Urteil des LSG Saarland vom 18.01.2006

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LSG Saarbrücken Urteil vom 18.1.2006, L 2 U 165/01
gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - arbeitstechnische Voraussetzung - Mainz-
Dortmunder-Dosismodell - bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule -
Gesamtbelastungsdosis - Bergmann - Spulenwechsler - Maschinenbestücker - Tuchspüler
Leitsätze
Zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordungen nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-
Modell (MDD).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
22.10.2001 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der
Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1943 geborene Kläger absolvierte von 1957 bis 1960 bei den S.-werken in der Grube
K. eine Bergmannslehre und arbeitete anschließend bis Mai 1963 als Knappe unter Tage.
Von Juni bis August 1963 war er als Hilfsarbeiter bei Verschalarbeiten im Brückenbau bei
der Firma A. tätig.
Von November 1963 bis Juli 1965 war er bei der Schachtbaufirma L. im Streckenvortrieb in
der Grube R. beschäftigt.
Von Juli 1965 bis Dezember 1966 arbeitete er in der Herstellung von Schalldämpfern bei
dem KFZ-Zulieferbetrieb E.
Von Januar 1967 bis Juni 1968 leistete er den Wehrdienst.
Von Juli 1968 bis August 1971 war er wiederum am selben Arbeitsplatz in der Firma E.
beschäftigt.
Von September 1971 bis August 1994 arbeitete er bei der Firma M. in H. an
verschiedenen Arbeitsplätzen in der Produktion, zuletzt von Dezember 1981 bis August
1994 als Tuchspüler.
Von September 1994 bis August 1997 arbeitete er bei der Firma S + G S. S., einer
Gebäudereinigung, die ihn als Tuchspüler bei der Firma M. am früheren Arbeitsplatz
einsetzte. Diese Arbeitstätigkeit war von der Firma M. ausgelagert worden.
Von September 1997 bis Februar 1999 war der Kläger bis zur Aussteuerung
arbeitsunfähig erkrankt und danach bis Mai 2003 arbeitslos.
Seit Mai 2003 bezieht er Altersrente.
Mit Schreiben vom 19.07.2000 erstattete der Orthopäde Dr. Be. wegen
Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers eine Berufskrankheitenanzeige. Beim Kläger
bestünden eine chronisch rezidivierende Lumbago und eine Osteochondrose L5/S1, die er
auf das Heben und Tragen schwerer Lasten zurückführe.
Die Beklagte zog Berichte des Dr. Be. (vom 17.08.2000) und des Orthopäden Dr. W. (vom
05.09.2000) bei und holte eine beratungsärztliche Stellungnahme (vom 20.12.2000) bei
Dr. K. ein. Dieser vertrat die Auffassung, beim Kläger liege ein umschriebener, der
alterskorrigierten Norm voranschreitender bandscheibenbedingter Schaden in Höhe L5/S1
vor, belastungsadaptive Phänomene seien nicht nachgewiesen, von einer Proximalisierung
der Spondylose könne nicht die Rede sein. Es liege kein belastungskonformes Schadensbild
und damit auch keine Berufskrankheit nach Nr. 2108 vor.
Mit Bescheid vom 09.02.2001 lehnt die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger bei
seinen Beschäftigungen in den Firmen M. und S + G Systeme überhaupt
wirbelsäulenbelastend tätig gewesen sei. Nach fachärztlicher Einschätzung sei das bei ihm
vorliegende medizinische Schadensbild der Wirbelsäule nicht Folge einer beruflichen
körperlichen Arbeit durch Heben und Tagen schwerer Lasten bzw. Arbeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung im Sinne der BKV. Bei solchen Arbeiten wäre zu erwarten, dass es im
unteren Bereich der Lendenwirbelsäule zu osteochondrotischen Veränderungen und im
oberen Bereich zu einer Spondylose komme. Zudem müssten die Veränderungen als Alters
überdurchschnittlich eingestuft werden können. Da dies beim Kläger nicht der Fall sei,
könne eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht anerkannt werden.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2001
zurückgewiesen.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Klage mit Urteil vom 22.10.2001
abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, beim Kläger liege eine beruflich bedingte
Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht vor. Fraglich sei bereits, ob er überhaupt
wirbelsäulenbelastend im Sinne der BKV tätig gewesen sei. Hierauf komme es jedoch nicht
an, da die bei ihm bestehenden Beschwerden degenerativer Art und nicht der beruflichen
Belastung anzulasten seien. Dr. Be. führe in seinem Gutachten vom 17.08.2000 aus, dass
der Kläger unter einem komplexen Krankheitsbild im Bereich des Bewegungs- und
Stützapparates, hier vorwiegend im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule leide. Diesem
klinischen Befund entsprachen radiologisch eine weit fortgeschrittene
bandscheibenbedingte Erkrankung im Lendenwirbelsäulensegment L5/S1 und degenerative
Veränderungen im Bereich der Brust- und unteren Halswirbelsäule sowie im linken
Kniegelenk. Wenn aber bereits degenerative Veränderungen im Bereich der Brust- und
Halswirbelsäule bestünden, die nachweislich beruflich überhaupt nicht belastet seien, so sei
nicht nachvollziehbar, dass diese Beschwerden einerseits degenerativer Art sein sollten,
andererseits die im Lendenwirbelsegment L5/S1 vorgefundenen Schäden auf die berufliche
Belastung zurückzuführen seien. Es spreche vielmehr alles dafür, dass auch diese Schäden
anlagebedingt, d.h. degenerativer Art seien.
Gegen dieses ihm am 29.11.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am
04.12.2001 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Er trägt vor, es sei für ihn nicht nachvollziehbar, inwieweit das SG zu dem Schluss gelangt
sei, es sei bereits fraglich, ob er überhaupt wirbelsäulenbelastend im Sinne der BKV tätig
gewesen sei. Insbesondere seine Tätigkeit von 1971 bis 1994 bei der Firma M. als
Tuchspüler sei bei dieser Begründung unberücksichtigt geblieben. Soweit das SG ausführe,
dass die Beschwerden degenerativer Art und nicht der beruflichen Belastung anzulasten
seien und sich hierzu den Ausführungen des Orthopäden Dr. Be. in seinem Gutachten vom
17.08.2000 anschließe, sei festzustellen, dass Dr. Be. in seiner zusammenfassenden
Beurteilung gerade keine Ausführungen dazu mache, worauf seine – des Klägers –
Erkrankungen zurückzuführen seien. Soweit das SG die Behauptung aufstelle, alles spreche
dafür, dass die Schäden im Lendenwirbelsäulensegment L5/S1 anlagebedingt seien, habe
es einer medizinischen Beurteilung dieser Frage vorgegriffen, ohne zuvor eine medizinische
gutachterliche Abklärung durchgeführt zu haben. Das SG habe sich gedrängt fühlen
müssen, den medizinischen Sachverhalt weiter aufzuklären.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 22.10.2001 und den Bescheid der
Beklagten vom 09.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2001
aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage
zur BKV vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie legt Stellungnahmen (vom 02.11.2001, 04.09.2002 und 18.08.2004) ihres
Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) mit Belastungsermittlungen an den Arbeitsplätzen
des Klägers sowie ein Zusammenhangsgutachten (vom 13.01.2005) der Dres. T. und
Sch. vor und vertritt die Auffassung, dass sowohl die arbeitstechnischen als auch die
medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 nicht gegeben seien.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten; der Inhalt der Beiakte
war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Einholung
eines arbeitsmedizinischen Gutachtens bei dem PD Dr. B.-A. nebst eines orthopädischen
Zusatzgutachtens von Dr. S., eines neurologischen Zusatzgutachtens von Dr. Ki. sowie
einer MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule durch PD Dr. Ri. Hinsichtlich des
Ergebnisses wird auf die schriftlichen Gutachten und Berichte vom 29.04.2004,
20.06.2003, 28.11.2003 und 13.06.2003 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für die
Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht gegeben sind.
Berufskrankheiten nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer
Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können.
Es kann dahinstehen, ob beim Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die
Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt wären. Der Sachverständige PD Dr. B.-A. hat den
Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der bei ihm
diagnostizierten bandscheibenbedingten Erkrankung bejaht mit der Begründung, der Kläger
sei einer langjährigen beruflichen Einwirkung durch Heben oder Tragen schwerer Lasten mit
einer Überschreitung der MDD-Gesamtdosis ausgesetzt gewesen, es habe sich eine
bisegmentale bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer
fortgeschrittenen Osteochondrose L5/S1 mit hochgradiger Höhenminderung der
Bandscheibe sowie einer Osteochondrose L4/L5 mit dorsalseitig mäßiggradiger
Höhenminderung gefunden, das Ausmaß der lumbalen Degeneration sei als deutlich dem
Alter voranschreitend zu bezeichnen, die bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule habe zu Funktionsstörungen auf orthopädischem und neurologischem
Fachgebiet geführt und es fänden sich keine Hinweise für außerberuflich bedingte
konkurrierende Faktoren. Die Orthopäden Dres. T. und Sch. haben dieser Auffassung in
ihrem von der Beklagten vorgelegten Gutachten vom 13.01.2005 entgegen gehalten, vom
TAD seien bereits anhand einer detaillierten Berechnung die arbeitstechnischen
Voraussetzungen verneint worden, entscheidend sei aber, dass einerseits schon eine
bandscheibenbedingte Erkrankung nicht sicher zu belegen sei und insbesondere aber die
Belastungskonformität des Schadensbildes fehle.
Diese medizinischen Streitfragen können aber im Ergebnis offen bleiben, da entgegen der
Auffassung des Sachverständigen Dr. B.-A. im Fall des Klägers bereits die sogenannten
arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 nicht gegeben sind.
Zur Beurteilung der versicherten Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108
orientiert sich der erkennende Senat in seiner Rechtsprechung (siehe etwa die Urteile vom
30.10.2001 – L 2 U 102/00 und vom 21.11.2001 – L 2 U 37/01) an den Vorgaben des
Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells (MDD). Das Bundessozialgericht (BSG; Urteile vom
18.03.2003 – B 2 U 13/02 R und vom 19.08.2003 – B 2 U 1/02 R) hat diesen Ansatz als
rechtlich nicht zu beanstanden angesehen und geht ebenfalls davon aus, dass das MDD
nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand ein geeignetes Modell zur
Feststellung der schädigenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108
darstellt.
Das MDD geht davon aus, dass bei Männern nur Lastgewichte zu berücksichtigen sind, die
mit einer Druckkraft von wenigstens 3.200 N (3,2 x 10 hoch 3 N) auf die Bandscheiben
L5/S1 einwirken. Nach dem MDD gilt eine Tätigkeit für männliche Beschäftigte als
belastend, wenn sie mit einer Tagesdosis von mindestens 5.500 Nh (5,5 x 10 hoch 3 Nh)
verbunden ist. Die Gesamtbelastungsdosis während der gefährdenden Beschäftigung muss
den Richtwert von 25 x 10 hoch 6 Nh erreichen, um die arbeitstechnischen
Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 zu erfüllen. Die Werte des MDD sind
keine Grenz-, sondern allenfalls Orientierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des
medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung
darstellen. Bei einem deutlichen Unterschreiten der erforderlichen Belastungsdosis ist eine
medizinische Beweisaufnahme entbehrlich (BSG vom 19.08.2003 a.a.O.).
Der Sachverständige Dr. B.-A. hat den Kläger arbeitsanamnestisch zu den Belastungen an
den einzelnen Arbeitsplätzen befragt. In seinem Gutachten hat er erläuternd dargelegt, bei
den Werten des MDD für die Druckkraft Fi, die Beurteilungsdosis Dr sowie die Gesamtdosis
DH handele es sich nicht um Grenz-, sondern allenfalls um Orientierungswerte. Hartung,
einer der Koautoren des MDD-Verfahrens, habe empfohlen, dass nur bei einer deutlichen
Unterschreitung der MDD-Richtwerte für die Druckkraft, die Beurteilungsdosis und die
Gesamtdosis die beruflichen Voraussetzungen zur Entwicklung einer Berufskrankheit 2108
verneint werden sollten. Dies begründe er mit den erheblichen Ermittlungsschwierigkeiten
in Bezug auf die retrospektive Abschätzung von beruflichen Wirbelsäulenbelastungen über
Zeiträume von teilweise mehreren Jahrzehnten. Den Begriff „deutliche Unterschreitung"
interpretiere er mit <80 %. Entsprechend dieser Empfehlung sei er – Dr. B.-A. – bei der
Bewertung der beruflichen Wirbelsäulenbelastung des Klägers davon ausgegangen, dass
bei folgenden Werten eine berufliche Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit 2108
verneint werden könne:
1. Druckkraft Fi <2.560 N (<80 % des MDD-Richtwertes von 3.200 N)
2. Beurteilungsdosis Dr <4.400 Nh (<80 % des MDD-Richtwertes von 5.500 Nh)
3. Gesamtdosis DH <20 x 10 hoch 6 Nh (<80 % des MDD-Richtwertes von 25 x 10 hoch
6 Nh).
Von diesem Ansatz ausgehend, hat Dr. B.-A. folgende Belastungen des Klägers an den
verschiedenen Arbeitsplätzen ermittelt:
S.-werke und Firma L. (11/1957 – 05/1963 und 11/1963 – 07/1965):
Bei der Arbeit als Knappe unter Tage nach der Bergmannslehre habe der Kläger zu 50 %
der Arbeitszeit Kohle geschaufelt. Ansonsten habe er im Ausbau gearbeitet.
Wirbelsäulenbelastungen seien durch beidhändiges Heben von ca. 25 Kappen pro Tag mit
einem Lastgewicht von ca. 25 kg und ca. 25 Stempeln mit einem Lastgewicht von ca. 35
kg, die zu zweit gehoben worden seien, aufgetreten. Im Streckenvortrieb unter Tage bei
der Firma L. habe der Kläger Schießlöcher mit schwerem Bohrhammer zu 75 % der
Arbeitszeit hergestellt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hab er ca. fünf Stunden pro Tag
Schaufelarbeiten durchgeführt, die übrigen 25 % der Arbeitszeit habe er im Ausbau
gearbeitet und dabei Bogenteile mit einem Lastgewicht von ca. 30 kg ca. drei Stück pro
Tag angehoben.
Das Schaufeln von Kohlen und Bohrschutt sei als belastend im Sinne der BK-Nr. 2108
anzunehmen. Beim Schaufeln handele es sich nach einer Studie von J. et al. um einen
kombinierten Hebe- und Umsetzvorgang mit dem Hilfsmittel „Schaufel", das zu einer
Druckkraft auf die Bandscheibe L5/S1 in Höhe von 4.500 N führe. In Absprache mit dem
Autor, PD Dr. J., werde die Dauer des Hebe- und Umsetzvorganges „Schaufeln" mit 3,5
Sekunden und die Häufigkeit mit 150/Stunde angenommen.
Für die Tätigkeit bei den S.-werken ergebe sich eine MDD-Gesamtdosis von 13,3 x 10 hoch
6 Nh und für die Tätigkeit bei der Firma L. von 4,4 x 10 hoch 6 Nh.
Firma A. (06/1963 – 08/1963):
Bei der Tätigkeit als Hilfsarbeiter bei Verschalarbeiten seien keine Wirbelsäulenbelastungen
aufgetreten.
Firma E. (07/1965 – 12/1996 und 07/1968 – 08/1971):
Hier habe der Kläger in der Herstellung von Schalldämpfern an einer Presse ohne Heben
oder Tragen schwerer Lasten gearbeitet.
Bundeswehr (01/1967 – 06/1968):
Nach der Grundausbildung habe der Kläger als Kraftfahrer ohne Wirbelsäulenbelastungen
gearbeitet:
Firma M. (09/1971 – 08/1994):
Von 09/1971 – 02/1972 sei der Kläger an einem Kalander beschäftigt gewesen. Er habe
Gummiplatten mit einem Lastgewicht zwischen 4 – 8 kg mit einer Häufigkeit von etwa
Tausend pro Schicht angehoben und auf einem Förderband abgelegt.
Von 03/1972 – 03/1973 sei der Kläger als Spulenwechsler beschäftigt gewesen. Er habe
250 mal pro Schicht Drahtspulen mit einem Lastgewicht von ca. 25 kg aufgehoben und auf
Achsen in Höhe zwischen 30 und 160 cm aufgesteckt.
Von 04/1973 – 07/1975 sei der Kläger als Drahtkernwickler beschäftigt gewesen. Es habe
sich um eine leichte körperliche Arbeit gehandelt, bei der Drahtkerne mit einem
Lastgewicht zwischen 1 und 4 kg hätten gehandhabt werden müssen.
Von 08/1975 – 09/1975 sei der Kläger als Maschinenbestücker an Reifenaufbaumaschinen
tätig gewesen. Er habe Rollen mit Reifenprodukten mit einem Durchmesser von 130 cm
gerollt. Kleinere Materialrollen mit einem Durchmesser von etwa 30 cm und einem Gewicht
von ca. 40 kg habe er etwa 30 mal pro Schicht vom Boden angehoben und in Kopfhöhe
abgelegt.
Von 10/1975 – 12/1975 habe er als Reifenwickler der Karkassen ohne
Wirbelsäulenbelastungen gearbeitet.
Von 01/1976 – 11/1981 sei er als Maschinenbestücker an der
Drahtgürtelschneidemaschine beschäftigt gewesen. Er habe ca. 40 Drahtrollen pro Tag mit
einer Breite von 100 mm und einem Gewicht von 15 kg in einer Höhe von 1 – 2 m
abgenommen und auf einer Palette auf Bodenhöhe abgesetzt. Derselbe Arbeitsvorgang sei
mit ca. 60 Rollen pro Tag mit einer Breite von 250 mm und einem Gewicht von jeweils 25
kg und ca. 60 Rollen pro Tag mit einer Breite von 500 mm und einem Gewicht von
ebenfalls ca. 25 kg erfolgt.
Von 12/1981 – 08/1994 sei der Kläger als Tuchspüler beschäftigt gewesen. Er habe ca. 50
Rollen mit Gummikern und 100 mm Tuch mit einem Gewicht von ca. 9 kg von Bodenhöhe
angehoben und in einer Maschine in Tischhöhe abgesetzt. Derselbe Arbeitsvorgang sei bei
120 Rollen mit Gummikern und 250 mm Tuch pro Tag mit einem Gewicht von 12 kg, ca.
30 Rollen mit Gummikern und 500 mm Tuch pro Tag mit einem Gewicht von 15 kg und
ca. 15 Rollen mit Stahlkern und 250 mm Tuch pro Tag mit 40 kg pro Rolle erfolgt.
Bei der Errechnung der MDD-Gesamtdosis seien die Zeiten 09/1971 – 02/1972, 04/1973
– 07/1975 und 08/1975 – 09/1975 nicht zu berücksichtigen, weil die Beurteilungsdosis in
diesen Zeiten deutlich unter dem MDD-Richtwert von 5.500 Nh liege. Für die übrigen
Zeiten ergebe sich folgende MDD-Gesamtdosis:
von 03/1972 – 03/1973 2,2 x 10 hoch 6 Nh,
von 01/1976 – 11/1981 6,5 x 10 hoch 6 Nh und
von 12/1981 – 08/1994 12,3 x 10 hoch 6 Nh.
Firma S + G S. S. (09/1994 – 08/1997):
Für diese Firma habe der Kläger als Tuchspüler bei der Firma M. am gleichen Arbeitsplatz
wie im letzten Beschäftigungsverhältnis gearbeitet.
Es ergebe sich für diese Zeit eine MDD-Gesamtdosis von 2,9 x 10 hoch 6 Nh.
Zusammenfassend hat Dr. B.-A. eine MDD-Gesamtdosis von 41,7 x 10 hoch 6 Nh
errechnet.
Dieser Berechnungsweise des Sachverständigen Dr. B.-A. vermag der Senat jedoch nicht
zu folgen. Es ist zutreffend, dass es sich bei den Werten des MDD nicht um Grenz-,
sondern um Orientierungswerte handelt. Dies führt aber nicht zwangsläufig dazu, eine
wirbelsäulenbelastende Tätigkeit bereits dann anzunehmen, wenn diese Werte zu 80 %
erreicht sind. Dr. B.-A. begründet diese Vorgehensweise mit den erheblichen
Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf die retrospektive Abschätzung von beruflichen
Wirbelsäulenbelastungen in länger zurückliegenden Zeiten. Auch dem Senat sind diese
Ermittlungsschwierigkeiten bekannt. Ihnen kann aber auch ohne pauschale Absenkung der
Richtwerte nach dem MDD Rechnung getragen werden. Soweit verlässliche Feststellungen
zu Art und Ausmaß der Belastungen an den einzelnen Arbeitsplätzen durch die TAD’s nicht
mehr zu treffen sind, etwa weil die Firma oder der Arbeitsplatz nicht mehr existieren, kann
auf die eigenen Angaben des Versicherten, soweit sie plausibel oder durch weitere
Ermittlungen zu belegen sind, zurückgegriffen und so eine „worst case"-Betrachtung
durchgeführt werden, die dann Grundlage der Beurteilung anhand der Richtwerte des MDD
und gegebenenfalls erforderlich werdender weiterer medizinischer Erhebungen sein kann.
Im vorliegenden Fall hat der TAD konkrete Feststellungen vor Ort zu den Tätigkeiten des
Klägers in der Firma M. getroffen, die belegen, dass Dr. B.-A. von teilweise unzutreffenden
Annahmen ausgegangen ist.
Bei der Tätigkeit als Spulenwechsler (03/1972 – 03/1973) geht Dr. B.-A. davon aus, dass
der Kläger Drahtspulen mit einem Gewicht von 25 kg gehoben hat. Die Drahtspulen hatten
aber lediglich ein Gewicht von 12 – 14 kg. Das Gewicht wurde vom TAD nicht durch
Schätzung, sondern durch Wägung genau bestimmt, was der TAD in seiner Stellungnahme
vom 18.08.2004 nochmals bestätigt hat. Nach den Vorgaben des MDD ist das Handhaben
von Lastgewichten unter 15 kg bei Männern nicht wirbelsäulenbelastend, da die von
solchen Lasten ausgehende Druckbelastung auf die Bandscheiben als unkritisch für die
Entstehung degenerativer Veränderungen anzusehen ist. Das Heben und Tragen von
Gewichten unter 15 kg ist daher bei der Belastungsberechnung nach dem MDD nicht zu
berücksichtigen.
Bei der Tätigkeit als Maschinenbestücker an der Drahtgürtelschneidemaschine (01/1976 –
11/1981) legt Dr. B.-A. seiner Berechnung das Heben von ca. 40 Drahtrollen mit einem
Gewicht von 15 kg und von weiteren 120 Drahtrollen unterschiedlicher Breite mit einem
Gewicht von 25 kg pro Tag zu Grunde. Die Feststellungen des TAD vor Ort haben ergeben,
dass die Gewichte der leichtesten hier zu bewegenden Materialrollen deutlich über 60 kg
lagen und die Rollen zu allen Zeiten per Hebezug bewegt wurden. Rollen mit den von Dr.
B.-A. angenommenen Gewichten von 15 und 25 kg gab es an diesem Arbeitsplatz nicht.
Schlimmstenfalls hat der Kläger Rollen mit der Zwischenlage von Hand bewegt, die
weniger als 10 kg wiegen.
Für die Tätigkeit als Tuchspüler (12/1981 – 08/1994 und 09/1994 – 08/1997) hat Dr. B.-
A. eine Beurteilungsdosis von 4.051 Nh errechnet. Dieser Wert liegt nicht nur unter dem
Richtwert des MDD von 5.500 Nh, sondern erreicht entgegen dem Ansatz von Dr. B.-A.
auch nicht 80 % des Richtwertes, worauf der TAD in seiner Stellungnahme vom
18.08.2004 zutreffend hingewiesen hat.
Nach den abschließenden Feststellungen des TAD, gegen die der Kläger zuletzt auch keine
Einwände mehr vorgebracht hat, sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen nach den
Vorgaben des MDD während der Tätigkeit des Klägers im M. Reifenwerk (09/1971 –
08/1997) nicht erfüllt.
Für die Zeit von 11/1957 – 07/1965 (S.-werke und Firma L.) hat Dr. B.-A. anhand der
anamnestischen Angaben des Klägers eine Gesamtbelastungsdosis von 17,7 x 10 hoch 6
Nh errechnet. Legt man diesen auf Schätzungen beruhenden Wert als zutreffend zu
Grunde („worst case"), beträgt die Gesamtbelastung ca. 70 % des Richtwertes. Dieser
Richtwert ist – wie bereits dargelegt – kein Grenz-, sondern ein Orientierungswert. Wird
dieser Wert deutlich unterschritten und nicht einmal grenzwertig erreicht, so sind auf
Grund eines nicht ausreichenden Ausmaßes versicherter Einwirkungen die
Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer
Ermittlungen zum Krankheitsbild oder dem medizinischen Kausalzusammenhang bedarf.
Der Senat hat bereits entschieden (siehe zuletzt Urteil vom 16.11.2005 – L 2 U 36/04),
dass eine Gesamtbelastung, die weniger als 80 % des Richtwertes beträgt, noch nicht
grenzwertig ist, so dass beim Kläger mangels ausreichender Einwirkungen die
Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
BKV nicht erfüllt sind, ohne dass die Einholung eines weiteren medizinischen
Sachverständigengutachtens, wie vom Kläger beantragt, geboten ist.
Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.