Urteil des LSG Sachsen vom 30.10.2001

LSG Fss: vollmacht, verwaltungsverfahren, bevollmächtigung, verkündung, gerichtsverfahren, gegenpartei, gesellschaft, original, erstreckung, zivilprozessordnung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 17 AL 842/97
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 205/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 22. September 2000 wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Beklagten betreffend die Erlaubnis zur
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung streitig. Verfahrensrechtlich ist vorab die Frage der Zulässigkeit der
Berufungseinlegung zu prüfen.
Die seit Juli 1 ...in das Handelsregister beim Amtsgericht Dresden eingetragene klägerische Gesellschaft mit Sitz in H
... betreibt gewerbsmäßig die Arbeitnehmerüberlassung. Die ihr auf entsprechenden Antrag von der Beklagten
zunächst mit Bescheiden vom 03.08.1995 und 29.03.1996 zuletzt mit Wirkung bis 20.03.1997 erteilte Erlaubnis zur
Ausübung dieser Gewerbstätigkeit wurde mit Bescheid vom 14.03.1997 widerrufen und gleichzeitig ein
Verlängerungsantrag der Klägerin vom 29.11.1996 abgelehnt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der
Erlaubnis lägen nicht vor, da die für eine solche Tätigkeit geforderte Zuverlässigkeit bei der Alleingesellschafterin
nicht gegeben sei. Der gegen diese Entscheidungen im Namen der Klägerin und unter Vorlage einer
Formularvollmacht vom 11.04.1997 bei der Beklagten eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid
vom 07.10.1997 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diese Bescheide hat Rechtsanwalt P. N ... am 16.10.1997 im Namen der Klägerin Klage zum Sozialgericht
Dresden erhoben. Mit Schreiben des Sozialgerichts vom 17.10.1997 wurde der Eingang des Klageschriftsatzes
gegenüber Rechtsanwalt P. N ... bestätigt und dieser gleichzeitig aufgefordert, eine schriftliche Vollmacht im Original
bis zum 20.11.1997 einzureichen. Auch nach Erinnerung an die Vollmachtsanforderung mit Schreiben vom 25.11.1997
ist eine Vollmachtsvorlage nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 29.05.1998 sowie weiteren Schreiben in der Folgezeit hat
Rechtsanwalt P. N ... eine Klagebegründung eingereicht, sowie Äußerungen zur Sache abgegeben, ohne eine
Prozessvollmacht vorzulegen.
Nach Beiziehung von Unterlagen aus Verfahren der mit der Klägerin geschäftlich verbundenen früheren G ...-P ...-L ...
GmbH vor dem Sozialgericht Dresden sowie einem Klageverfahren anderer der U ...- und G ...-Unternehmensgruppe
zugehöriger Unternehmen vor dem Sozialgericht München, hat das Sozialgericht Dresden die Klage mit Urteil vom
22.09.2000 auf Grund des Ergebnisses der Ermittlungen im Wesentlichen als unbegründet abgewiesen und
hinsichtlich des Begehrens nach Verlängerung der zunächst erteilten Erlaubnis als unzulässig verworfen.
Gegen das Rechtsanwalt P. N ... am 02.10.2000 zugestellte Urteil hat dieser mit einem beim Sozialgericht Dresden
am 25.10.2000 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und die Einreichung einer Prozessvollmacht sowie der
Berufungsbegründung angekündigt. Mit der Bestätigung des Eingangs der Berufung beim Sächsischen
Landessozialgericht mit Schreiben vom 23.11.2000 wurde Rechtsanwalt N ... zur Vorlage der Berufungsbegründung
und der schriftlichen Vollmacht aufgefordert. Nachdem eine Antwort seitens der Klägerin nicht erfolgt war, wurde
Rechtsanwalt N ... mit Schreiben vom 08.01.2001 an die Berufungsbegründung sowie die Vollmachtsvorlage erinnert
und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass bisher im gesamten Gerichtsverfahren die Einreichung einer
Prozessvollmacht nicht ersichtlich sei und die Berufung daher schwebend unwirksam eingelegt worden sei. Für die
Vorlage einer auch das Klageverfahren umfassenden, formwirksamen Prozessvollmacht wurde ihm Frist bis
spätestens 01.02.2001 eingeräumt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Berufung anderenfalls aus formellen
Gründen verworfen werden müsse. Trotz einer weiteren ausdrücklichen Erinnerung vom 05.02.2000 mit Fristsetzung
zum 26.02.2001 ist bis zum Entscheidungstermin im Berufungsverfahren weder eine ordnungsgemäße
Prozessvollmacht eingereicht worden, noch eine sonstige Äußerung hierzu oder in der Sache erfolgt.
Die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung die Zurückweisung der Berufung beantragt und dem Senat eine
Ablichtung der bei der Widerspruchseinlegung zu den Verwaltungsakten eingereichten Vertretungsvollmacht
(Formular-Vollmachtsurkunde ohne Bezeichnung des Auftraggebers, der Gegenpartei sowie des
Verfahrensgegenstandes) zugeleitet.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.10.2001, von welchem Rechtsanwalt P. N ... ordnungsgemäß
benachrichtigt worden ist, ist für die Klägerin niemand erschienen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zu verwerfen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsunterlagen der
Beklagten sowie der Verfahrensakten aus beiden Rechtszügen, insbesondere auf den darin mit Rechtsanwalt P. N ...
geführten Schriftwechsel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die mangels gesetzlicher Ausschlussgründe gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte
und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht zulässig. Der verfahrensrechtlich wirksamen Berufungseinlegung steht
das Fehlen einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht (§ 73 Abs. 2 Satz 1 SGG) entgegen.
Die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens können sich gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG durch prozessfähige
Bevollmächtigte vertreten lassen. In einem solchen Fall ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG die Vollmacht
schriftlich zu erteilen und (spätestens) bis zur Verkündung der Entscheidung zu den Akten einzureichen. Das
Vorliegen der Vollmacht bis (spätestens) am Schluss der mündlichen Verhandlung ist demnach
Prozessvoraussetzung. Prozesshandlungen eines Vertreters ohne Vollmacht oder den den Anforderungen von § 73
Abs. 2 Satz 1 SGG entsprechenden Nachweis durch eine schriftliche Vollmachtsurkunde sind zunächst schwebend
und nach Verkündung der Entscheidung grundsätzlich endgültig unwirksam. Letzteres war hier der Fall, so dass die
Berufung unzulässig war.
Der im Namen der Klägerin auftretende Rechtsanwalt P. N ... hat ungeachtet ausdrücklicher schriftlicher
Aufforderungen (mit Fristsetzung) weder im Klage- noch im Berufungsverfahren eine schriftliche Prozessvollmacht der
Klägerin eingereicht. Bis zur Verkündung der Entscheidung im Berufungsverfahren ist auch weder eine ausdrückliche
noch eine stillschweigende Genehmigung seiner Prozesshandlungen durch die Klägerin erfolgt. Von dem gesetzlichen
Erfordernis der Einreichung einer schriftlichen Vollmacht zu den Akten gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG sind die
Klägerin bzw. der in ihrem Namen auftretende Bevollmächtigte auch nicht durch die Vorlage einer
Vertretungsvollmacht im vorausgehenden Verwaltungsverfahren befreit. Eine für das Sozialverwaltungsverfahren
vorgelegte und zu den Verwaltungsakten des Versicherungsträgers genommene Vertretungsvollmacht gilt nach
ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung im Sozialgerichtsverfahren nicht als zu den Gerichtsakten gemäß § 73
Abs. 2 Satz 1 SGG gelangt (vgl. dazu und zum folgenden zuletzt: BSG vom 13.12.2000 - B 6 KA 29/00 R - mit
zahlreichen weiteren Nachweisen). Eine derartige Vertretungsvollmacht reicht als Nachweis der Bevollmächtigung
gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG deshalb jedenfalls dann nicht aus, wenn sich die Vollmachtserteilung daraus nicht
klar auch auf das dem Verwaltungsverfahren folgende Gerichtsverfahren bezieht und der Bevollmächtigte für dieses
Gerichtsverfahren auch nicht ausdrücklich auf diese vorausgehende, umfassende Bevollmächtigung Bezug nimmt.
Eine derartige Erstreckung der Prozessvollmacht ergibt sich dabei nicht bereits daraus, dass die im
Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde mit "Prozessvollmacht" überschrieben ist und ihrem
formularmäßigen Text nach auch zur Einlegung von Rechtsmitteln berechtigt (vgl. dazu LSG Schleswig vom
03.11.1999, NZS 2000, 368 ff.). Auch ein derartiger Sonderfall, in welchem aus einer im Verwaltungsverfahren
vorgelegten Vollmacht eine auch das anschließende Klageverfahren erfassende, wirksame Bevollmächtigung
gefolgert werden könnte, war demnach schon deshalb nicht gegeben, weil die mit der Widerspruchseinlegung
vorgelegte Vollmachtsurkunde ohne Nennung des Auftraggebers, der Gegenpartei und des Verfahrensgegenstandes in
keiner Weise den genannten gesetzlichen Anforderungen entsprechen konnte. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt ist
der Bevollmächtigte der Klägerin auch sowohl zunächst im Klageverfahren als auch insbesondere im
Berufungsverfahren ausdrücklich auf das Fehlen einer formwirksamen Prozessvollmacht wiederholt hingewiesen und
zur Einreichung einer solchen Vollmachtsurkunde unter Fristsetzung aufgefordert worden. Dem ist er weder im Klage-
noch im Berufungsverfahren ohne Nennung von Gründen nachgekommen.
Nach dem hierfür im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Regelungssystem des § 73 SGG ist das Fehlen einer
Prozessvollmacht - anders als im Zivilprozess - von Amts wegen auch dann zu beachten, wenn das Verfahren durch
einen prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt betrieben wird. Ausweislich der insoweit speziellen
Regelungsverweisung in § 73 Abs. 4 SGG ist hierbei § 88 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht (entsprechend)
anwendbar (vgl. dazu BSG a.a.O.). Damit war auch der Senat im Berufungsverfahren gesetzlich gehalten, das Fehlen
einer formwirksamen Prozessvollmacht und ungeachtet der vom Sozialgericht schließlich trotz der bereits im
Klageverfahren fehlenden Bevollmächtigung getroffenen Entscheidung in der Sache als Prozesshindernis für die
Berufung zu berücksichtigen.
Nach alldem ist die im Namen der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 22.09.2000 eingelegte
Berufung verfahrensrechtlich unwirksam gewesen, so dass sie ohne eine sachliche Überprüfung dieser Entscheidung
als unzulässig verworfen werden musste.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.