Urteil des LSG Sachsen vom 11.08.2010

LSG Fss: ärztliche leitung, leiter, mitgliedschaft, versorgung, geschäftsführer, behandlung, bestätigung, organisation, chefarzt, direktor

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.08.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 18 KA 132/09
Sächsisches Landessozialgericht L 1 KA 54/09
I. Die Berufung der Beigeladenen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 02. Dezember 2009
wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der ärztliche Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) vertragsärztlich tätig sein muss.
Die klagende betreibt seit Januar 2006 ein MVZ. Darin nahmen zunächst Ärzte, die an der vertragsärztlichen
Leistungserbringung des MVZ mitwirkten, die Aufgabe des ärztlichen Leiters wahr. Zum 01.02.2009 wurde der nicht
vertragsärztlich tätige Orthopäde Dr. B. zum weiteren Geschäftsführer der GmbH bestellt, der zum 15.02.2009 auch
die Stellung des ärztlichen Leiters des MVZ übernahm. Mit Schreiben vom 16.02.2009 beantragte die Klägerin beim
Zulassungsausschuss Ärzte Dresden die Bestätigung des Übergangs der ärztlichen Leitung. Dieser lehnte mit
Beschluss vom 02.03.2009 den Antrag mit der Begründung ab, um die erforderlichen Direktions- und
Kontrollbefugnisse wahrnehmen zu können, müsse der ärztliche Leiter eines MVZ dort selbst vertragsärztliche
Leistungen erbringen, was bei Dr. B. nicht der Fall sei.
Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, aus dem Gesetz ergebe sich nicht, dass
der ärztliche Leiter zwingend an der Patientenversorgung teilnehmen müsse. Dr. B. sei auf der Grundlage des
Vertrages über die ärztliche Leitung und in seiner Funktion als Geschäftsführer zur Wahrnehmung der erforderlichen
Direktions- und Kontrollbefugnisse in der Lage. Weitergehende Befugnisse ergäben sich aus einer Mitwirkung an der
vertragsärztlichen Leistungserbringung nicht. Die Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) erstrecke
sich ohnehin auf die angestellten Ärzte im MVZ. Eine vertragsärztliche Tätigkeit von Dr. B. würde begrüßt, ihr stünden
aber die derzeit bei den Orthopäden bestehenden Zulassungsbeschränkungen entgegen. Der beklagte
Berufungsausschuss wies mit Beschluss vom 27.05.2009, ausgefertigt am 01.07.2009, den Widerspruch zurück.
Damit der ärztliche Leiter als Gesamtverantwortlicher für das ärztliche Handeln des MVZ der Disziplinargewalt der
KÄV unterliege, müsse er am MVZ vertragsärztlich tätig sein. Dies erübrige sich nicht dadurch, dass die Zulassung
des MVZ die Mitgliedschaft der an ihm angestellten Ärzte in der KÄV bewirke, da dies für weniger als halbtags
beschäftigte Ärzte nicht gelte.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 07.08.2009 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben. Mit der für
das MVZ verlangten ärztlichen Leitung habe der Gesetzgeber sicherstellen wollen, dass sich die Patientenversorgung
an medizinischen Vorgaben orientiere. Weitergehende Aufgaben des ärztlichen Leiters, insbesondere die zwingende
Notwendigkeit einer vertragsärztlichen Tätigkeit, ließen sich daraus nicht ableiten.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.12.2009 hat das SG der Klage stattgegeben und unter Aufhebung des Bescheides des
Beklagten vom 01.07.2009 festgestellt, dass die Übertragung der ärztlichen Leitung des MVZ der Klägerin auf Dr. B.
zulässig sei. Nach § 95 Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dürfe dieser Geschäftsführer der
Klägerin die Tätigkeit des ärztlichen Leiters ausüben. Dass der ärztliche Leiter selbst ärztlich – durch Behandlung –
zur Versorgung der Patienten beitragen müsse, lasse sich den Vorschriften über die Einrichtung und organisatorische
Ausgestaltung der MVZ nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen. Entscheidend, aber auch ausreichend
sei nach Sinn und Zweck des Gesetzes allein, dass der ärztliche Leiter über eine Qualifikation als Arzt verfüge und
die Behandlung der Versicherten durch die am MVZ tätigen Ärzte gegenüber der Einflussnahme durch Nichtärzte
organisatorisch abschirmen könne. Der ärztliche Leiter sei darüber hinaus Ansprechpartner des MVZ in medizinischen
Fragen nach außen und übernehme die Verantwortung für die Abrechnung, die Qualitätssicherung und die Einhaltung
der ärztlichen Pflichten in den durch die berufsrechtliche Verantwortlichkeit der Ärzte gesetzten Grenzen. Die
unmittelbare Teilnahme an der Krankenbehandlung sei keine logisch oder sachlich zwingende Voraussetzung dafür,
dass der ärztliche Leiter seine Leitungs- und Koordinierungsfunktionen gegenüber den Ärzten des MVZ wahrnehmen
könne. Der ärztliche Leiter müsse nicht selbst vertragsärztliche Leistungen erbringen, um als Mitglied der KÄV die
Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten durchsetzen zu können. Gemäß § 77 Abs. 3 SGB V seien die im MVZ
angestellten Ärzte, sofern sie mindestens halbtags beschäftigt seien, selbst Mitglieder der KÄV und unterlägen damit
unmittelbar deren Disziplinargewalt. Zudem unterliege der ärztliche Leiter den disziplinarischen Befugnissen der KÄV
nur wenn er selbst mindestens halbtags vertragsärztlich tätig sei. Die Mitgliedschaft in der KÄV verpflichte ihn allein
persönlich in dieser Tätigkeit zur Einhaltung der für die Mitglieder geltenden vertragsärztlichen Pflichten. Das Gesetz
ordne dagegen nicht die Mitgliedschaft eines Arztes in der KÄV an, um über die eigene vertragsärztliche Tätigkeit
hinaus auf Dritte Einfluss zu nehmen. In dem Mindestumfang der Behandlungstätigkeit, die erforderlich wäre, um den
ärztlichen Leiter des MVZ in den Pflichtenkreis der KÄV-Mitglieder einzubeziehen, könnte er keine Leitungsfunktionen
ausüben, um deretwillen er der Disziplinargewalt unterliegen solle. Eine solch inkongruente Zweck-Mittel-Verknüpfung
wäre sachwidrig und willkürlich. Daraus dass der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt habe, ob und wie die
unterhalbschichtig angestellten Ärzte den an die Mitgliedschaft in der KÄV anknüpfenden vertragsärztlichen
Vorschriften unterworfen werden könnten, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass die Normbindung dieser
Ärzte durch die Weisungsbefugnisse des ärztlichen Leiters vermittelt werden müssten. Dagegen spreche schon, dass
§ 77 Abs. 3 Satz 2 SGB V erst nach Inkrafttreten des § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V in das Gesetz eingefügt worden sei.
Zudem wäre es – ausgehend von der Auffassung des Beklagten – konsequenter gewesen entweder auch die mehr als
halbtags angestellten Ärzte des MVZ von der Mitgliedschaft in der KÄV auszuschließen oder die Mitgliedschaft des
ärztlichen Leiters in der KÄV von der Beschäftigung unterhalbschichtig angestellter Ärzte abhängig zu machen;
beides treffe indessen nicht zu. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers zu klären, welchen Pflichten die nicht
zwangskorporierten angestellten Ärzte unterliegen sollten. Das Fehlen einer klarstellenden Regelung berechtige den
Beklagten nicht dazu, die organisatorische Ausgestaltung von MVZ zulasten der Berufsausübungsfreiheit ihrer Träger
zu reglementieren. Aus der Funktion des ärztlichen Leiters folge schließlich, dass der Berufung zu ihm die Bestellung
als Geschäftsführer nicht entgegen stehe. Der ärztliche Leiter müsse nicht, könne aber zugleich Geschäftsführer sein.
Gegen dieses Urteil richtet sich die beigeladene KÄV mit ihrer am 30.12.2009 eingelegten Berufung. Auch die
Kassenärztliche Bundesvereinigung sei der Auffassung, dass der ärztliche Leiter eines MVZ in diesem zugleich
vertragsärztlicher Leistungserbringer sein müsse. Die Mitgliedschaft in der KÄV sei für den ärztlichen Leiter
erforderlich, um die Einhaltung vertragsärztlicher Pflichten durchsetzen zu können.
Die Beigeladene beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 02. Dezember 2009 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Beklagte stellt keinen Antrag, schließt sich aber den Ausführungen der Beigeladenen an.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf
und auf die in den Gerichtsakten enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur
Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beigeladenen ist unbegründet.
1. Zulässigerweise hat die Klägerin eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erhoben. Zwar sieht das
Gesetz eine förmliche Bestätigung des ärztlichen Leiters eines MVZ durch die Zulassungsgremien nicht vor. Vielmehr
besteht von Gesetzes wegen ein Genehmigungsvorbehalt nur für die Anstellung eines Arztes in einem MVZ (§ 95
Abs. 1 Satz 7 SGB V). Dabei erfasst dieser Genehmigungsvorbehalt nicht jeden vom Träger eines MVZ beschäftigten
Arzt – was auf den Kläger als Geschäftsführer der Klägerin zuträfe (zur Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-
Fremdgeschäftsführern siehe nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400
§ 7 Nr. 20) –, sondern nur – wie es in § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB V heißt – die im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung im MVZ tätigen angestellten Ärzte. Dies ergibt sich daraus, dass die Anstellungsgenehmigung
abzulehnen ist, wenn Zulassungsbeschränkungen bestehen (§ 95 Abs. 2 Satz 9 SGB V), und
Zulassungsbeschränkungen nur die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung betreffen. Doch hat die Klägerin,
weil die Teilnahme des MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung eine ordnungsgemäße ärztliche Leitung
voraussetzt, ein berechtigtes Interesse daran, die Rechtmäßigkeit der Bestellung ihres ärztlichen Leiters durch einen
feststellenden Verwaltungsakt der Zulassungsgremien bzw. im Streitfall durch eine Entscheidung des Gerichts
verbindlich klären zu lassen. Verweigern die Zulassungsgremien die beantragte Bestätigung, ist richtigerweise eine
kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) zu
erheben. Bei dieser tritt im Obsiegensfalle die Feststellung des Gerichts an die Stelle der verweigerten Bestätigung
durch die Zulassungsgremien, ohne dass es deren Verpflichtung zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts
bedarf.
2. Zu Recht hat das SG unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides des Beklagten vom 01.07.2009 festgestellt,
dass die Übertragung der ärztlichen Leitung des MVZ der Klägerin auf Dr. B. zulässig ist.
§ 95 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass MVZ fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen sind, in denen Ärzte, die
in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind (Satz 2). Sind in einem MVZ
Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, tätig, ist auch eine
kooperative Leitung möglich (Satz 5). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Gesetz verlangt für ein MVZ zwar
zwingend die Bestellung zumindest eines ärztlichen Leiters (§ 95 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB V). Der ärztliche Leiter
muss aber nicht im MVZ selbst vertragsärztliche Leistungen erbringen.
Zu der von § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V geforderten ärztlichen Leitung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom
24.06.2009 (L 1 KA 8/09 - juris Rn. 44 ff.) entschieden, dass diese von der ärztlichen Behandlungstätigkeit zu
unterscheiden ist. Dabei hat der Senat ausgeführt: Was unter der geforderten "ärztlichen Leitung" zu verstehen ist,
geht aus § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB V und § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V hervor, wonach die Einrichtung (bei den
Hochschulambulanzen und psychiatrischen Institutsambulanzen das diese betreibende Krankenhaus) fachlich-
medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung zu stehen hat. Demnach muss sich die ärztliche Leitung zum einen auf
die Einrichtung als Ganzes beziehen und wird zum anderen nur in fachlich-medizinischer Hinsicht verlangt. Zudem
ergibt sich aus § 107 SGB V, dass zwischen leitungsbezogenen Anforderungen und der fachlichen Verantwortung für
die zu erbringenden Leistungen zu unterscheiden ist (näher dazu BSG, Urteil vom 22.04.2009 - B 3 P 14/07 R - BSGE
103, 78 = SozR 4-3300 § 71 Nr. 1, jeweils Rn. 12 ff.; s.a. Wahl in: jurisPK-SGB V, § 107 Rn. 22, 27, 45): Während
das Erfordernis der ärztlichen Leitung in § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auf die Einrichtung als Ganzes abstellt und
verlangt, dass die Organisation der gesamten Betriebsabläufe in fachlich-medizinischer Hinsicht ärztlich gesteuert
werden, bezieht sich das Merkmal der ärztlichen Verantwortung in § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V auf die konkrete
Behandlung im Einzelfall. Dementsprechend wurde das Erfordernis der ärztlichen Leitung in § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB
V gestrichen, als mit der Neufassung des § 119b SGB V auch stationäre Pflegeeinrichtungen unter bestimmten
Voraussetzungen in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen wurden, obwohl diese als Ganzes regelmäßig nicht
ärztlich geleitet sind (vgl. BT-Drucks. 16/7439, S. 98).
Mit dem ärztlichen Leitungsvorbehalt, der beim MVZ nach § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V weiterhin besteht, soll
sichergestellt werden, dass in fachlich-medizinischer Hinsicht die Organisation der Betriebsabläufe des MVZ ärztlich
gesteuert wird. Wie § 95 Abs. 1 Satz 5 SGB V zeigt, muss die ärztliche Leitung nicht notwendig durch eine einzelne
Person erfolgen. Entscheidend ist nur, dass in der Leitung des MVZ als Ganzem Ärzte allein für die fachlich-
medizinischen Aufgaben zuständig sind. Diese ärztliche Leitung muss in fachlich-medizinischen Fragen von
Gesellschaftern und Geschäftsführung des MVZ weisungsunabhängig sein (Pawlita in: jurisPK-SGB V § 95 Rn. 81).
Insoweit korrespondiert der ärztliche Leitungsvorbehalt mit dem Berufsrecht, nach dem der Arzt hinsichtlich seiner
ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen darf (§ 2 Abs. 4 [Muster-
]Berufsordnung). Sind die leitungsbezogenen Anforderungen von der fachlichen Verantwortung für die zu erbringenden
Leistungen zu unterscheiden, hat der ärztliche Leiter eines MVZ nicht die unmittelbare persönliche Verantwortung für
jede konkrete Behandlung im Einzelfall zu tragen. Die ärztliche Leitung des MVZ ist nicht als persönliche Leitung der
Arztpraxis im Sinne des § 1a Nr. 25 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw. Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen zu
verstehen, die Voraussetzungen erfordert, nach denen bei in der Arztpraxis beschäftigten und angestellten Ärzten im
Hinblick auf deren Zahl, Tätigkeitsumfang und Tätigkeitsinhalt sichergestellt ist, dass der Praxisinhaber den
Versorgungsauftrag im notwendigen Umfang auch persönlich erfüllt und dafür die Verantwortung trägt. Vielmehr stellt
das Erfordernis der ärztlichen Leitung in § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V auf die Einrichtung als Ganzes ab und verlangt
allein eine ärztliche Steuerung der Organisation der gesamten Betriebsabläufe in fachlich-medizinischer Hinsicht. Eine
ärztliche Behandlungstätigkeit im konkreten Einzelfall ... ist damit nicht verbunden.
An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Vorbild für die durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) eingeführten MVZ
waren die Polikliniken des ehemaligen DDR-Gesundheitswesens, die nach § 311 Abs. 2 SGB V als ärztlich geleitete
Gesundheitseinrichtungen weiterhin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen dürfen (Behnsen, KH 2004, 602,
602 f.). Diesem Vorbild entspricht es nicht nur, dass auch für das MVZ eine ärztliche Leitung verlangt wird. Vielmehr
ist auch die Rechtsstellung der im MVZ angestellten Ärzte derjenigen der in den Gesundheitseinrichtungen nach § 311
Abs. 2 SGB V angestellten Ärzte nachgebildet (Möller, GesR 2004, 456, 457 f.). Zu dem Erfordernis einer ärztlichen
Leitung in § 311 Abs. 2 SGB V heißt es in den Materialien zum Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 (BGBl. I
S. 2266), das diese Gesundheitseinrichtungen durch Aufhebung der ursprünglich vorgesehenen Befristung dauerhaft
in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen hat: Zu diesen Einrichtungen zählten auch jene, die im Rahmen einer
kommunalen oder freigemeinnützigen Dachorganisation administrativ und wirtschaftlich zentral geleitet werden,
solange "innerorganisatorisch die medizinischen Sachfragen durch eine ärztlich herausgehobene Vertretung geregelt
werden" (BT-Drucks. 12/3937, S. 9). Hieraus folgt: Zweck des Erfordernisses einer ärztlichen Leitung ist es, in
ärztlichen Angelegenheiten eine Einflussnahme durch Nichtärzte zu verhindern. Dies gilt nicht nur für die
Gesundheitseinrichtungen nach § 311 Abs. 2 SGB V und die ihnen nachgebildeten MVZ, sondern für alle anderen
Einrichtungen, bei denen das SGB V eine ärztliche Leitung fordert. Denn eine solche Leitung verlangt das SGB V
immer dann, wenn als Leistungserbringer nicht Ärzte, sondern andere Personen in Betracht kommen. Das Erfordernis
einer ärztlichen Leitung soll institutionell gewährleisten, dass der in dieser Einrichtung arbeitende Arzt seine ärztliche
Tätigkeit in Einklang mit seiner Berufspflicht ausüben kann, hinsichtlich seiner ärztlichen Entscheidung keine
Weisungen von Nichtärzten entgegenzunehmen (§ 2 Abs. 4 [Muster]-Berufsordnung). Durch welche
organisationsrechtlichen Regelungen im Einzelnen diese ärztliche Weisungsfreiheit abzusichern ist, schreibt das
Gesetz nicht vor. Er reicht daher, wenn das MVZ über einen ärztlichen Leiter verfügt, der für die Organisation der
ärztlichen Versorgung verantwortlich ist; nicht erforderlich ist es, dass ihm bei der ärztlichen Behandlung der
Einzelfälle ein fachspezifisches Weisungsrecht zustehen muss (Behnsen, KH 2004, 602, 606). Die Ausübung dieser
Leitungsfunktion setzt die Mitwirkung an der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen nicht voraus.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vergleich mit der Organisationsstruktur von Krankenhäusern. Deren Leitung
wird herkömmlich funktional in medizinischen Dienst, Pflegedienst und Verwaltung aufgegliedert, wobei die Leitung
des medizinischen Dienstes dem ärztlichen Direktor vorbehalten ist (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 2 Sächsisches
Krankenhausgesetz). Dem ärztlichen Direktor sind die Chefärzte, d.h. die leitenden Ärzte von Fachabteilungen oder
Funktionsbereichen, nachgeordnet, ohne dass damit eine fachliche Weisungsabhängigkeit verbunden wäre (Ricken in:
Huster/Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 11 Rn. 7). Dagegen vertritt der Chefarzt seine Fachabteilung oder in seinem
Funktionsbereich sein Fachgebiet medizinisch selbständig. Er ist für Diagnostik und Therapie bei allen Patienten
seiner Fachabteilung oder seines Funktionsbereichs verantwortlich, trägt rechtlich die Gesamtverantwortung für die
ärztliche Versorgung der Patienten und ist in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht fachlich
weisungsberechtigter Vorgesetzter des ärztlichen wie des medizinisch-technischen Personals (Wigge in:
Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl., § 6 Rn. 71). Eine derart intensive Einbeziehung in die
Behandlungstätigkeit verlangt das Gesetz dem ärztlichen Leiter eines MVZ schon deshalb nicht ab, weil in dieser
fachübergreifenden Einrichtung seiner fachlichen Einflussnahme Grenzen gesetzt sind und er Ärzten anderer
Fachgebiete keine fachspezifischen Weisungen erteilen darf (Behnsen, KH 2004, 602, 606). Daher ist der ärztliche
Leiter eines MVZ nicht mit dem Chefarzt an einem Krankenhaus, sondern lediglich mit dessen Ärztlichen Direktor
vergleichbar. Der ärztliche Leiter eines MVZ muss folglich nicht wie ein Chefarzt die ärztliche Verantwortung für jede
einzelne Behandlungsmaßnahme tragen. Vielmehr genügt es, wenn ihm die Steuerung der Betriebsabläufe in fachlich-
medizinischer Hinsicht vorbehalten ist.
Ist folglich die ärztliche Leitung des MVZ von der darin stattfindenden Behandlungstätigkeit zu unterscheiden, gibt das
Gesetz keine Handhabe dafür, vom ärztlichen Leiter eines MVZ die Erbringung vertragsärztlicher Leistungen für das
MVZ zu verlangen (so auch Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, 5. Aufl., Rn. 440;
Orlowski/Halbe/Karch, Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, 1. Aufl., S. 89; Möller, MedR 2007, 263, 265 – anders
Bäune in: Bäune/Meschke/Rothfuß, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Anh. zu § 18 Rn. 71, der allerdings
a.a.O. Rn. 69 davon ausgeht, dass der ärztliche Leiter eines MVZ wie der Chefarzt eines Krankenhauses die
Gesamtverantwortung für die ärztliche Versorgung der Patienten trägt).
Erforderlich ist lediglich eine effektive Ausübung der Leitungsaufgaben durch den ärztlichen Leiter. Dies kann bei
externen Ärzten Probleme aufwerfen. Eine zeitlich stark beschränkte Tätigkeit mit schwerer Erreichbarkeit oder gar
die bloße formale Übertragung der Leitungsfunktion genügt nicht. Dies bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner
weiteren Vertiefung. Denn Dr. B. ist als Geschäftsführer der Klägerin am Sitz des MVZ in Vollzeit tätig und nimmt
auch nach den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen die Tätigkeit als ärztlicher Leiter in Vollzeit und mit der
erforderlichen Präsenz im MVZ wahr.
3. Zu keiner anderen Beurteilung führen die möglichen Lücken in der disziplinarrechtlichen Verantwortung, auf die sich
die Beigeladene und der Beklagte berufen. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen. Ergänzend weist der Senat
auf Folgendes hin:
Anders als das MVZ, das nur durch die bei ihm tätigen Ärzte handeln kann und daher für deren Verhalten einstehen
muss, braucht sich der ärztliche Leiter eines MVZ nur eigenes Fehlverhalten zurechnen zu lassen. Das Fehlverhalten
der am MVZ tätigen Ärzte stellt sich aber nicht ohne Weiteres als Fehlverhalten des ärztlichen Leiters dar, da dieser
mit der Leitungsfunktion nicht die Verantwortung für jede einzelne Behandlungsmaßnahme übernimmt – die er, wenn
sie nicht sein Fachgebiet betrifft, ohnehin nicht durch fachliche Weisungen beeinflussen kann. Aus diesem Grunde
können selbst bei einer KÄV-Mitgliedschaft des ärztlichen Leiters eines MVZ Lücken in der disziplinarrechtlichen
Verantwortung bestehen, wenn vertragsärztliche Pflichten durch unterhalbtags beschäftigte Ärzte verletzt werden.
Für andere ärztlich geleitete Einrichtungen sieht § 95 Abs. 4 Satz 2 SGB V mit dem Verweis auf § 81 Abs. 5 SGB V
vor, dass diese selbst der Disziplinargewalt der KÄV unterworfen sind (dazu Wenner, Vertragsarztrecht nach der
Gesundheitsreform, § 30 Rn. 4). Das Fehlen eines entsprechenden Verweises für MVZ mag darauf beruhen, dass
dafür bei Erlass des GMG wegen der KÄV-Mitgliedschaft der im MVZ tätigen Ärzte (siehe § 95 Abs. 3 Satz 2 SGB V
in der Fassung des GMG) keine Notwendigkeit gesehen wurde. Beim Ausschluss der unterhalbtags beschäftigten
Ärzte aus der KÄV-Mitgliedschaft durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22.12.2006 (BGBl. I S. 3439)
mit Einfügung eines zweiten Satzes an § 77 Abs. 3 SGB V wurden die Folgen für die disziplinarrechtliche
Verantwortung nicht bedacht; die Gesetzesmaterialien beziehen sich lediglich auf die mit der KÄV-Mitgliedschaft
verbundenen Rechte, nicht aber auf die darin wurzelnden Pflichten (BT-Drucks. 16/2474, S. 20). Hieraus kann jedoch
nicht der Schluss gezogen werden, dass für die Bestellung zum ärztlichen Leiter eines MVZ die Erbringung
vertragsärztlicher Leistungen – zudem im Umfang mindestens einer Halbtagstätigkeit – und dadurch vermittelt eine
Mitgliedschaft in der KÄV verlangen ist. Vielmehr ist gerade für die Unterwerfung unter die Disziplinargewalt der KÄV
eine klare gesetzliche Regelung erforderlich. Diese besteht aber nicht, weil – wie oben unter 2. dargelegt wurde – die
ärztliche Leitung eines MVZ nicht eine Behandlungstätigkeit voraussetzt.
Im Übrigen ist im Auge zu behalten, dass die Disziplinargewalt der KÄV nicht das einzige und auch nicht das zentrale
Instrument darstellt, um die ordnungsgemäße Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten sicherzustellen. Insbesondere
kann die gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch unterhalbtags beschäftigte Ärzte dazu führen, dass
die Zulassungsgremien dem MVZ die Zulassung entziehen (§ 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 und 3
Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision wurde gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen,
ob der ärztliche Leiter eines MVZ dort selbst vertragsärztliche Leistungen erbringen muss.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und entspricht
derjenigen im erstinstanzlichen Verfahren.