Urteil des LSG Saarland vom 04.07.2007

LSG Saarbrücken: hepatitis, abwasser, gutachter, ärztliche behandlung, berufskrankheit, virus, wahrscheinlichkeit, klärschlamm, gesundheitsdienst, gefährdung

LSG Saarbrücken Urteil vom 4.7.2007, L 2 U 137/05
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - Infektionskrankheit - vergleichbare
Infektionsgefahr gem BKV Anl Nr 3101 Alt 4 - Hepatitis-B-Infektion - Klärfacharbeiter
Leitsätze
Klärfacharbeiter sind bei ihrer Tätigkeit einer Infektionsgefahr hinsichtlich Hepatitis B nicht in
ähnlichem Maße besonders ausgesetzt wie die im Gesundheitsdienst, in der
Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium Tätigen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland
vom 22.11.2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Hepatitis B-Infektion als Berufskrankheit (BK)
nach Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (Anl BKV).
Der 1948 geborene Kläger ist von Beruf Klärfacharbeiter und seit 1979 beim
Entsorgungsverband Sa. Bereich Abwasserwirtschaft tätig. Er war dort als
Entwässerungsmaschinist der mobilen Schlammentwässerung eingesetzt. Der
Arbeitsbereich umfasste im Wesentlichen Wartungs-, Instandhaltungs- und
Reparaturarbeiten an sämtlichen Anlagenteilen der Maschinentechnik zur
Schlammentwässerung auf der Kläranlage. Diese Tätigkeiten bedingten eine ständige
Kontaktgefahr mit Klärschlamm (nass und entwässert) und Abwasser (Filtrat).
Der Kläger begab sich am 07.11.1996 in ärztliche Behandlung, nachdem er eine
allgemeine Verschlechterung seines Allgemeinbefindens festgestellt hatte, welche sich in
Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen, Nachtschweiß und vermehrt dünne Stühle äußerte.
Im Rahmen dieser Untersuchung wurde das Blut des Klägers positiv auf Hepatitis B-Viren
getestet. Arbeitsunfähigkeit bestand vom 17.01.1997 bis 27.04.1997.
Der Kläger gab an, 1996 während der Arbeit Unfälle erlitten zu haben. Zum einen sei es
am 28.05.1996 zu einer Stich- und Kratzwunde am rechten Handrücken gekommen,
welche er sich bei Arbeiten am Rechencontainer durch eine Art Mistgabel zugezogen habe.
Zum anderen sei ihm am 10.06.1996 bei der Reparatur eines Durchflussmessers beim
Öffnen der verstopften Leitung Schlamm mit Fremdkörpern in den Mund gespritzt,
wodurch er sich blutende Verletzungen an Oberlippe und Zahnfleisch zugezogen habe.
Die Beklagte holte dann zunächst ein Gutachten (vom 20.07.1998) bei Prof. Dr. L. ein.
Dieser ging davon aus, dass bei dem Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine
besondere berufliche Exposition anzunehmen sei und es im Rahmen der geschilderten
Verletzungen zu Kontakt mit Blut, Speichel und anderen Körpersekreten gekommen sei.
In Ergänzung dazu wurde von der Beklagten ein weiteres Gutachten (vom 02.10.1998) bei
Prof. Dr. Se. eingeholt. Dieser vertrat die Auffassung, dass der Kläger durch seine Tätigkeit
als Klärfacharbeiter der Infektionsgefahr bezüglich einer Hepatitis B nicht mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen sei wie
Personen, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium
tätig seien.
Dieser Einschätzung schloss sich auch die Gewerbeärztin B.-K. in ihrem Gutachten vom
05.11.1998 an.
Mit Bescheid vom 24.02.1999 entschied die Beklagte, dass
1. die Hepatitis B-Infektion nach § 551 Abs.1
Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit Nummer 3101
der Anlage 1 zur BKV abgelehnt werde und
2. die Hepatitisinfektion als Folge eines Arbeitsunfalls abgelehnt
werde.
Sie bezog sich dabei auf die Ausführungen von Prof. Dr. Se., wonach eine Virusübertragung
der Hepatitis-B-Viren über den Stuhl nicht erfolgen könne, da diese bei der Darmpassage
von Darmbakterien so verändert würden, dass sie nicht mehr infektionstüchtig seien. Auch
der Urin von Virus B-Trägern sei wegen der allenfalls in sehr niedriger, nicht
ansteckungsfähiger Menge vorkommender Viren als nicht infektiös zu bezeichnen. Bei der
Einleitung von Blut in Abwässer gelte ebenfalls, dass Hepatitis B-Viren hier nicht überleben
könnten und aus den gleichen Gründen denaturiert würden. Hinzu trete noch ein
erheblicher Verdünnungseffekt. Die Annahme, dass fäkal verunreinigtes Abwasser als
potentiell infektiös für eine Hepatitis B-Infektion angesehen werden müsse, sei falsch.
Kanalarbeiter könnten nicht in eine Hochrisikostufe für die Hepatitis B, vergleichbar mit dem
Krankenhauspersonal, eingestuft werden, so dass keine BK 3101 Anl BKV vorliege. Aus
den genannten Gründen sei die Infektion auch nicht auf die Ereignisse vom 28.05. und
10.06.1996 zurückzuführen. Zudem lasse sich der Zeitpunkt der Infektion auf Grund der
erhobenen Leberbefunde nicht hinreichend feststellen; es sei zwar möglich, dass die
Infektion im Mai oder Juni 1996 erfolgt sei, jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich.
Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom
04.10.1999).
Der Kläger hat am 04.11.1999 beim Sozialgericht für das Saarland (SG) Klage erhoben,
mit der er die Anerkennung der Infektion als Berufskrankheit begehrt. Er hat eine
Veröffentlichung von Dr. U. K. („Abwassertypische Krankheiten und hygienische
Schutzmaßnahmen“) zu den Akten gereicht, während die Beklagte eine Stellungnahme von
Prof. Dr. Se. (vom 26.04.2000) sowie ein von ihm mitverfasstes Kompendium
(„Differentialdiagnostik und Begutachtung der Virushepatitis und Folgekrankheiten“, April
1999) vorgelegt hat.
Das SG hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens (vom 10.10.2003) bei Dr. St. von
Amts wegen sowie eines weiteren Gutachtens (vom 21.04.2004) bei Prof. Dr. Z. gemäß §
109 SGG mit Gerichtsbescheid vom 22.11.2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass es an dem Tatbestandsmerkmal „durch eine andere
Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt war“ mangele. Dieses sei bei
der Tätigkeit des Klägers in der Klärschlammanlage nicht erfüllt. Zum einem bestehe kein
vergleichbarer direkter Blutkontakt, zum anderen könne auch nicht von einer Exposition mit
„hoch angereichertem infektiösen Material“ ausgegangen werden. Hinzu komme, dass die
bloße Möglichkeit einer Ansteckung nicht ausreiche. Das SG stützte sich dabei auf die
Auffassung des Gutachters Dr. St.. Dem Gutachten von Prof. Dr. Z. vermochte es nicht zu
folgen, da ein Kontakt insb. mit Blut und Speichel nicht bestanden habe. Selbst wenn
Körperflüssigkeiten dieser Art in Abwasser enthalten seien, seien diese Bestandteile
erheblich verdünnt. Hinzu trete, dass Hepatitis B- Viren gegenüber Umwelteinflüssen sehr
anfällig seien und auch aus diesem Grund eine Ansteckung über diesen Weg eher
unwahrscheinlich sei.
Gegen den ihm am 28.11.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am
21.12.2005 Berufung eingelegt.
Er trägt vor, dass zwar teilweise in der unfallmedizinischen Lehrmeinung davon
ausgegangen werde, dass der Infektionsweg über das Abwasser im Grundsatz
unwahrscheinlich sei, aber daneben auch die Auffassung vertreten werde, dass ein
potentielles Infektionsrisiko durch Stichverletzungen bei Kanalarbeiten gegeben sei. Werde
der geforderte Ursachenzusammenhang zwischen Infektion und der Tätigkeit im
Abwasserbereich durch besondere Umstände in außergewöhnlichem Maße gesteigert,
müsse ein Zusammenhang anerkannt werden. Dies sei etwa dann der Fall, wenn das
Abwasser in erhöhtem Maße Abfälle von Krankenhäusern, aus dem Drogenmilieu usw.
enthalten habe und der Erkrankte während der akuten Ansteckungszeit vermehrten
Umgang mit diesen infizierten Materialien gehabt habe. Es stehe fest, dass er mit solchen
Abfällen während seiner Tätigkeit öfters in Berührung gekommen sei. Bei der erforderlichen
Einzelfallprüfung seien seine Verletzungen, die er sich im Mai und Juni 1996 zugezogen
habe, ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass er sonst mögliche
Übertragungsquellen (Übertragung von Blut oder Blutprodukten, Tätowierungen, Piercing,
Akupunkturen, intravenöser oder nasaler Drogenkonsum, häufig wechselnde
Geschlechtspartner) ausschließen könne. Daher seien die Ereignisse vom Mai und Juni 1996
die einzig denkbaren Ereignisse, bei denen es zu einer Infektion habe kommen können. Bei
Nachweis einer offenen Hautverletzung und bei Vorhandensein der potentiell
hochkontaminösen Bestandteile könne in aller Regel davon ausgegangen werden, dass die
aufgetretene Infektionskrankheit beruflich bedingt sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom
22.11.2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom
24.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom
04.10.1999 abzuändern und festzustellen, dass seine Hepatitis B-
Infektion eine Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den ergangenen Gerichtsbescheid.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten; der Inhalt der Beiakten
war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SG geht zu Recht davon aus, dass die Hepatitis B-Infektion des Klägers nicht als BK Nr.
3101 Anl BKV anzuerkennen ist. Diese BK umfasst Infektionskrankheiten, wenn der
Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium
tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders
ausgesetzt war.
Für den Kläger als Klärfacharbeiter kommt nur die Alternative 4 "Versicherte, die durch eine
andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt sind" in
Frage.
Diese Alternative beinhaltet keinen Auffangtatbestand für jene Fälle, die nicht unter die
ersten drei Alternativen einzuordnen sind. Die Gefährdungstatbestände stehen vielmehr
insofern in einem von der sozialen Schutzwürdigkeit bestimmten Zusammenhang, als nur
die dem Gesundheitsdienst u.a. typischen Infektionskrankheiten erfasst werden. Der
Versicherte muss der Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sein, so
dass die Gefährdung in Art und Grad derjenigen in den näher bezeichneten Einrichtungen
vergleichbar ist. Nicht jedoch muss die Tätigkeit wesensgleich sein. Erforderlich ist allein,
dass der Versicherte durch die Arbeit einem ähnlichen Gefährdungsgrad ausgesetzt ist wie
das Pflegepersonal in einer der genannten Einrichtungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 769, 770 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Dies
steht zur Überzeugung des Senats fest auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme.
Der im Verwaltungsverfahren mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Prof. Dr. L.,
der eine chronische Hepatitis B ohne entzündliche Aktivität mit nur sehr geringer
Infektiosität feststellte, geht davon aus, dass nach dem zeitlichen Verlauf des Auftretens
der Beschwerden eine Infektion aufgrund der Unfallereignisse im Jahr 1996 möglich
erscheine. Eine genauere zeitliche Anordnung lasse sich anhand der aktenkundlichen
Labordaten nicht vornehmen. Aufgrund der Schilderungen des Klägers nimmt der
Gutachter an, dass, auch wenn der Hepatitis B-Virus unter Umweltbedingungen wenig
resistent sei, von einer hochgradigen Anreicherung angesichts der Fülle des kontaktiösen
Materials ausgegangen werden könne. Demnach sei festzuhalten, dass bei dem Kläger im
Rahmen seiner Tätigkeit als Klärschlammarbeiter eine berufliche Exposition vorgelegen
habe und es im Rahmen der geschilderten Verletzungen zu Kontakt mit Blut, Speichel oder
anderen Körpersekreten gekommen sei. Andere Erkrankungsmöglichkeiten wie Kontakt mit
erkrankten Personen, Blutübertragungen sowie Auslandsaufenthalte würden vom Kläger
glaubhaft verneint. Die MdE werde auf 10 v. H. eingeschätzt.
Prof. Dr. Se. führt im Wesentlichen aus, dass ein Hepatitisvirus B-Trägerstatus oder auch
eine akute oder chronische Erkrankung niemals zu einer Ausscheidung von Hepatitis B-Viren
im Darm führe. Es sei seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt und bewiesen, dass
Hepatitis B-Viren bei der Darmpassage von Darmbakterien so verändert würden, dass die
nicht mehr infektionstüchtig seien. Auch der Urin von Virus B-Trägern sei wegen der hier
allenfalls in sehr niedriger, nicht ansteckungsfähiger Menge vorkommenden Viren als nicht
mehr infektiös zu bezeichnen. Selbstverständlich gelte auch bei einer Einleitung von Blut in
Abwässer, dass Hepatitis B-Viren hier nicht überleben könnten und aus den gleichen
Gründen denaturiert würden. Hinzu trete noch ein erheblicher Verdünnungseffekt. Sollten
tatsächlich einmal Blut oder Serum bzw. blutkontaminierter Stuhl oder blutkontaminierte
Körperflüssigkeiten in die Kanalisation eingeleitet worden sein, so würden die ggf.
enthaltenen labilen Hepatitis B-Viren schnell inaktiviert. Die immer wieder zitierte Arbeit von
Chriske (et al., Hepatitis B-Infektionsgefährdung bei Kanal- und Klärwerksarbeitern:
Arbeitsmedizin – Sozialmedizin – Präventivmedizin, 1990) sei auf Grund gravierender
methodischer Mängel in ihrer Aussage nicht haltbar und könne nicht als Gegenargument
verwendet werden. Die zentrale Annahme, dass fäkal verunreinigtes Abwasser als
potentiell infektiös für eine Hepatitis B-Infektion angesehen werden müsse, sei nicht richtig.
Um den aktuellen Kenntnisstand auch aus virologischer Sicht überprüft zu haben, sei zu
diesem Fragepunkt einer der führenden deutschen Virologen, Prof. Dr. J. (Institut für
Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität R.), gehört worden (persönliche
Mitteilung vom 02.10.1998). Nach wie vor ergebe sich auch aus virologischer Sicht und
Kenntnis der internationalen Literatur dabei die klare Aussage, dass bzgl. des Hepatitisvirus
B bei Kanalarbeitern und Arbeitskräften in Kläranlagen keine vermehrte
Infektionsgefährdung, vergleichbar mit Krankenhauspersonal mit pflegerischem und
Blutkontakt zu Patienten, postuliert werden könne. Die stattgehabte und mit Immunität
beendete Hepatitis B-Infektion (eine Erkrankung sei zu keinem Zeitpunkt belegt) stehe nicht
mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit der
beruflichen Tätigkeit.
Dr. St. kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine chronische Hepatitis B-Infektion
ohne entzündliche Aktivität mit nur sehr geringer Infektiösität bestehe, allerdings eine
Berufskrankheit nach Nr. 3101 Anlage zur BKV nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit
zu belegen sei. Das Infektionsrisiko sei nicht vergleichbar mit Tätigen in stationären
medizinischen Einrichtungen oder Laboratorien, da kein vergleichbarer Blutkontakt bestehe.
Zwar seien Beschäftigte in abwassertechnischen Anlagen erhöhten Infektionsrisiken
ausgesetzt, allerdings sei das Gefährdungspotential der einzelnen Infektionskrankheiten
unterschiedlich zu bewerten. So werde das Risiko für eine Hepatitis B-Virusinfektion als
gering eingeschätzt. Nach den Ausführungen des Ausschusses für biologische Arbeitsstoffe
der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin liefere das
Berufskrankheitengeschehen keinen Hinweis auf eine erhöhte Gefährdung gegen Hepatitis
B-Viren. Zum einen gelte der Infektionsweg über das Abwasser als nicht gegeben und zum
anderen existierten keine eindeutigen Hinweise bezüglich einer erhöhten Durchseuchung.
Der Gutachter stellt im Anschluss noch einmal die bestehenden möglichen
Übertragungswege dar und kommt dann zu dem Schluss, dass von „einer hochgradigen
Anreicherung des Hepatitis B-Virus angesichts der Fülle des kontaktiösen Materials“, wie
dies Prof. L. formuliert hat, nicht ausgegangen werden könne. So sei es zumindest
ungewöhnlich, dass Krankenhausabfälle in der Kanalisation auftauchten, da nach geltenden
Abfallentsorgungsvorschriften spitze und blutkontaminierte Gegenstände wie Kanülen,
Skalpelle, Spritzen etc. in Klinken in durchstichsicheren Behältern gesammelt und ebenso
wie verbrauchte Blutbeutel usw. in Verbrennungsanlagen zu entsorgen seien. Auch das
Übertragungsrisiko durch Menstrualblut in Binden und Tampons müsse als gering
eingeschätzt werden. Die HBs-Ag-Prävalenz bei Frauen in Deutschland liege mit 0,2% sehr
niedrig. Auch der Kontakt mit Klärschlamm stelle kein hohes Infektionsrisiko für eine
Hepatitis B-Infektion dar, da diese Viren nicht fäkal-oral übertragen würden. Bei dem
Klärschlamm an der mobilen Entwässerungsanlage handele es sich zudem um Rückstände
Klärschlamm an der mobilen Entwässerungsanlage handele es sich zudem um Rückstände
nach bereits erfolgtem Klärungsprozess, der in der Regel zu einer zusätzlichen
Abreicherung von Infektionskeimen führe.
Eine Berufskrankheit wäre, ausgehend von der Feststellung, dass keine außerberuflichen
Risiken eruiert werden könnten, eher dann anzunehmen, wenn eine zeitliche Verbindung
zwischen der angeschuldigten Exposition und der Erkrankung exakt belegt werden könnte,
was jedoch nicht der Fall sei. Zwar halte sich die geschilderte Symptomatik innerhalb der
Inkubationszeit nach den geschilderten Unfallereignissen, aber die Symptome selbst seien
für eine Hepatitis B nicht pathognomonisch, sondern eher untypisch. Insoweit führt er
weiter aus, dass auch andere Umstände für die Beschwerden des Klägers ursächlich
gewesen sein könnten. Daneben sei es zumindest ungewöhnlich, dass zu keinem Zeitpunkt
der angenommenen „akuten“ Infektionsphase die Lebertransaminasen bestimmt worden
seien, etwa zur Beurteilung der Krankheitsschwere oder Entzündungsaktivität, zumal dem
Kläger zwei Monate Arbeitsunfähigkeit attestiert worden sei. Allein aus dem Nachweis von
HBs-Ag und anti-HBc lasse sich die Diagnose einer akuten Hepatitis B nicht stellen.
Der nach § 109 SGG vom SG beauftrage Gutachter Prof. Dr. Z. geht wiederum von einer
chronischen Hepatitis B-Infektion aus, für die sich bei normalen Transaminasen seit 1997
keine Hinweise auf eine maßgebliche entzündliche Aktivität ergäben. Im Anschluss daran
führt er die möglichen Übertragungswege für Hepatitis B-Infektionen auf. Ausgehend von
der Feststellung, dass das Risiko für Arbeiter im Abwasserbereich kontrovers diskutiert
werde, hält er fest, dass keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO, Robert-
Koch-Institut, Berlin) zur Hepatitis B-Impfung von Klärwerksarbeitern bestehe und in den
veröffentlichten Empfehlungen des Ausschusses für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) ein
besonderes Infektionsrisiko mit Hepatitis B-Viren bei Arbeitern im Abwasserbereich als nicht
gegeben angesehen werde. Ein potentielles Infektionsrisiko durch Stichverletzungen könne
jedoch nicht ausgeschlossen werden. Der Gutachter verweist auf zwei Studien zur
Prävalenz der Hepatitis B-Infektion bei Klärarbeitern. Eine davon aus dem Jahre 1984 habe
eine Durchseuchungsrate von 13% angenommen. Allerdings sei in dieser Studie kein
Vergleichskollektiv untersucht worden, der Vergleich mit der Durchseuchungsrate der
Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland (6 %) sei aufgrund von alters- und
geschlechtsspezifischen Unterschieden nicht möglich. In der zweiten, einer griechischen
Studie, sei ein Durchseuchungsgrad von 43,9% festgestellt worden, bei 6,6% habe
chronische Hepatitis B mit positivem HBs-Antigen vorgelegen. Eine Univariatanalyse habe
eine Abhängigkeit der Durchseuchungsrate vom Kontakt mit Abwasser, Alter und
Bildungsstand gezeigt. Die multivariate Regressionsanalyse habe bestätigt, dass allein der
Kontakt zu Abwasser, unabhängig von anderen Variablen, mit einer erhöhten
Durchseuchungsrate assoziiert sei (p<0,001). Die Ursache für die in den beiden Studien
sich zeigende Prävalenz sei nicht bekannt.
Es gäbe keine Untersuchungen über die Hepatitis B-Virenkonzentration im Klärschlamm
bzw. spezielle Verunreinigungen sowie die Überlebensfähigkeit des Hepatitis B-Virus
außerhalb des menschlichen Körpers im feuchten Medium des Klärschlamms. Eine hohe
Anreicherung von Hepatitis B-Viren im Klärschlamm, wie der Gutachter Prof. Dr. L. sie
angenommen habe, sei nicht bekannt. Weiter führt der Gutachter aus, dass der von dem
Kläger berichtete Kontakt mit infektiösem Material grundsätzlich als Infektionsquelle in
Frage käme, wenngleich die Wahrscheinlichkeit einer Kontamination des Materials sehr
gering sei. Trotzdem hält der Gutachter aufgrund der sonstigen fehlenden Risikofaktoren
und der in den beiden Studien einheitlich nachgewiesenen erhöhten Häufigkeit eine
Hepatitis B-Infektion bei dem Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit im Klärwerk „noch für am
wahrscheinlichsten“.
Zur Überzeugung des Senats steht nicht fest, dass der Kläger als Klärfacharbeiter der
Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war wie die anderen in der BK
Nr 3101 Anl BKV genannten Personengruppen. Er schließt sich den überzeugenden und
widerspruchsfreien Ausführungen von Prof. Dr. Se. und Dr. St. an. Diese haben
nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen bei der Tätigkeit des Klägers als
Kläranlagen-Mitarbeiter eine besondere Gefährdung, die vergleichbar mit den vorherig in BK
Nr. 3101 Anl BKV genannten Tätigkeitsbereichen sein müsste, nicht vorlag. Hervorzuheben
ist dabei insbesondere, dass das Hepatitis B-Virus nicht umweltresistent ist. Die Aussage,
dass bei einem Klärfacharbeiter eine wie in der BK Nr. 3101 Anl BKV geforderte besondere
Infektionsgefahr besteht, kann auch nicht dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
Z. entnommen werden. Dieser hat lediglich ausgeführt, dass er aufgrund der fehlenden
Risikofaktoren für die Übertragung des Hepatitis B-Virus und der in zwei Studien einheitlich
nachgewiesenen erhöhten Häufigkeit einer Hepatitis B-Virusinfektion bei Klärwerksarbeitern
eine berufsbedingte Infektion noch für am wahrscheinlichsten halte. Hinzu kommt, dass
Prof. Dr. Z. selbst einräumt, dass in der Untersuchung der 84 deutschen
Klärwerksarbeiter(innen) kein Vergleichskollektiv untersucht worden ist und der Vergleich
mit der Durchseuchungsrate der Gesamtbevölkerung aufgrund alters- und
geschlechtsspezifischer Unterschiede nicht möglich ist. Ebenso ist nicht ersichtlich,
inwieweit die griechische Studie auf Deutschland übertragbar ist.
Dem Gutachter Prof. Dr. L. vermag der Senat nicht zu folgen. Die zentrale und nicht weiter
begründete Annahme des Gutachters, dass der Kläger Kontakt mit hochinfektiösem
Material hatte, wird durch die Gutachten von Prof. Dr. Se. und Dr. St. widerlegt. Auch Prof.
Dr. Z. ist der Auffassung, dass Materialien wie Kondome, Tampons, Damenbinden und
leere Blutkonserven zwar grundsätzlich als Infektionsquelle in Frage kämen, die
Wahrscheinlichkeit einer HBV-Kontamination sehr gering sei.
Soweit der Kläger seine Hepatitis B-Infektion auf die Arbeitsunfälle im Jahr 1996
zurückführt, hat Prof. Dr. Z. darauf hingewiesen, dass die Bestimmung des
Infektionszeitpunktes auf Grund der fehlenden serologischen Differenzierung bei der
Stellung der Erstdiagnose (anti-HBc-IgM, HBeAg) sowie der fehlenden Bestimmung der
Transaminasen nicht möglich sei. Zudem ist, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, nicht
nachgewiesen, dass der Kläger bei seinen Unfällen mit infiziertem Material in Berührung
kam. Dies gilt insbesondere auch für den Unfall im Mai 1996, als der Kläger sich mit einer
Art „Mistgabel“ verletzte, nachdem er mit dieser einen Blutbeutel durchstochen hatte. Dr.
St., dem der Senat auch insoweit folgt, hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen,
dass das Übertragungsrisiko einer Hepatitis B-Infektion durch Bluttransfusionen oder
zelluläre Blutbestandteile (entsprechend dem Inhalt von Blutbeuteln) als sehr gering
einzuschätzen sei. Durch regelmäßige Spenderauswahl und routinemäßige Testung auf
HBs-Ag werde das Restrisiko einer Übertragung auf 1:50000 geschätzt.
Die Anerkennung der Hepatitis B-Infektion als Berufskrankheit nach Nr. 3101 Anlage zur
BKV scheidet daher aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.