Urteil des LSG Saarland vom 19.09.2005

LSG Saarbrücken: physikalische therapie, orthopädie, pseudarthrose, einverständnis, auflage, anhörung, verfügung, röntgen, facharzt, behinderung

LSG Saarbrücken Beschluß vom 19.9.2005, L 5 B 18/04 SB
Unbrauchbares Gutachten nach § 109 SGG - keine Kostenübernahme durch Staatskasse
Leitsätze
Wenn ein zu Kontrollzwecken nachträglich eingeholtes Gutachten erweist, dass das ihm
vorausgehende, nach § 109 SGG eingeholgte Gutachten unbrauchbar ist, fehlt jede
Grundlage dafür, die durch das unbrauchbare Gutachten angefallenen Kosten noch auf die
Staatskasse zu übernehmen.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts für das Saarland vom
11. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren geht es noch um die Kosten eines nach § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens.
Zwischen den Beteiligten ist streitig gewesen, wie hoch die Gesundheitsstörungen des
Klägers nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen – (SGB IX) zu bewerten sind.
Mit Bescheid vom 25. Mai 1999 hatte der Beklagte bei dem am 1943. geborenen Kläger
einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Der Widerspruch des Klägers
dagegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1999).
Im Klageverfahren hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat Beweis erhoben durch Einholung eines
internistischen Gutachtens des Prof. Dr. R.S., Chefarzt der Medizinischen Klinik des K.S.,
vom 06. April 2000, der einen Gesamt-GdB von 30 empfohlen hat.
Der Sachverständige Dr. F., Arzt für Orthopädie, physikalische Therapie, Rheumatologie,
Sportmedizin und Chirotherapie, H., hat in seinem nach § 106 SGG erstatteten Gutachten
vom 11. Mai 2000 ebenfalls einen GdB von 30 für ausreichend gehalten.
Auf Antrag des Klägers hat das SG gemäß § 109 SGG ein fachorthopädisches Gutachten
des Sachverständigen Dr. B., Facharzt für Orthopädie, F., vom 20. Oktober 2001
eingeholt, wobei dieser Sachverständige einen Gesamt-GdB von 50 empfohlen hat.
Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 01. Dezember 2000 sodann bereit erklärt, den
Gesamt-GdB ab Mai 1999 mit 40 zu bewerten. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger
nicht angenommen.
Der um Stellungnahme gebetene Sachverständige Dr. F. hat in seinen ergänzenden
Ausführungen vom 27. April 2003 die Auffassung des Sachverständigen Dr. B. nicht geteilt,
nunmehr aber einen GdB von 40 für gerechtfertigt gehalten.
Dieser Meinung ist der ebenfalls um Stellungnahme gebetene Sachverständige Dr. B. in
seiner schriftlichen Ausführung vom 04. August 2003 entgegengetreten.
Das SG hat sodann den Sachverständigen Dr. V. Arzt für Orthopädie, Rheumatologie,
physikalische Therapie, Unfallarzt, Saarbrücken, von Amts wegen mit der Erstattung eines
fachorthopädischen Gutachtens beauftragt.
Der Sachverständige Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 03. November 2003 ausgeführt,
er gelange zu der gleichen Einschätzung wie der Sachverständige Dr. F. Insbesondere die
von dem Sachverständigen Dr. B. beschriebene Instabilität im Bereich der
Lendenwirbelsäule (LWS) könne er nicht nachvollziehen. Er habe röntgen-morphologisch bei
dem Kläger nur eine praesakrale Arthrose gefunden. Unverständlich sei für ihn auch, dass
der Sachverständige Dr. B. feststelle, der Gesamt-GdB im Bereich des Bewegungs- und
Stützapparates beim Kläger sei am ehesten vergleichbar mit einer straffen Pseudarthrose
des Oberschenkels, einer einseitigen Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke stärkeren
Grades oder einer Lockerung des Knieapparates mit deutliches Achsfehlstellung. Solche
Feststellungen habe er bei der Untersuchung des Klägers nicht treffen können.
Im Einverständnis mit den Beteiligten hat das SG mit Urteil vom 17. Mai 2004 die Klage
abgewiesen. Das SG hat seine Überzeugung, dass der GdB beim Kläger zu Recht mit 30
bewertet sei, insbesondere auf die von Amts wegen eingeholten Gutachten der Dres. F.
und V. sowie des Prof. Dr. R.S. gestützt und ausgeführt, den Feststellungen des
Sachverständigen Dr. B. nicht folgen zu können.
Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2004 hat das SG den Antrag des Klägers, die nach § 109 SGG
entstandenen Gutachterkosten auf die Staatskasse zu übernehmen, zurückgewiesen, weil
das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. für den Ausgang des Rechtsstreites nicht
bedeutsam gewesen sei.
Gegen diesen Beschluss, dem Kläger am 24. Juni 2004 zugestellt, hat dieser mit
Schriftsatz vom 07. Juli 2004, am selben Tag beim SG eingegangen, Beschwerde
eingelegt. Die Feststellungen des Sachverständigen Dr. B., so der Kläger, hätten wesentlich
zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen, weil diese dem SG Veranlassung gegeben hätten,
ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.
Der Kläger begehrt deshalb die Übernahme der Kosten des Gutachtens Dr. B. – zumindest
teilweise – auf die Staatskasse.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Der Kammervorsitzende hat der Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen und diese mit
Verfügung vom 18. August 2004 dem angerufenen Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Die Kosten für das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. sind, wie das SG zu Recht
entschieden hat, nicht auf die Staatskasse zu übernehmen.
Nach § 109 Abs. 1 SGG muss auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich
gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der
Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des
Gerichts endgültig trägt.
Eine andere Entscheidung des Gerichts, die also den Kläger von der Pflicht befreit,
Begutachtenskosten endgültig tragen zu müssen, ist grundsätzlich nur gerechtfertigt,
wenn das Gutachten für die Entscheidung oder den sonstigen Ausgang des Rechtsstreits
von Bedeutung gewesen ist (vgl. zur Problematik: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG,
8. Auflage, § 109 SGG, Rdnr. 16 a ).
Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der von Amts wegen ermittelte Sachverhalt durch
den nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen lediglich erweitert worden ist.
Voraussetzung ist vielmehr, dass der Sachverständige dem Gericht neue rechtserhebliche
medizinische Erkenntnisse verschafft. Daran fehlt es, wenn durch das nach § 109 SGG
eingeholte Gutachten nur das bestätigt wird, was aufgrund der von Amts wegen
eingeholten Gutachten zur Überzeugung des Gerichts schon feststeht. Auch eine andere,
für den Kläger günstige GdB-Bewertung rechtfertigt es grundsätzlich nicht, die Kosten für
das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten auf die Landeskasse zu übernehmen (vgl. zur
Problematik: Beschluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
04. Juli 2002, AZ: L 10 B 8/02 SB).
Das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. hat dem SG im Ergebnis keine neuen
rechtserheblichen Erkenntnisse vermittelt. Vielmehr hat das SG seine Entscheidung
aufgrund der von Amts wegen eingeholten Gutachten des Prof. Dr. R.S. und des Dr. F. –
bestätigt durch das von Dr. V. erstattete Gutachten - treffen können.
Der Sachverständige Dr. V. hat in seinem Gutachten ausgeführt, zur gleichen Einschätzung
wie schon zuvor der Sachverständige Dr. F. gekommen zu sein. Die Instabilität, die der
Sachverständige Dr. B. im Bereich der LWS vorgefunden habe, habe er nicht feststellen
können. Auch die Schlussfolgerung bezüglich der Festlegung des Gesamt-GdB im Bereich
des Bewegungs- und Stützapparates habe er, der Sachverständige Dr. V. so nicht
nachvollziehen können.
Mithin hat das Gutachten des Dr. B. keine neuen rechtserheblichen Erkenntnisse gebracht
und das Gericht insbesondere auch nicht in die Lage versetzt, den Rechtsstreit auf Grund
dessen verfahrensfehlerfrei entscheiden zu können.
Der Umstand, dass das SG nach Einholung des Gutachtens Dr. B. ein weiteres
fachorthopädisches Gutachten von Amts wegen in Auftrag gegeben hat, kann zu keiner
anderen Bewertung führen. Denn der Sachverständige Dr. V. ist nicht beauftragt worden,
weil das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. neue rechtserhebliche medizinische
Erkenntnisse vermittelt hat, die das SG als aufklärungsbedürftig hätte ansehen müssen,
sondern deshalb, weil fraglich war, ob dem Gutachten des Dr. B. gefolgt werden konnte.
Dem war gerade nicht so, wie sich auch den Entscheidungsgründen des mittlerweile
rechtskräftigen Urteils des SG entnehmen lässt.
Wenn ein zu Kontrollzwecken nachträglich eingeholtes Gutachten erweist, dass das ihm
vorausgehende, nach § 109 SGG eingeholte Gutachten unbrauchbar ist, fehlt jede
Grundlage dafür, die durch das unbrauchbare Gutachten angefallenen Kosten noch auf die
Staatskasse zu übernehmen.
Nach alledem musste die Beschwerde zurückgewiesen werden.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.