Urteil des LSG Saarland vom 18.03.2004

LSG Saarbrücken: schutz der versicherten, avg, beitragszeit, beamtenverhältnis, versorgung, versicherungspflicht, versicherungsschutz, rechtspflicht, altersrente, verjährungsfrist

LSG Saarbrücken Urteil vom 18.3.2004, L 1 RA 77/01
Nachversicherungsfall - unversorgtes Ausscheiden aus einem Beamtenverhältnis -
Begründung rentenrechtlicher Beitragszeiten ohne Entrichtung von
Nachversicherungsbeiträgen - Verjährung
Leitsätze
Der mit dem unversorgten Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis entstandene
Nachversicherungsfall begründet bezüglich der Nachversicherungszeit rentenrechtliche
Beitragszeiten, die auch dann rentenerhöhend zu berücksichtigen sind, wenn der
Rentenversicherungsträger die für die Nachversicherungszeit fälligen Beiträge infolge
geltend gemachter Verjährung von dem früheren Dienstherrn des unversorgt
Ausgeschiedenen nicht erlangen konnte.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
21.09.2001 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin wegen einer Beitragszeit infolge
Nachversicherung vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 eine höhere Altersrente nach den
Vorschriften des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zusteht.
Die 1934 geborene Klägerin wurde nach Bestehen der ersten Prüfung für das Lehramt an
Volksschulen von dem Beigeladenen am 25.04.1956 unter Berufung in das
Beamtenverhältnis auf Probe zur außerplanmäßigen Lehrerin ernannt und mit der
Verwaltung einer Vertreterstelle an einer Volksschule beauftragt. Auf ihren Antrag schied
sie mit Ablauf des 31.03.1958 ohne Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung aus dem
Beamtenverhältnis und dem Schuldienst aus. In der Folgezeit war die Klägerin nicht mehr
berufstätig und widmete sich der Erziehung ihrer 4 in den Jahren 1958, 1960, 1965 und
1967 geborenen Kinder, für die die Beklagte ihr die entsprechenden Versicherungszeiten
anerkannte (Bescheid vom 18.06.1998).
Nachdem in einem im April 1998 eingeleiteten Kontenklärungsverfahren die Beklagte es
abgelehnt hatte, die Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 wegen der seinerzeit
bestehenden Versicherungsfreiheit als rentenrechtliche Zeit anzuerkennen (Bescheid vom
14.07.1998), beantragte die Klägerin am 19.11.1998 die Einleitung der Nachversicherung
für diese Zeit. Die Beklagte bat sodann den Beigeladenen mit Schreiben vom 17.12.1998,
die Frage der Nachversicherung für die Zeit vom 01.05.1956 bis 31.03.1958 zu prüfen,
woraufhin der Beigeladene unter dem 26.05.1999 mitteilte, er mache hinsichtlich des
Anspruchs auf Zahlung der Nachversicherungsbeiträge für die mehr als 30 Jahre
zurückliegende Zeit die Einrede der Verjährung geltend. Daher könne eine
Nachversicherung nicht mehr durchgeführt werden.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 14.07.1999 mit, dass die
Nachversicherung ihrer versicherungsfreien Schulzeit vom 30.04.1956 bis 31.03.1958
nicht mehr möglich sei, weil sich der Nachversicherungsschuldner unter Berufung auf die
Einrede der Verjährung weigere, die Nachversicherungsbeiträge zu zahlen und der
Anspruch auf die Nachversicherungsbeiträge verjährt sei. Die Nachversicherungsbeiträge
seien am 01.04.1958, dem Folgetag des unversorgten Ausscheidens der Klägerin aus
dem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis, fällig geworden. Die Prüfung, ob und
inwieweit die Einrede der Verjährung geltend gemacht werden könne, richte sich somit
nach § 29 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis 30.06.1977 geltenden
Fassung. Danach verjähre der Anspruch des Versicherungsträgers auf
Nachversicherungsbeiträge grundsätzlich in 2 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in
dem die Beiträge fällig geworden seien. Wenn die Beiträge absichtlich hinterzogen worden
seien, gelte die 30-jährige Verjährungsfrist. Selbst unter Berücksichtigung der 30-jährigen
Verjährungsfrist sei der Anspruch auf die Nachversicherungsbeiträge spätestens seit dem
01.01.1989 verjährt. Da der Beigeladene die Einrede der Verjährung geltend gemacht
habe, bestehe für sie, die Beklagte, keine Möglichkeit mehr, die Nachversicherungsbeiträge
für die vorgenannte Zeit zu fordern. Dagegen erhob die Klägerin am 26.07.1999
Widerspruch.
Mit Bescheid vom 29.07.1999 gewährte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente ab
01.05.1999, wobei die Zeit vom 25.4.1956 bis 31.3.1958 nicht als
versicherungsrechtliche Beitragszeit berücksichtigt wurde. Gegen diesen Bescheid erhob
die Klägerin am 23.08.1999 ebenfalls Widerspruch. Zur Begründung ihrer Widersprüche
führte die Klägerin aus, die Beklagte habe die geltend gemachte Nachversicherung zu
Unrecht abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hänge der
Eintritt des Rentenversicherungsschutzes für unversorgt Ausgeschiedene gerade nicht
davon ab, ob der Rentenversicherungsträger den Beitragsanspruch gegen den Arbeitgeber
rechtzeitig geltend gemacht und gegebenenfalls auch erfolgreich vollstreckt habe. Wie der
im Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen eingebrachte Einwand der
Verjährung zu behandeln sei, sei für die Frage ihres Rentenversicherungsschutzes, der ab
01.04.1958 entstanden sei, nicht relevant. Sie sei so zu stellen, als ob der Beigeladene die
Beiträge in entsprechender Höhe rechtzeitig gezahlt habe.
Die Beklagte wies die Widersprüche gegen die Bescheide vom 14. und 29.07.1999 mit
Widerspruchsbescheid vom 18.10.2000 zurück und führte dazu aus, eine
Nachversicherung nach § 233 Abs. 1 SGB VI i. V. m. § 9 Angestelltenversicherungsgesetz
(AVG) für die versicherungsfreie Schuldienstzeit vom 30.04.1956 bis 31.03.1958 sei nicht
zulässig, weil der Beigeladene zur Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen nicht mehr
bereit sei und sie, die Beklagte, die von dem Beigeladenen erhobene Einrede der
Verjährung gemäß § 29 RVO in der bis zum 30.06.1977 geltenden Fassung akzeptieren
müsse. Würden Beiträge für eine an sich nachversicherungsfähige Beschäftigungszeit nicht
an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, so könne diese Zeit nicht als
Beitragszeit berücksichtigt werden. Zwar habe der 4. Senat des BSG wiederholt zum
Ausdruck gebracht, der unversorgt Ausgeschiedene sei nachversichert, ohne dass es auf
eine Beitragszahlung durch den Arbeitgeber ankomme (BSG, Urteil 09.11.1999 – B 4 RA
58/98 R). Diese Aussage könne aber, wenn es um die Berücksichtigung von Beitragszeiten
gehe, nicht zu einer Änderung ihrer Rechtsauffassung führen. Insoweit werde auf die
Beiträge in der Zeitschrift "Die Angestelltenversicherung" (DAngVers) Heft 4/2000, S. 160
sowie Heft 7/1998, S. 282 hingewiesen. Bei der Rentenberechnung seien alle
nachgewiesenen bzw. glaubhaft gemachten Beitrags-, Ersatz-, Kindererziehungs- und
Anrechnungszeiten berücksichtigt worden. Die Berechnung selbst entspreche den
gesetzlichen Vorschriften.
In dem am 20.11.2000 – einem Montag – eingeleiteten Klageverfahren vor dem
Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Klägerin im Wesentlichen ihr
Widerspruchsvorbringen wiederholt.
Durch Urteil vom 21.09.2001, berichtigt mit Beschluss vom 05.08.2002, hat das SG die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.10.2000 verpflichtet festzustellen, dass die materiell-
rechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung in der Zeit vom 25.04.1956 bis
31.03.1958 vorlagen, sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
29.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2000 verurteilt, der
Klägerin eine höhere Rente unter Berücksichtigung der Zeit vom 25.04.1956 bis
31.03.1958 als Beitragszeit zu zahlen. In dem Urteil ist zur Begründung ausgeführt, die
Klage auf Berücksichtigung des streitigen Zeitraums als nachversicherte Beitragszeit setze
voraus, dass die Nachversicherung durchgeführt, also das Bestehen eines
Nachversicherungsverhältnisses festgestellt worden sei. Dies könne die Klägerin im Wege
der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Verpflichtung der Beklagten zur
Herstellung der Nachversicherung erreichen. Mit dieser Klage könne die kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage auf Zahlung einer höhere Rente verbunden werden. Nach
§ 233 Abs. 1 Satz 1 SGB VI würden Personen, die vor dem 01.01.1992 aus einer
Beschäftigung ausgeschieden seien, in der sie nach dem jeweils geltenden, dem § 5 Abs.
1, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 230 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 oder § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB
VI sinngemäß entsprechenden Recht nicht versicherungspflichtig, versicherungsfrei oder
von der Versicherungspflicht befreit gewesen seien, weiterhin nach den bisherigen
Vorschriften nachversichert, wenn sie ohne Anspruch auf Versorgung oder Anwartschaft
auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden seien. Die Frage, ob zum Zeitpunkt
des Ausscheidens der Klägerin ein Versicherungsfall eingetreten und damit das (dreiseitige)
Nachversicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten entstanden sei, beurteile sich mithin
nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien oder von
der Versicherungspflicht befreiten Tätigkeit gegolten habe. Die Klägerin sei im streitigen
Zeitraum gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG versicherungsfrei bei dem Beigeladenen als
Referendarin beschäftigt gewesen. Mit Ablauf des 31.03.1958 sei die Versicherungsfreiheit
entfallen. Sie sei unversorgt i. S. des § 9 Abs. 1 und 2 AVG aus dem versicherungsfreien
Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden. Damit sei kraft Gesetzes der
Nachversicherungsfall eingetreten, der das gesetzliche Nachversicherungsverhältnis
begründet habe und zwar unabhängig davon, ob die Nachversicherungsbeiträge zugleich
entrichtet worden seien oder ob die Beitragsentrichtung aufgeschoben worden sei. Die
Klägerin habe auch einen Anspruch auf eine höhere Rente unter Berücksichtigung des
streitigen Zeitraums als Beitragszeit. Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richte sich die Höhe einer
Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge
versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Nach § 55 Abs. 1 SGB VI seien
Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder
freiwillige Beiträge gezahlt worden seien. Pflichtbeitragszeiten seien auch Zeiten, für die
Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten würden (Satz 2). Die
Klägerin könne verlangen, dass der streitige Zeitraum als Beitragszeit berücksichtigt
werde, obwohl bislang keine Nachversicherungsbeiträge gezahlt worden seien. Nach § 124
Abs. 4 Satz 1 AVG würden die nachzuentrichtenden Beiträge als rechtzeitig entrichtete
Pflichtbeiträge gelten. Der Beigeladene sei zur Nachentrichtung von Beiträgen gem. § 9
AVG verpflichtet gewesen, da ein Aufschubgrund i. S. des § 125 Abs. 1 AVG nicht
vorgelegen habe. Nach dem Wortlaut des § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG komme es nicht darauf
an, ob tatsächlich Beiträge gezahlt worden seien. Dementsprechend habe der 12. Senat
des BSG in seinem Urteil vom 26.05.1970 (12 RJ 98/69) ausgeführt, dass auf die
Rechtspflicht zur Nachversicherung abgehoben werde, ohne dass es darauf ankomme, ob
die Nachversicherungsbeiträge auch bereits geleistet worden seien, auf einen Umstand
also, auf den der Berechtigte kaum Einfluss habe. Nach Auffassung des 12. Senats des
BSG knüpfe diese Rechtswohltat daran an, dass nicht nur die Rechtspflicht zur
Nachversicherung bestehe, sondern dass die Nachversicherungsbeiträge auch fällig seien,
so dass jedenfalls ihre tatsächliche Entrichtung alsbald zu erwarten sei. Die Fiktion des §
124 Abs. 4 Satz 1 AVG sei daher nicht auf Nachversicherungsbeiträge anzuwenden, deren
Entrichtung nach § 125 AVG aufgeschoben sei. Der 11a. Senat des BSG habe in seinem
Urteil vom 10.07.1986 – 11a RA 24/85 – offen gelassen, ob dieser Rechtsprechung zu
folgen sei. Er habe darauf hingewiesen, dass an eine Einschränkung der Fiktion des § 124
Abs. 4 Satz 1 AVG auch zu denken sein könne, wenn der Nachversicherungsanspruch
verjährt sei. Die Verjährung berühre zwar nicht die Fälligkeit, könne aber die Erwartung
einer alsbaldigen tatsächliche Entrichtung in Frage stellen. Diese Auffassung überzeuge die
Kammer nicht. Maßgebend für die Erwartung einer alsbaldigen tatsächlichen Entrichtung
der Nachversicherungsbeiträge sei der Zeitpunkt des unversorgten Ausscheidens. Die
Verjährung des Nachversicherungsanspruchs könne somit die Fiktion des § 124 Abs. 4 Satz
1 AVG nicht wieder nachhaltig beseitigen. Die Kammer stütze sich zudem auf die
Rechtsprechung des 4. Senats des BSG. Dieser habe entschieden, dass nach altem wie
nach neuem Recht der Eintritt des Rentenversicherungsschutzes für den unversorgt
Ausgeschiedenen gerade nicht davon abhänge, ob der Rentenversicherungsträger seinen
Beitragsanspruch gegen den Arbeitgeber rechtzeitig geltend gemacht und notfalls
erfolgreich vollstreckt habe. Die effektive Beitragszahlung durch den Arbeitgeber habe keine
rechtsbegründende Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt, wann und in
welchem Umfang der unversorgt Ausgeschiedene Rentenversicherungsschutz durch
Nachversicherung erlange (BSG, Urteil vom 29.07.1997 – 4 RA 107/95 –). Eine
Berücksichtigung der Beiträge erst nach Beitragszahlung und ein damit verbundener
fraglicher Versicherungsschutz würde daher dem Gesetzeszweck und damit dem Schutz
der Versicherten durch das Institut der Nachversicherung widersprechen.
Gegen das ihr am 10.10.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.11.2001
Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das angefochtene Urteil entspreche hinsichtlich der
Verpflichtung festzustellen, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der
Nachversicherung in der Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 vorlagen, auch ihrer
Auffassung. Die Berufung richte sich allein gegen die Verurteilung zur Gewährung einer
höheren Rente unter Berücksichtigung der Zeit vom 25.04.1956 bis 31.08.1958 als
Beitragszeit. Die Frage, ob zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin ein
Nachversicherungsfall eingetreten sei, beurteile sich ausgehend von § 233 Abs. 1 Satz 1
SGB VI nach dem Recht, das im Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus der fraglichen Tätigkeit
gegolten habe. Die ab dem 01.05.1999 der Klägerin bewilligte Rente werde nach den
Vorschriften des Rentenreformgesetzes 1992 unter Berücksichtigung der nachfolgenden
gesetzlichen Änderungen gezahlt. Für die Berücksichtigung von Beitragszeiten in der
Rentenberechnung seien deshalb die Regelungen des SGB VI maßgebend. Zu den
Beitragszeiten gehörten nach § 55 Abs. 1 SGB VI solche Zeiten, für die nach Bundesrecht
Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden seien.
Pflichtbeitragszeiten seien auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften
als gezahlt gelten würden. Aus Sicht der Nachversicherung bestimme § 185 Abs. 2 Satz 1
SGB VI ergänzend, dass die gezahlten Beiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge
gelten würden. Der Gesetzestext sei insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig. Daher
könnten ohne tatsächliche Beitragszahlung Zeiten der realen Nachversicherung nicht als
Beitragszeiten berücksichtigt werden. Nichts anderes ergebe sich aus der bis zum
01.01.1992 geltenden Bestimmung des § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG, deren Anwendung hier
jedoch zweifelhaft sei. Nach der amtlichen Begründung zu § 185 SGB VI (vgl.
Bundestagsdrucksache 11/4124 zu § 180) entspreche § 185 Abs. 2 SGB VI der
Vorgängerregelung des § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG, so dass es auch nach dieser trotz ihres
missverständlichen Wortlauts, nach dem die nachzuentrichtenden Beiträge zur
Nachversicherung als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten würden, auf die
tatsächliche Entrichtung der Beiträge ankomme. Soweit der 4. Senat des BSG, auf dessen
Rechtsprechung sich die Urteilsbegründung vorrangig stütze, Nachzuversichernde mit dem
Eintritt des Nachversicherungsfalles auch ohne tatsächliche Beitragszahlung unter den
Schutz der Rentenversicherung stelle, könne dem nur bedingt gefolgt werden. Es sei zu
unterscheiden, ob dieser Schutz im Einzelfall eine Beitragsleistung voraussetze oder eine
Beitragszahlung nicht ausdrücklich gefordert werde. So könnten insoweit eventuell bereits
mit Eintritt des Nachversicherungsfalles – ohne tatsächliche Zahlung von Beiträgen –
Ersatz- und Anrechnungszeiten geltend gemacht werden. Auch die Anrechnung einer
Kindererziehungszeit nach § 56 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI dürfte unter Beachtung der
Rechtsprechung des 4. Senats des BSG ohne tatsächliche Zahlung der
Nachversicherungsbeiträge möglich sein. Bei Wartezeitregelungen und
Leistungsansprüchen, bei denen es auf Beitragszeiten ankomme, könne jedoch die
Rechtsauslegung des BSG aufgrund der eindeutig entgegenstehenden Regelung des § 185
Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht greifen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 21.09.2001
abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit der Klägerin eine höhere Rente unter
Berücksichtigung der Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 als Beitragszeit zugesprochen
worden ist.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für
zutreffend.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemachten Inhalt der Akten der Beklagten und der Gerichtsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und damit auch im
Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.07.1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2000 verurteilt, der Klägerin eine
höhere Rente unter Berücksichtigung der Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 als
Beitragszeit zu gewähren. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden
Ausführungen in dem angefochtenen Urteil gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) verwiesen.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch nach Auffassung des Senats im Rahmen der
Rentenberechnung die Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 als nachversicherte
Beitragszeit rentenerhöhend zu berücksichtigen ist, obwohl die Beklagte die
entsprechenden Nachversicherungsbeiträge von dem Beigeladenen infolge geltend
gemachter Verjährung bislang nicht erlangen konnte. Der Senat schließt sich insoweit
ebenso wie das SG der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG an. Danach ist derjenige,
der wie die Klägerin ohne Versorgungsansprüche aus dem Beamtenverhältnis (unversorgt)
ausgeschieden ist, unabhängig davon, ob das AVG oder das ab 01.01.1992 geltende SGB
VI anzuwenden ist, kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert.
Dabei hängt der Eintritt des Rentenversicherungsschutzes für den unversorgt
Ausgeschiedenen gerade nicht davon ab, ob der Rentenversicherungsträger seinen
Beitragsanspruch gegen den Arbeitgeber rechtzeitig geltend gemacht und notfalls
(erfolgreich) vollstreckt hat. Die effektive Beitragszahlung durch den Arbeitgeber hat keine
rechtsbegründende Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt, wann und in
welchem Umfang der unversorgt Ausgeschiedene Rentenversicherungsschutz durch
Nachversicherung erlangt hat (BSG, Urteil vom 29.07.1997 – 4 RA 107/95 –, SozR 3-
2600 § 8 Nr. 4 = Juris).
Mit dem unversorgten Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis entsteht der
Nachversicherungsfall und damit das dreiseitige Nachversicherungsverhältnis zwischen dem
Nachversicherten, dem Rentenversicherungsträger und dem Arbeitgeber. Im Regelfall
entsteht damit auch der entsprechende und sofort fällige Beitragsanspruch des
Rentenversicherungsträgers gegen den Arbeitgeber. Hiervon ist nur dann eine Ausnahme
zu machen, wenn einer der in § 125 AVG bzw. § 184 Abs. 2 SGB VI genannten
Aufschubgründe vorliegt, die im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommen. Mit Eintritt des
Nachversicherungsfalles besteht die Hauptpflicht des Rentenversicherungsträgers
gegenüber dem Nachversicherten darin, ihn sofort nach dem unversorgten Ausscheiden
zukunftsgerichtet so zu behandeln, als ob er versicherungspflichtig beschäftigt gewesen
wäre (§ 124 AVG bzw. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Hauptpflicht des Arbeitgebers
gegenüber dem Rentenversicherungsträger ist, die – im Regelfall – sofort fällig werdenden
Nachversicherungsbeiträge zu tragen und unmittelbar an den Rentenversicherungsträger
zu zahlen (§ 124 Abs. 5 AVG bzw. § 181 Abs. 5, § 185 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Hingegen
treffen den unversorgt Ausgeschiedenen gegenüber dem Arbeitgeber oder dem
Rentenversicherungsträger keine Hauptpflichten, weil er "kraft Gesetzes" nachversichert
ist, ohne dass es hierfür rechtlich von Bedeutung ist, ob der Arbeitgeber die
Nachversicherungsbeiträge an den Rentenversicherungsträger zahlt; vielmehr obliegt es
diesem, seinen Beitragsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Der
Nachversicherte hat gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Erteilung einer
Nachversicherungsbescheinigung (§ 185 Abs. 3 SGB VI) und gegen den
Rentenversicherungsträger einen Anspruch auf Vormerkung der Zeit seiner
nachversicherten Beschäftigung als eines Tatbestandes nachversicherter Beitragszeit (§
149 Abs. 5, § 185 Abs. 4 SGB VI). Das dreiseitige Nachversicherungsverhältnis schützt
also im Regelfall den unversorgt ausgeschiedenen Beschäftigten sofort und unmittelbar in
der gesetzlichen Rentenversicherung vor den Nachteilen daraus, dass die Zeit der
versicherungsfreien oder von der Versicherungspflicht befreiten Beschäftigung (ohne die
Nachversicherung) für die Entstehung von Rechten und Anwartschaften aus der
gesetzlichen Rentenversicherung unbeachtlich war. Der Erwerb der nachversicherten
Beitragszeit erfolgt dabei unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die entsprechenden
Nachversicherungsbeiträge an den Rentenversicherungsträger entrichtet (so BSG, Urteil
vom 29.07.1997 – 4 RA 107/95 –, aaO.).
Diese Rechtsprechung hat der 4. Senat des BSG in späteren Entscheidungen bestätigt
(BSG, Urteil vom 23.03.1999 – B 4 RA 50/98 R –, SozR 3-2940 § 9 Nr. 1 = Juris, m.w.N.)
und in Kenntnis der gegenläufigen Ansicht in dem Beitrag von Rainer Liebich in der
Zeitschrift DAngVers 1998, 278, 282, die für die Anerkennung der nachversicherten
Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung die tatsächliche Beitragszahlung des
Arbeitgebers an den Rentenversicherungsträger verlangt und die sich die Beklagte in
vorliegender Sache zu eigen gemacht hat, beibehalten. Er hat insoweit ausgeführt, dass
eine Berücksichtigung der Beiträge erst nach Beitragszahlung und ein damit verbundener
fraglicher Versicherungsschutz dem Gesetzeszweck, nämlich die während der
versicherungsfreien Beschäftigung – in rückschauender Betrachtung – entstandene
Sicherungslücke beim Aufbau des Schutzes für Alter und Invalidität beim Ausscheiden aus
dieser Tätigkeit durch die sofortige Nachversicherung dieser Zeiten zu schließen, und damit
dem Schutz der Versicherten durch das Institut der Nachversicherung widersprechen
würde (BSG, Urteile vom 09.11.1999 – B 4 RA 3/99 R –, Juris und vom 09.11.1999 – B 4
RA 58/98 R –, SozR 3-2600 § 8 Nr. 6 = Juris).
Der Senat hält diese höchstrichterliche Rechtsprechung für überzeugend und macht sie
sich zu eigen, mit der Folge, dass vorliegend die Zeit vom 25.04.1956 bis 31.03.1958 als
Beitragszeit rentensteigernd bei der Altersrente der Klägerin zu berücksichtigen und
demnach die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, wobei es billig erscheint, keinen
Kostenausspruch für bzw. gegen den Beigeladenen zu treffen, weil er keinen Sachantrag
gestellt hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.