Urteil des LSG Sachsen vom 30.06.2004

LSG Fss: bursitis, injektion, schleimbeutelentzündung, wahrscheinlichkeit, erwerbsfähigkeit, zustand, berufskrankheit, unfallversicherung, befund, endoprothese

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.06.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 9 U 100/98
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 155/00
I. De Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 11.05.2000 wird zurückgewiesen. II.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger an Berufskrankheit Nr. 2105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK Nr. 2105
BKV - chronischen Erkrankung der Schleimbeutel durch ständigen Druck) leidet und, ob die Beklagte ihm eine
Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. zu gewähren hat.
Der am ...1939 geborene Kläger absolvierte von Mai 1954 bis Dezember 1956 eine Maurerlehre und war danach bis
Dezember 1959 als Maurer tätig. Von Januar 1960 bis Juni 1995 arbeitete er bis auf die Zeit des Wehrdienstes und
eine kurze Zeit der Arbeitslosigkeit als Schornsteinmaurer. Vom 15.06.1995 bis 23.08.1996 war er arbeitsunfähig
erkrankt, seit 01.02.1996 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Nach Angaben des Klägers wurde 1972 ein Kniegelenkserguss punktiert; Beschwerden im Bereich des linken
Kniegelenkes bei der Arbeit hätten schon Jahre vor Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestanden. Ausweislich seines
Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung war der Kläger vom 07.11.1988 bis 22.01.1989 unter der Diagnose-
Nummer 719 (sonstige und nicht näher bezeichnete Gelenkkrankheiten: Gelenkerguss, Gelenkschmerz ohne
Schwellung; sonsitge Gelenksymptome) arbeitsunfähig erkrankt.
Zwischen März 1995 und Juni 1995 befand sich der Kläger wegen Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenkes
bei seiner Hausärztin, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S1 ..., der Fachärztin für Orthopädie Dipl.-Med.
B1 ... und dem Facharzt für Chirurgie Dr. B2 ... in ärztlicher Behandlung. Nach Angaben der Hausärztin im Ärztlichen
Attest vom 12.12.1996 bestanden bei der Erstkonsultation am 20.03.1995 Beschwerden im Bereich des linken Knies
(besonders in der Kniekehle) ohne Schwellung oder Überwärmung. Für den 23.03.1995 ist eine Besserung vermerkt.
Die Orthopädin B1 ... diagnostizierte am 28.04.1995 eine beginnende Gonarthrose links. Für den 07.06.1995
vermerkte die Hausärztin "Schmerzen unter li. Kniescheibe (Therapie: Einreibung, Voltaren-Tabl.) und für den
09.07.1995 "noch Beschwerden, Therapie weiter geführt". Nachdem bis zum 15.06.1995 keine Besserung eingetreten
war, überwies sie den Kläger an den Chirurgen Dr. B2 ..., der am 15.06.1995 starke Schmerzen am
Patellarsehnenansatz diagnostizierte und dem Kläger am Schmerzpunkt an der Kniescheibe eine nicht intraartikuläre
Injektion verabreichte. Wegen fortbestehender Schmerzen suchte der Kläger wenige Tage später wiederum die
Orthopädin B1 ... auf, die am 23.06.1995 eine Punktion durchführte und eine intraartikuläre Injektion verabreichte.
Nachdem sich am 26.06.1995 eine Rötung und lokale Temperaturerhöhung zeigten, veranlasste sie die Einweisung in
das W ...krankenhaus Bad D ..., wo der Kläger unter der Diagnose "infektiöse Arthritis linkes Kniegelenk" bis zum
15.09.1995 stationär behandelt und in dieser Zeit zweimal operiert wurde. Im histologischen Befundbericht vom
07.07.1995 beschrieb Prof. Dr. G1 ... die entnommene Gewebeprobe dahin, dass eine Bursa oder eine Bakerzyste in
Betracht kämen. Dabei finde sich eine schwere rezidivierende und chronisch-fortdauernde narbenbildende Entzündung
ohne Anhalt für Spezifität. In der Folgezeit wurden zahlreiche Eingriffe am linken Kniegelenk des Klägers
vorgenommen.
Am 20.11.1995 erstattete Dipl.-Med. S1 ... eine Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Nach Beiziehung
medizinischer Unterlagen, Einholung einer Stellungnahme ihres technischen Aufsichtsdienstes (TAD) und Einholung
eines fachärztlichen Gutachtens bei Dr. B3 .../Dr. J1 ... lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.03.1998 die
Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Vorliegens einer BK Nr. 2105 BKV ab,
da der Kläger nicht ausreichend belastend gearbeitet habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid
vom 25.03.1998 mit der Begründung zurückgewiesen, dass weder die von Dr. B2 ... behandelte
Knochenhautentzündung noch die nachfolgend eingetretene infektiöse Arthritis eine Erkrankung i. S. der BK Nr. 2105
BKV darstellten.
Im sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) ist sowohl in arbeitstechnischer als auch
in medizinischer Hinsicht umfangreich ermittelt worden.
Nachdem der TAD in einer Stellungnahme vom 07.10.1998 zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Kläger von
04/1959 bis 06/1995 zu 30 bis 60 % der täglichen Arbeitszeit kniebelastende Tätigkeiten ausgeführt habe, hat die
Beklagte mit Schreiben vom 17.10.1998 ausgeführt, dass der Kläger auch ihrer Ansicht nach i. S. einer BK Nr. 2105
BKV ausreichend belastend gearbeitet habe. Hinsichtlich der Stellungnahme des TAD vom 07.10.1998 wird auf Bl.
236 bis 239 der Akte des SG verwiesen.
Der daraufhin vom SG bestellte Gutachter Dr. G2 ... hat im fachunfallchirurgischen Gutachten vom 16.02.1999 nebst
ergänzender Stellungnahme vom 29.03.1999 zusammenfassend ausgeführt, dass ursächlich für den nunmehr
bestehenden Zustand des linken Kniegelenkes des Klägers die Schleimbeutelentzündung im Jahre 1995 gewesen sei,
die zweifellos als arbeitsbedingt angesehen werden müsse. Problematisch sei jedoch, dass die BKV den Begriff
"chronische Schleimbeutelentzündung" so definiere, dass über einen längeren Zeitraum Behandlungsbedürftigkeit
bzw. wiederkehrende Beschwerden im Schleimbeutelbereich bestehen müssten. Dieser Nachweis könne im
vorliegenden Fall nicht erbracht werden, da der Kläger in den Jahren vor 1995 nicht wiederholt in Behandlung gewesen
sei und auch keine Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Schleimbeutelentzündungen dokumentiert seien. Da jedoch
der histologische Befund vom 07.07.1995 eindeutig den Befund einer chronischen Schleimbeutelentzündung aufweise,
halte er die Einlassung des Klägers, dass er in der Vorzeit wiederkehrende Beschwerden in diesem Bereich gehabt
habe, für absolut glaubhaft. Es liege ein Zustand nach chronischer Bursitis mit sekundärer Kniegelenkzerstörung vor.
Hierbei handele es sich um eine chronische Erkrankung der Schleimbeutel. Er - der Gutachter - empfehle die
Anerkennung der Kniegelenkschäden links im Rahmen einer BK Nr. 2105 BKV. Hinsichtlich der MdE sei der Kläger
zur Zeit sicherlich schlechter gestellt als ein vergleichbarer Patient mit einer gut funktionierenden Kniegelenks-
endoprothese, so dass die MdE derzeit und auch für den Zeitraum bis 1995 mit 30 v. H. angemessen bewertet sei.
Die Beklagte hat daraufhin eine unfallchirurgische Stellungnahme von Dr. K1 ... vom 06.05.1999 vorgelegt, in dem
insbesondere darauf hingewiesen worden ist, dass eine Bursitis in der Zeit vor Juni 1995 nie beschrieben worden sei.
Hinsichtlich des Gutachtens im Einzelnen wird auf Bl. 274 bis 292 der Akte des SG verwiesen.
Das SG hat mit Urteil vom 11.05.2000 die Beklagte verurteilt, den jetzigen Zustand des linken Kniegelenkes des
Klägers als Folge einer BK Nr. 2105 BKV anzuerkennen und nach einer MdE von 30 v. H. zu entschäden. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die schädigenden beruflichen Einwirkungen zur Entstehung
einer chronischen Erkrankung des Schleimbeutels geführt hätten. Für eine chronische Erkrankung spreche zum einen
die histologische Begutachtung von Juli 1995. Zudem seien allgemeine Kniegelenksbeschwerden für die Zeit von
März bis Juni 1995 festgestellt worden. Da die Injektion am 15.06.1995 in den Bereich des betroffenen
Schleimbeutels vorgenommen worden sei, sei davon auszugehen, dass bereits seit längerem eine als chronisch zu
bezeichnende Entzündung im Schleimbeutel vorhanden gewesen sei. Der nachfolgende schwere Verlauf der
Erkrankung des linken Kniegelenkes sei eine Folge der Behandlung der Schleimbeutelentzündung. Die MdE sei
entsprechend der Einschätzung von Dr. G2 ... mit 30 v. H. zu schätzen.
Gegen das am 02.10.2000 dem Zentralen Schreibdienst des SG übergebene und der Beklagten am 19.10.2000
zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.11.2000 Berufung eingelegt und im Rahmen der Begründung der Berufung
am 01.02.2001 ein Gutachten des Unfallchirurgen M1 ..., Medizinisches Gutachteninstitut H ... vorgelegt, in dem
insbesondere darauf hingewiesen worden ist, dss es am Vollbeweis der chronischen Schleimbeutelentzündung fehle.
Es sei von der Kausalkette "unklarer Reizzustand am linken Kniegelenk, z.B. auch in der Kniekehle (siehe
Befundbericht Frau Dr. S1 ...), Infiltration eines Kortisonpräparates in den Kniescheibensehnenansatz, Herausbildung
eines Kniegelenksempyems, mit beginnender entzündlicher Infiltration nicht nur der Kniebinnenschleimhaut, sondern
auch der Schleimhäute um die Kniescheibe herum" auszugehen. Es sei eine infektiöse Entzündung des
Schleimbeutels behandelt worden, die durch eine Injektion des behandelnden Arztes verursacht worden sei. Dies sei
ein Tatbestand, für den die Berufsgenossenschaft nicht verantwortlich zu machen sei.
Das Berufungsgericht hat mit Beweisanordnung vom 02.09.2002 Prof. Dr. W1 ..., Institut für Pathologie des
Universitätsklinikums L ..., zum pathologischen Fachgutachter bestellt, der im Gutachten vom 16.05.2003 ausgeführt
hat, dass die chronische Schleimbeutelentzündung der Bursa meist als schmerzlose Schwellung im
Kniegelenkbereich imponiere. Das histologische Bild des am 04.07.1995 entnommenen Gewebes lasse die Zeichen
erkennen, die die Erkrankung einer chronischen Schleimbeutelentzündung charakterisierten, die mit an Sicherheit
grenzende Wahrscheinlichkeit bereits vor dem 15.06.1995 bestanden habe, da die Entstehung dieser Veränderungen
einer wesentlich längeren Zeit als 18 Tage bedürfe.
Die Beklagte hat hierzu am 17.06.2003 eine Stellungnahme von Prof. Dr. K2 ... vorgelegt, in der dieser ausgeführt hat,
dass am 03.07.1995 eine chronische Bursitis praepatellaris und infrapatellares am linken Kniegelenk vorgelegen habe,
die bis Juni 1995 klinisch stumm und asymptomatisch gewesen sei. Die Behandlungen durch Dr. B2 ... im Juni 1995
seien nicht wegen des klinischen Bildes der chronischen Bursitis erfolgt. Die klinisch stumme Krankheitsanlage sei
mit sicherer Wahrscheinlichkeit durch die Kortisoninjektion am 15.06.1995 mit nachfolgender bakterieller Entzündung
klinisch und versicherungsrechtlich relevant geworden. Bis zum 15.06.1996 hätten beim Kläger keine Symptome einer
berufsbedingten Bursitis an der Streckseite des linken Kniegelenkes im Sinne einer BK Nr. 2105 BKV bestanden. Das
Krankheitsbild zeige Schwielenbildungen an der Streckseite des Kniegelenkes, Schleimbeutelergüsse und klinisch
eine Verdickung der Schleimbeutelwand. Diese Symptome seien vorliegend bis Juni 1995 nicht beschrieben.
Nach Anforderung der Ambulanzkartei von Dr. B2 ... durch das Gericht und Vorlage an Prof. Dr. K2 ... hat letzterer am
02.10.2003 zusammenfassend nochmals ausgeführt, dass die histomorphologisch nachgewiesene chronische
Entzündung im Schleimbeutelgewebe asymptomatisch und im Sinne einer BK Nr. 2105 BKV klinisch nicht relevant
gewesen sei. Eine chronische Erkrankung liege erst dann vor, wenn die Krankheit eine längere Zeit andauere. Die
Chronizität werde durch die Krankheitsdauer und durch den Verlauf der Erkrankung definiert. Einen chronischen
Charakter erhalte eine Krankheit durch ihren Verlauf. Hinweise auf das Vorliegen einer chronischen Erkrankung seien
neben einer längeren Dauer über einen nicht schematisch zu bemessenden Zeitraum die Neigung zu Rückfällen und
Therapieresistenz.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.11.2003 hat der Kläger erklärt, dass er schon seit Jahren Beschwerden
im linken Knie gehabt habe. Es sei aber nie festgestellt worden, woher diese kämen. Derzeit sei der Zustand seines
linken Kniegelenkes eher als besser zu bezeichnen. Vor allem die Schmerzen seien geringer geworden.
Am 24.03.2004 hat Dr.P1 ... nach einer Untersuchung des Klägers ein weiteres unfallchirurgisches Gutachten
erstattet und ausgeführt, dass die Beweglichkeit des linken Kniegelenks stark eingeschränkt sei (Streckung/Beugung
0/10/75). Es sei gesichert, dass bei der Operation am 03.07.1995 eine erheblich chronisch entzündete Bursa
gefunden worden sei. Bis Juni 1995 seien keine Befunde vorhanden, die klinisch für das Vorliegen einer
Schleimbeutelentzündung sprächen. Die seit März 1995 geklagten Beschwerden seien unspezifisch gewesen und
könnten trotz Kenntnis des Vorliegens einer chronischen Bursitis nicht eindeutig mit diesem Befund in
Zusammenhang gebracht werden. Für die von Dipl.-Med. S1 ... am 07.06.1995 und von Dr. B2 ... am 15.06.1995
beschriebenen Beschwerden komme die zu diesem Zeitpunkt sicher bestehende chronische Bursitis durchaus in
Betracht, da die Lokalisation der Schmerzen mit der Lage des Schleimbeutels übereinstimme. Für die Annahme einer
anderen Ursache (Patellaspitzensyndrom) liege kein anatomisches Substrat vor, während die chronische Bursitis
bewiesen sei.
Die Injektion am 15.06.1995 sei nicht als Ursache für die nachfolgend aufgetretene Gelenkentzündung anzusehen.
Zum einen sei diese Injektion nicht intraartikulär erfolgt und zum anderen hätten sich erst acht Tage später
Entzündungszeichen gezeigt, obwohl sich solche in der Regel innerhalb von 24 bis maximal 72 Stunden entwickelten.
Jedoch sei zu berücksichtigen, dass die Orthopädin Dipl.-med. B1 ... am 23.06.1995 einen minimalen
Kniegelenkserguss abpunktiert und danach eine intraartikuläre Lederlon-Injektion vorgenommen habe, die nach drei
Tagen zu akuten Infektzeichen geführt habe. Deshalb sei die chronische Bursitis nicht als Ursache des vorliegenden
Gelenkdefektes anzusehen. Die MdE sei korrekt mit 30 v. H. seit Erkrankungsbeginn bewertet worden.
Die Beklagte hat hierzu noch vorgetragen, dass auch Dr. P1 ... ein seinem Gutachten vom 01.04.2004 bestätigt habe,
dass zwar eine Schleimbeutelentzündung vorgelegen habe, es sich hierbei jedoch nicht um eine chronische Bursitis
gehandelt habe, die nicht Ursache des Befundes am linken Kniegelenk sei. Damit seien Erörterungen zur Höhe der
MdE obsolet.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 11.05.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 02.06.2003 und 17.06.2003 mit einer Entscheidung durch die
Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden, da die hierfür gemäß § 155 Abs. 4, 3
Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Einverständniserklärungen vorliegen.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger an einer BK Nr. 2105
BKV leidet, die von der Beklagten mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. zu entschädigen ist.
Auf das Verfahren ist das Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, da der Versicherungsfall nur
nach dem 31.12.1991 und vor dem 01.01.1997 eingetreten sein kann. Die Vorschriften der RVO, insbesondere die
Vorschriften über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§§ 547 ff. RVO) wurden durch das Renten-Überleitungsgesetz
vom 25.07.1991 (Bundesgesetzblatt I, S. 1606) im sog. Beitrittsgebiet mit Wirkung vom 01.01.1992 in Kraft gesetzt
und waren anzuwenden bis zum Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997.
§ 547 RVO bestimmt, dass der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalles nach Maßgabe der
folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente gewährt. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs. 1
Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer in den §§ 539, 540
und 543 - 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die
Berufskrankheitenverordnung (BKV) mit den so genannten Listenkrankheiten vor.
Eingetreten ist der Versicherungsfall Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Gefährdungen realisiert
haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz gewähren soll, damit zu dem Zeitpunkt des Eintritts jedes
Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit erfüllt (Mehrtens/Perlebach,
Die Berufskrankheitenverordnung/BKV, Kommentar, Stand: März 2002, E § 9 SGB VII Randnr. 42 S. 97 ff. mit
weiteren Nachweisen). Diese sind gegeben, wenn die schädigende Einwirkung einen regelwidrigen Körper- oder
Geisteszustand verursacht hat, der die Krankheitsmerkmale eines Berufskrankheitentatbestandes erfüllt und wenn
gegebenenfalls erforderliche besondere Merkmale vorliegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
Handkommentar, Stand: August 2002, § 9 SGB VII Rdnr. 7).
Der Kläger leidet jedenfalls seit Juni 1995 an einer BK Nr. 2105 BKV (Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel
durch ständigen Druck). Er hat nach den Ermittlungen des TAD der Beklagten von April 1959 bis Juni 1995 zu 30 bis
50 % der täglichen Arbeitszeit kniebelastende Tätigkeiten ausgeübt und damit, wovon auch die Beklagte ausweislich
ihres Schreibens vom 17.10.1998 ausgeht, in einem für die Entwicklung einer BK Nr. 2105 BKV im Bereich der
Kniegelenke ausreichenden Maße kniebelastend gearbeitet.
Des Weiteren haben Dr. G2 ..., Prof. Dr. W1 ..., Prof. Dr. K2 ... und Dr. P1 ... übereinstimmend und das Gericht
überzeugend ausgeführt, dass beim Kläger im Juni 1995 eine chronische Entzündung des Schleimbeutels am linken
Kniegelenk vorgelegen hat, die, wie sich insbesondere aus dem histologischen Bild der am 04.07.1995 entnommenen
Gewebeprobe ergibt, bereits lange vor Juni 1995 vorgelegen hat. Insoweit hat insbesondere der Pathologe Prof. Dr.
W1 ... überzeugend dargelegt, dass das am 04.07.1995 entnommene Gewebe die Zeichen erkennen lasse, die die
Erkrankung einer chronischen Schleimbeutelentzündung charakterisierten, die mit an Sicherheit grenzende
Wahrscheinlichkeit bereits vor dem 15.06.1995 bestanden habe, da die Entstehung dieser Veränderungen einer
wesentlich längeren Zeit als 18 Tage bedürfe. In Übereinstimmung mit der Beurteilung von Prof. Dr. W1 ... zudem
Prof. Dr. G1 ... bereits im Befundbericht vom 07.07.1995 die Gewebeprobe vom 04.07.1995 dahin interpretiert, dass
eindeutig eine schwere rezidivierende und chronisch-fortdauernde narbenbildende Entzündung des
Schleimbeutelgewebes vorliege. Mit Dr. G2 ... hält es das Gericht des Weiteren für wahrscheinlich, dass diese
chronische Erkrankung auf die jahrzehntelang ausgeübte kniebelastende Tätigkeit zurückzuführen ist.
Bei der beim Kläger vorliegenden chronischen Bursitis handelt es sich auch um eine Erkrankung; es lag im Juni 1995
wegen der chronischen Bursitis ein regelwidriger und spätestens ab Juni 1995 auch behandlungsbedürftiger
Körperzustand vor. Insoweit handelte es sich auch nicht allein um eine pathologische Regelwidrigkeit, sondern die
Erkrankung hat sich, wie Dr. P1 ... das Gericht überzeugend dargelegt hat, jedenfalls im Juni 1995 auch klinisch
bemerkbar gemacht. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass sich im Regelfall eine chronische Bursitis vor einer
Anerkennung als BK Nr. 2105 BKV mehrfach klinisch bemerkbar gemacht haben wird. Jedoch sind die
Tatbestandsmerkmale der BK Nr. 2105 BKV dann als erfüllt anzusehen, wenn wie wie hier ein chronischer (nicht
akuter) regelwidriger Körperzustand, hier im Sinne einer Entzündung eines Schleimbeutels im Kniegelenk, gegeben
ist. Ob hieraus resultierende Beschwerden zwingend vorhandend sein müssen, damit alle Tatbestandsmerkmale der
BK als erfüllt anzusehen sind, ist angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. W1 ... dahin, dass die chronische
Bursopathie meist als schmerzlose Schwellung im Kniegelenksbereich imponiere, zweifelhaft, kann aber vorliegend
dahinstehen, da davon auszugehen ist, dass der Kläger im Juni 1995 unter Beschwerden wegen der Erkrankung litt.
Die im Bereich des linken Kniegelenkes weiter eingetretenen Gesundheitsschäden und der nunmehr vorliegende
Zustand des linken Kniegelenkes ist rechtlich wesentlich durch die BK verursacht.
Auch hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Primärschaden - der chronischen Bursitis - und
den Folgeschäden ist keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich; bloße Wahrscheinlichkeit ist
ausreichend. Das bedeutet, dass beim vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung
deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (z.B. BSG SozR 2200
§ 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich
wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich
einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen die
gegenteiligen dabei deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar,
Stand: Mai 2002, § 8 Rd-Nr. 10.1 mit weiteren Nachweisen).
Vorliegend ergibt sich hiernach Folgendes:
Nach dem insbesondere von Dr. P1 ... nochmals sorgfältig recherchierten Verlauf ist davon auszugehen, dass der
Kläger sich wegen der Beschwerden aufgrund der chronischen Bursitis im Juni 1995 zunächst bei bei Dr. B2 ... und
nachfolgend bei Dipl.-Med. B1 ... in Behandlung begeben hat mit der Folge einer Infektion des Kniegelenks aufgrund
einer ihm von DM B1 ... verabreichten Injektion. Damit spricht erheblich mehr dafür als dagegen, dass die Infektion
des linken Kniegelenkes rechtlich wesentlich durch die chronische Bursitis verursacht worden ist. Maßgeblich
insoweit ist nicht, ob der Kläger entsprechend der bei ihm vorliegenden Erkrankung fachgerecht behandelt worden ist;
es ist vielmehr zunächst zu prüfen, ob eine Kausalität im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne besteht. Dies
ist hier zu bejahen. Da weitere, insbesondere körpereigene Ursachen, die rechtlich allein wesentlich für den weiteren
Verlauf der Erkrankung sein könnten, nicht ersichtlich sind, sind auch die im weiteren Verlauf der Behandlung der BK
aufgetretenen Gesundheitsstörungen als rechtlich wesentlich durch den Primärschaden verursacht anzusehen.
Insbesondere kommt die Annahme einer sog. Gelegenheitsursache nicht in Betracht, da es sich bei der Injektion
durch Dipl.-Med. B1 ... jedenfalls nicht um ein alltägliches Ereignis handelt und da es als ausgeschlossen anzusehen
ist, dass die nachfolgend eingetretene Infektion mit sekundärer Kniegelenkszerstörung auch ohne die Injektion am
23.06.1995 eingetreten wäre. Dabei kann im Übrigen dahinstehen, ob die Infektion durch die Injektion vom 15.06.1995
oder durch die Injektion vom 23.06.1995 eingetreten ist, da in beiden Fällen die Infektion als rechtlich wesentlich
durch die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung, der chronischen Bursitis, verursacht anzusehen wäre.
Die MdE aufgrund der Folgen der chronischen Bursitis ist in Übereinstimmung mit Dr. G2 ... und Dr. P1 ... mit 30 v.H.
zu schätzen, wobei davon auszugehen ist, dass eine MdE in dieser Höhe jedenfalls seit der Entlassung des Klägers
aus dem Krankenhaus am 15.09.1995 bestand und eine Verletztenrente ab dem Ende der berufskrankheitenbedingten
Zeit der Arbeitsunfähigkeit zu gewähren ist.
Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird Verletztenrente gewährt, solange infolge eines Arbeitsunfalles die
Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 gemindert ist. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich
nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit
kann beschrieben werden als die Fähigkeit der Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich
ihnen nach ihren Erkenntnissen, körperlichen und geistigen Fähigkeiten im gesamten Bereich des wirtschaftlichen
Lebens (sogenannter allgemeiner Arbeitsmarkt) bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Die MdE ist die Herabsetzung
dieser so definierten Erwerbsfähigkeit. Sie drückt aus, in welchem Umfang der Versicherte durch die vom
Versicherungsfall verursachten Funktionsbeinträchtigungen die Fähigkeit verloren hat, sich auf dem allgemeinen
Arbeitsfeld einen Erwerb zu verschaffen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO., § 56 Rdnr. 10).
Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten eines Versicherten durch Unfallfolgen
beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen
darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche
Wirkung, sie sind lediglich eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die - richterliche - Schätzung der
MdE, insbesondere soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten
eines Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteil vom 30.06.1998, B 2 U 41/97 R mit weiteren
Nachweisen). Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die von der Rechtsprechung und dem
versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schriften herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze
zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und
gerechte Bewertung der MdE bilden. Soweit sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE in Rententabellen oder
Empfehlungen zusammengefasste Erfahrungswerte herausgebildet haben, dienen sie als Anhaltspunkte für die
Einschätzung der MdE im Einzelfall. Ihnen kommt nicht der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zu, sie stellen
vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten allgemeine Erfahrungssätze dar, um den unbestimmten
Rechtsbegriff der MdE auszufüllen (BSG, a.a.O., m. w. N; BSG, Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 24/00 R).
Unter Anwendung der genannten Grundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass dem Kläger eine
Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren ist. Die MdE-Erfahrungswerte sehen für eine
Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes von Streckung/Beugung 0/0/90 eine MdE von 20 v. H. vor, bei Strek-
kung/Beugung 0/30/90 von 30 v. H (Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO., Anhang 12, J 029). Eine regelrecht funktionierende
Endoprothese am Kniegelenk bedingt hiernach eine MdE von 30 v. H. Angesichts dieser MdE-Erfahrungswerte und
der von Dr. G2 ... am 18.12.1998 gemessenen Kniegelenksbeweglichkeit von 0/15/60 mit der Anmerkung, dass der
Kläger sicher schlechter gestellt sei als ein Patient mit einer gut funktionierenden Endoprothese sowie der von Dr. P1
... am 31.03.2004 gefundenen Beweglichkeit des linken Kniegelenkes von 0/10/75 hat das Gericht keine Bedenken,
der Einschätzung der Gutachter hinsichtlich einer dauernd bestehenden MdE von 30 v. H. zu folgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).