Urteil des LSG Saarland vom 13.12.2005

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LSG Saarbrücken Urteil vom 13.12.2005, L 5 VJ 1/02
Impfschadensrecht - Encephalitis als Folge einer verabreichten Schutzimpfung gegen
Influenza - ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden
Leitsätze
Encephalitis als Folge einer verabreichten Schutzimpfung gegen Influenza, ursächlicher
Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden - im Impfschadensrecht
genügt für die Anerkennung eines Impfschadens die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines
Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden sowei der dauernden
Gesundheitsstörung.
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
12. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat auch die der Klägerin im Berufungsverfahren entstandenen
außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 22.
August 1999 verstorbenen Ehemanns W.H. eine Versorgung nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 3; 52
Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim
Menschen - Bundesseuchengesetz (BSeuchG) - jetzt: §§ 2 Nr. 11; 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1;
61 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim
Menschen - Infektionsschutzgesetz (IfSG) - vom 20. Juli 2000 (BGBl. I, S. 1045 ff.) - in
Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen aus einer
Grippeschutzimpfung vom 2. Oktober 1998 mit dem Impfstoff "Influvac 98/99", Chargen
Nr. M-0403 der Firma S.D. B.V., NL .
Der 1955 geborene Ehemann der Klägerin (im Folgenden „Betroffener" genannt) wurde
am 2. Oktober 1998 von seinem Hausarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin R.B.P., H.,
gegen Influenza mit dem vom Paul-Ehrlich-Institut, L., zugelassenen und per Bescheid vom
18. August 1998 freigegebenen o.g. Grippeimpfstoff, Zulassungs-Nr.: PEI.H.00191.01.1,
geimpft. Dieser Impfstoff, Ampulleninhalt 0,5 ml, wird intramuskulär oder tiefsubkutan
injiziert. Die Suspension enthält sog. Subunit-Antigene aus den Virushüllen verschiedener,
jahrgangsweise jeweils aktueller Influenzavirusstämme, daneben einige präparatorische
Zusätze und ferner nie ganz vermeidbare Rückstände von Substanzen aus Anzüchtung und
Präparation. Die Impfung war ausweislich der Bekanntmachung vom 24. Juli 1998 - Anlage
zum Gemeinsamen Ministerialblatt des Saarlandes vom 31. August 1998 - als
Schutzimpfung öffentlich empfohlen worden.
In der Folgezeit traten beim Betroffenen Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen
und Schweißausbrüche auf. Sein Hausarzt, der ihn am 19. Oktober 1998 um circa 15:00
Uhr zuhause aufgesucht hatte - der Betroffene habe über starke Kopfschmerzen geklagt -,
stellte am 20. Oktober 1998 gegenüber der Krankenkasse die Diagnose "Zerviko-
Zephales-Syndrom". Am Abend des 24. Oktober 1998 (Wochenende) begab sich der
Betroffene notfallmäßig wegen einer „ungewöhnlichen Kopfschmerzsymptomatik" zu dem
Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H.B., L., der bei der Untersuchung als Hauptbefund
eine Gangstörung feststellte und den Betroffenen umgehend in die neurologische Abteilung
des Knappschafts-Krankenhauses P. zur weiteren diagnostischen Abklärung und
Behandlung einwies.
In einem Schreiben der vorgenannten Klinik an den einweisenden Arzt vom 28. Oktober
1998 ist als Diagnose u.a. vermerkt: "V.a. postvakzinale Encephalitis DD Kleinhirninsult
links, Thalamusinsult rechts". In der Anamnese heißt es: "Herr H. (der Betroffene)
berichtete zur Vorgeschichte, dass er vor 14 Tagen eine Grippeimpfung bekommen habe,
dass er bereits vorher leicht verschnupft gewesen sei. Am Tag nach der Grippeimpfung
seien im Stirnbereich sowie im Nackenbereich betonte Kopfschmerzen mit pulsierendem
Charakter aufgetreten, die seither anhielten. Mehrere Behandlungsversuche mit
Schmerzmitteln sowie auch Antibiotika und Diclofenac seien nicht erfolgreich gewesen. Seit
1 Woche bestehe auch ein ständiges Kopfnicken, das pulssynchron sei. Seit nunmehr 2-3
Tagen sei ihm sehr schwindlig geworden, er könne kaum noch gehen, habe ständig Angst
umzufallen. Einmalig habe er auch vor 3 Tagen erbrochen."
Zur weiteren Diagnostik und Therapie wurde der Betroffene am 26. Oktober 1998 in die
Universität-Nervenklinik und Poliklinik - Neurologie - H.S. verlegt. Die dortige Diagnose
lautete: „liquordiagnostisch Hinweis auf Encephalitis DD v.c. zerebrale Ischämie". Am 28.
Oktober 1998 verlangte der Betroffene gegen ärztlichen Rat seine Entlassung. Weiter ist
im Arztbrief der genannten Klinik vermerkt: „Der Patient wurde über die möglichen Risiken
einer Entlassung aus der stationären Behandlung aufgeklärt. Der Patient - zu jedem
Zeitpunkt allseits orientiert und urteilsfähig - wünschte trotzdem die sofortige Entlassung.
Eine Kontrast-UZ wurde vom Patienten abgelehnt."
Am 1. November 1998 erlitt der Betroffene zuhause einen körperlichen Zusammenbruch
mit Bewusstseinsverlust. Bei Einweisung auf die Intensivstation des
Knappschaftskrankenhauses P. durch den Notarzt befand sich der Betroffene in
„somnolentem Zustand, sehr agitiert und unruhig, musste medikamentös sediert und
intermittierend fixiert werden". Am 2. November 1998 wurde er mit der Diagnose „Z. n.
postvakzinale Encephalitis" wiederum in die neurologische Abteilung verlegt. Von dort
erfolgte unter dem 4. November 1998 die Meldung der Erkrankung an das
Gesundheitsamt. Mit Schreiben vom 2. Dezember 1998 beantragte die Klägerin mit
Wirkung für den Betroffenen die Anerkennung seiner Erkrankung als Impfschaden nach §
51 BSeuchG. Unter dem 19. Dezember 1998 teilte sie dem Beklagten mit, ihr Ehemann
sei immer noch ohne Bewusstsein und bat darum, ihr den zukünftig anfallenden
Schriftverkehr zuzustellen. Nachdem sich im Januar 1999 zunächst eine leichte Besserung
eingestellt hatte, erfolgte am 9. Februar 1999 die Verlegung des Betroffenen zur
Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen in die neurologische Klinik, Abteilung für
neurologische Frührehabilitation der Kliniken S., hernach am 18. März 1999 nach Q. zur
Fortsetzung der Rehabilitation. „Der Betroffene habe zuletzt mit Hilfe seiner Frau wieder
gehen können".
Am 24. März 1999 stellte sich in der Reha-Klinik in Q. ein Krampfanfall ein. Durch die
nachfolgende Behandlung in der neurologischen Abteilung des Knappschaftskrankenhauses
in P. konnte keine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes mehr erzielt
werden. Nach Verlegung am 19. April 1999 zur Reha „auf den S." und sodann (5. Juli
1999) in das Pflegehospiz des E.K., verstarb der Betroffene dort am 22. August 1999.
Der Beklagte hatte bereits im August 1998 den Sachverständigen Prof. Dr. U.K.,
ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik N.K., akademisches Lehrkrankenhaus, mit der
Erstellung eines Gutachtens bezüglich der Kausalität der Grippeimpfung für die beim
Betroffenen diagnostizierte Encephalitis beauftragt. Prof. Dr. U.K. kam in seinem Gutachten
vom 17. Oktober 1999 zu dem Ergebnis, dass mit deutlich überwiegender
Wahrscheinlichkeit die Encephalitis, deren erste Symptome spätestens am 20. Oktober
1998 bemerkt worden seien, ihre Ursache in der Influenzaimpfung vom 2. Oktober 1998
gehabt habe. Vieles spreche dafür, dass auch die letztlich zum Tode führende
Krankheitserweiterung von März 1999, sei es direkt oder indirekt, hier einzuordnen sei. Die
post-vakzinale Inkubationszeit von 18 Tagen (möglicherweise einige Tage weniger) stehe
in Übereinstimmung mit der „Literatur" und den immun-pathogenetischen Mechanismen.
Zwar habe der Nachweis von Antikörperbildung gegen die Grippeviren mit der im
vorliegenden Fall veranlassten serologischen Untersuchung nicht erbracht werden können.
Denn die Serumdiagnostik habe ergeben "Influenza A und B KBR im Normbereich". Jedoch
sei nach ausdrücklicher Versicherung des zuständigen Laborarztes Dr. R. die durchgeführte
Influenza-KBR in aller Regel nicht geeignet, Antikörperanstiege im Gefolge einer Influenza-
Impfung (im Gegensatz zu Anstiegen im Gefolge einer Influenza-Infektion) anzuzeigen. Auch
Professor Dr. M.L. vom Virologischen Institut der Universitätskliniken H. habe diesen
Sachverhalt telefonisch bestätigt, welcher auch für die durch die Kliniken S. veranlasste
Wiederholung der Untersuchung im Frühjahr 1999 gelte.
In einer Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 26. April 2000 wurde
die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der
Grippeschutzimpfung und der beim Betroffenen aufgetretenen Encephalitis verneint. Nach
der dort vertretenen Auffassung könnten nach Influenzaschutzimpfungen nur selten
neurale und zentralnervöse Impfschäden auftreten. Die Häufigkeit einer Encephalitis nach
Influenzaimpfungen werde in Wissenschaft und Literatur mit „sehr selten" beziehungsweise
„unbekannt" angegeben. Zwar sei das zeitliche Intervall zwischen Impfung und Auftreten
der ersten zentralnervösen Erscheinungen erfüllt, über die mögliche Ursache der
Encephalitis bestehe aber weiterhin Ungewissheit.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2000 lehnte der Beklagte den Antrag des Betroffenen gegenüber
der Klägerin als dessen Sonderrechtsnachfolgerin mit der Begründung ab, nach § 52
Absatz 2 Satz 1 BSeuchG reiche zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als
Schädigungsfolge zwar die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen
Impfung und Gesundheitsschaden aus. Wahrscheinlich sei die Kausalität dann, wenn
wenigstens mehr für als gegen sie spreche. Im Fall des Betroffenen könne nach dem
Ergebnis der fachärztlichen Begutachtung sowie einer abschließenden
versorgungsärztlichen Stellungnahme das Erkrankungsbild jedoch nicht nachweislich mit der
Impfung in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden.
Gegen „die" Bescheide vom 3. Juli 2000 legte die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des
Betroffenen und in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Kindes A.H., geb. am
1994., Widerspruch ein, welchen sie unter dem 7. September 2000 damit begründete, die
seinerzeit behandelnden klinischen Neurologen und der vom Beklagten beauftragte
Gutachter U.K. hätten übereinstimmend die Meinung vertreten, die Erkrankung des
Betroffenen und der nachfolgend eingetretene Tod sei auf die Grippeschutzimpfung vom 2.
Oktober 1998 zurückzuführen.
Der Beklagte hat den Rechtsbehelf nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des
ärztlichen Dienstes mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2000 zurückgewiesen und
nach wie vor einen Kausalzusammenhang mit der zu fordernden Wahrscheinlichkeit in
Abrede gestellt. Die bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs genüge nach
der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätstheorie nicht, um einen
Versorgungsanspruch zu begründen.
Hiergegen richtet sich die 2. November 2000 bei dem Sozialgericht für das Saarland (SG)
erhobene Klage, welche unter Aufrechterhaltung des im Widerspruchsverfahren
vertretenen Standpunkts nach Klarstellung vom 27. Dezember 2000 auf gerichtlichen
Hinweis ausschließlich von der Witwe des Betroffenen als dessen Sonderrechtsnachfolgerin
weiterbetrieben wird.
Das SG hat Beweis zu der Frage erhoben, ob der Tod des Betroffenen hinreichend
wahrscheinlich durch die Grippeschutzimpfung am 2. Oktober 1998 verursacht worden ist,
durch Einholung eines Gutachtens des Privatdozenten Dr. med. K.B., Facharzt für
Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Hygiene und
Umweltmedizin, Saarbrücken. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 11. Juni
2001 den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Grippeschutzimpfung und der
Encephalitis bejaht und seine Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme vom 20.
August 2001 vertieft.
Mit Urteil vom 12. Dezember 2001 hat das SG dem Begehren der Klägerin entsprochen
und unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 3. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2005 den Beklagten verpflichtet, der Klägerin
als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen H. W.H. eine Versorgung nach dem
BSeuchG i.V.m. dem BVG unter Zugrundelegung des Antrags des verstorbenen H. W.H.
vom 2. Dezember 1998 aufgrund eines bei diesem eingetretenen Impfschadens zu
gewähren. Das SG hat sich hierbei auf die Ausführungen der Sachverständigen Dres. U.K.
und K.B. gestützt. Beide Gutachter hätten in Anbetracht des Krankheitsverlaufes des
Betroffenen auf eine post-encephalitische Vasculitis oder den in der Literatur zitierten
protrahierten, subakut bzw. chronisch progredienten Verlauf einer post-vakzinalen
Encephalopathie geschlossen. Bei beiden pathogenetischen Annahmen seien nicht nur die
akuten Krankheitssymptome bei dem Betroffenen ab Oktober 1998, sondern auch die
späteren im August 1999 zum Tode führenden Erscheinungen mit großer
Wahrscheinlichkeit auf die Grippeschutzimpfung vom 2. Oktober 1998 zurückzuführen.
Andere mögliche Krankheitsursachen erschienen nach den klinischen Angaben in den
verschiedenen Arztbriefen und den gutachtlichen Äußerungen äußerst unwahrscheinlich.
Gegen dieses Urteil, dem Beklagten am 20. Dezember 2001 und der Klägerin am 7. Januar
2002 zugestellt, hat der Beklagte mit einem am 16. Januar 2002 beim Landessozialgericht
für das Saarland (LSG) eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Urteilsbegründung könne nicht überzeugen. Der
Nachweis von Serumantikörpern gegen Influenza A- und B-Viren mit Hilfe der KBR sei
negativ ausgefallen; bei der Methode fehle es an der grundsätzlichen Eignung, um eine
Antikörperbildung gegen Influenza A- und B-Viren nach Schutzimpfung nachzuweisen. Der
hochpositive Herpes-simplex-Titer, der sowohl in der Serum- als auch in der
Liquordiagnostik nachweisbar gewesen sei, müsse berücksichtigt werden. Herpes-simplex-
Erkrankungen wiesen ein sehr hohes Encephalitispotential auf, jedenfalls weitaus höher als
Influenzaviren. Überdies sei in Anbetracht der erst am 24.Oktober 1998 erfolgten
stationären Aufnahme wegen erster Symptome der in den „Anhaltspunkten" vorgesehene
Dreiwochenzeitraum überschritten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2001 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie widerspricht dem Ergebnis des im Rechtsmittelverfahren eingeholten Gutachtens des
Arztes für Mikrobiologie und Kinderheilkunde/Jugendmedizin, Prof. Dr B.S. vom 20. Juni
2002 sowie dem Inhalt der ergänzenden Stellungnahme vom 28. März 2003. Der
Sachverständige B.S. sei durch die Gutachter U.K. und K.B. hinreichend widerlegt. Seine
Begutachtung beruhe auf falschen Ausgangstatsachen und fehlerhaften Rückschlüssen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des vorgenannten Gutachtens nebst
ergänzender Stellungnahme sowie einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des
Privatdozenten Dr. K.B. vom 20. November 2003. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Ausführungen der Gutachter Bezug genommen. Im weiteren
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten sowie die
Schwerbehindertenakte, Az.: 27/4021, verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den angefochtenen Bescheid vom
3. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2005 aufgehoben
und den Beklagten verurteilt, wegen der bei dem Betroffenen aufgetretenen Encephalitis
Versorgungsleistungen zu gewähren. Nach Durchführung der Beweisaufnahme im
Berufungsverfahren steht zur Überzeugung des Senates in Anbetracht der Gutachten
Dres. U.K. und K.B. sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 2003 des
Sachverständigen Dr. K.B. zu den Ausführungen des Gutachters Dr. B.S. fest, dass der
Betroffene durch die verabreichte Schutzimpfung gegen Influenza eine gesundheitliche
Schädigung im Sinne des § 51 Abs. 1 BSeuchG (jetzt: § 60 Absatz 1 IfSG), nämlich eine
Encephalitis, erlitten hat.
§ 51 Abs. 1 BSeuchG bleibt für die Beurteilung anwendbar. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der
Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften
(Seuchenrechtsneuordnungsgesetz - SeuchRNeuG - vom 20. Juli 2000, BGBl. I S. 1076)
trat das IfSG zwar zum 1. Januar 2001 in Kraft. Da die streitgegenständliche
Grippeimpfung zum Zeitpunkt der Geltung des BSeuchG verabreicht wurde, bleiben jedoch
dessen Vorschriften maßgeblich.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 3 BSeuchG (jetzt: § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG) liegen
vor.
Danach erhält derjenige, der durch eine Impfung, die von einer zuständigen Behörde
öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, einen Impfschaden erlitten
hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag
Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz
nichts abweichendes bestimmt. Ein Impfschaden ist gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG
(jetzt: § 2 Nr. 11 IfSG) ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender
Gesundheitsschaden. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des 1. Buchs des Sozialgesetzbuchs -
Allgemeiner Teil - (SGB I) vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015) stehen fällige
Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tode eines Berechtigten u.a. zunächst dem
Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem
gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Dies ist
bei der Klägerin der Fall.
Bei der am 2. Oktober 1998 verabreichten Impfung handelte es sich um eine öffentlich
empfohlene Schutzimpfung gegen Influenza (Virusgrippe) nach der Bekanntmachung über
öffentlich empfohlene Schutzimpfungen im Saarland vom 24. Juni 1998 (GMBl. Saar 1998,
Seite 201). Die Impfung wurde auch im Bereich der zuständigen Landesbehörde, nämlich in
H., durch den Hausarzt des Betroffenen, Dr. R.B.P., durchgeführt.
Bei dem Betroffenen ist es in der Folgezeit zu einer gesundheitlichen Schädigung mit
Todesfolge gekommen. Diese gesundheitliche Schädigung war mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit Folge der Impfung. Ein solcher Kausalzusammenhang ist nach den vom
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen
Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), Rechtsstand: 2004,
(„Anhaltspunkte")anzunehmen, wenn die Erkrankung innerhalb von 3 Wochen nach der
Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der
Erkrankung ausscheiden.
Der Senat verkennt nicht, dass bei der Anwendung sogenannter „Submit- bzw.
Spaltimpfstoffe" die Beurteilung der Kausalität problematisch ist, zumal – wie die Gutachter
ausführen - in Wissenschaft und Literatur die geltend gemachte Enzephalopathie nach
Influenzaimpfung als sehr selten beschrieben wird. Der Einschätzung des Gutachters B.S. -
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Influenzaspaltimpfstoff und einer
Encephalitis habe niemals belegt werden können - vermag der Senat jedoch nicht zu
folgen. Wie der Gutachter U.K. ausführt, vermerkt der Behring-Impfkodex, dass in
Einzelfällen über entzündliche Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems
berichtetet worden sei. Einen ähnlichen Hinweis enthalte auch die „Rote Liste 1999" sowie
der Beipackzettel des Impfstoffherstellers. Hierauf weist auch der Sachverständige K.B. hin.
Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG (jetzt: § 61 IfSG) genügt überdies zur Anerkennung
eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen
Zusammenhangs, d.h. es muss mehr für als gegen einen solchen Zusammenhang
sprechen, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. August 1998, B 9 VJ 2/97; BSG,
Urteil vom 19. März 1996, 9a RVi 4/84.
Ausweislich der Angaben der Klägerin in dem von ihr für den Betroffenen am 3. Dezember
1998 gestellten verfahrensgegenständlichen Antrag traten bei dem Betroffenen die
Symptome einer Encephalitis ca. acht Tage nach der Impfung auf, nämlich Kopfschmerzen,
Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbrüche. Der Betroffene selbst äußerte sich
bei seiner Einweisung in die neurologische Abteilung des Knappschafts-Krankenhauses P.
am 24. Oktober 1998 im Rahmen der Anamnese dahin, bereits am Tag nach der
Grippeimpfung seien im Stirnbereich sowie im Nackenbereich betonte Kopfschmerzen mit
pulsierendem Charakter aufgetreten, die seither angehalten hätten. Mehrere
Behandlungsversuche mit Schmerzmitteln sowie auch Antibiotika und Diclofenac seien nicht
erfolgreich gewesen. Seit einer Woche bestehe ein ständiges Kopfnicken, das pulssynchron
sei. Seit nunmehr zwei bis drei Tagen sei ihm sehr schwindlig, er könne kaum noch gehen,
habe ständig Angst umzufallen. Einmalig habe er auch vor drei Tagen erbrochen. Am 19.
Oktober 1998 hatte der Betroffene wegen der beschriebenen Kopfschmerzen gegen
15:00 Uhr seinen Hausarzt zu sich gerufen. Dem in das Knappschafts-Krankenhaus P.
einweisenden Arzt, Dr. H.B. L., fiel am 24. Oktober 1998 eine Gangataxie auf. Die bei dem
Betroffenen aufgetretene gesundheitliche Schädigung wurde im Knappschafts-Krankenhaus
P. unter dem 28. Oktober 1998 wie folgt bezeichnet: „V. a. postvakzinale Encephalitis DD
Kleinhirninsult links, Thalamusinsult rechts." Schon zu diesem Zeitpunkt lag ein über das
übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden vor, bedingt durch
die am 2. Oktober 1998 verabreichte Impfung.
Die Angaben der Klägerin sowie des Betroffenen zum Zeitpunkt des Auftretens der
Beschwerden sind glaubhaft und werden sowohl durch den Arztbericht der neurologischen
Abteilung des Knappschafts-Krankenhauses P. über die Einweisung des Betroffenen am 24.
Oktober 1998 als auch durch die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen
Dres. U.K. und K.B. erhärtet. Hiernach sprechen mehr Umstände für als gegen einen
Zusammenhang zwischen der Impfung und der aufgetretenen Encephalitis mit späterer
Todesfolge.
Der Gutachter U.K. hat auf Seite 20 seines Gutachtens ausgeführt, dass die ersten
Symptome der Encephalitis/ Enzephalopathie spätestens am 20. Oktober 1998 bemerkt
worden seien, mithin am 18. Tag nach der Impfung. Auch der Beklagte war zunächst
davon ausgegangen, das Auftreten der zentralnervösen Symptomatik sei in dem
geforderten Zeitraum von drei Wochen postvakzinal erfolgt, wenn auch diese Position in
der Rechtsmittelinstanz aufgegeben worden ist. Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen sah das
vorgenannte zeitliche Intervall für eine postvakzinale Encephalitis als plausibel an, ähnliche
Einzelfälle fänden sich in der wissenschaftlichen Literatur. Diese Einschätzung sei auch vom
Impfstoffhersteller sowie vom Gutachter der Arzneimittelkommission der Deutschen
Ärzteschaft geteilt worden. Ebenso verhält sich die Einschätzung des Sachverständigen
K.B., welcher darüber hinaus darauf hingewiesen hat, der in den „Anhaltspunkten",
damaliger Rechtsstand: November 1996 auf Seite 232 unter Nr. 5 genannte Zeitraum von
drei Wochen dürfe nicht als statischer Wert betrachtet werden, da es an einer statistischen
Analyse fehle mangels einer repräsentativen Anzahl von Erkrankungen (Blatt 210 der GA).
Der Gutachter U.K. hatte einen Zeitraum von mindestens vier Tagen, längstens vier
Wochen oder sogar von bis zu 10 Wochen beim Guillain-Barre-Syndrom benannt.
Soweit ausschließlich der Sachverständige B.S. die in den „Anhaltspunkten" bezeichnete
Inkubationszeit von drei Wochen als überschritten angesehen hat - die Krankheitszeichen
seien nach kritischer Auswertung der vorhandenen Akten nicht dramatisch verlaufen, der
Kläger sei am 28. Oktober 1998 noch allseits orientiert und urteilsfähig gewesen; dieser
Zustand habe bis zum 1. November 1998 angehalten; erst 29 Tage nach der Impfung sei
der Bewusstseinsverlust aufgetreten; noch am 28. Oktober 1998 habe sich der Kläger auf
eigenen Wunsch nach Hause begeben - steht diese Einschätzung in Widerspruch zu den
Angaben des Klägers im Rahmen der Anamnese anlässlich der am 24. Oktober 1998
erfolgten Einweisung in die neurologische Abteilung des Knappschafts-Krankenhauses P.
sowie zu den durch Untersuchungen belegten Feststellungen im Schreiben der genannten
Klinik an den einweisenden Arzt Dr. H.B. vom 28. Oktober 1998. Auch Dr. H.B. hatte am
24. Oktober 1998 beim Betroffenen eine ungewöhnliche Kopfschmerzsymptomatik und
eine Gangstörung als Hauptbefund festgestellt. Wegen der ungewöhnlichen
Kopfschmerzen war bereits am 19. Oktober 1998 gegen 15.00 Uhr ein Hausbesuch des
Arztes Dr. R.B.P. beim Kläger erforderlich gewesen. Insoweit hat der Senat keinen Zweifel
daran, dass der in den „Anhaltspunkten" benannte 3-Wochen-Zeitraum im Falle des
Betroffenen gewahrt ist.
Im Weiteren wird nicht verkannt, dass eine Antikörperbildung beim Betroffenen nicht
nachweisbar gewesen ist. Hierauf stellt auch zunächst der Gutachter B.S. ab, wobei er im
Nachhinein einräumt, mit der Komplementbindungsreaktion sei eine ungeeignete Methodik
zum Belegen einer Antikörperbildung oder eines Antikörperanstiegs nach Influenzaimpfung
benutzt worden. Diese Einschätzung teilen sowohl der Gutachter U.K. als auch der
Sachverständige K.B. Dass ein zum Nachweis von Antikörperbildung geeigneter Serotest
nicht zur Anwendung gekommen ist, gereicht der Klägerin im Ergebnis aber weder zum
Vorteil noch zum Nachteil; ebenso verhält es sich damit, dass eine Obduktion des
Leichnams des Betroffenen unterblieben ist, zumal der Senat auch sonst hinreichende
Feststellungen zu treffen vermag, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der
am 2. Oktober 1998 erfolgten Impfung und der gesundheitlichen Schädigung mit der
gebotenen Wahrscheinlichkeit bejahen zu können. Insoweit stellt sich die Frage hier nicht,
ob dem Beklagten ein pflichtwidriges Unterlassen des Veranlassens der beiden
vorbezeichneten Maßnahmen im Sinne einer fahrlässigen „Beweisvereitelung" als Verstoß
gegen die Untersuchungsmaxime des § 20 des 10. Buchs des Sozialgesetzbuchs,
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angelastet werden könnte mit
entsprechender Bedeutung für die Feststellungslast (zu der vom BSG verneinten Lehre von
der Umkehrung der Beweislast im Falle der schuldhaften Beweisvereitelung sowie zu den
erleichterten Anforderungen an den Beweis von Tatsachen, auf die sich ein Beweisnotstand
bezieht, im Rahmen der freien richterlichen Überzeugungsbildung gem. § 128
Sozialgerichtsgesetz (SGG), vgl. BSG, Urteil vom 29. September 1965, Az.: 2 RU 61/60,
BSG E 24, 25 ff.).
Der Gutachter K.B. führt in diesem Zusammenhang überzeugend aus, bei dem
Betroffenen sei eine antiinfektiöse Therapie ohne besonderen Effekt geblieben, während die
Anwendung eines Corticosteroids (Immunsuppressivum) zu einer deutlichen Besserung
geführt habe. Dies spreche dafür, dass durch die Impfung beim Betroffenen eine auto-
allergische Reaktion ausgelöst worden sei. Hierfür könne als Argument auch die bereits
vom Sachverständigen U.K. benannte Atrophie der Colonschleimhaut herangezogen
werden. Diese im Knappschafts-Krankenhaus in P. getroffene Feststellung erlaube die
Diskussion, dass der Betroffene zur Produktion autoimmuner Prozesse geneigt habe. Vor
diesem Hintergrund kann der Tatsache, dass keine Antikörper gefunden werden konnten
(bei Heranziehung einer hierfür ungeeigneten Untersuchungsmethode), keine
ausschlaggebende Bedeutung zukommen.
Zur Überzeugung des Senats sind auch sonstige Krankheitsursachen ausgeschlossen. Für
eine Encephalitis und gegen die vom Sachverständigen B.S. auch für möglich gehaltenen
ischämischen Ursachen führen die Gutachter U.K. und K.B. an, die beim Betroffenen im
Knappschafts-Krankenhaus im P. diagnostizierten zahlreichen, schnell im Gehirn
auftretenden Entzündungsherde sprächen gerade für eine Encephalitis und gegen eine
Ischämie im Gefolge eines eher lokal begrenzten thrombotisch-embolischen Geschehens.
Diese Einschätzung ist überzeugend und befindet sich darüber hinaus auch in
Übereinstimmung mit den weiteren Arztberichten des Knappschafts-Krankenhauses P.
vom 7. Januar 1999 und 19. April 1999. Hierauf ist der Gutachter B.S. mit keinem Wort
eingegangen. Es ist plausibel, dass die immunologisch verursachte Vaskulitis letztlich auch
ischämische Befunde verursacht hat. Jedenfalls konnten andere Ursachen der Erkrankung,
wie zum Beispiel ein Tumor oder eine Embolie nicht entdeckt werden, obwohl dies - wie der
Gutachter K.B. plausibel gemacht hat - in Anbetracht der angewandten bildgebenden
Verfahren etc. hätte der Fall sein müssen.
Die Sachverständigen U.K. und K.B. haben des Weiteren überzeugend erläutert, dass
entweder unter Annahme der klinischen Beurteilung der neurologischen Abteilung P. - es
habe sich im März 1999 um eine post-encephalitische Vasculitis gehandelt - oder unter
Einordnung des Gesamtverlaufs der Krankheit unter die in der medizinischen Literatur
beschriebenen protrahierten, subakut bzw. chronisch progredienten Fälle nicht nur die
Erkrankung des Betroffenen von Oktober bis November 1998, sondern der gesamte
Krankheitsverlauf als Folgeschaden im Anschluss an die Grippeschutzimpfung vom 2.
Oktober 1998 eingeordnet werden müsse, wenn auch ein naturwissenschaftlicher
Vollbeweis hierfür nicht erbracht werden könne. Dessen bedarf es aber auch nicht, da auf
eine überwiegende Wahrscheinlichkeit abzustellen ist, welche der Senat aufgrund der
überzeugenden Darlegungen der Gutachter U.K. und K.B. für gegeben erachtet, zumal die
Erkrankung des Betroffenen von Anfang an einen einheitlichen, fortschreitenden Verlauf
gezeitigt hat, welcher sich ohne logische Brüche auf die von den Gutachtern U.K. und K.B.
gestellte Diagnose zurückführen lässt. Mithin ist der Beklagte zu Recht verurteilt worden,
wegen der bei dem Betroffenen aufgetretenen Encephalitis mit Todesfolge
Versorgungsleistungen zu gewähren.
Der Berufung konnte daher kein Erfolg beschieden sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Absatz 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.