Urteil des LSG Sachsen vom 20.03.2008

LSG Fss: werkstatt, berufliche ausbildung, sozialhilfe, unfallversicherung, öffentlich, sozialleistung, verfügung, form, behinderter, sicherstellung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 19 SO 294/05
Sächsisches Landessozialgericht L 3 SO 25/07
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 24. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. III. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Grundsicherungsleistungen bei
Erwerbsminderung.
Der am 1987 geborene Kläger, der einen Grad der Behinderung von 70 aufweist und bei dem die Voraussetzungen der
Merkmale B, G und H vorliegen, beantragte - durch seine zur Betreuerin bestellte Mutter - am 29. März 2005
Grundsicherungsleistungen bei der Beklagten. Er gab an, Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR sowie Leistungen des
Arbeitsamtes zu beziehen und eine Werkstatt für behinderte Menschen zu besuchen. Der entsprechende
Ausbildungsvertrag mit der Werkstatt für behinderte Menschen "L.-S." für die Zeit ab 1. September 2004 sowie der
Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 7. September 2004 über die Bewilligung von Ausbildungsgeld nach § 97
ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) i.V.m. §§ 33 und 44 ff. des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) über die Bewilligung von
Ausbildungsgeld vom 1. September 2005 bis 30. November 2005 in Höhe von 57,00 EUR monatlich war beigefügt.
Belege über die Unfallversicherung für den Kläger mit einem Beitrag in Höhe von 8,94 EUR sowie über die erweiterte
Haushaltversicherung mit einem Jahresbeitrag von 184,55 EUR wurden ebenfalls vorgelegt. Weiter wurden Unterlagen
zu Einkommen und Ausgaben vorgelegt, wegen deren Inhalts auf Blatt 23 bis 36 der Akte der Beklagten verwiesen
wird.
Die Beklagte ermittelte mietähnliche Kosten für das Eigenheim wie folgt: Wassergeld jährlich 276,53 EUR, Gebühren
für Kanalisation jährlich 200,05 EUR, Müllabfuhr jährlich 73,71 EUR, Heizkosten jährlich 1013,73 EUR,
Wasserschaden- und Haushaltspflichtversicherung 167,52 EUR jährlich, Strom jährlich 454,18 EUR, Steuern vom
Grundbesitz 174,97 EUR, Versicherungsbeiträge 144,57 EUR und Grundschuldzinsen 2707,05 EUR jährlich. Die
Eigenheimzulage belief sich auf 2094,17 EUR jährlich. In der Wohnung leben drei Personen.
Nach dem Ausbildungsvertrag mit der Werkstatt für behinderte Menschen wird keine Ausbildungsvergütung gezahlt.
Der Kläger besuchte den Ausbildungs- bzw. Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen, nicht
hingegen deren Arbeitsbereich.
Nach Auswertung medizinischer Unterlagen erließ die Beklagte den Bescheid vom 27. Mai 2005, wonach der Antrag
auf Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) deswegen
abgelehnt wurde, weil der Kläger nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert sei.
Den hiergegen mit Schreiben vom 6. Juni 2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 8. November 2005 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 9. Dezember 2005 Klage erhoben.
Nach weiteren Ermittlungen hat die Beklagte im Laufe des Klageverfahrens den Bescheid vom 27. Mai 2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2005 aufgehoben und den Anspruch des Klägers auf
Leistungen der Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII anerkannt. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 hat die Beklagte
dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2005 bis 30. November 2006 Grundsicherungsleistungen für März bis November
2005 in Höhe von 320,38 EUR monatlich, für Dezember 2005 in Höhe von 310,38 EUR und für Januar bis November
2006 in Höhe von monatlich 363,98 EUR bewilligt. Es ist ein monatlicher Regelbedarf von 265,00 EUR, ein
Mehrbedarf für Merkzeichen "G" in Höhe von 45,05 EUR sowie für März bis Dezember 2005 anteilige Hauslasten in
Höhe von 81,93 EUR monatlich, im Zeitraum Januar 2006 bis November 2006 in Höhe von 125,53 EUR monatlich
zugrunde gelegt worden. Es sind 19,80 EUR aus Bewertung von Sachbezügen (kostenloses Mittagessen in der
Werkstatt) sowie für die Zeit vom 1. März 2005 bis 30. November 2005 Ausbildungsgeld in Höhe von 57,00 EUR
monatlich und für die restliche Zeit in Höhe von 67,00 EUR monatlich angerechnet worden. Versicherungsbeiträge für
die Unfallversicherung in Höhe von 5,20 EUR monatlich sind abgesetzt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2007 hat die Beklagte erklärt, sie werde den Bescheid vom 18. Juni 2007
insoweit korrigieren, als bisher zuwenig Darlehenszinsen berücksichtigt worden seien. Das von der Bundesagentur für
Arbeit gezahlt Ausbildungsgeld werde über § 45 Abs. 5 SGB IX den Leistungen zum Lebensunterhalt zugeordnet. Es
diene dem gleichen Zweck wie die Sozialhilfe und sei daher als vorrangige Leistung gemindert anzurechnen.
Der Kläger hat das abgegebene Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und den Rechtsstreit wegen der Höhe
der zu bewilligenden Leistungen fortgeführt. Der Klägerbevollmächtigte hat erklärt, er werde eine Bescheinigung über
die im Jahr 2004 gezahlten Zinsen bis zum 20. Oktober 2007 vorlegen. Die Beklagte hat erklärt, dass sie in diesem
Fall die nachgewiesenen gezahlten Jahreszinsen für das Jahr 2004 berücksichtigen und die Leistung entsprechend
berechnen werde.
Mit Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2007 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger unter
Abänderung des Bescheides vom 18. Juni 2007 für die Zeit vom 1. März 2005 bis 30. November 2006 Leistungen der
Grundsicherung bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung von Ausbildungsgeld als Einkommen zu gewähren. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass zwar grundsätzlich auch das Ausbildungsgeld nach § 104 Abs. 1 SGB III zum
Einkommen nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zähle. Jedoch seien nach § 83 Abs. 1 SGB XII Leistungen, die
aufgrund öffentlich rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht wurden, nur soweit als
Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck diene. Das Ausbildungsgeld nach §
104 Abs. 1 SGB III diene nicht demselben Zweck wie die Sozialhilfe und sei daher vom Kläger nicht als Einkommen
zu berücksichtigen. Ihm komme die Funktion einer Arbeitstrainingsprämie zu, die die für den persönlichen Bedarf
verfügbaren Mittel erhöhen und dadurch die Motivation der Berufsausbildungsmaßnahme fördern solle. Dieser
gesetzlichen Zweckbestimmung würde es widersprechen, das Ausbildungsgeld nach § 104 Abs. 1 Nr. 2, § 107 SGB
III im Rahmen der Sozialhilfe als Einkommen anzurechnen, da dann der mit dem Ausbildungsgeld verfolgte Zweck
einer Zusatzleistung nicht mehr verwirklicht werden könne (Hinweis auf OVG Münster, Beschluss vom 22. Dezember
2006 - 12 A 2320/05). § 45 Abs. 5 Nr. 1 SGB IX greife hier nicht ein. § 102 Abs. 2 SGB III nehme ausweislich seines
Wortlautes lediglich insoweit und nur auf § 40 SGB IX Bezug, als darin die Modalitäten der Erbringung der Leistungen
geregelt seien. Unabhängig davon bestimme die unmittelbar auf das Ausbildungsgeld bezogene spezielle Regelung
des § 104 Abs. 2 SGB III gegenüber § 102 Abs. 2 SGB III, der ausweislich seiner Überschrift im Übrigen lediglich
einen Grundsatz normiere, dass für das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe
entsprechend gelten, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt sei. Soweit die abweichenden
spezialgesetzlichen Bestimmungen der §§ 105 ff. SGB III zum Ausbildungsgeld reichten, komme danach ein
Rückgriff auf die §§ 40 ff. SGB IX nicht in Betracht. Die vorliegend maßgebende Zweckbestimmung zum
Ausbildungsgeld treffe § 108 Abs. 1 SGB III, der als Bestandteil der § 104 SGB III nachfolgenden abweichenden
Regelungen dem Ausbildungsgeld den Charakter einer zusätzlichen Leistung verleihe, die auf eine Erhöhung der
tatsächlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerichtet sei. Das dem Kläger gemäß §§ 104 Abs. 1 Nr. 2, § 107
SGB III gewährte Ausbildungsgeld diene daher nicht demselben Zweck wie die Grundsicherung und sei deshalb von
der Anrechnung als Einkommen ausgeschlossen. Schon aus der geringen Höhe des Ausbildungsgeldes von 57,00
EUR bzw. 67,00 EUR monatlich ergebe sich, dass jedenfalls bei dieser Form des Ausbildungsgeldes eine
unterhaltssichernde Funktion kaum angenommen werden könne. Zweck des Ausbildungsgeldes solle vielmehr sein,
die Motivation behinderter Menschen zur Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für
behinderte Menschen dadurch zu fördern, dass die frei verfügbaren Mittel erhöht würden (OVG Münster, Urteil vom
22. Februar 2006 - 16 A 176/05). Im Übrigen werde zur Begründung auch auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes
Lüneburg vom 22. Februar 2001 (Az.: 12 L 3923/00, m.w.N., auch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und
des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere das Urteil des BSG vom 26. September 1990 - 9b/7 RAr 100/89) sowie
wie die Kommentierung von Lauterbach in Gagel, SGB III (Stand März 2002, § 107 Rdnr. 2) von Brühl in LPK-SGB XII
(6. Aufl., § 83 Rdnr. 17) und von Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II (§ 11, Rdnr. 81) verwiesen.
Gegen den ihr am 30. Oktober 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 27.
November 2007 eingegangen ist. Zur Begründung führt sie aus, mit der Wertung, das Ausbildungsgeld habe alleine
Stimulierungsfunktion, werde dessen sich aus § 45 Abs. 5 SGB IX ergebende Zweckbestimmung negiert. Danach sei
das gemäß §§ 103 Ziffer 2, § 104 Abs. 1 Ziffer 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 5 Ziffer 1 SGB IX gewährte
Ausbildungsgeld eine Form der nach § 45 SGB IX insgesamt aufgezählten Leistungen zum Lebensunterhalt. Aus
dieser Zuordnung ergebe sich die Zweckbindung des Ausbildungsgeldes, das also für die Bestreitung des
Lebensunterhaltes dienen solle. Die vom Sozialgericht diesbezüglich dargelegten Erwägungen, dass schon die Höhe
des Ausbildungsgeldes gegen eine Hilfe zum Lebensunterhalt spreche, könne nicht greifen, da der Gesetzgeber nicht
verpflichtet sei, bedarfsdeckende Leistungen zum Lebensunterhalt in verschiedenen Gesetzen zu regeln. Dafür habe
er das SGB XII geschaffen.
Selbst dann, wenn aus § 45 SGB IX keine Zweckbindung entnommen werden könne, bleibe für die Auslegung des
Sozialgerichts kein Raum, da es für die dort gemachten Aussagen zur Zielstellung des Ausbildungsgeldes keine
Rechtsgrundlage gebe. Im Ausbildungsgeld sei bestenfalls eine zweckneutrale Leistung zu sehen, die dann jedoch im
Rahmen von § 82 Abs. 1 SGB XII anzurechnen sei (BVerwG, Urteil vom 12. April 1984 - 5-C 3/83). Soweit das
Gericht davon ausgehe, dass der Verweis des § 102 Abs. 2 SGB III ausschließlich und allein für § 40 SGB IX gelte,
sei dem nicht zu folgen. Würde man der Auffassung des Sozialgerichts folgen, wären beispielsweise alle ergänzenden
Leistungen nach § 44 SGB IX ausgeschlossen. Bewilligungsgrundlage sowohl für die Maßnahme selbst wie auch für
weitere Leistungen seien die Normen des SGB III wie auch das SGB IX und zwar §§ 97 ff. SGB III i.V.m. § 33 und 44
ff. SGB IX. § 108 Abs. 1 SGB III treffe nicht die vom Gericht dargelegte Zweckbestimmung, sondern beinhalte allein
eine Anrechnungsvorschrift.
Der Gesetzgeber habe das Ausbildungsgeld anders als das Arbeitsförderungsgeld im Übrigen nicht in die
Ausnahmeregelung des § 82 Abs. 2 SGB XII aufgenommen. Da das Arbeitsförderungsgeld erst mit In-Kraft-Treten
des SGB XII per Gesetz anrechnungsfrei gestellt worden sei, der Gesetzgeber sich somit mit der Stellung von
Werkstattbesuchern insgesamt habe auseinander setzen müssen, sei davon auszugehen, dass die Nichtprivilegierung
des Ausbildungsgeldes gewollt sei und nicht davon, dass eine privilegierende Regelung möglicherweise nur vergessen
worden sei.
Das Ausbildungsgeld gehöre zu den besonderen Leistungen gemäß § 103 SGB III. Es werde nach § 103 Ziffer 2 SGB
III erbracht, wenn Übergangsgeld nicht erbracht werden könne. Übergangsgeld sei kein Erwerbseinkommen, sondern
habe Lohnersatzfunktion. Gleiches müsse dann für das Ausbildungsgeld gelten, da es seinerseits anstelle von
Übergangsgeld geleistet werde, wenn für dessen Zahlung die Voraussetzungen nicht vorlägen.
Als öffentlich rechtliche Sozialleistung sei das Ausbildungsgeld als eine mit den Lebensunterhalt sichernde Leistung
nach dem 3. und 4 Kapitel des SGB XII zweckidentische Leistung in voller Höhe als Einkommen anzurechnen.
Hiermit werde eine Doppelleistung für den gleichen Zweck vermieden. Den Zweck einer zusätzlichen Leistung zum
Lebensunterhalt solle das Ausbildungsgeld nach Auffassung der Berufungsklägerin gerade nicht erfüllen. Hinsichtlich
des Prüfverfahrens beim Zusammentreffen von zwei Sozialleistungen sei auf die vom BVerwG konzipierten
Grundsätze zu verweisen (BVerwG, Urteil vom 12. April 1984 - 5 C 3/83). Für die Beibehaltung dieser Prüf- und
Wertungsgrundsätze spreche, dass das Bundessozialgericht mit Urteil vom 5. September 2007 (Az.: B 11b AS 15/06
R) entschieden habe, dass das ebenfalls unter § 45 SGB IX aufgeführte Verletztengeld der Unfallversicherung nach
dem Siebenten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) hinsichtlich der Anrechnung bei geltend gemachtem Bedarf nach
dem SGB III aufgrund mangelnder konkreter Zweckbestimmung ungekürzt als Einkommen zu berücksichtigen sei.
Die vom Sozialgericht bezeichneten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg vom 22. Februar 2001
und des Bundessozialgerichtes vom 26. September 1990 seien nicht geeignet, dessen Entscheidung zu stützen, da
beide vor In-Kraft-Treten des SGB IX am 1. Januar 2002 und damit vor In-Kraft-Treten des § 45 SGB IX erlassen
worden seien.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 24. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte folgere eine Zweckidentität allein aus der Vorschrift des § 45 SGB IX, die die redaktionelle Überschrift
"Leistungen zum Lebensunterhalt" trage. Insoweit verkenne sie, dass die Vorschriften des SGB IX keine
Zweckbestimmung hinsichtlich der Leistung nach dem SGB III treffen könnten. Die Zweckbestimmung des
Ausbildungsgeldes ergebe sich ausschließlich aus dem SGB III selbst. So sei zu unterscheiden zwischen dem
Ausbildungsgeld bei Maßnahmen in einer Werkstatt für behinderte Menschen und Ausbildungsgeld für eine berufliche
Ausbildung oder einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (§ 104 Abs. 1 SGB III). Ausbildungsgeld bei
Maßnahmen in einer Werkstatt für behinderte Menschen sei nur im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich zu
beanspruchen (§ 107 SGB III). Das Ausbildungsgeld sei eine zusätzliche Leistung mit dem Ziel, die frei verfügbaren
Mittel tatsächlich zu erhöhen. Der behinderte Mensch soll gerade für die Teilnahme an Maßnahmen und
Eignungsverfahren im Berufsbildungsbereich motiviert werden. Dass das Ausbildungsgeld gerade kein Arbeitsentgelt
sei, sondern ein fürsorgliche Leistung mit Taschengeld- bzw. Belohnungscharakter, werde auch durch die Urteile des
Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg (vom Sozialgericht benannt) und des Bundessozialgerichtes vom 14. Februar
2001 (Az.: B 1 KR 1/00 R) belegt. Auch nach dem In-Kraft-Treten des SGB IX ergebe sich keine andere Auslegung
als zum vormaligen § 77 des Bundessozialhilfegesetzes. Damit habe sich der Beschluss des
Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2006 auseinandergesetzt, worin festgestellt werde,
dass § 45 Abs. 5 Nr. 1 SGB IX gerade nicht einschlägig sei.
Da sich die Zweckbestimmung zum Ausbildungsgeld ausschließlich aus dem SGB III ergebe, sei anhand der
Vorschrift des § 108 Abs. 1 SGB III festzustellen, dass das Ausbildungsgeld den Charakter einer zusätzlichen
Leistung habe, die auf einer Erhöhung der tatsächlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerichtet sei, womit
gerade eine Einkommensanrechnung ausgeschlossen sein solle. Diese Vorschrift gelte ausschließlich bei
Maßnahmen einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen, was dem Umstand Rechnung trage, dass dieser
Personenkreis besonders schutzwürdig sei und die finanziellen Belastungen der unterhaltspflichtigen Personen durch
eine Einkommensanrechnung nicht weiter verstärkt werden sollten (Niesel, SGB III [3. Aufl., 2005] § 108 Rdnr. 2). Im
Übrigen erfolge nach § 108 Abs. 2 SGB III eine Einkommensanrechnung. Gerade diese differenzierte gesetzliche
Konzeption bringe zum Ausdruck, dass bei Maßnahmen in Werkstätten für behinderte Menschen das Ausbildungsgeld
als besondere, d.h. zusätzliche, Leistung gewährt werden solle.
Der Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 5. September 2007 führe zu keinem anderen Ergebnis. Die
dortige Entscheidung, das Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei kein privilegiertes Einkommen
im Sinne von § 11 Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II)
folgere das Bundessozialgericht nicht aus § 45 SGB IX sondern aus der Tatsache, dass die Verletztenrente als
Lohnersatz der Sicherstellung des Lebensunterhaltes diene. Weiterhin könne aus dem SGB II gefolgert werden, dass
es gerade Wille des Gesetzgebers gewesen sei, sämtliche Zahlungen mit Entgeltfunktion zu erfassen, auch soweit
sie im Zusammenhang mit erlittenen Körperschäden gewährt werden. Demgegenüber liege im vorliegenden Fall eine
gesetzgeberische Zweckbestimmung dahingehend, dass das Ausbildungsgeld im Sinne von § 104 Abs. 1 Nr. 2 SGB
III anrechnungsfrei bleiben solle.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die
Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung ist statthaft, da laufende Leistungen über längeren Zeitraum als ein Jahr streitig sind (§ 144 Abs. 1
Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Sie ist auch innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.
2. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Beklagte verpflichtet, den
Bewilligungsbescheid abzuändern und dem Kläger für den im Tenor des angegriffenen Gerichtsbescheides
bezeichneten Zeitraum Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung von Ausbildungsgeld
als Einkommen zu gewähren.
Bei dem Ausbildungsgeld nach § 104 Abs. 1 Nr. 2, § 107 SGB III handelt es sich um eine Leistung auf Grund
öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die nicht demselben Zweck wie die Sozialhilfe dient und damit gemäß § 83 Abs. 1
SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist (ebenso: Brühl, in: Münder u.a., SGB XII [8. Aufl., 2008], § 83
Rdnr 16, m.w.N.). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen
Gerichtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153
Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist folgendes auszuführen:
Eine andere Beurteilung des Charakters des Ausbildungsgeldes als einer der Motivationserhöhung des behinderten
Menschen dienenden Sozialleistung ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten als Beleg hierfür angeführten
Regelung des § 45 SGB XII ("Leistungen zum Lebensunterhalt") oder der dem 6. Kapitel des SGB IX gegebenen
Überschrift "Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen". Mit dem Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein- Westfalen (Beschluss vom 22. Dezember 2006 - 12 A 2320/05 - JURIS-Dokument Rdnr. 6), ist vielmehr
infrage zu stellen, ob sich aus § 45 Abs. 5 Nr. 1 SGB IX bereits ableiten lässt, das Ausbildungsgeld diene der
Sicherung des Lebensunterhalts. Dies ist jedenfalls für das nach § 107 SGB III gewährte Ausbildungsgeld zu
verneinen.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 1. November 2007 (Az.: L 3 AS 158/06 - JURis-Dokument
Rdnr. 39) im Zusammenhang mit den Einkommensregelungen in § 11 SGB II ausgeführt hat, ist zwischen dem
Ausbildungsgeld, das bei beruflicher Ausbildung (§ 105 SGB III), bei berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und
bei Grundausbildung (§ 106 SGB III) und bei Maßnahmen in anerkannten Werkstätten für Behinderte Menschen (§ 107
SGB III) gewährt wird, zu differenzieren. § 105 Abs. 1 Nr. 2 SGB III und § 107 SGB III haben unterschiedliche
Tatbestandsvoraussetzungen. In § 107 SGB III werden im Gegensatz zu § 105 und 106 SGB III keine
Differenzierungen nach der Art der Unterbringung, dem Alter oder den familiären Verhältnissen getroffen (aaO., Rdnr
54). Auch spricht die unterschiedliche Stellung einer sonstigen Ausbildungsstätte und einer Werkstatt für behinderte
Menschen für eine Differenzierung, da auch § 105 und 107 SGB III entscheidend auf die Art der Bildungseinrichtung
abstellen (aaO., Rdnr. 58 bis 61). Im Fall der Bewilligung von Ausbildungsgeld nach § 104 Abs. 1 Nr. 1 , § 105 SGB
III hat der erkennende Senat die Anrechnung als Einkommen bejaht.
Da es sich aber hier um das Ausbildungsgeld für behinderte Menschen während der Ausbildung beziehungsweise des
Besuchs des Arbeitstrainingsbereichs in einer Werkstatt für behinderte Menschen gemäß § 107 SGB III handelt, ist
die vom Sozialgericht genannte Rechtsprechung einschlägig. Die dadurch gestaltete Rechtslage ist durch § 45 SGB
IX nicht verändert worden. § 45 SGB IX gibt lediglich einen Überblick über die Geldleistungen, auf die behinderte
Menschen gegen unterschiedliche Leistungsträger Anspruch haben können (Majerski-Pahlen, in:
Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX [11. Aufl. 2005], § 45 Rdnr 1). Abweichende Bestimmungen der
Betroffenen Leistungsbereiche gehen jedoch als lex specialis vor (vgl. Majerski-Pahlen, aaO., Rdnr. 2).
Die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung, welche das Spezialgesetz (§ 107 und 108 SGB III) ausgelegt hat, hat
der Gesetzgeber des SGB IX wie auch der Gesetzgeber des SGB XII vorgefunden. Eine beabsichtigte Abkehr hiervon
ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Da die Spezialgesetze mit dem von der Rechtsprechung durch
Auslegung ermittelten Inhalt damit weiter maßgeblich sind, bleibt für die Rechtsauffassung der Beklagten kein
Anknüpfungspunkt.
Der weitere Einwand der Beklagten, die Tatsache, dass der Gesetzgeber das Ausbildungsgeld nicht ausdrücklich
anrechnungsfrei gestellt habe, hingegen das Arbeitsförderungsgeld in die Ausnahmeregelung des § 82 Abs. 2 SGB XII
aufgenommen habe, lasse darauf schließen, dass der Gesetzgeber gerade nicht die Anrechnungsfreiheit des
Ausbildungsgeldes habe erreichen wollen, geht fehl. Zum Ausbildungsgeld war bereits nach der Rechtsprechung zu
der Vorgängervorschrift des § 83 SGB XI, dem § 77 BSHG, durch die Rechtsprechung klargestellt, dass dieses
anrechnungsfrei sei. Der Gesetzgeber hat nicht zu erkennen gegeben, dass er insoweit Änderungen habe einführen
wollen. Die Freistellung von Arbeitsförderungsgeld nach § 43 Satz 4 SGB IX von der Einkommensanrechnung in § 82
Abs. 2 SGB XII dadurch, dass diese – zusammen mit dem im Arbeitsbereich erzielten Entgelt den Betrag des dem
Kläger gewährten Ausbildungsgeldes bei weitem übersteigende Leistung - vom Einkommen wieder abgesetzt wird,
belegt vielmehr, dass der Kreis der Begünstigten erweitert werden sollte. Hätte der Gesetzgeber eine nach altem
Rechtsstand nicht erfolgte Anrechnung des Ausbildungsgeldes bewirken wollen, so hätte er dies ausdrücklich
geregelt. Im übrigen wäre es wohl nicht sachgerecht und dem Gebot des Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
entsprechend, zwischen einer Person, die für ihre Arbeit in einem Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte
Menschen durch zusätzliche Förderung mindestens 300 EUR monatlich erhält und einer Person, die - wie der Kläger -
noch keine wesentliche Leistung erbringen kann und daher lediglich den (Motivations-)Betrag von 57 EUR bzw. 67
EUR monatlich von einem Sozialleistungsträger erhält, dergestalt zu differenzieren, dass dem finanziell und damit
auch sozial Schwächeren dieses Wenige genommen, dem sozial Bessergestellten aber dessen Mehr verbleiben soll.
Eine solche Auslegung von Sozialleistungsgesetzen stünde im Übrigen auch nicht im Einklang mit § 2 SGB I, wonach
soziale Rechte weitestgehend verwirklicht werden sollen, einer Vorschrift, die letztlich das Sozialstaatsprinzip des
Artikel 20 GG in einfaches (Sozialleistungs-) Recht transformiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.