Urteil des LSG Sachsen vom 20.12.2001

LSG Fss: berufliche tätigkeit, befund, gutachter, anerkennung, kausalität, gesundheitsschädigung, orthopädie, entschädigung, berufskrankheit, vergleich

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 20.12.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 9 U 29/96
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 119/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Mai 1999 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV (BK Nr.
2108 - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule).
Der am ... geborene Kläger war von Januar 1957 bis Juli 1958 als Hilfsarbeiter im F ... im VEB M ... L ..., jetzt F ... L
... GmbH, tätig. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten musste der Kläger dabei
täglich 300 bis 500 Lasteisen mit einem Gewicht von 25 bis 50 kg über Entfernungen bis zu 15 m tragen. Im
Anschluss daran - und zwar in der Zeit von März 1959 bis Dezember 1985 - war der Kläger als Gießer in demselben
Betrieb tätig. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten stellte hierzu fest, dass der Kläger in der Zeit von März
1959 bis Oktober 1973 Gewichte von 37 bis 42 kg zwischen 40 und 60 mal täglich heben und tragen musste, zehnmal
täglich zu zweit 75 kg. Von Januar 1986 bis Dezember 1990 war der Kläger als Kernformer beschäftigt. Hier waren es
25 bis 50 mal täglich Gewichte von 60 kg an 66 Tagen im Jahr, nach eigenen Angaben zuletzt bis zu seinem
Ausscheiden im Juni 1992 noch bis zu 40 kg.
Der Kläger erlitt im Jahre 1972 einen Sportunfall, bei dem das rechte Sprunggelenk verletzt wurde und es zu einer
Kapselsprengung kam. Das rechte Bein ist leicht verkürzt. Er bezieht eine Unfallrente nach einer MdE von 25 v.H von
der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung. Im Jahre 1993 wurde auf der rechten Seite eine
Hüftgelenksendoprothese implantiert.
Nach Angaben des Klägers traten im Jahre 1970 erstmals Wirbelsäulenbeschwerden auf. Eine Röntgenaufnahme v.
6.10.1978 (Bekl.-Akten Bl. 27) zeigte im Bereich der Brustwirbelsäule geringfügige Randausziehungen der
Schlussplatten bei sonst normal geformten Wirbelkörpern und erhaltenen Zwischenwirbelräumen, die
Lendenwirbelsäule (LWS) ergab einen "altersgemäßen Befund". Die Reihenuntersuchungen ergaben bis 1981
hinsichtlich der Wirbelsäule keine Befunde, 1984 findet sich die Eintragung: "Wirbelsäulenbeschwerden" (Bl. 21). Ein
am 16.7.1993 erhobener Aufnahme-Befund anläßlich eines Klinik-Aufenthalts im Zusammenhang mit einer zuvor
erfolgten Hüftgelenksoperation (TEP) ergab hinsichtlich der Wirbelsäule: "Rundrücken, Schultergleichstand,
Beckengeradstand, Tonus der Rückenmuskulatur regelrecht, freie Beweglichkeit in allen Ebenen. FBA 15 cm.
Schober 10/15 cm. Rotation beidseits 45°, Lateralflexion beidseits 10°, ISG beidseits frei, Ischiasdruckpunkte
beidseits negativ" (Bl.124). Nach dem Abschlussbefund war das An- und Ausziehen von Strümpfen, Hosen und
Schuhen problemlos möglich, über Beschwerden im Wirbelsäulen-Bereich wird nichts berichtet (Bl. 125).
Mit Schreiben vom 28.12.1993, bei der Beklagten eingegangen am 29.12.1993, beantragte der Kläger die
Anerkennung und Entschädigung einer BK wegen berufsbedingter Erkrankung der Wirbelsäule. Nachdem die Beklagte
die Krankenunterlagen beigezogen hatte, holte sie eine Stellungnahme beim Sächsischen Landesinstitut für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Chemnitz ein, wonach gemäß der Aktenlage kein begründender BK-Verdacht
bestehe. Ein Untersuchungsbericht von Dr. W ... vom 26.5.1994 ergab als Diagnose: "Vertebralsyndrom bei
teilkontraktem Rundrücken und Aufbraucherscheinungen aller Wirbelsäulenabschnitte" (Bl. 130).
Mit Bescheid vom 12.01.1995 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr.
2108 ab.
Den widersprach der Kläger. Die Beklagte beauftragte nunmehr ihren Technischen Aufsichtdienst mit der Erstellung
einer Arbeitsplatzanalyse, in der zusammenfassend festgestellt wurde, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen
im Sinne des Merkblattes zur BK Nr. 2108 zeitweise im Grenzbereich vorgelegen hätten. Die Beklagte holte deshalb
ein Gutachten ein. Darin kamen Dr. F .../Dr. Sch ... (Krankenhaus für Orthopädie in B ... D ...) aufgrund der
Untersuchung des Klägers am 18.8.1995 zu dem Ergebnis, die eingetretenen Verschleißerscheinungen könnten als
Folge der chronischen Über- und Fehlbelastung aufgefasst werden. Ein mittelbarer Zusammenhang zu den
Veränderungen im Halswirbelsäulenbereich sei aufgrund der funktionellen Einheit der Wirbelsäule wahrscheinlich. Es
liege eine BK nach Nr. 2108 vor; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzten die Gutachter mit 15 v. H. ein.
Die Beschreibung der LWS nach der Aufnahme vom 23.9.1992 zeige im Vergleich zu den Aufnahmen von 1995 bei
beginnender spondylotischer Randzackenbildung einen noch deutlich weiteren Zwischenwirbelraum im Segment L5/S
1. Dagegen finde sich im mittleren und unteren Bereich der Brustwirbelsäule eine Verschmälerung der
Zwischenwirbelräume mit spondylotischer Randzackenbildung (Bl. 181).
Daraufhin wandte sich die Beklagte an Prof. Dr. D ... (Universität D ... - Klinik für Orthopädie). Dieser führte in seiner
Stellungnahme vom 30.10.1995 aus, das klinische Krankheitsbild sei offensichtlich 1993 und 1994, wie der
Entlassungsbefund der B ... Klinik K ... sowie eine ambulante fachorthopädische Behandlung bei Herrn Dr. W ...
zeige, als rein lokales vertebragenes Schmerzsyndrom ausgeprägt gewesen, denn es werde nie von einem
ausstrahlenden Schmerz gesprochen, und es werde in jedem Falle ein krankhafter neurologischer Befund negiert. Das
Schober-Zeichen sei 1993 mit 10/15 cm unauffällig gewesen, ebenso die Rotation der LWS mit 45° und nur die
Neigung diskret mit 10° eingeschränkt. Dr. W ... beschreibe 1994 eine lokale Instabilitätssymptomatik der LWS,
jedoch auch gleichzeitig eine doppelseitige rechtsseitig mit einer Hüftendoprothese versorgte Koxarthrose. Erstmalig
im Gutachten 1995 werde von ausstrahlenden Schmerzen in den rechten Oberschenkel gesprochen. Es finde sich
nun auch ein eingeschränktes Schoberzeichen von 10/13 cm. Aber der Reflexbefund sei regelrecht und ein Lasègue-
Zeichen könne nicht nachgewiesen werden, so dass damit bei negativem Pseudolasègue davon ausgegangen werden
könne, dass der ausstrahlende Schmerz im Rahmen der Koxarthrose ausgelöst werde, zumal in der Hüft-Lenden-
Region ein enger funktioneller Zusammenhang zwischen diesen beiden anatomischen Strukturen bestehe. Die
Gutachter betonten 1995 eine fixierte Brustkyphose, so dass das Hauptaugenmerk auf die Brustwirbelsäule gelenkt
werde. Die Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule vom 23.09.92 zeigten eine stark betonte Hpyerkyphosierung mit
deutlichen sklerotisch abgeriegelten Grundplattenimpressionen an der unteren Brustwirbelsäule. Hier seien die
Zwischenwirbelräume etwas erniedrigt, und es fänden sich ventral deutliche Kantenausziehungen. Es bestehe mithin
eine mäßige Spondylosis deformans der unteren Brustwirbelsäule, im Segment D 10/11 sogar erheblich ausgeprägt,
bei Status nach abgelaufenem Morbus (Mb.) Scheuermann [Scheuermannsche Erkrankung] mit Hyperkyphose. Die
LWS-Aufnahmen vom 23.09.92 zeigten nur an der Deckplatte von L 3 eine diskrete Ausziehung rechts. L 5 sei
sakralisiert. Die seitlichen Aufnahmen zeigten eine völlig regelrechte Höhe aller lumbalen Zwischenwirbelräume mit
nur diskreter Kantenausziehung an den Deckplatten von L 4 und L 5. Insgesamt fänden sich an der LWS nur leichte
degenerative Veränderungen, bei angeborener Fehlbildung im Sinne einer bilateralen Sakralisation von L 5. Es
dominiere damit in der Röntgenpathologie eindeutig die Brustwirbelsäule mit erheblichen Residuen nach abgelaufenem
Mb. Scheuermann mit starker Totalkyphose und mäßiger bis deutlicher Spondylosis deformans der unteren
Brustwirbelsäule. Dagegen seien die Verschleißprozesse an der LWS vergleichsweise gering ausgeprägt,
insbesondere sei die Höhe der Zwischenwirbelräume völlig intakt. Dafür bestehe aber hier eine zusätzliche kongenitale
Fehlbildung in Form der bilateralen Sakralisation von L 5. Der Röntgenbefund gestatte jedoch die Aussage, dass der
eindeutige Primat den berufsunabhängigen pathologisch-anatomischen Veränderungen an der Brustwirbelsäule
gebühre, wo im Adoleszentenalter ein Mb. Scheuermann erheblichen Ausprägungsgrades abgelaufen sei, so dass
damit die jetzt bestehenden intersegmentalen Hypermobilitätsbeschwerden der LWS hinreichend durch die
Scheuermann-bedingte intersegmentale Fixation der Brustwirbelsäule bei gleichzeitiger Hyperkyphose erklärt seien.
Eine BK der Nr. 2108 könne deshalb mit Sicherheit abgelehnt werden.
Mit Bescheid vom 09.02.1996 wies die Beklagte nunmehr den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger das Sozialgericht Leipzig (SG) angerufen, das Dr. G ..., Städtisches Klinikum I "St ..." in L ...,
zum Sachverständigen bestellt hat. Dieser gelangt in seinem Gutachten vom 23.10.1998 zu dem Ergebnis, der Kläger
sei zwar in der Zeit von 1959 bis 1985 beruflichen Belastungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer
Lasten ausgesetzt gewesen. Dennoch sei die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nicht auf die berufliche
Tätigkeit zurückzuführen, da die Verschleißveränderungen auf die gesamte Wirbelsäule verteilt seien.
Mit Urteil vom 12. Mai 1999 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
vom Kläger geltend gemachte BK sei bereits vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII)
am 01.01.1997 eingetreten, weshalb die Reichsversicherungsordnung (RVO) weiter anzuwenden sei (§ 215 Abs. 1
SGB VII).
Nach § 1150 Abs. 2 Nr. 1 RVO gälten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches
diejenigen Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden
Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung seien.
Im vorliegenden Fall habe der Kläger die schädigende Tätigkeit am 30.06.1992 eingestellt. Damit sei der
Versicherungsfall wegen des Fehlens der Aufgabe bzw. des Unterlassens der schädigenden Tätigkeit erst nach dem
01.01.1992 eingetreten. Deshalb sei nicht mehr das Recht der DDR, sondern die RVO anzuwenden. Nach § 551 Abs.
1 Satz 1 RVO gelte als Arbeitsunfall auch eine BK. Das Recht der Berufskrankheiten beruhe auf dem in der
Unfallversicherung allgemein geltenden Verursachungsprinzip. Der Versicherte werde wie beim Unfall vom
Versicherungsschutz nur erfasst, wenn er in die in einer Berufskrankheitenverordnung bezeichnete Krankheit bei einer
der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO aufgeführten Tätigkeiten erleide, die Krankheit also eine BK sei. Hierzu
zählten auch bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten
oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
hätten, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich gewesen seien
oder sein könnten (Nr. 2108 der Anlage zur BKV).
Der Kläger habe unstreitig über mehr als 20 Jahre regelmäßig größere Gewichte getragen. Er sei damit während seiner
beruflichen Tätigkeit Belastungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten ausgesetzt gewesen. Der
Kläger leide, wie Dr. G ... in seinem Gutachten vom 23.10.1998 ausgeführt habe, an einem allgemeinen
Verschleißleiden der Bandscheiben im mittleren und unteren Brustwirbelsäulenbereich und im
Lendenwirbelsäulenbereich mit Betonung des Bandscheibenraumes L5/S1. Damit sei aber noch nicht gesagt, dass
diese Gesundheitsschädigung auch durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sei. Entscheidend sei, ob
zwischen der versicherten Tätigkeit und der Gesundheitsschädigung (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen
letzterer und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Die haftungsbegründende Kausalität müsse, wie auch der haftungsausfüllende Kausalzusammenhang, wahrscheinlich
sein. Die für die Annahme einer Gesundheitsschädigung erforderliche haftungsbegründende Kausalität zwischen der
versicherten Tätigkeit und der Wirbelsäulenerkrankung sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Den Tatbestand der BK
Nr. 2108 erfüllten nur solche Schäden der LWS, die sich als das Resultat einer langjährigen schädigenden Einwirkung
auf diesen Wirbelsäulenabschnitt darstellten. Die beim Kläger bestehenden bandscheibenbedingten Veränderungen an
der LWS seien aber nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Die Wirbelsäule weise
nämlich auch an solchen Segmenten einen dem üblichen Altersabbau vorauseilenden Verschleiß auf, die besonderen
Belastungen durch die berufliche Tätigkeit gerade nicht ausgesetzt gewesen seien. Bereits dieser Umstand spreche
gegen eine berufsbedingte Erkrankung. Soweit auch im Bereich L5/S1 ein vorauseilender Verschleiß feststellbar sei,
reiche dies nicht aus, um einen wesentlichen Ursachenbeitrag durch eine schädigende berufliche Exposition
begründen zu können. Denn auch die in der Gesamtbevölkerung auftretenden Bandscheibenschäden beträfen zu mehr
als 90 v.H. der Fälle diesen Bereich.
Die Kammer folge nicht dem Gutachten der Dres. F ... und Sch ... vom Krankenhaus für Orthopädie in B ... D ... vom
01.09.1995, weil dort nicht nachvollziehbar dargelegt werde, weshalb die Wirbelsäulenerkrankung als berufsbedingt
anzusehen sei. Soweit die Gutachter darauf hinwiesen, dass die eingetretenen Verschleißerscheinungen zu deutlichen
Gefügelockerungen der Segmente L4/5 und L5/S1 geführt hätten und deshalb als Folge der chronischen Über- und
Fehlbelastung aufgefasst werden "könnten", spreche dies dafür, dass die haftungsbegründende Kausalität gerade
nicht gegeben sei. Die Formulierung im Gutachten deute darauf hin, dass es die Gutachter lediglich für möglich
hielten. Darüber hinaus fehlten in dem Gutachten Feststellungen dazu, ob gerade die Verschleißerscheinungen an der
Wirbelsäule des Klägers dort aufgetreten seien, wo die Wirbelsäule besonderen Belastungen durch die berufliche
Tätigkeit ausgesetzt sei. Soweit die Gutachter ausführten, dass ein mittelbarer Zusammenhang mit den
Veränderungen im Halswirbelbereich aufgrund der funktionellen Einheit der Wirbelsäule wahrscheinlich sei, seien diese
Ausführungen nicht in Einklang mit dem Berufskrankheitenrecht zu bringen, weil die BKV ausdrücklich danach
unterscheide, ob die Lendenwirbelsäule oder die Halswirbelsäule durch die berufliche Tätigkeit betroffen seien. Der
Kläger habe während seiner beruflichen Tätigkeit keine Arbeiten auszuführen gehabt, die zu einer
bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule hätten führen können. Nach alledem sei es nicht
wahrscheinlich, dass die beim Kläger bestehende Wirbelsäulenerkrankung berufsbedingt sei. Darüber hinaus habe Dr.
Gahr festgestellt, dass die Erkrankung der Wirbelsäule nicht zur Unterlassung der beruflichen Tätigkeit geführt habe.
Dies wäre aber eine weitere, hier nicht erfüllte Voraussetzung für die Anerkennung der Erkrankung als BK.
Gegen das ihm am 12.8.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9.9.1999 Berufung eingelegt. Weder das Urteil noch
die eingeholten Gutachten setzten sich mit der Frage auseinander, wie wesentliche Teilursache von unwesentlicher
Gelegenheitsursache abzugrenzen seien. Das SG habe die Grundsätze der sozialrechtlichen Kausallehre nicht
beachtet. Zur tatsächlichen Belastung führt er aus, er habe seit der Wende in der F ... GmbH weiter Fahrzeugteile
unter belastenden Umständen hergestellt und bis zum 30.6.1992 gearbeitet. Die Feststellung des SG, er habe seit
1991 nur noch Gewichte bis zu 20 kg zu heben und zu tragen gehabt, treffe nicht zu. Die von ihm zu bewegenden
Achskerne hätte etwa 40 kg gewogen.
Der Kläger beantragt (Schr. v. 13.10.1999),
das Urteil des Sozialgericht Leipzig vom 12.5.1999 mit dem Bescheid vom 12.01.1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.02.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Wirbelsäulenerkrankung
des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und nach den gesetzlichen
Bestimmungen zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Mit Schreiben vom 23.3.2001 hat der Senat die Beteiligten u.a. darauf hingewiesen, dass gem. der Beschreibung der
unmittelbar nach dem Ausscheiden des Klägers aus der Berufstätigkeit angefertigten Röntgenaufnahmen vom
23.09.1992 durch Prof. D ... im Gutachten vom 30.10.1995 (Bekl.-Akte Bl. 189) sich nur an der Deckplatte von L 3
eine "diskrete" - also nur eine angedeutete, leichte - Ausziehung an der rechten Seite zeige. Wenn es dort weiter
heiße: "Die seitlichen Aufnahmen zeigen eine völlig regelrechte Höhe aller lumbalen Zwischenwirbelräume mit nur
diskreter Kantenausziehung an den Deckplatten von L 4 und L5", dann beweise dies, dass eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS nicht bestehe.
Der Senat hat ferner die Beteiligten mit Schr. v. 4.9.2001 gem. § 153 Abs. 4 SGG darauf hingewiesen, dass er die
Berufung einstimmig für unbegründet halte (LSG-Akten Bl. 62, 64).
Dem Senat liegen neben den Prozessakten beider Rechtszüge die Verwaltungsakten vor.
Entscheidungsgründe:
Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage
abgewiesen, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Insbesondere hat er keinen Anspruch
auf Anerkennung eines Wirbelsäulen-Leidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV.
Bezüglich der anzuwenden Normen kann auf die Ausführungen des SG verwiesen werden, dem im Ergebnis auch in
der Sache zuzustimmen ist. Es fehlt bereits an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS im Zeitpunkt der
endgültigen Aufgabe der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit.
Entscheidendes Gewicht für die Beurteilung der Frage, ob Wirbelsäulen-Veränderungen berufsbedingt sind, kommt
dem Körperzustand zu, wie er zeitnah mit dem Ausscheiden aus der belastenden Tätigkeit erhoben und beschrieben
wird. Im Falle einer BK Nr. 2108 konzentrieren sich die Feststellungen auf den Zustand der LWS. Befunde, die Jahre
später erhoben werden, haben nur noch insofern Gewicht, als sie Auskunft über ein mögliches Fortschreiten der
Erkrankung unabhängig von beruflichen Belastungen geben können, was u.U. Indiz für eine körpereigene
Verursachung sein kann. Deshalb kommt den Darlegungen von Prof. D ..., die ausführlich auf die Röntgenaufnahmen
vom 23.9.1992 eingehen, besondere Bedeutung zu. Gemäß der Beschreibung dieser Aufnahmen durch Prof. D ... im
Gutachten vom 30.10.1995 (Bekl.-Akte Bl. 189) zeigte sich nur an der Deckplatte von L 3 eine "diskrete" - also nur
eine angedeutete, leichte - Ausziehung an der rechten Seite. Ferner heißt es dort weiter: "Die seitlichen Aufnahmen
zeigen eine völlig regelrechte Höhe aller lumbalen Zwischenwirbelräume mit nur diskreter Kantenausziehung an den
Deckplatten von L 4 und L 5." Da nach den Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 31.01.2001 nur eine
Erkrankung nach der BK Nr. 2108 der Anlage zur (bundesdeutschen) BKV in Betracht kommt, muss ein Befund
vorliegen der zur Aufgabe aller belastenden Tätigkeiten gezwungen hat. Weder lässt der Befund einer "völlig
regelrechten Höhe aller lumbalen Zwischenwirbelräume" überhaupt das Bestehen einer bandscheibenbedingten
Erkrankung der LWS erkennen, noch hat der Kläger seine Arbeit tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen
aufgegeben.
Auch der am 16.7.1993 klinisch erhobene Aufnahmebefund bestätigt dieses Ergebnis. Die Wirbelsäule war in allen
Ebenen frei beweglich, der Abschlussbericht enthält keine Hinweise über LWS-Beschwerden. Der Kläger war demnach
zum maßgebenden Zeitpunkt jedenfalls im LWS-Bereich nicht erkrankt.
Auf die Frage nach der Bedeutsamkeit eines "abgelaufenen Morbus Scheuermann" kommt es demnach nicht an. Nur
ergänzend sei bemerkt, dass sich die Feststellung im Gutachten Dr. G ... das Segment L5/S1 sei über den üblichen
Altersabbau hinaus verschlissen, auf den am 19.10.1998 - also 6 (!) Jahre nach Aufgabe der Tätigkeit - erhobenen
Befund bezieht, für die hier entscheidende Fragestellung also bedeutungslos ist. Im Gutachten von Dr. F .../Dr. Sch
... wird auf den Zustand des Jahres 1992 nur kurz eingegangen, das jedoch immerhin mit dem Hinweis, zu jener Zeit
habe die LWS im Vergleich zu den Aufnahmen von 1995 bei "beginnender" spondylotischer Randzackenbildung einen
"noch deutlich weiteren Zwischenwirbelraum L5/S1" gezeigt. Die Ärzte haben es aber unterlassen, sich mit der
Konsequenz dieses Befundes auseinanderzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG)
liegen nicht vor.