Urteil des LSG Sachsen vom 04.04.2001

LSG Fss: berufliche tätigkeit, eintritt des versicherungsfalles, berufskrankheit, bandscheibenvorfall, arbeitsunfall, krankenpfleger, gutachter, unfallversicherung, anerkennung, wahrscheinlichkeit

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.04.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 5 U 144/97
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 58/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17.02.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit (BK) und
um die Gewährung einer Verletztenrente.
Der am ...1946 geborene Kläger war von September 1961 bis Juli 1963 als Transportarbeiter beschäftigt. Danach
arbeitete er bis September 1965 als Oblatenbäcker. Von Dezember 1965 bis April 1969 arbeitete er als Heizer in
verschiedenen Unternehmen; danach erfolgte eine Beschäftigung als Hilfspfleger in einem Pflegeheim. Von November
1969 bis Oktober 1981 war der Kläger Berufsunteroffizier im Medizinischen Dienst der Nationalen Volksarmee der
DDR. Von November 1981 bis Dezember 1991 arbeitete er als Krankenpfleger bzw. (stellvertretender) Stationsleiter in
einem Altenzentrum. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit arbeitete er von August 1992 bis Mitte April 1994 wiederum
als Stationsleiter bzw. Krankenpfleger in verschiedenen Pflegeeinrichtungen und in der Justizvollzugsanstalt D ...
Vom 18.04.1994 bis zum Ende des letzten Beschäftigungsverhältnisses am 30.06.1995 war er durchgehend
arbeitsunfähig erkrankt.
Seit ca. 1978/1979 litt der Kläger, jedenfalls gelegentlich, unter Rückenschmerzen. Im Dezember 1993 traten akute
Schmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein auf. Da stationäre konservative Therapien vom 26.04.1994 bis
13.05.1994 und 13.06.1994 bis 20.06.1994 mit einer Anschlussheilbehandlung vom 23.06.1994 bis 02.08.1994 keine
durchgreifende Besserung erbrachten, erfolgte während eines weiteren stationären Aufenthaltes vom 25.08.1994 bis
07.09.1994 die Operation eines Bandscheibenvorfalles L3/L4. Anlässlich eines nach der Operation erstellten
Magnetresonanztomogramm (MRT) wurden postoperatives Narbengewebe im Operationsbereich sowie entzündliche
Veränderungen in der Grundplatte des Lendenwirbelkörpers (LWK) 3 gefunden, ferner ein kleiner links betonter
Bandscheibenvorfall in der Etage L5/S1. In einem aufgrund einer Untersuchung am 30.12.1994 erstellten Gutachten
des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen im Freistaat Sachsen e. V. (MDK) wurde der Kläger als auf Dauer
arbeitsunfähig eingeschätzt. Der postoperative Verlauf nach der Bandscheibenoperation L3/L4 am 29.08.1994 sei
durch ein persistierendes rechts betontes lumbosakrales Pseudoradikulärsyndrom kompliziert. Als ursächliche
Faktoren für diesen behandlungsbedürftigen und Arbeitsunfähigkeit bedingenden Verlauf seien entzündliche
Veränderungen der Grundplatte L3, ein enger Spinalkanal sowie ein Nukleopulposusprolaps L5/S1 diagnostiziert
worden.
Bereits im September 1994 war von der den Kläger behandelnden praktischen Ärztin Frau W ... gegenüber der
Beigeladenen geäußert worden, dass ein begründeter Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr.
2108 (der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV -) vorliege. Am 29.12.1994 erstattete Frau W ... eine
ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit, in der sie als Diagnose eine Lumboischialgie bei Bandscheibenvorfall
L3/L4 rechts angab. Der Kläger leide unter Schmerzen im Rückenbereich mit Ausstrahlung in das rechte Bein, ein
Auftreten sei kaum möglich. Die Schmerzen seien erstmalig am 18.04.1994 aufgetreten. Der Kläger führe die
Beschwerden auf schweres Heben im Rahmen der Krankenpflege zurück.
Die Beklagte holte daraufhin Auskünfte von verschiedenen Arbeitgebern des Klägers ein und zog ärztliche Berichte
und Behandlungsunterlagen bei; ferner beauftragte sie ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) mit einer
Expositionsanalyse für den Zeitraum Juni 1993 bis April 1994.
In einer Stellungnahme vom 28.11.1995 wurde die berufliche Tätigkeit des Klägers in diesem Zeitraum als gefährdend
im Sinne der BK Nr. 2108 beurteilt; für den Tätigkeitszeitraum November 1981 bis März 1990 wurde vom TAD des
Sächsischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes am 22.02.1996 eine Stellungnahme dahin abgegeben, dass die
vom Kläger in dieser Zeit ausgeübte Tätigkeit als wirbelsäulenbelastend im Sinne der BK Nr. 2108 anzusehen sei.
Des Weiteren gab die Beklagte ein Gutachten in Auftrag. Im Gutachten vom 16.12.1996 führte Prof. Dr. K ... nach
einer Untersuchung und der Fertigung von Röntgenaufnahmen und eines MRT am 04.10.1996 zusammenfassend aus,
dass der Kläger an einem Zustand nach einer Bandscheibenoperation mit interlaminärer Fensterung L3/L4 rechtsseitig
leide, ferner an einer Bandscheibendegeneration L2/L3 und L5/S1, an radikulären Restbeschwerden bei narbigen und
degenerativen Veränderungen der Brust- und Halswirbelsäule. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule liege vor. Für die Gesamtbeurteilung bedeutsam seien die Veränderungen im Bereich der Brust-
und der Halswirbelsäule. Diese manifestierten sich nicht nur anhand von radiologischen Befunden sondern auch in der
klinischen Untersuchung. Es bestehe ein Druckschmerz im Bereich der gesamten Halswirbelsäule sowie
thorakolumbal bis tief lumbal reichend. Verspannungen bestünden im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule. Somit
bestehe beim Kläger sowohl radiologisch als auch klinisch eine Erkrankung der gesamten Wirbelsäule. Diese habe
sich frühzeitig manifestiert. Nach Aktenlage sei es 1978 erstmalig zu Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule
gekommen; der Kläger habe diesen Zeitpunkt nunmehr mit 1983 angegeben. Es müsse von einer anlagebedingten
Erkrankung gesprochen werden, die einen schicksalhaften Verlauf genommen habe, da auch in den anderen nicht
belasteten Wirbelsäulenabschnitten sowohl radiologisch als auch klinisch Zeichen degenerativer Veränderungen
bestünden. Die berufliche Tätigkeit könne nicht als wesentliche Ursache oder Mitursache für die beschriebene
Erkrankung der Lendenwirbelsäule angesehen werden.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbeärztlichen Dienstes Oberpfalz/Niederbayern, in der sich der
Gewerbearzt dem Gutachten vom 16.12.1996 anschloss, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.03.1997 die
Anerkennung der Beschwerden des Klägers im Bereich der Wirbelsäule als Berufskrankheit ab. Der hiergegen
eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 06.05.1997 zurückgewiesen.
Am 02.06.1997 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhoben. Das SG hat im Rahmen seiner
medizinischen Ermittlungen insbesondere Prof. Dr. D ... als Gutachter beauftragt. Im Gutachten vom 11.03.1998
nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 27.05.1998 und 21.07.1999 hat Prof. Dr. D ... folgende Diagnosen gestellt:
- Lumbales vertebragenes radikuläres Post-Nukleotomiesyndrom rechts, pseudoradikulär links, bei polysegmentalen
degenerativen Veränderungen,
- lokales vertebragenes thorakales Schmerzsyndrom bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen der unteren
Brustwirbelsäule,
- lokales bis zerviko-kraniales vertebragenes zervikales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen C 4/5,
geringer auch C 3/4 und C 5/6,
- leichte Dysplasiekoxarthrose beidseits.
Die Zwischenwirbelräume im Bereich der Lendenwirbelsäule seien leicht erniedrigt, am geringsten bei L4/5. Es fänden
sich mäßige polysegmentale degenerative Veränderungen im Sinne der Osteochondrose und Spondylosis deformans.
Im Bereich der unteren Brustwirbelsäule liege eine erhebliche Osteochondrose und Spondylosis deformans mit
leichten Residuen eines abgelaufenen Morbus Scheuermann vor. Die degenerativen Veränderungen im Segment C4/5
seien als erheblich, die Verschleißprozesse bei C3/4 und C5/6 als leichter zu bezeichnen. Diese degenerativen
Veränderungen gingen über das altersübliche Maß hinaus. Die untere Brustwirbelsäule zeige die stärksten
degenerativen Veränderungen am gesamten Achsenorgan überhaupt. Die Lendenwirbelsäule weise insgesamt ein
klinisch äußerst relevantes radikuläres Postnukleotomiesyndrom rechts und pseudoradikuläres
Postnukleotomiesyndrom links auf. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger schon vor Beginn einer
nennenswerten haftungsbegründenden Exposition 1981 über lumbale vertebragene Beschwerden zu klagen gehabt
habe. Ein derartig früher Beschwerdebeginn sei oft ein Hinweis auf eine vorbestehende präspondylotische Deformität
an der Wirbelsäule. Beim Kläger fänden sich im Bereich der unteren Brustwirbelsäule röntgenologisch Residuen eines
abgelaufenen Morbus Scheuermann. Resultat dieses Morbus Scheuermann seien fortgeschrittene degenerative
Veränderungen an den unteren Brustwirbelsäulensegmenten. Ein abgelaufener Morbus-Scheuermann führe stets zu
einer Defektheilung, so dass es zu einer frühzeitigen intersegmentalen Teilfixation komme. Diese Teilfixation sei beim
Kläger in der Globalbewegung der Brustwirbelsäule heute noch eindrucksvoll belegbar, indem die Anteflexion mit Ott
30/33 cm auf weniger als 50 % der Norm reduziert sei. Die funktionelle Teilfixation der Brustwirbelsäule führe dann zu
einer statodynamischen Fehlbelastung angrenzender, initial nicht in den Krankheitsprozess einbezogener
Wirbelsäulenabschnitte, was den frühen Beschwerdebeginn hinreichend erkläre. Der Bandscheibenvorfall sei dann
Ausdruck der langzeitigen Fehlbelastung im Bereich der Lendenwirbelsäule, wobei graduell bei L3/4 die stärkste
qualitative Bandscheibenveränderung in Form eines Prolapses vorliege, während schon 1994 auch bei L2/3 eine
Bandscheibenprotrusion habe nachgewiesen werden können.
Somit sei von einer berufsunabhängigen Pathogenese der degenerativen Veränderungen und der daraus
resultierenden klinischen Symptomatik auszugehen. Für diese Beurteilung seien die frühzeitig aufgetretenen
Beschwerden nicht das allein entscheidende Kriterium. Entscheidend sei der sichere Nachweis von Residuen eines
abgelaufenen Morbus Scheuermann an der Brustwirbelsäule mit einem eindeutig klinisch-pathologischen Befund im
Brustwirbelsäulenbereich mit verminderter intersegmentaler Mobilität und Einschränkung der Globalbeweglichkeit auf
Ott 30/33 cm.
Das SG hat mit Urteil vom 17.02.2000 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass beim Kläger
eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in den Segmenten L3/4 und L2/3 vorliege. Der Kläger
habe auch berufsbedingt langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen. Diese langjährigen
wirbelsäulengefährdenden Tätigkeiten hätten jedoch die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
nicht im Rechtssinne verursacht. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen
der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit könne
nicht festgestellt werden. Dies ergebe sich insbesondere aus dem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten nebst
ergänzenden Stellungnahmen. Die Ausführungen von Prof. Dr. D ... würden durch die Feststellungen im Gutachten
vom 16.12.1996 untermauert. Die Kammer habe weder Veranlassung noch Möglichkeit gesehen, die
übereinstimmenden Ausführungen der Gutachter in Zweifel zu ziehen.
Gegen das ihm am 15.03.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.04.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung
der Berufung ist insbesondere vorgetragen worden, dass der Kläger erst seit 1993 unter erheblichen
Rückenschmerzen leide und nicht schon seit 1978, wie das SG fälschlicherweise angenommen habe. Der Kläger
habe lediglich einmal in einem Fragebogen vom 06.08.1995 angegeben, dass er seit 1978 gelegentlich
Rückenschmerzen gehabt habe.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17.02.2000 und den Bescheid vom 19.03.1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.05.1997 aufzuheben, festzustellen, dass es sich bei den
Lendenwirbelsäulenbeschwerden des Klägers um eine Berufskrankheit handelt und dem Kläger eine Verletztenrente
nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat darauf verwiesen, dass von einem von unten nach oben abnehmenden Beschwerdebild nicht ausgegangen
werden könne. Des Weiteren habe der Kläger auch gegenüber den Ärzten des Krankenhauses D ... angegeben, seit
1978 unter intermittierenden Rückenschmerzen zu leiden. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein beruflich
verursachter Bandscheibenschaden nicht vorliege.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
aus beiden Rechtszügen und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner
Lendenwirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit und auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von
mindestens 20 v. H.
Die geltend gemachten Ansprüche richten sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da
möglicher Eintritt des Versicherungsfalles nur ein vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuches
(SGB VII) am 01.01.1997 liegender Zeitpunkt sein kann (§§ 212, 215 Abs. 1 SGB VII).
Maßgeblich für den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles und somit für den Eintritt der Berufskrankheit ist
der Zeitpunkt, zu dem sich die Gefährdungen realisiert haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz
gewähren soll, also der Eintritt jedes Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer
Berufskrankheit erfüllt (Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 SGB VII Rn. 42 S.
97 m. w. N.). Die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles sind eingetreten, sobald die schädigende
Einwirkung einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verursacht hat, der die Krankheitsmerkmale eines
Berufskrankheitentatbestandes erfüllt und wenn ggf. erforderliche besondere Merkmale, insbesondere die
Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten erfüllt sind (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
Handkommentar, § 9 SGB VII Rn. 7).
Da der Kläger bis zum 17.04.1994 als Stationsleiter bzw. Krankenpfleger tätig war und ab diesem Zeitpunkt jedenfalls
nach Einschätzung des MDK im Gutachten von Dezember 1994 auf Dauer arbeitsunfähig erkrankt war, ist möglicher
Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles der 17.04.1994 mit der Folge, dass die Regelungen der RVO
anwendbar sind. Beim Kläger liegt jedoch keine Berufskrankheit nach §§ 548 Abs. 1, 551 Abs. 1, Satz 1 und 2 RVO i.
V. m. der hier allein in Betracht kommenden Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 20.06.1968 (Bundesgesetzblatt I, S.
721), eingefügt durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 18.12.1992 (Bundesgesetzblatt I S. 2343)
vor.
Gemäß § 548 Abs. 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 542 bis
545 genannten Tätigkeiten erleidet. § 551 Abs. 1 RVO regelt, dass eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall gilt.
Berufskrankheiten sind hiernach die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
genannten Tätigkeiten erleidet.
Nach der Nr. 2108 der Anlage 1 der aufgrund dieser Rechtsgrundlage erlassenen BKV sind Berufskrankheiten
bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten
oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder
sein können.
Vorliegend leidet der Kläger zwar an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Auch ist davon
auszugehen, dass er langjährig schwere Lasten gehoben und getragen hat. Des Weiteren bezweifelt der Senat nicht,
dass die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule den Kläger zur Unterlassung aller Tätigkeiten
zwingt, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder
sein können.
Jedoch stellt die vom Kläger ausgeübte berufliche Tätigkeit keine rechtlich wesentliche Ursache für die bei ihm
vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule dar.
Rechtlich ist eine Erkrankung infolge einer versicherten Tätigkeit nur dann eingetreten und als Berufskrankheit
anzuerkennen, wenn die beruflichen Belastungen in rechtlich wesentlicher Weise bei der Krankheitsentstehung
mitgewirkt haben. Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die
alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen in medizinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht
gemeinsam zum Entstehen der Erkrankung beigetragen, sind sie nebeneinander (Mit)Ursachen im Rechtssinne, wenn
beide in ihrer Bedeutung und Tragweite beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Der Begriff
"wesentlich" ist hierbei nicht identisch mit den Beschreibungen überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig.
Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch oder verhältnismäßig niedriger zu bewertende
Bedingung kann für den Erfolg wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er
von einer anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Zulässig ist es somit, eine rein
naturwissenschaftlich betrachtet nicht gleichwertige Ursache rechtlich als wesentlich zu betrachten. Auch ist zu
beachten, dass im Hinblick auf den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung jeder Versicherte in dem
Gesundheitszustand geschützt ist, in dem er sich bei Aufnahme seiner Tätigkeit befindet, auch wenn dieser Zustand
eine größere Gefährdung begründet. Eingebunden sind insoweit alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankheiten,
Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingten Schwächen und Krankheitsdispositionen
(Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, S. 81).
Vorliegend hat jedoch die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers ihre Ursache nicht in
seiner beruflichen Tätigkeit. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Erkrankung ihre Ursache in einem im
Jugendzeitalter abgelaufenen Morbus Scheuermann hat. Der Senat hat keine Bedenken, sich insoweit den
schlüssigen, überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. D ... im Gutachten vom 11.03.1998
nebst ergänzenden Stellungnahmen anzuschließen. Auch war zu berücksichtigen, dass beim Heben und Tragen
schwerer Lasten in der Regel der Bereich L4 bis S1 am stärksten belastet ist, hiervon wiederum am stärksten der
Bereich L5/S1, der dementsprechend von Verschleißerscheinungen aufgrund schweren Heben und Tragens am
meisten betroffen ist. Beim Kläger finden sich jedoch die stärksten degenerativen Veränderungen im Bereich der
unteren Brustwirbelsäule. Ferner finden sich im Bereich der Halswirbelsäule trisegmentale degenerative
Veränderungen, am ausgeprägtesten bei C4/5. Im Bereich der Lendenwirbelsäule sind die degenerativen
Veränderungen weniger stark ausgeprägt; darüber hinaus finden sich an der Lendenwirbelsäule die stärksten
degenerativen Veränderungen im Bereich L3/4. Im Bereich L2/L3, der durch Heben und Tragen von Lasten weniger
stark belastet ist als die unteren Segmente, liegen ebenfalls degenerative Veränderungen vor, während das Segment
L4/L5 kaum degenerativ verändert ist. Im Segment L5/S1 finden sich dann wieder degenerative Veränderungen, die
jedoch nicht das Ausmaß derjenigen im Bereich L3/4 erreichen. Angesichts dieser Verteilung der degenerativen
Veränderungen an der Wirbelsäule des Klägers kann nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, dass
die degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule insgesamt auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind.
Nichts anderes lässt sich dem von Prof. Dr. K ... am 16.12.1996 erstellten Gutachten entnehmen. Auch Prof. Dr. K ...
fand im Bereich der Halswirbelsäule und im Bereich der Brustwirbelsäule ausgeprägtere degenerative Veränderungen
und stellte fest, dass sowohl radiologisch als auch klinisch eine Erkrankung der gesamten Wirbelsäule vorliege, was
zu der Beurteilung führe, dass eine anlagebedingte Erkrankung der Wirbelsäule vorliege.
Soweit zur Begründung der Berufung darauf verwiesen worden ist, dass erheblichere Beschwerden erst ca. 1993
aufgetreten seien, steht dies obiger Beurteilung nicht entgegen. Der Kläger hat insoweit mehrfach angegeben, seit ca.
1978 bis 1983 leichtere, zeitweilig auftretende Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich gehabt zu haben. Diese -
leichteren - Lendenwirbelsäulenbeschwerden sind von den Gutachtern als Indiz für eine anlagebedingte Erkrankung
herangezogen worden; die Gutachter sind jedoch ersichtlich nicht von heftigeren, radikulär bedingten
Lendenwirbelsäulenbeschwerden bereits zu diesem Zeitpunkt ausgegangen.
Auch der Grundsatz, wonach jeder Versicherte in dem Gesundheitszustand geschützt ist, in dem er sich bei
Aufnahme seiner Tätigkeit befindet, führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, da nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass die berufliche Tätigkeit im Segment L3/L4 überhaupt zu einer
Verstärkung der dort vorhandenen degenerativen Veränderungen geführt hat.
Da beim Kläger somit keine Berufskrankheit, insbesondere nicht nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, vorliegt,
kam auch die Gewährung einer Verletztenrente gemäß § 581 Abs. 1 RVO nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe für eine Zulassung der Revision liegen
nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).