Urteil des LSG Sachsen vom 11.07.2001
LSG Fss: fristlose kündigung, wichtiger grund, ordentliche kündigung, treu und glauben, kündigungsfrist, anfechtung, täuschung, unselbständigkeit, leistungsfähigkeit, rechtsgrundlage
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.07.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 17 AL 227/99
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 163/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04. August 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung eines Einarbeitungszuschusses (EZ) für einen Arbeitnehmer.
Der Kläger ist Inhaber eines Einzelunternehmens in der Metallbearbeitung. Er beantragte am 03. Februar 1997 für den
seit 01. Dezember 1996 arbeitslosen Arbeitnehmer R ... R ... (R. R.) einen EZ für die vom 04. Februar 1997 bis 04.
Mai 1997 vorgesehene Einarbeitung als Drehautomateneinsteller.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 25. Februar 1997 den EZ in Höhe von 800,00 DM monatlich.
Der Kläger schloss mit R. R. einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Bediener/Einsteller mit wöchentlicher
Arbeitszeit vom 40 Stunden ab. Vereinbart wurde eine Mitarbeit im Zwischenschichtsystem. R. R. sollte fünf "OR-
Automaten" bedienen, einstellen, schleudern und kontrollieren. Er nahm die Tätigkeit am 04. Februar 1997 auf, war
vom 10. bis 15. März 1997 arbeitsunfähig und arbeitete danach weiter an den Maschinen. Der Kläger kündigte das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.04.1997 zum 16.04.1997 schriftlich ohne Angabe von Kündigungsgründen.
Er setzte die Beklagte davon mit Schreiben vom 10. April 1997 in Kenntnis und begründete die Kündigung mit der
Unselbständigkeit und der Arbeitseinstellung des Arbeitnehmers während der Einarbeitungszeit.
Mit Erstattungsbescheid vom 18. Juni 1997 forderte die Beklagte den für R. R. in der Zeit vom 04. Februar 1997 bis
03. Mai 1997 gezahlten EZ in Höhe von 1.601,60 DM gemäß § 49 Abs. 4 AFG zurück. Der Kläger habe das
Arbeitsverhältnis mit R. R. während des Förderungszeitraumes ohne wichtigen Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) beendet.
Dagegen legte der Kläger am 04. Juli 1997 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: R. R. sei den körperlichen
Anforderungen an die Tätigkeit als Maschinenbediener nicht gewachsen gewesen. Er habe nach Arbeitsaufnahme
über gesundheitliche Probleme geklagt und sei vom 10. März bis 14. März 1997 arbeitsunfähig gewesen. Die
Krankheit habe er bei Abschluss des Arbeitsvertrages verschwiegen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09. Februar 1999 zurück. Der EZ sei nach § 49
Abs. 4 AFG zurückzuzahlen. Die Unselbständigkeit und Arbeitseinstellung des Arbeitnehmers seien kein wichtiger
Grund im Sinne des § 49 Abs. 4 AFG.
Der Kläger hat am 10. März 1999 Klage beim Sozialgericht Dresden erhoben. Er habe das Arbeitsverhältnis mit R. R.
auf Grund dessen gesundheitlicher Leistungseinschränkungen beenden müssen. R. R. habe die Maschinen nicht
uneingeschränkt bedienen können. Der EZ decke die für die Einarbeitung des Arbeitnehmers erforderlichen Mittel
nicht.
Das Sozialgericht hat eine Beschreibung der Tätigkeit "Einrichter für Werkzeugmaschinen" beigezogen.
Das Sozialgericht hat außerdem über die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Beweis erhoben und
hierzu den Zeugen R. R. vernommen. Der Zeuge hat größere gesundheitliche Probleme während der Einarbeitungszeit
verneint. Er sei einige Tage arbeitsunfähig gewesen und habe danach seine Arbeit wieder aufnehmen können. Im
Anschluss an die Tätigkeit bei dem Kläger habe er noch 1 1/2 Jahre als Automatendreher gearbeitet. Der Kläger habe
die Kündigung ihm gegenüber mündlich mit der Lage des Unternehmens begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 04. August 2000 abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Erstattung sei §
49 Abs. 4 AFG. Der Kläger habe das Arbeitsverhältnis innerhalb der Einarbeitungszeit ohne wichtigen Grund beendet.
Die vom Kläger behauptete Unselbstständigkeit und mangelnde Arbeitseinstellung des R. R. stelle keinen wichtigen
Grund im Sinne des § 49 Abs. 4 AFG dar. Eine auf Arbeitspflichtverletzung gestützte fristlose Kündigung sei nur dann
zulässig, wenn die Verweigerung der Arbeitsleistung beharrlich und vorsätzlich sei (Palandt/Putzo, BGB, § 626 Rdnr.
5a). Dafür sei nach dem Vortrag des Klägers nichts ersichtlich. Auch die gesundheitlichen Einschränkungen des
Zeugen Richter hätten die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen können. Der Fortführung der Tätigkeit hätten
gesundheitliche Einschränkungen dauerhaft nicht entgegen gestanden. R. R. habe im Anschluss an die Tätigkeit bei
dem Kläger noch 1 1/2 Jahre in einer vergleichbaren Position weitergearbeitet. Er sei im Einarbeitsungszeitraum auch
nur vom 10. bis 15. März 1997 arbeitsunfähig gewesen. Der Kläger sei auch nicht zur Anfechtung des
Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) berechtigt gewesen. Der Zeuge R. R. habe im
Zwischenschichtsystem fünf "OR-Automaten" bedienen und einstellen sollen. Besondere Anforderungen an die
körperliche Leistungsfähigkeit hätten sich weder daraus ergeben noch hätten sie im Vorstellungsgespräch eine Rolle
gespielt. Er sei daher nicht verpflichtet gewesen, auf etwaige gesundheitliche Einschränkungen bei der Ausführung
der Arbeit von sich aus hinzuweisen.
Gegen das dem Kläger am 27. August 2000 zugestellte Urteil hat dieser am 08. September 2000 Berufung beim
Sächs. LSG eingelegt. Die Zeugenvernehmung habe die chronischen gesundheitlichen Störungen und fehlende
Eignung des Arbeitnehmers R. R. für die Tätigkeit als Automaten-Einsteller bestätigt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04. August 2000 und den Bescheid vom 18. Juni 1997 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sozialgerichts Dresden im angefochtenen
Urteil.
Das Gericht hat eine ergänzende Auskunft des Klägers zum Kündigungsgrund von R. R. eingeholt, wonach er das
Arbeitsverhältnis mit R. R. aufgrund der Auftragslage und dem Ausfall von zwei Maschinen gekündigt habe.
Ferner hat das Gericht einen Befundbericht des Facharztes für Chirurgie, Dr. med. Windrich, beigezogen, der im
Zeitraum vom 10. März 1997 bis 15. März 1997 Arbeitsunfähigkeit auf Grund eines Schmerzsyndroms an der Ferse
ausgestellt hatte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Verwaltungsakte der Beklagten (Az.: Richter, Roland, 17.02.55) und die Gerichtsakten beider Verfahrenszüge
haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Der Wert des
Berufungsgegenstandes übersteigt 1.000,00 DM. Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung eines EZ in Höhe von
1.601,60 DM.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen
den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte hat zu Recht von dem Kläger den für die Zeit vom 04. Februar 1997 bis 03. Mai 1997 gewährten EZ
zurückgefordert.
Rechtsgrundlage für die Erstattung ist § 49 Abs. 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung des 1. Gesetzes
zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993 S.
2353, BGBl. I 1994, S. 72) i. V. m. § 25 Abs. 9 Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die
individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 29. April 1993 (AFuU). Gemäß § 49 Abs. 4
AFG ist der EZ zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis während der Einarbeitungszeit beendet wird; dies gilt
nicht, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet hat oder der Arbeitgeber bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist zu kündigen. § 25 Abs. 9 AFuU wiederholt die in § 49 Abs. 4 1. Halbs. AFG getroffene Regelung.
Die Voraussetzungen für eine Rückzahlung des gewährten EZ gemäß § 49 Abs. 4 AFG sind erfüllt.
Denn das Arbeitsverhältnis mit R. R. ist von dem Kläger innerhalb der 6-Monats-Frist gekündigt worden, ohne dass er
berechtigt gewesen wäre, eine Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
auszusprechen.
Als "wichtige Gründe" im Sinne des § 49 Abs. 4 AFG sind insbesondere solche anzusehen, die nach den
einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften, insbesondere § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), zur fristlosen
Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen. Nach § 626 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung
des Arbeitsverhältnisses berechtigt, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
machten.
Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben.
Die behauptete Unselbständigkeit und mangelnde Arbeitseinstellung des Arbeitnehmers sind keine wichtigen Gründe
in diesem Sinne. Derartige Gründe rechtfertigen in keinem Fall eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne
Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Selbst bei einer beharrlichen Arbeitsverweigerung, die hier nicht
festgestellt wurde, wäre eine fristlose Kündigung nur bei einer vorangegangenen Abmahnung gerechtfertigt (vgl.
Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 125 V 5).
Dem würde auch Sinn und Zweck des EZ entgegenstehen. Denn mit dem EZ wird dem Arbeitgeber quasi eine
"Entschädigung" für Minderleistungen des Arbeitnehmers während der Einarbeitungszeit gewährt. Selbst wenn nach
dem Ablauf der Einarbeitungszeit noch Defizite in der Verrichtung der Arbeit vorgelegen hätten, entspräche es der
vom Gesetz vorgesehenen Risikoverteilung, dass der Arbeitgeber dann entweder diese Defizite zumindest für die
Dauer von sechs Monaten nach Ablauf der Einarbeitungszeit hinnimmt oder - sofern er das Arbeitsverhältnis vorher
kündigt - den gewährten EZ zurückzahlt (vgl. LSG Saarland, Urteil vom 24. Februar 2000, Az: L 6 AL 24/99).
Ein wichtiger Grund ergibt sich hier auch nicht aus gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers und dessen
Arbeitsunfähigkeit (10. - 15. März 1997). In der Regel ist eine Erkrankung kein die Kündigung rechtfertigender
Umstand. Vielmehr ist der Arbeitgeber gehalten, Krankheitszeiten der Arbeitnehmer zu überbrücken. An eine
außerordentliche Kündigung wegen Krankheit ist daher ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Weder eine
langandauernde noch eine häufige Erkrankung stellen in der Regel einen solchen Kündigungsgrund dar. Ein solcher
kann allenfalls in Betracht kommen bei abschreckenden, ekelerregenden oder ansteckenden Erkrankungen oder wenn
der Arbeitnehmer auf Grund arbeitsvertraglicher oder tarifvertraglicher Regelungen nur noch außerordentlich gekündigt
werden kann oder er einem besonderen Kündigungsschutz unterliegt. Das ist hier nicht der Fall. Selbst eine
ordentliche Kündigung käme hier nicht in Betracht. Denn vorliegend lag weder eine langandauernde Erkrankung noch
häufige Kurzerkrankungen vor, die eine ordentliche Kündigung rechtfertigen könnten. Auch eine krankheitsbedingte
Leistungsminderung, d.h. eine erhebliche unter dem Durchschnitt liegende Leistungsfähigkeit, konnte nicht festgestellt
werden.
Der Kläger war schließlich auch nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123
BGB berechtigt. Eine solche Berechtigung setzt entweder voraus, dass der Anfechtungsgegner in zulässiger Weise
nach der verschwiegenen Tatsache gefragt worden ist, oder er nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte auch ohne besondere Befragung zur Offenbarung der Tatsache verpflichtet war. Beides ist hier nicht der
Fall. Der Kläger hat den Arbeitnehmer vor Abschluß des Arbeitsvertrages nicht nach früheren Erkrankungen befragt.
Offenbarungspflichten des Arbeitnehmers bestanden nicht. Zwar hat ein Arbeitnehmer ungefragt voraussichtliche
Krankheiten bei Dienstantritt oder einen Kuraufenthalt mitzuteilen. Er braucht aber nicht auf eine latente
Gesundheitsgefährdung hinweisen. R.R. war hier wegen eines Schmerzsyndromes an der Ferse für wenige Tage
arbeitsunfähig. Damit liegen die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht vor.
Insgesamt sind damit die Rückzahlungsvoraussetzungen des § 49 Abs. 4 AFG gegeben, ohne dass es einer
gesonderten Aufhebung der Leistungsbewilligung bedurfte. Denn § 49 Abs. 4 AFG stellt im Verhältnis zum §§ 45 ff.
Sozialgesetzbuch (SGB) X eine Sonderregelung dar. Die Norm erweitert die in §§ 45 ff. SGB X geregelten
Rückforderungsmöglichkeiten für die Vergangenheit und ermächtigt zur Rückforderung. Dies ergibt sich aus dem
Wortlaut der Norm ("zurückzuzahlen ist") und wird durch die zu vergleichbaren Rückforderungsvorschriften des AFG
ergangene Rechtsprechung bestätigt. Vergleichbar sind die Sonderregelungen der §§ 44 Abs. 2, 46 Abs. 3 Satz 2
AFG, wonach Unterhaltsgeld und Förderungsleistungen nach § 45 AFG zurückzuzahlen sind, sofern kein wichtiger
Grund für den Abbruch der Maßnahme oder für die weitere Ausübung der Beschäftigung besteht. Eine gesonderte
Aufhebung oder Rücknahme der Bewilligung ist nach der Rechtsprechung des BSG vor der Rückforderung nicht
erforderlich (vgl. BSG, Urt. v. 17.03.98, Az.: 11 RAr 62/96; Urt. v. 17.03.88, Az.: 11 RAr 19/87).
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG.