2. Senates des erkennenden Gerichtes vom 16.07.2009 - Az. L 2 AS 382/09 B ER). Dabei kommt es
auf den Inhalt der - vorliegend ohnehin korrekten - Rechtsmittelbelehrung nicht an, da sie keinen konstitutiven
Charakter hat (vgl. ausführlicher hierzu Beschluss des Senats vom 16.10.2008 - L 7 B 296/08 AS-ER).
Vorliegend wäre die Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes zulässig.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG (in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung) bedarf die Berufung der Zulassung,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen
hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen
Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,- EUR nicht übersteigt. Dies gilt nach Satz 2 der Norm nicht,
wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Der der Wert des Beschwerdegegenstandes ergibt sich aus dem, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelführer
ausgehend von dessen Begehren versagt hat und von ihm in der Rechtsmittelinstanz weiter verfolgt wird (vgl. z.B.
Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rn 14 m. w. N.). Für die
Wertberechnung ist nach § 202 SGG i. V. m. § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO der Zeitpunkt der Einlegung des
Rechtsmittels entscheidend. Bei einem eine Geldleistung betreffenden Rechtsmittel ist der Betrag maßgeblich, um
den unmittelbar gestritten wird; rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen bleiben grundsätzlich außer Betracht
(ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 31.01.2006 - B 11a AL 177/05
B, Rn 7 m. w. N.).
Der Wert der Beschwer übersteigt vorliegend 750,00 EUR nicht. Der Entscheidung des SG lag die mit dem
Änderungsbescheid vom 10.09.2009 vorgenommene Kürzung der Regelleistung des Antragstellers in Höhe von
monatlich 34,70 EUR wegen Aufrechnung zugrunde, wobei mit dem Änderungsbescheid vom 10.09.2009 der den
Bewilligungszeitraum 01.08.2009 bis 31.01.2010 betreffende Bewilligungsbescheid vom 17.07.2009 geändert wurde.
Mit der (deklaratorischen) Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom
10.09.2009 im Beschluss vom 06.11.2009 ist dem Begehren des Antragstellers hinsichtlich der Aufrechnung vorläufig
Rechnung getragen worden; im Dezember 2009 und Januar 2010 wurde die Regelleistung nicht durch Aufrechnung
vermindert. Soweit der Antragsteller die Überweisung der Abschlagszahlungen für Strom an den Stromversorger in
Höhe von 26,00 EUR monatlich und der Warmwasserpauschale in Höhe von 6,79 EUR monatlich rügt (vgl. hierzu den
im Verfahren SG Leipzig - Az. S 3 AS 4138/09 ER - ergangenen Beschluss vom 12.01.2010), ist für den dem
Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz zugrunde liegenden Bewilligungszeitraum der für die Statthaftigkeit der
Beschwerde erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht.
Eine Ausnahme nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG ist nicht gegeben. Soweit der Antragsteller mit dem Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz beim SG dargelegt hat, er begehre eine Aussetzung der Tilgung der Darlehensschuld, bis er
die Geldstrafe beglichen habe, somit über eine Dauer von mehr als einem Jahr, folgt hieraus nichts anderes. § 41
SGB II begrenzt nämlich den jeweiligen Streitgegenstand in Rechtsstreitigkeiten der Grundsicherung für
Arbeitsuchende in zeitlicher Hinsicht auf die Dauer von sechs bzw. maximal zwölf Monaten BSG, Beschluss vom
30.07.2008 - Az. B 14 AS 7/08 B, Rn. 5, ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.12.2007, L 13 AS
3729/07 Rn. 11; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.11.2008, L 10 AS 541/08, Rn. 24;
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.03.2010 - Az. L 6 AS 33/10 B ER; vgl. auch BSG, Urteil
vom 20.05.2003 - Az. B 1 KR 25/01 R, Rn. 17 und BSG, Urteil vom 26.06.1969 - Az. 4 RJ 495/68, alle zitiert nach
Juris.). Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Leistungsbewilligung im SGB II für in der Regel jeweils
sechs Monate ihre Ursache unter anderem darin hat, dass es Ziel des Gesetzes ist, die erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen wieder in Arbeit zu integrieren und ein dauerhafter Bezug von Leistungen nach dem SGB II (als
rentenähnliches Recht) die Ausnahme sein solle. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nach
eigener Prüfung vollumfänglich an. Somit richtet sich die für die Berufung maßgebliche Beschwer in derartigen
Verfahren nicht allein nach dem Begehren des Klägers (oder Antragstellers), der ggf. unter Annahme einer
fortdauernden Hilfebedürftigkeit Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr begehrt, sondern die
Beschwer wird begrenzt durch den jeweiligen Bewilligungszeitraum.
Ohnehin wäre vorliegend bezüglich des vom 01.02.2010 bis zum 31.07.2010 reichenden Bewilligungszeitraumes und
nachdem der Antrag vom 04.01.2010 mit Bescheid vom 21.01.2010 beschieden worden ist, für Entscheidungen im
Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 86b Abs. 1 SGG bzw. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht der
Hauptsache, somit das SG, zuständig und nicht das Beschwerdegericht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).