Urteil des LSG Saarland vom 16.09.2005

LSG Saarbrücken: urlaub, feuerwehr, wohnung, versicherungsschutz, arbeitsunfall, unfallversicherung, informationsstand, verkehrsunfall, campingplatz, dienstort

LSG Saarbrücken Urteil vom 16.9.2005, L 2 U 7/04
Gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - dritter Ort - Urlaubsort - Dienstort - erheblich
längere Wegstrecke
Leitsätze
Unterbricht ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr seinen Jahresurlaub, um an einem
bestimmten Tag einen Stand der Feuerwehr auf einem Dorffest zu betreuen, und erleidet
er auf dem Weg dorthin einen Verkehrsunfall, besteht dann kein Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung, wenn der Weg vom Urlaubsort zum Dienstort nicht in einem
angemessenem Verhältnis zum Weg vom Wohnort zum Dienstort steht ( hier: 60 km zu 3
km).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland
vom 15.12.2003 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei dem Verkehrsunfall des Klägers am
03.08.2002 um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall (Wegeunfall) gehandelt hat.
Der 1969 geborene Kläger ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr in L.-R. Ab 21.07.2002
befand er sich mit seiner Familie mit dem Wohnwagen urlaubsbedingt auf einem
Campingplatz in der Nähe von I.-O. Geplant war, den Urlaub am 09.08.2002 zu beenden.
Im Rahmen des Dorffestes der Gemeinde Schi. hatte die freiwillige Feuerwehr am 03.08.
und 04.08.2002 einen Informationsstand. In Absprache mit dem Wehrführer war der
Kläger am 03.08.2002 zum Dienst an diesem Stand eingeteilt.
Auf der Fahrt von dem Campingplatz in das ca. 60 km entfernte Schi. kam der Kläger am
03.08.2002 gegen 09.00 Uhr mit seinem Fahrzeug in einer Kurve von der Fahrbahn ab
und überschlug sich mehrfach. Er erlitt Verletzungen an der Wirbelsäule, ein
Schleudertrauma, ein stumpfes Bauchtrauma und einen Bruch des zwölften
Brustwirbelkörpers. Vom 03.08. bis 15.09.2002 war der Kläger arbeitsunfähig.
Durch Bescheid vom 16.09.2002 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall vom 03.08.2002
als Arbeitsunfall anzuerkennen. Maßgeblich sei, ob die Länge des Weges in einem
angemessenen Verhältnis zur üblichen Wegstrecke nach dem Ort der versicherten
Tätigkeit stehe; das Motiv für den Aufenthalt am dritten Ort sei zu berücksichtigen. Der
Kläger sei nicht auf dem Weg von der Wohnung zum Ort der versicherten Tätigkeit,
sondern urlaubsbedingt auf einem Campingplatz gewesen. Der Weg zum Dorffest vom
Urlaubsort habe ca. 60 km betragen, während dieser Weg beginnend vom Wohnort des
Klägers lediglich 3 km lang gewesen wäre. Der Unterschied zwischen der Wegstrecke vom
Wohnort und vom dritten Ort aus sei unverhältnismäßig groß und betriebsbezogene
Umstände, die eine Risikoerweiterung rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Der erheblich
längere Weg sei daher wesentlich von dem Vorhaben geprägt, von einem privaten
Erholungsurlaub zurückzukehren.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 24.02.2003) hat
der Kläger am 06.03.2003 Klage erhoben, die er nicht begründet hat.
Durch Gerichtsbescheid vom 15.12.2003 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die
Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen.
Gegen den am 17.12.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.01.2004
Berufung eingelegt. Er begründet diese im Wesentlichen damit, dass bei einem Weg von
einem dritten Ort der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit dann
anzuerkennen sei, wenn dieser Weg wesentlich durch die Besonderheit der versicherten
Tätigkeit geprägt sei. Da er sich unmittelbar vom dritten Ort zur Dienstleistung auf dem
Dorffest begeben habe, habe sich der Weg in einem angemessenen Verhältnis zum
üblichen Weg befunden. Es sei abgesprochen gewesen, den Urlaub zu unterbrechen und
nach dem Fest den Urlaub fortzusetzen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 15.12.2003 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 16.09.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
24.02.2003 aufzuheben und festzustellen, dass der Verkehrsunfall des Klägers vom
03.08.2002 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und den Gerichtsbescheid des SG und führt
zusätzlich aus, der Weg vom Urlaubsort zum Festplatz sei unverhältnismäßig länger als der
übliche Weg vom Wohnort des Klägers aus. Es komme nicht darauf an, ob er vor der
Urlaubsreise zugesagt habe, den Dienst an dem Informationsstand wahrzunehmen.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 12.09.2005 mit einer Entscheidung
im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter des Senats einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter des
Senats (§ 155 Abs. 3, 4 SGG) und ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden
werden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Verkehrsunfall vom 03.08.2002 als
Arbeitsunfall anzuerkennen.
Zwar besteht grundsätzlich auch für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr gemäß § 2 Abs. 1
Nr. 12 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) Versicherungsschutz in der
gesetzlichen Unfallversicherung. Versicherte Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden
unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. § 8 Abs. 1 SGB VII definiert den
Arbeitsunfall in Anlehnung an das bisher geltende Recht der Reichsversicherungsordnung
(RVO), wobei das Wort „in Folge" in Satz 1 lediglich deutlicher als das Wort „bei" in § 548
Abs. 1 Satz 1 RVO zum Ausdruck bringen sollte, dass ein kausaler Zusammenhang
zwischen der im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden
Verrichtung und dem Unfall erforderlich ist; Satz 2 übernimmt den von der Rechtsprechung
und Literatur entwickelten Unfallbegriff (vgl. nur BSG, Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 33/00
R). § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII definiert schließlich das Zurücklegen des mit der versicherten
Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit
als versicherte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das
Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der
versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall
herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz
genannten versicherten Tätigkeit bestehen: der innere beziehungsweise sachliche
Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen (BSG a.a.O. m.w.N.). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln,
indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu
denen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG a.a.O.
m.w.N.).
Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist der Versicherungsschutz für die Wege nach und von
der Tätigkeit nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Stätte der Tätigkeit beschränkt.
Die Vorschrift verlangt nur, dass die Stätte der versicherten Tätigkeit Ziel oder
Ausgangspunkt des Weges ist (BSG a.a.O.). Allerdings hat der Gesetzgeber nicht jeden
Weg unter Versicherungsschutz gestellt, der zur Stätte der versicherten Tätigkeit hinführt
oder von ihr aus begonnen wird. Vielmehr ist auch nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII darüber
hinaus erforderlich, dass der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen rechtlich
zusammenhängt. Dieser innere Zusammenhang setzt voraus, dass der Weg, den der
Versicherte zurücklegt, wesentlich dazu dient, den Ort der Tätigkeit oder nach deren
Beendigung in der Regel die eigene Wohnung oder einen anderen Endpunkt des Weges von
dem Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des
Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls
bestätigt wird (BSG a.a.O. m.w.N.). Wenn – wie hier – nicht der häusliche Bereich, sondern
ein dritter Ort (konkret der Urlaubsort) Ausgangspunkt beziehungsweise Endpunkt des
nach oder von dem Ort der Tätigkeit angetretenen Weges ist, ist für den inneren
Zusammenhang entscheidend, ob dieser Weg noch von dem Vorhaben des Versicherten
rechtlich wesentlich geprägt ist, sich zum Ort der versicherten Tätigkeit zu begeben oder
von diesem zurückzukehren (BSG a.a.O. m.w.N.), oder davon geprägt ist, einen
eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort abzuschließen (BSG a.a.O. m.w.N.). Dabei ist
zu berücksichtigen, dass ein nicht von oder nach der Wohnung angetretener Weg nach
Sinn und Zweck des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII grundsätzlich unter Berücksichtigung aller
Umstände des jeweiligen Einzelfalles in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen
Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen muss (BSG a.a.O. m.w.N.).
Sinn und Zweck der Wegeunfallversicherung gebietet es nicht, für einen in der Nähe des
Orts der versicherten Tätigkeit wohnenden Versicherten auch unangemessen weite Weg
zum oder vom dritten Ort unter Versicherungsschutz zu stellen, nur weil ein anderer
Versicherter relativ weit vom Arbeitsplatz entfernt wohnt und er deshalb regelmäßig ein
höheres Wegeunfallrisiko trägt (BSG a.a.O.). Demgegenüber kommt der Entscheidung des
Versicherten, seinen Weg zum Ort der Tätigkeit an einem bestimmten Tag nicht von der
Wohnung, sondern von einem dritten Ort aus anzutreten, nicht die gleiche rechtliche
Relevanz zu wie seine Entscheidung über seinen Wohnsitz. Der Weg muss rechtlich
wesentlich davon geprägt sein, sich zur Stätte der versicherten Tätigkeit zu begeben, nicht
aber davon, einen eigenwirtschaftlichen Besuch vom dritten Ort aus zu beenden oder zu
beginnen (BSG a.a.O.).
Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung des so beschriebenen rechtlichen Gepräges des
Weges ist die Länge des Weges im Vergleich zu dem üblicherweise zurückgelegten Weg
zwischen der Betriebsstätte und der Wohnung des Versicherten. Diese muss grundsätzlich
in einem angemessenen Verhältnis stehen, weil andernfalls die Prägung des Weges durch
die Tätigkeit am dritten Ort überwiegen würde (BSG a.a.O. m.w.N.).
Die neuere Rechtsprechung des BSG berücksichtigt weiterhin die entsprechenden
Entfernungen, misst ihnen aber nicht die allein entscheidende Bedeutung zu und verlangt,
dass alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls stärker zu berücksichtigen sind (BSG a.a.O.
m.w.N.). Als derartige Umstände sind insbesondere zu berücksichtigen, ob am dritten Ort
Verrichtungen des täglichen Lebens erledigt wurden oder werden sollen, die keinen Bezug
zur versicherten Tätigkeit an sich haben, oder ob es sich um Verrichtungen handelt, die
zumindest mittelbar auch dem Betrieb zugute kommen sollen. Somit stehen Wege zum
Ort der Tätigkeit, die nach einer rein eigenwirtschaftlichen Verrichtung vom dritten Ort
angetreten werden, nur dann unter Versicherungsschutz, wenn die Länge des Weges in
einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten
Weg steht. Ist der Weg vom dritten Ort unverhältnismäßig, unangemessen länger als der
von der Wohnung zum Ort der Tätigkeit, wird die erheblich längere Wegstrecke
grundsätzlich nicht durch die beabsichtigte betriebliche Tätigkeit geprägt, sondern durch die
eigenwirtschaftliche Verrichtung am dritten Ort (BSG a.a.O.).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, kann ein innerer
Zusammenhang im Unfallzeitpunkt nicht angenommen werden. Die zu beurteilenden
Entfernungen von üblicherweise 3 km zwischen Wohnung und Ort der versicherten
Tätigkeit und von ca. 60 km vom Urlaubsort, also einem Ort mit ausschließlich
eigenwirtschaftlicher Prägung, stehen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis. Der
Urlaub hatte auch keine auch nur mittelbaren Beziehungen zur versicherten Tätigkeit als
ehrenamtlicher Feuerwehrmann.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seinen Urlaub nach seinem Dienst bei
dem Informationsstand der freiwilligen Feuerwehr fortsetzen wollte. Auch ein Versicherter,
der sich während des Urlaubs aus eigenwirtschaftlichen Interessen von seinem Wohnort
entfernt, somit in Urlaub fährt, jedoch vor Antritt der Reise zusagt, dass er wegen dringend
auszuführender Arbeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt während seines Urlaubs auf der
Stätte der versicherten Tätigkeit sein wird, genießt auf der Fahrt zum Ort der versicherten
Tätigkeit sowie bei der Rückfahrt nicht den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung
(BSG, Urteil vom 30.07.1971, 2 RO 229/68). Insoweit ist nicht von Bedeutung, ob nach
den bestrittenen Angaben des Klägers der Wehrführer einige Wochen vor Antritt seines
Urlaubs informiert wurde, dass er, der Kläger, von seinem Urlaub aus an der Veranstaltung
der freiwilligen Feuerwehr teilnimmt und danach seinen Urlaub fortsetzt. Die Entscheidung,
Dienst am Informationsstand der freiwilligen Feuerwehr in Schi. zu verrichten und dies von
seinem Urlaubsort aus zu tun, beruht auf Gründen, die dem unversicherten persönlichen
Lebensbereich des Klägers zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 30.07.1971 a.a.O.), zumal
dringende betriebliche Erfordernisse, die plötzlich und unerwartet während des Urlaubs
aufgetreten sind, nicht vorlagen. Damit waren keine betrieblichen Gründe, die im Bereich
der freiwilligen Feuerwehr zu finden sind, für die deutlich weitere Wegstrecke maßgeblich,
sondern alleine die privatwirtschaftliche Verrichtung des Urlaubs, den der Kläger trotz des
von ihm zuvor zugesagten Einsatzes beim Dorffest angetreten hat. Hinzu kommt, dass der
Kläger nach Aktenlage am 01.04.2002 eine neue Arbeitsstelle angetreten hatte und er
zunächst davon ausgegangen war, keinen Urlaubsanspruch zu haben; bereits in diesem
Stadium hatte er seine Zusage zur Teilnahme an der Feuerwehrveranstaltung als Helfer
abgegeben. Die Entscheidung, trotz dieser Einsatzzusage Urlaub zu nehmen, war damit
ebenfalls nicht betriebsbedingt (vgl. auch BSG a.a.O.).
Die Berufung hat daher keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.