Urteil des LSG Saarland vom 27.05.2008

LSG Saarbrücken: epilepsie, kinderlähmung, vorsorgeuntersuchung, wahrscheinlichkeit, geburt, kinderarzt, poliomyelitis, diabetes mellitus, säugling, befund

LSG Saarbrücken Urteil vom 27.5.2008, L 5 VJ 10/04
Impfschadensrecht - Impfschaden - Säugling - Mehrfachimpfung - cerebrales Anfallsleiden
mit Entwicklungsstörung - AHP - STIKO - Wahrscheinlichkeit des ursächlichen
Zusammenhangs
Leitsätze
1. Richtige Klageart für das Begehren des Klägers, ob er durch die ihm verabreichten
Impfungen am 28. November 1996 gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis (azellulärer
Impfstoff) sowie gegen Haemophilus influenzae b und gegen Poliomyelitis
(Schluckimpfstoff) einen Impfschaden erlitten und deshalb Versorgungsleistungen zu
beanspruchen hat, ist die kombinierte Anfechtungs- Feststellungs- und Leistungsklage. Da
es somit für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung ankommt, finden grundsätzlich die AHP in ihrer aktuellen Fassung
Anwendung. Da die AHP 2006 und 2008 keine eigenen Ausführungen in Ziffer 57 zu
möglichen Impfkomplikationen und Impfschäden mehr enthalten, ist auf die
Arbeitsergebnisse der STIKO zurückzugreifen. Da diese aber zu dem dem Kläger
verabreichten Schluckimpfstoff, der 1996 noch zugelassen war, keine Ausführungen mehr
enthalten, ist insoweit auf Ziff. 57 AHP 1996/2004 zurückzugreifen.
2. Konkurrierende Ursachen, denen neben der Impfung überragende Bedeutung zukäme,
konnten durch die Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Eine Vorschädigung des
Gehirns ist nicht bewiesen. Die therapieresistente Grand-Mal-Epilepsie, an der der Kläger
leidet, ist zwar genetisch determiniert. Dieser Disposition kommt aber gegenüber der
Impfung keine herausragende Bedeutung zu.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
14. Oktober 2004 und der Bescheid des Beklagten vom 01. März 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das beim Kläger bestehende zerebrale Anfallsleiden Folge der
durch die am 28. November 1996 verabreichten Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus,
Keuchhusten, Haemophilus influenzae b und gegen Kinderlähmung ist.
3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Versorgungsleistungen nach den gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren.
4. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Auslagen des Klägers für beide Rechtszüge zu
tragen.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger durch eine am 28. November 1996
verabreichte Impfung einen Impfschaden erlitten hat und deshalb Versorgung nach dem
Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen
(Bundes-Seuchengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.
Dezember 1979 (BGBl. I, 2262, ber. 1980 I, 151) bzw. nach dem seit 01. Januar 2001
geltenden Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim
Menschen (Infektionsschutzgesetz ) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I, 1045)
beanspruchen kann.
Der Kläger, der mittlerweile die Behindertenschule in M. besucht, wurde 1966 in der St. E.-
K. Sa. geboren. Die 1956 geborene Mutter des Klägers hatte zuvor am 30. Dezember
1993 in der 17. Schwangerschaftswoche (SSW) einen Abort erlitten.
Der Kläger kam in der 39. SSW durch eine Sektio bei vorzeitigem Blasensprung zur Welt.
Bei Geburt wog er 3.720,00 g und war 52 cm groß. Der Kopfumfang betrug 36,5 cm. Bei
der Geburt war das Fruchtwasser grün verfärbt, bei der Mutter des Klägers war ein
Diabetes mellitus festgestellt. Kurz nach der Geburt zeigten sich beim Kläger diskrete
Adaptionssstörungen (Knorksen, Nasenflügeln); nach 25 Minuten war der Kläger völlig
unauffällig und gut adaptiert; die Apgarwerte betrugen 7- 9 - 9. Wegen des grünverfärbten
Fruchtwassers wurde eine Kontrolle der Entzündungsparameter veranlasst. Es zeigte sich
eine Streptokokken-B-Besiedlung im Magensaft, so dass am 27. August 1996 wegen des
Verdachtes auf Amnioninfektionssyndrom nach Abnahme einer Blutkultur eine
Antibiotikabehandlung begonnen wurde.
Bei der Vorsorgeuntersuchung U 2 am 02. September 1996 betrug der Kopfumfang 36,5
cm.
Der Kläger wurde am 03. September 1996 relativ beschwerdefrei in die ambulante
Betreuung des Arztes für Kinderheilkunde M. Me., entlassen (Befundbericht des Chefarztes
der Kinderklinik St. E. Dr. T. vom 25. September 1996).
Am 27. September 1996 wurde die Vorsorgeuntersuchung U3 durch den Kinderarzt M.
durchgeführt, der einen Kopfumfang von 39 cm maß. Der Kinderarzt vermerkte
handschriftlich im Vorsorgeuntersuchungsheft „muskuläre Hypotonie, Hyperexzitabilität“.
Es wurden zehn krankengymnastische Behandlungen rezeptiert.
Bei der Vorsorgeuntersuchung U4 am 28. November 1996 betrug der vom Kinderarzt M.
gemessene Kopfumfang 40,5 cm. Der Kinderarzt vermerkte handschriftlich „gesunder
Säugling“.
Bei dieser Vorsorgeuntersuchung am 28. November 1996 war der Kläger morgens um
9:30 Uhr von dem Kinderarzt M. mit dem Impfstoff Infanrix DTPa, Fa. S.K. B., gegen
Diphtherie, Tetanus, Pertussis und mit Pedvax Hib, Fa. B., gegen Haemophilus Influenzae b
geimpft worden. Gleichzeitig wurde ihm eine Schluckimpfung, nämlich Oral Virelon, Fa. B.,
gegen Poliomyelitis verabreicht. Bei dem Bestandteil des Spritzimpfstoffes gegen Pertussis
handelte es sich um den azellulären Impfstoff, der Mitte der 90-iger Jahre in Deutschland
eingeführt wurde.
Die Eltern des Klägers bemerkten am Nachmittag desselben Tages beim Kläger ein zuvor
nie beobachtetes Blinzeln mit den Augenlidern. Gegen Abend, ungefähr acht Stunden nach
der Impfung, erlitt der Kläger einen Krampfanfall; nach den Angaben der Eltern hätten die
Arme und Beine des Klägers „nicht sicher gezuckt“, sondern seien starr verkrampft
gewesen. Der Kopf des Klägers sei starr zum Nacken gebeugt gewesen; der Kläger sei
nicht ansprechbar gewesen. Der Kläger wurde in das Kreiskrankenhaus Me. gGmbH
eingeliefert, wo er bis zum 05. Dezember 1996 blieb. Nach dem Entlassungsbericht des
Chefarztes der Klinik für Kinder und Jugendliche Dr. K. vom 05. Dezember 1996 wurden
beim Kläger ein „Fieberkrampf nach Vierfachimpfung und eine Anämie“ diagnostiziert. Es
ist dokumentiert, dass vom Notarzt eine Infusionstherapie mit 0,5 mg Diazepam und im
Krankenhaus eine Krampfprophylaxe mit Luminaletten bis zur Entfieberung durchgeführt
worden sind.
Ein Liquorstatus ergab keinen Anhalt für frische Infektionen. In dem Befundbericht war
unter „Bemerkungen“ festgehalten, dass der Krampfanfall dem Gesundheitsamt als
Impfkomplikation gemeldet worden sei und die Mutter des Klägers eine kranielle
Computertomographie abgelehnt habe.
Am 09. Dezember 1996 erlitt der Kläger erneut einen Krampfanfall und wurde stationär in
das Kreiskrankenhaus Me. bis 20. Dezember 1996 aufgenommen (Entlassungsbericht vom
20. Dezember 1996).
Ein EEG vom 09. Dezember 1996 war pathologisch mit rechtsbetonter Allgemeinstörung
sowie generalisierter linksbetonter Krampfaktivität.
Ein CCT am 10. Dezember 1996 zeigte keinen Hinweis auf Hirnentwicklungsstörungen, auf
eine Blutung oder einen Tumor.
Der Kläger erlitt erneut am 26. Dezember 1996 einen zerebralen Krampfanfall und befand
sich bis 27. Dezember 1996 stationär im Kreiskrankenhaus Me. (Entlassungsbericht vom
29. Januar 1997). Die Entlassung erfolgte gegen ärztlichen Rat.
Am 09. Januar 1997 erlitt der Kläger einen weiteren Krampfanfall und befand sich bis 14.
Februar 1997 in der stationären Behandlung des Kreiskrankenhauses Me.
(Entlassungsbericht vom 14. Februar 1997).
Während dieses Aufenthalts erlitt der Kläger am 12. Januar 1997 erneut Krampfanfälle, die
schließlich nur noch mittels Phenhydan Trp. beherrschbar waren. Die Dauermedikation
wurde von Luminal auf Valproat umgestellt, unter Ergenyl Trp. kam es zu einem erneuten
schweren Krampfanfall mit Ateminsuffizienz; kurzfristige Beatmung und Überwachung auf
der Intensivstation waren notwendig.
Eine Kernspintomographie des Schädels vom 15. Januar 1997 wurde dahingehend
interpretiert, es habe sich eine bifrontoparietale Hirnrindenvergröberung gezeigt. Beim
Kläger wurde eine deutliche Entwicklungsverzögerung festgestellt.
Nach einer EEG–Kontrolle am 18. März 1997 wurden beim Kläger in der Ambulanz des
Kreiskrankenhauses Me. deutliche Entwicklungsfortschritte festgestellt (Befundbericht vom
24. März 1997).
Am 21. Juli 1997 kam der Kläger wieder wegen eines Krampfanfalls mit Aspiration nach
Varizellenerkrankung in das Kreiskrankenhaus Me.. Er hatte Fieber; es wurde eine
Mittelohrentzündung rechts festgestellt. Er blieb dort in stationärer Behandlung bis 05.
August 1997 (Befundbericht vom 05. August 1997).
Der Kläger wurde am 10. September 1997 erneut gegen Diphtherie und Tetanus, am 24.
September 1997 wieder gegen Kinderlähmung (Spritzimpfstoff) und am 22. Oktober 1997
gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft.
Erneut hielt er sich vom 18. Dezember 1997 bis 06. Januar 1998 stationär im
Kreiskrankenhaus Me. auf, weil er wiederum einen Krampfanfall erlitten hatte
(Entlassungsbericht vom 06. Januar 1998).
Der Facharzt für Kinder und Jugendmedizin – Homöopathie - Dr. L., Sa., beantragte beim
Beklagten am 19. Januar 1998 die Einleitung eines Verfahrens zur Anerkennung eines
Impfschadens nach Vierfachimpfung (Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Hib).
Am 03. Februar 1998 beantragte der Kläger Versorgung nach § 51 BSeuchG. Er machte
geltend, 10 Stunden nach der Impfung hätten sich folgende Krankheitserscheinungen
gezeigt: „umgefallen und ohne Bewusstsein, Sehbehinderung (Schielen)“.
Der Beklagte forderte bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse für das Saarland (AOK) eine
Auskunft über die Erkrankungen des Klägers an, die ihm am 11. Februar 1998 erteilt
wurde. Außerdem wurde das Gesundheitsamt Sa. mit Schreiben vom 12. Februar 1998
um die Herreichung aller dort vorhandenen Unterlagen gebeten.
Dr. A. vom Gesundheitsamt des Landkreises Me.- W. teilte mit Schreiben vom 25. März
1998 mit, ärztliche Unterlagen lägen keine vor, lediglich einige Aktennotizen über
Rücksprachen mit den behandelnden Ärzten. Er reichte aber einen Brief, den er an das
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 21. Februar 1997 bezüglich des
vermuteten Impfschadens gerichtet hatte, an den Beklagten. In diesem Schreiben führte
Dr. A. u.a. aus:
„Am 19. Dezember 1996 telefonische Rücksprache mit dem Chefarzt der Kinderklinik Me.,
Dr. med. K., der zu diesem Zeitpunkt einen Impfschaden verneinte. Eher liege eine
Epilepsie vor.
04. Februar 1997 erneut Rücksprache mit der Kinderklinik Me.. Der mögliche Impfschaden
ist in Betracht zu ziehen. Das Kind habe rezidivierende starke Krampfanfälle.
Erwähnenswert ist, dass in der Familie der Mutter Epilepsie bekannt ist. Vorsorglich möchte
das Gesundheitsamt Me. daher den Verdacht auf einen möglichen Impfschaden melden“.
Tatsächlich hatte der Bruder der Mutter des Klägers in Folge eines Schädelhirntraumas
dreimal einen Krampfanfall erlitten.
Ein weiterer stationärer Aufenthalt im Kreiskrankenhaus Me. war in der Zeit vom 12. bis
18. Februar 1998 nach einem komplexfokalen Krampfanfall einhergehend mit einem hoch
fieberhaften Luftwegsinfekt notwendig geworden (Befundbericht vom 27. März 1998). Der
Kläger habe aus dem Schlaf heraus zuerst Zuckungen der rechten Augen- und
Mundmuskeln, dann des rechten Armes bekommen. Er habe röchelnd geatmet. Nach der
Gabe von Diazepam und Chloralhydrat sei die Tendenz rückläufig gewesen. Der Anfall habe
15 Minuten gedauert, das Röcheln über drei Stunden angehalten. Seit dem letzten
Aufenthalt in der Klinik sei er auf Sabril eingestellt worden, da er erneut Zuckungen in der
linken Gesichtshälfte gehabt habe. Danach sei es zu einer Besserung kommen. Die
Entlassung erfolgte gegen ärztlichen Rat.
Vom 21. bis 25. Februar 1998 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im
Kreiskrankenhaus Me.. Er hatte wieder einen 5 Minuten andauernden Krampfanfall mit
röchelnder Atmung und Zuckungen erlitten (Befundbericht vom 27. März 1998).
Der Beklagte beauftragte am 12. November 1998 den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie
und psychotherapeutische Medizin Dr. Ra., S., mit der Erstattung eines Gutachtens zu der
Frage, ob bei dem Kläger ein Impfschaden nach dem BSeuchG anzuerkennen sei.
In seinem Gutachten vom 13. Januar 1999 verneinte der Sachverständige die Anerkennung
eines bleibenden Impfschadens. Beim Kläger sei das Auftreten eines Fieberkrampfes nach
der Impfung als Impfkomplikation anzuerkennen. Auf Grund des Fehlens länger
andauernder Bewusstseinstrübung sowie eines unauffälligen Liquorstatus sei jedoch nicht
von einer Impfenzephalopathie auszugehen.
Gelegenheitskrämpfe könnten prinzipiell nach allen Impfungen beobachtet werden,
insbesondere wenn die Impfungen zu Fieberattacken führten. Mit dem konventionellen
Pertussisimpfstoff würden Krampfanfälle nach DPT-Impfungen häufiger gesehen als nach
alleiniger DT-Impfung. Neurologische Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer
DPT-Impfungen seien in der Vergangenheit hauptsächlich der Pertussiskomponente
angelastet worden; ein sicherer Beweis für eine Hirnschädigung durch die Pertussisimpfung
sei nach jahrelanger Anwendung des Ganzkeimimpfstoffes nicht erbracht worden und für
einen azellulären Impfstoff auch unwahrscheinlich. Eine auftretende Enzephalopathie
manifestiere sich innerhalb von 48 Stunden.
Beim Kläger sei am Tag der Erstmanifestation eine Lumbalpunktion durchgeführt worden,
die keinerlei Anhalt für entzündliche Veränderungen gezeigt habe. Die am 15. Januar 1997
erstmals durchgeführte Kernspintomographie des Schädels habe eine
Hirnrindenvergröberung gezeigt, darüber hinaus aber keine Ausbildung eines Hydrozephalus
internus. Üblicherweise seien im Rahmen einer Pertussisenzephalopathie die Ausbildung
eines Hydrozephalus internus mit spastischen Lähmungen, Imbezillität oder Krampfleiden
zu erwarten.
Beim Kläger sei innerhalb der ersten Woche nach der Impfung mit Pertussis eine
Liquordiagnostik durchgeführt worden; diese sei sechs Wochen später kontrolliert und es
sei auch eine Kernspintomographie durchgeführt worden. Es hätten sich hierbei keine
enzephalitischen Veränderungen gefunden, der Liquorstatus sei unauffällig gewesen.
Insoweit könne ein kausaler Zusammenhang zwischen der derzeit bestehenden
psychomotorischen Entwicklungsstörung sowie dem epileptischen Anfallsleiden und der am
„26.11.96“ erfolgten Impfung nicht bestätigt werden. Vielmehr müssten andere Faktoren
berücksichtigt werden, so zum Beispiel das relativ hohe Alter der Mutter zum Zeitpunkt der
Entbindung sowie die Tatsache, dass von Seiten der erstbehandelnden Kinderklinik der
Verdacht auf ein Amnioninfektionssyndrom geäußert worden sei.
Das Auftreten eines erstmaligen Fieberkrampfes sei durchaus als Impfkomplikation
anzusehen. Hiervon sei jedoch kein Dauerschaden zu erwarten.
Eine Kannversorgung nach § 52 Abs. 2 BSeuchG komme nicht in Betracht.
Der ärztliche Dienst des Beklagten ist mit seiner Stellungnahme vom 25. Januar 1999
diesen Ausführungen beigetreten.
Bescheid vom 01. März 1999
gemachte Erkrankung »Anfallsleiden, Verdacht auf Sehstörungen« weder durch eine
Impfung im Sinne des § 51 BSeuchG hervorgerufen noch verschlimmert worden sei.
Es liege somit kein Impfschaden im Sinne des § 52 BSeuchG vor. Versorgung könne
deshalb in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht gewährt werden.
Der Kläger befand sich am 12. März 1999 wegen einer MR-Untersuchung in der Klinik für
Strahlendiagnostik im Klinikum S. gGmbH (Befundbericht vom 15. März 1999; vorgelegt
mit Schriftsatz vom 05. März 2001). In diesem Befundbericht wird unter anderem auf die
Voruntersuchung am 15. Januar 1997 verwiesen und festgestellt, es liege ein
mittelständiges, symmetrisches und normal weites Ventrikelsystem vor; im Vergleich zur
Voruntersuchung jetzt allseits normale Weite der äußeren Liquorräume; regelrechte
Darstellung der Hirnsubstanz; kein Nachweis eines umschriebenen Hirnsubstanzdefektes.
Widerspruch
Der ärztliche Dienst des Beklagten führte in einer Stellungnahme vom 05. August 1999
aus, neue Gesichtspunkte seien nicht vorgebracht. Eine andere Beurteilung sei nicht
möglich. Bei der CT-Untersuchung habe sich eine Hirnrindenvergröberung gezeigt. Dabei
handle es sich nicht um einen Befund, der sich innerhalb von kurzer Zeit herausstelle,
sondern um eine schon vor der Impfung länger bestehende Veränderung im Bereich des
Gehirns. Bei dem Kind sei die Entbindung unter dem Bild eines Amnioninfektionssyndroms
erfolgt, so dass nach wie vor mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit von einem
frühkindlichen Hirnschaden auszugehen sei.
Der Kläger befand sich in der Zeit vom 14. Mai bis 16. Juli 1999 in der stationären
Behandlung im Epilepsiezentrum in Ko. (Befundbericht vom 29. März 2000). In diesem
Befundbericht wurde u.a. ausgeführt, die aktuellen, kernspintomografischen Aufnahmen
belegten eine ausgedehnte, bilaterale Differenzierungsstörung im frontobasalen und im
temporalen Cortex sowie im darunter liegenden Marklager. Solche Störungen der
corticalen Architektur entstünden pränatal im Stadium der Mark-Rinden-Differenzierung, die
bis zum fünften Schwangerschaftsmonat ihren Abschluss finde. Es seien mehrere
Patienten bekannt, bei denen eine derartige Hirnfehlbildung mit einer schweren geistigen
Entwicklungsbehinderung und einer schweren hochaktiven Epilepsie mit Grand-Mal-Anfällen
einherginge.
Der Kläger leide unter einer frühkindlichen Grand-Mal-Epilepsie mit seitwechselnd
alternierenden hemikonvulsiven Anfällen. Die erste Impfung habe im Rahmen der darauf
folgenden, physiologischen febrilen Abwehrreaktion den ersten Anfall des Klägers ausgelöst.
Es handele sich dabei um eine typische, jedoch unspezifische Reaktion auf eine von vielen
Fieberursachen.
Bescheid vom 20. August 1999
zurück.
Klage
Sozialgericht (SG) für das Saarland eingegangen, gerichtet.
Der Kläger hat vorgetragen:
Bis zum Tage der Impfung sei er, der Kläger, gesund gewesen. Es seien keinerlei
Gesundheitsschäden zu erkennen gewesen. Die am 28. November 1996 durchgeführte
Impfung müsse Ursache für die sich kurz darauf ergebenden
Gesundheitsbeeinträchtigungen sein. Insofern dürfte der Beklagte beweispflichtig dafür
sein, dass die Impfung nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem attestierten
Gesundheitsschaden stehe. In seiner Familie gebe es keine Fälle von Epilepsie. Die
Krankheitssymptome könnten jedenfalls nicht auf diesen Tatbestand zurückgeführt
werden.
Das SG für das Saarland hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des
Direktors der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätskliniken des Saarlandes,
Ho., Prof. Dr. Si., vom 27. April 2000.
Der Sachverständige hatte dem SG für das Saarland mit Schreiben vom 04. Mai 2000
mitgeteilt, er habe die ihm vom Vater des Klägers zugesandten Röntgenaufnahmen
nochmals einem auf diesem Gebiet erfahrenen Neuroradiologen zur Begutachtung
vorgelegt.
Das neuroradiologische Zusatzgutachten des Prof. Dr. Re., Direktor der Neuroradiologie der
Universitätskliniken des Saarlandes, war seinem Gutachten beigefügt (Zusatzgutachten
vom 15. Februar 2000).
Der Sachverständige Prof. Dr. Si. stellte beim Kläger ein zerebrales Krampfleiden fest. Dies
sei im Kindesalter nicht selten. Die Ursache des Krampfleidens sei nicht bekannt; auch
hierfür gelte, dass Ursachen für zerebrale Krampfanfälle nicht immer zu eruieren seien.
Abgesehen von durchgemachten Erkrankungen kämen dafür auch Unfälle mit Verletzungen
oder Hirnblutungen (nach der Geburt) sowie Missbildungen des Gehirns in Betracht. Alle
diese Ursachen seien aber beim Kläger aus der Anamnese nicht zu erfahren. Eine familiäre
Belastung sei nicht bekannt. Anfälle, wie sie der Onkel des Klägers gehabt habe, würden
nicht „vererbt“. Das schwere Krampfleiden habe sich im zeitlichen Zusammenhang mit der
Impfung ereignet. Der Kläger habe nach dieser Immunisierung Fieber, was nichts
Ungewöhnliches sei, gehabt. Dieses habe zum ersten Krampfanfall geführt. In der Folgezeit
hätten sich in sehr kurzen Zeitabständen zum Teil schwere Krampfanfälle wiederholt.
Durch Fieber entstehe gerade im frühen Kindesalter eine Schwankung des biologischen
Gleichgewichts; dieses allein könne schon einen zerebralen Krampfanfall auslösen. Man
spreche daher auch von einer gesteigerten Krampfbereitschaft. Zerebrale Anfälle im
Kindesalter seien sehr häufig, etwa 4 bis 5% aller Kinder erlitten mindestens einmal einen
solchen Anfall. Der Anfall stelle nur ein Symptom dar und könne eine Vielzahl von Ursachen
haben, wie bereits oben ausgeführt.
In typischer Weise seien beim Kläger diese Krämpfe mit Beginn eines Infektes bei raschem
Fieberanstieg aufgetreten. In 15% aller Fälle kämen dann später fokale Symptome hinzu.
Diese dauerten etwa 10 bis 20 Minuten, insbesondere wenn fokale Symptome vorhanden
seien.
Das Risiko, dass sich aus Fieberkrämpfen später eine Epilepsie entwickle, betrage dann 3
bis 4%. Dieses Risiko sei erhöht, wenn weitere Risikofaktoren vorlägen, was beim Kläger
der Fall gewesen sei. Etliche Risikofaktoren, so die mehrmalige Wiederholung von
Krampfanfällen während eines Infektes oder länger als 15 Minuten anhaltende Krämpfe,
konstant bleibende EEG-Veränderungen, mehr als insgesamt dreimalige Wiederholung von
Fieberkrämpfen während der Kindheit sowie Fieberkrämpfe schon im Säuglingsalter, seien
bei ihm gegeben.
Auch bei den Untersuchungen im Epilepsiezentrum in Ko. hätten sich Auffälligkeiten in
bestimmten Bezirken des Gehirns gefunden, die auch in dem neuroradiologischen
Zusatzgutachten der Universitätsklinik Ho. festgestellt worden seien.
Die verabreichten Impfstoffe, insbesondere der neuere, wesentlich besser verträgliche
azelluläre Pertussisimpfstoff, könnten geringfügige Nebenwirkungen hervorrufen. Viele
dieser und auch anderer Impfstoffe könnten bei allen Kindern Stunden bis Tage nach der
Impfung Fieber auslösen, was aber bei den heutigen, sehr nebenwirkungsarmen
Impfstoffen kaum mehr zu beobachten sei.
Zu berücksichtigen sei, dass die meisten Impfungen mit Beginn des dritten Lebensmonats
bis zum vierten Lebensjahr vorgenommen würden, also in einem Lebensabschnitt, in dem
die spontane Krampfanfälligkeit am höchsten sei.
Zwischen den durchgeführten Impfungen und den nachfolgenden Krämpfen bestehe kein
ursächlicher, wohl aber ein enger zeitlicher Zusammenhang. Die Krämpfe seien bei einem
sehr wahrscheinlich schon vorgeschädigten Hirn durch das Fieber, das wiederum durch die
Impfung verursacht worden sei, ausgelöst worden, so dass die Impfung quasi als Trigger
über das Fieber zu den Krampfanfällen geführt habe. Das sehr empfindliche Gehirn des
Kindes habe dann bei weiteren, nachfolgenden Fieberanstiegen, die sicherlich nicht mehr
mit der Impfung zusammenhingen, weil keine mehr durchgeführt worden seien, wiederum
mit Krampfanfällen reagiert.
Sei erst einmal ein Krampfanfall an einem mehr oder minder vorgeschädigten Gehirn
ausgelöst worden, so komme es in der Folgezeit schon bei geringsten
Temperaturanstiegen zu Krampfanfällen. Nach den Untersuchungen zeige sich eine
vermehrte, generalisierte Theta-Rhythmisierung, die man am ehesten im Sinne eines
genetischen Merkmals interpretieren könne, das sich bei Kindern mit Fieberkrämpfen auch
gehäuft finde. Auch nach wiederholten Fieberkrämpfen träten, vor allem wenn die Kinder
antikonvulsiv behandelt seien, keine so schweren zerebralen Störungen mit erheblicher
Entwicklungsretardierung auf, wie sie beim Kläger vorlägen. Diese klinische Symptomatik
deute darauf hin, dass es sich um eine pränatale Schädigung der Entwicklung des Gehirns
handele, die klinisch erstmals dadurch zum Tragen gekommen sei, als durch Fieber
schwere Krampfanfälle ausgelöst worden seien. Die erhebliche Entwicklungsstörung mit
dem schweren Krampfleiden sei kausal auf eine angeborene zerebrale Störung
zurückzuführen und nicht auf einen später durch die Impfung entstandenen Schaden.
Der Sachverständige Prof. Dr. Re. hat in seinem neuroradiologischen Zusatzgutachten vom
15. Februar 2000 die Nachbefundung der Kernspintomographieaufnahmen vom 15. Januar
1997 und 13. Juli 1999 vorgenommen.
Bezüglich der Erstuntersuchung vom 15. Januar 1997 hat er einen altersentsprechenden
unauffälligen Befund festgestellt. Die Myelinisierung der periventrikulären Markfasern sowie
der Pyramidenbahnen seien normal und altersentsprechend.
Hinsichtlich der Untersuchung vom 13. Juli 1999 hat er Signalauffälligkeiten im temporo-
polaren Marklager diagnostiziert, die bis in den Gyrus parahippocampalis und den
Hippocampus reichten. Eine differential-diagnostische Zuordnung sei nicht möglich. Dazu
bedürfe es einer weiteren kernspintomographischen Untersuchung. Außerhalb des
Temporallappens sei der Befund unauffällig.
Der Kläger hat vorgetragen, das Ergebnis des Gutachtens von Prof. Dr. Si. erscheine
widersprüchlich und unlogisch. Zu berücksichtigen sei, dass er von Geburt an in allen
Belangen einen normalen und üblichen Entwicklungsverlauf genommen habe. Besondere
Auffälligkeiten hätten sich nicht ergeben, nichts habe auf eine Erkrankung hingedeutet,
geschweige denn auf eine Störung im Nervensystem. Die Bemerkung des
Sachverständigen, eine bei der dritten Vorsorgeuntersuchung angeblich festgestellte
Übererregbarkeit sei möglicherweise bereits auf eine Gehirnschädigung zurückzuführen,
stoße auf Befremden. Der Gesundheitszustand habe sich schlagartig geändert, als die
Vierfachimpfung durchgeführt worden sei. Drei bis vier Stunden nach der Impfung hätten
sich bereits erste Symptome gezeigt. Die tonisch-klonischen Merkmale seien seiner Mutter
sofort aufgefallen. Die Auffälligkeiten seien derart gewesen, dass seine Mutter ihn sofort in
ärztliche Obhut gebracht habe. Schon der enge zeitliche Zusammenhang der
aufgetretenen Krampfanfälle mit der Impfung lege die Vermutung nahe, dass die Impfung
als solche die Krampfanfälle inklusive der Fieberschübe verursacht habe.
Ermittlungen hätten ergeben, dass der Pertussisimpfstoff 1996 aus dem Verkehr gezogen
worden sei, weil man festgestellt habe, dass die Impfungen auch zu erheblichen
Verkrampfungen geführt hätten.
Um Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Si. am 21. August 2000
ausgeführt, erst im Rahmen späterer Untersuchungen sei eine Störung in der
Differenzierung des Mark-Rinden-Areals des Gehirns festgestellt worden. Diese
ausführlichen neurologischen Untersuchungen seien im bekannten Epilepsiezentrum in Ko.
durchgeführt worden. Bei derartigen zerebralen Veränderungen sei die Krampfbereitschaft
hoch. Sie werde in vielen Fällen durch Fieber ausgelöst. Die Fieberreaktion sei wohl auf die
vorausgegangene Impfung zurückzuführen. Das beobachte man gelegentlich bei Kindern
nach Impfungen, insbesondere nach solchen, die die Pertussiskomponente enthielten.
1996 sei der azelluläre Impfstoff verwendet worden, sowohl bei der Einzelimpfung (sehr
selten in dieser Art durchgeführt) als auch bei der Kombinationsimpfung. Dass dieser
Pertussisimpfstoff 1996 kurzfristig aus dem Verkehr gezogen sein solle, sei ihm, dem
Sachverständigen, nicht bekannt. Es habe zu dieser Zeit Lieferprobleme von zwei Firmen
gegeben, die aber dann bald behoben worden seien. Es sei sicherlich nicht der Fall
gewesen, dass dieser Impfstoff wegen Nebenwirkungen zurückgerufen worden sei. Da sich
der Kläger bis zum Zeitpunkt des Fieberkrampfs normal entwickelt habe, sei
selbstverständlich auch den behandelnden Kinderärzten niemals der Gedanke gekommen,
eine differenzierte neurologische Untersuchung mit Anwendung aller zur Verfügung
stehenden Methoden einzusetzen, um einen möglichen zerebralen Schaden festzustellen.
Die Pertussisimpfung mit dem reaktogenen Ganzkeimimpfstoff, der bis vor fünf oder sechs
Jahren überall auf der Welt verwendet worden sei, habe immer wieder zu Nebenreaktionen
geführt, zum Beispiel mit einem schweren klinischen Bild, das man als Enzephalopathie
bezeichnet habe. Es sei aber schon immer zweifelhaft gewesen, ob wirklich die
verschiedenen Bestandteile des Pertussisimpfstoffes diese Nebenwirkung hervorriefen. In
großen Studien habe man die Kinder nachuntersucht, bei denen seinerzeit eine
Impfenzephalose nach Pertussisimpfung diagnostiziert gewesen sei. Mit neueren
Untersuchungsmethoden, insbesondere mit neueren bildgebenden und biochemischen
Verfahren, habe man bei allen diesen Kindern nachweisen können, dass sie an einem
angeborenen, genetisch bedingten zerebralen Schaden litten, der vor der Impfung nicht
bekannt gewesen sei, da sich die Kinder bis dorthin normal entwickelt hätten.
Früher oder später wären auch beim Kläger Krampfanfälle im Rahmen fieberhafter Infekte
aufgetreten, die dann zur Klinikeinweisung und weiteren Diagnostik geführt hätten, so dass
dann schließlich auch die im Epilepsiezentrum Ko. gestellte Diagnose bestätigt worden
wäre.
Das SG für das Saarland hat den ehemalig den Kläger behandelnden Kinderarzt M. befragt,
welcher Pertussisimpfstoff beim Kläger am 28. November 1996 verwandt worden sei.
Der Kinderarzt M. hat mit Schreiben vom 24. Oktober 2000 die dem Kläger am 28.
November 1996 verabreichten Impfstoffe benannt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 10. Januar 2001 weiter vorgetragen, unmittelbar nach
der Impfung habe er (am zweiten Tage) deutlich geschielt. Es sei nicht mehr möglich
gewesen, ihm Kindernahrung aus einem Gläschen mit einem Löffel zuzuführen. Es habe
eine Umstellung auf Breinahrung erfolgen müssen. Er habe keine Nacht mehr
durchgeschlafen. Nicht einmal mit Narkose habe er ausreichend ruhig gestellt werden
können. Er habe nach der Impfung unter einer Impfenzephalopathie gelitten. Der Gutachter
habe die Poliolebendimpfung und deren Gefährlichkeit nicht hinreichend berücksichtigt. In
der wissenschaftlichen Literatur stehe es zwischenzeitlich fest, dass Virämien im Anschluss
an die Polioschluckimpfung mit Lebendviren bereits am Impftag selbst aufträten.
Bemerkenswert sei, dass bei ihm der erste Krampfanfall innerhalb eines für den
Impfschaden nach Polioimpfung typischen Zeitraumes aufgetreten sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2001 hat der Sachverständige Prof. Dr. Si.
sein Gutachten erläutert. Er hat seine bisherige Auffassung aufrechterhalten und dazu
ausgeführt, er habe berücksichtigt, dass am gleichen Tag auch eine Schluckimpfung mit
Lebendviren erfolgt sei. Bei einer solchen Polioimpfung könne es in extrem seltenen Fällen
zu Lähmungen kommen, die jedoch erst nach einer längeren Zeit, nach ein bis zwei
Wochen, aufträten. Solche Veränderungen wie beim Kläger, also Fieber und Krampfanfälle
nach der Impfung, gebe es bei einer Polioimpfung nicht.
Heute werde der Lebendimpfstoff deshalb nicht mehr verabreicht, zumal Kinderlähmung
nicht mehr auftrete. Die wissenschaftliche Diskussion aus den 70-iger Jahren, dass eine
Polioimpfung auch Krampfanfälle auslösen könne, sei bekannt. Der wissenschaftliche
Nachweis sei nie geführt worden. Von der Pathogenese her sei das für ihn, den
Sachverständigen, nicht nachzuvollziehen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 26. Januar 2001 eingewandt, es gebe für den
Sachverständigen kein objektives Kennzeichen, durch welches ein durch die Impfung
verursachter Hirnschaden von einem auf anderem Wege entstandenen Hirnschaden mit
Sicherheit hätte unterschieden werden können.
Rein hilfsweise beantrage er, ihm wegen des Hirnkrampfleidens Entschädigungsleistungen
im Wege der so genannten Kannversorgung zu gewähren.
Beim Kläger wurden am 03. Februar 2001 erneut ein CT und ein Kernspintomogramm in
Me. durchgeführt. Im Wesentlichen wurde ein Hirnödem festgestellt (Befundbericht fehlt,
ist von Prof. Dr. Kr. erwähnt).
In den Universitätsklinken von Ho. wurden weitere CT-Untersuchungen - am 08. Februar
(Kernspintomogramm) und am 09. Februar 2001 (Kernspinangiographie) - durchgeführt.
Der Kläger hat weiter vorgetragen, aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse
sei mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die
zerebrale Störung durch die Polioimpfung (Lebendviren) verursacht worden sei. Insoweit
müsse die vom Gutachter Prof. Dr. Si. vertretene Meinung als überholt angesehen werden.
Mit zwei Stellungnahmen vom 06. August 2001 hat der Sachverständige Prof. Dr. Si. seine
Auffassung aufrecht erhalten. Er hat ausgeführt, er könne nicht nachvollziehen, warum nun
ein Impfschaden infolge der durchgeführten Polioimpfung zur Diskussion gestellt werde.
Die kernspintomografische Untersuchung vom 13. Juli 1999 zeige eindeutig
Veränderungen, wie sie auch im Befundbericht dargestellt worden seien, nämlich dass sich
Hinweise auf eine ausgedehnte Markreifungsstörung beziehungsweise
Marklagerschädigung ergäben. Wodurch die beschriebenen Veränderungen verursacht
worden seien, lasse sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Der Prozess sei nicht
fortschreitend im Sinne eines Abbauprozesses, so dass Hirnsubstanzdefekte jetzt nicht zu
erkennen seien. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt kein Fortschreiten der seinerzeitigen,
wodurch auch immer hervorgerufenen Schädigung festgestellt werden könne, so könne
der früher erhobene Befund nicht negiert werden. Im kraniellen
Computertomogrammbefund vom 08. Februar 2001 lese man daher noch, dass die
bekannte hypointense Läsion im Thalamus – links lokalisiert - sich unverändert darstelle,
ebenso die Hypodensität temporo-, parieto-occipital rechts bei aufgehobener Mark-Rinden-
Differenzierung in diesem Bereich.
Auf Antrag des Klägers ist nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der ehemalige Direktor
der Kinderklinik N.-Koh., akademisches Lehrkrankenhaus, Prof. Dr. Ulrich Kr., mit der
Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden, das er am 03. Juni 2002 erstellt hat.
Der Sachverständige hat darin die Empfehlung ausgesprochen, die Möglichkeit einer
prävakzinalen Hirnschädigung bzw. Hirnentwicklungsstörung im Rahmen einer
fachkompetenten Nachbefundung sämtlicher bildgebender Darstellungen zu klären. Denn in
dem vorgelegten gelben Vorsorgeheft sei bei der Vorsorgeuntersuchung U3 am 27.
September 1996 „muskuläre Hypotonie, Hyperexzitabilität“ vermerkt worden. Es seien
zehn krankengymnastische Behandlungen verordnet worden. In der darauf folgenden
Vorsorgeuntersuchung U4 am 28. November 1996 sei dagegen „gesunder Säugling“
testiert.
Laut Vorsorgeheft habe der Kopfumfang bei der U3 39 cm, bei der U4 40,5 cm betragen.
Ein erniedrigter Muskeltonus und eine erhöhte Erregbarkeit könnten eine überbewertende
Fehlbeurteilung darstellen, auf harmlose exogene Einflüsse zurückgehen, aber auch erste
Hinweise auf eine zerebrale Schädigung sein. Ähnliches gelte für die Verlaufskurve des
Kopfumfangs. Die ersten zitierten Werte hätten bei der 75. Perzentile für Knaben gelegen.
Der dritte Wert, gemessen am Tag der Impfung, liege dagegen auf der 25. Perzentile.
Hätte der nächste gemessene Wert (Vorsorgeuntersuchung U5 am 12. März 1997, 44
cm) auf einer noch niedrigeren Perzentile gelegen, wäre klar gewesen, dass man es schon
vor der angeschuldigten Impfung mit einem pathologisch verminderten
Hirnmassenwachstum (Hirnschädigung, Hirnentwicklungsstörung) zu tun gehabt hätte.
Jedoch liege der vierte gemessene Wert von 44 cm etwas oberhalb der 25. Perzentile trotz
inzwischen erster eingetretener anfallsbedingter Sekundärschäden des Gehirns. Dies
bedeute, dass der Perzentilenwechsel zwischen U3 und U4 nicht zuverlässig pathologisch
gedeutet werden solle, es könne sich auch um eine Fehlmessung, etwa durch falsches
Anlegen des Maßbandes oder durch Verwendung eines verbrauchten, ausgeleierten
Maßbandes handeln.
Alle fünf im vorliegenden Fall zur Anwendung gekommenen Impfstoffe könnten Fieber zur
Folge haben und damit so genannte Fieberkrämpfe provozieren. Allerdings habe im
vorliegenden Fall kein so genannter einfacher Fieberkrampf, sondern ein komplizierter
Fieberkrampf vorgelegen. Alle Impfstoffe könnten mit zentralnervösen Schäden
einhergehen, zum Teil mit anschließenden Dauerfolgen. Saubere, statistische
Untersuchungen darüber fehlten. Dies ändere nichts an der klinischen Realität, mit der
auch die Impfstoffhersteller rechneten. Die Impfstoffkombinationen führten nur zur Addition
der Risiken auf Nebenwirkungen bzw. Impfschäden der jeweils enthaltenen
Einzelkomponenten, das heißt, es komme nicht zu einem überhöhten Risiko im Sinne einer
Potenzierung. Der Mechanismus, über den es nach den fünf am 28. November 1996
verabreichten Impfstoffen zu Schäden kommen könne, sei unterschiedlich. Im vorliegenden
Fall müsse man an erster Stelle über den Keuchhustenimpfstoff weiter diskutieren, auch
wenn es nicht der gefürchtete Ganzkeimimpfstoff, sondern der harmlosere azelluläre
Impfstoff gewesen sei. In zweiter Linie wäre noch über die Schluckimpfung gegen
Kinderlähmung zu sprechen. Die übrigen drei Impfstoffe könnten aus guten Gründen
vernachlässigt werden.
Der seit den 90-iger Jahren in Deutschland verwendete azelluläre Keuchhustenimpfstoff
habe sich, verglichen mit dem Ganzkeimimpfstoff, als wesentlich verträglicher erwiesen,
jedoch habe sich die Hoffnung, hierdurch Schäden und Dauerschäden vollständig vermeiden
zu können, leider nicht bewahrheitet. Es gebe, selten, aber zweifelsfrei, Schäden zum Teil
mit anschließenden Dauerschäden nach der Gabe des azellulären Keuchhustenimpfstoffs.
Für diese erst langsam allgemeiner verbreitete Erkenntnis genüge der Hinweis auf die
„Rote Liste“ 2002, dort Nr. 75082, auf den im vorliegenden Fall zur Anwendung
gekommenen Kombinationsimpfstoff „Infanrix“. Dort heiße es, nach Vergleichsstudien sei
die Häufigkeit bei dem den neuen, azellulären Keuchhustenimpfstoff enthaltenden
Kombinationspräparat insgesamt geringer verglichen mit dem alten Kombinationspräparat;
insbesondere träten signifikant weniger Lokalreaktionen und Fieber auf. Der einzelne, also
nicht kombinierte azelluläre Impfstoff sei unter Nr. 75058 aufgeführt, unter
Nebenwirkungen würden dort ausdrücklich Krämpfe, hypoton-hyporesponsive Episoden,
neurologische Komplikationen genannt.
Der typische Impfschaden nach Poliomyelitisschluckimpfung sei eine so genannte
Impfpoliomyelitis (= drei bis vier Tage nach der Impfung auftretende, flüchtige Lähmungen).
Seltener, aber ganz zweifellos existent seien Krampfanfälle bzw. Enzephalitis,
Dauerschäden (Anfallsleiden, statomotorische und/oder geistige Behinderungen). Der
Schädigungsmechanismus sei virämisch-infektiös.
Der beim Kläger am 28. November 1996 aufgetretene Krampfanfall habe 30 Minuten
gedauert und sei als komplizierter Krampfanfall einzuordnen. Krampfanfällen dieser Art
werde das Risiko zugesprochen, so genannte anfallsbedingte (= iktogene)
Sekundärschäden des Gehirns zu verursachen; auch die anschließend aufgetretenen
Krampfanfälle hätten überwiegend 15 bis 20 Minuten gedauert und seien als kompliziert
geltende Krampfanfälle anzusehen.
Die Eltern des Klägers hätten mehrfach versichert, nicht nur zu Hause, sondern auch
während des gesamten stationären Aufenthaltes in der Kinderabteilung Me. habe der
Kläger kein Fieber gehabt. Für die gutachtliche Entscheidung sei dies belanglos. Die
Liquorzellzahl sei geringfügig erhöht, der Befund sei als grenzwertig zu bezeichnen, zumal
alle übrigen Liquordaten normal gewesen seien. Weder nach dem Liquor noch nach der
neurologischen Symptomatik, noch nach dem EEG sei von einer Enzephalopathie zu
sprechen. Es hätten sich keinerlei Infektzeichen gefunden; es habe sich damit um einen
postvakzinalen Krampfanfall, ausgelöst am ehesten durch die azelluläre Pertussis-
Komponente circa acht Stunden nach der zuvor verabreichten Kombinationsimpfung
gehandelt. Entweder habe es sich dabei um einen nicht fieberhaften (= afebrilen) oder um
einen fieberhaften (= febrilen) Krampfanfall gehandelt. Fieberkrämpfe würden, pauschal
gesehen, als prognostisch günstiger als afebrile Krampfanfälle bewertet. Nur in 1,5 bis 5%
der Fälle entwickele sich ein so genanntes definitives Anfallsleiden. Seien mit diesem
febrilen Krampfanfall jedoch bestimmte Risikofaktoren verbunden, so steige das
statistische Risiko des Übergangs in eine definitive Epilepsie auf mindestens 15% an. Von
solchen Risikofaktoren seien im vorliegenden Fall vorhanden:
- erster Fieberkrampf vor dem sechsten Lebensmonat;
- mehr als dreimaliges Rezidiv fieberhafter Krampfanfälle;
- prolongierter Fieberkrampf;
- zentral nervös organische Vorschädigung.
Der zweite Anfall sei bereits am 09. Dezember 1996 erfolgt. Die Anfälle seien anfangs zum
Teil afebril, später immer afebril gewesen. Sie seien teils primär generalisiert, teils
halbseitig, später auch teils fokal mit zum Teil sekundärer Generalisierung gewesen. Die
Anfallsdauer habe in einem erheblichen Teil der Fälle über 15 bis 20 Minuten betragen. Bis
heute sei das Anfallsleiden aktiv. Ein prolongierter Krampfanfall im Februar 2001 habe zur
Verlegung in die intensiv-medizinische Versorgung der Universitätsklinik Ho. geführt. Dort
habe sich kein Anhalt für eine Enzephalitis gezeigt, sondern - in bildgebender Darstellung
dokumentiert - ein schweres postkonvulsives Hirnödem mit zeitweiser Erblindung und
anschließender teilweiser, aber doch sehr ausgeprägter Opticusatrophie mit definitiv
schwerer Sehbehinderung gezeigt. Die abschließende rein epileptologische Einordnung
durch das Epilepsie-Zentrum Ko. laute „symptomatische, nicht eindeutig zu klassifizierende
Epilepsie“. Dass die Epilepsie nicht näher zu klassifizieren sei, spiele gutachtlich keine Rolle.
Wichtiger hingegen sei die Aussage, es handele sich um eine symptomatische Epilepsie,
d.h. eine Epilepsie, die auf ein Schadensereignis und eine so genannte Bahnung oder einen
Defekt zurückgehe, nicht aber auf eine genetische Disposition. So seien auch aus dem Text
des Berichtes aus Ko. anamnestische, symptomatologische und auch EEG-Merkmale für
genetische Dispositionen nicht zu entnehmen.
Die weitere Entwicklung des Kopfumfangs zeige einen Perzentilenabstieg bis in den
mikrocephalen Bereich, 48 cm gemessen im Mai 1999 in Ko., was eine Unterschreitung
der 3. Perzentile bedeute. Allerdings sei bei der hiesigen Untersuchung ein Umfang von
50,8 cm gefunden worden, ein Wert knapp oberhalb der 10. Perzentile. Dieser drastische
Perzentilenverlust sei Folge und ein Zeichen von anfallsbedingtem, sekundär verursachtem
Verlust bzw. vermindertem Wachstum der Hirnsubstanz.
Gutachtlich wichtig sei die strittige Frage, ob im Kernspintomogramm am 15. Januar 1997
eine Hirnrindenvergröberung vorliege. Noch wichtiger und entscheidender sei die Frage, ob
im Kernspintomogramm am 13. Juli 1999 eine pränatal determinierte
Hirnentwicklungsstörung im Sinne einer Rinden-Mark-Differenzierungsstörung vorliege.
Beide Fragen seien von Prof. Dr. Re., Ho., als Nachbegutachter verneint worden, eine
Entscheidung, die im Hauptgutachten vom 27. April 2000 keine Berücksichtigung gefunden
habe.
Lägen eine Hirnrindenvergröberung und eine Rinden-Mark-Differenzierungsstörung nicht vor,
dann habe man es mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit der so genannten
Bahnung eines definitiven Anfallsleidens zu tun, bewerkstelligt durch einen überlangen
komplizierten Krampfanfall im Gefolge einer Impfung. Dies sei neuroradiologisch zu prüfen.
Das SG für das Saarland hat sodann die ehemalige Oberärztin der radiologischen Klinik,
Abteilung für Neuroradiologie, der Universität des Saarlandes, Prof. Gi.Hu., Ho.- B., mit der
Erstattung eines neuroradiologischen Gutachtens beauftragt.
Ihr Gutachten vom 01. April 2003 hat die Sachverständige auf die Auswertung der
folgenden, ihr vorliegenden Bilddokumente gestützt:
- CCT vom 10. Dezember 1996;
- kraniale MRT vom 15. Januar 1997;
- kraniale MRT vom 13. Juli 1999;
- CCT vom 08. Februar 2001;
- kraniale MRT vom 09. Februar 2001;
- kraniale MRT vom 07. Juni 2001.
Die Dokumente zeigten vom 10. Dezember 1996 bis Februar 2001 allenfalls eine
grenzwertige E vacuo-Aufweitung der Liquorräume mit diskreter frontaler Betonung ohne
herdförmige Veränderungen und ohne Hinweise auf das Vorliegen einer Mark-Rinden-
Differenzierungsstörung und einer Migrationsstörung. Die grenzwertig, initial
nachgewiesene Verplumpung der frontalen Zisternenräume sei nicht sicher pathologisch zu
werten. Hinweise auf das Vorliegen einer Reifungsstörung und einer Störung der Mark-
Rinden-Differenzierung ergäben sich nicht aus den vorliegenden Untersuchungen.
Vorbehaltlich einer endgültigen pädiatrischen Stellungnahme erscheine ein
kausalgenetischer Zusammenhang des seit dem Tag der Impfung bestehenden schweren
zerebralen Anfallsleidens mit der am 28. November 1996 durchgeführten Impfung und der
Manifestation des ersten Krampfanfalles am Tag der Impfung keinesfalls unwahrscheinlich.
Immerhin habe eine sonstige kausalgenetische Ursache des Anfallsleidens aus der
umfangreichen, vorerwähnten Bildgebung und den klinischen Daten nicht gefunden werden
können.
Um Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr. am 04. Juni 2003
ausgeführt, es habe dargelegt werden können, dass eine genetische Anfallsdetermination
oder ein Leiden aus dem chromosomalen, syndromalen, metabolischen,
neurometabolischen, neurodegenerativen, infektiösen oder traumatischen Bereich als
Ursache für das Leiden des Klägers so gut wie sicher entfalle. Nach dem Gutachten von
Prof. Hub. könne aus den Bildern kein Schluss über die Ursache des Anfallsleidens gezogen
werden. Denn die Gutachterin habe eine Störung der Mark-Rinden-Differenzierung des
Gehirns auf dem Kernspintomogramm vom 13. Juli 1999 nicht nachweisen können. Sie
stimme damit weitgehend mit Prof. Dr. Re. überein, der bereits am 15. Februar 2000 die
Aufnahmen vom 15. Januar 1997 für unauffällig erachtet und den Aufnahmen vom 13. Juli
1999 eine Mark-Rinden-Differenzierung nicht habe entnehmen können. Eine pränatale
Störung der Mark-Rinden-Differenzierung sei damit ausgeschlossen. Somit sei festzuhalten,
dass die Impfung vom 28. November 1996 nicht nur den ersten Anfall des Klägers
provoziert habe; sie sei angesichts der nunmehr gesicherten neuroradiologischen
Beurteilung mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch die ausschließliche oder
zumindest wesentliche Ursache des Leidens.
Um erneute Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Si. am 03.
Dezember 2003 ausgeführt, die Fortschritte und Erkenntnisse der letzten fünf Jahre auf
dem Gebiet der bildgebenden Techniken und deren Beurteilung seien so groß, dass eine
sachgerechte und hoffentlich aussagekräftige Stellungnahme zu den verschiedenen Bildern
nur von einem sehr versierten Kinderradiologen, der auch über große Erfahrungen auf dem
Gebiet der Beurteilung der NMR-Bilder verfüge, vorgenommen werden könne. Zu dem
Gutachten von Prof. Hub. brauche nur insoweit Stellung bezogen zu werden, als diese nicht
im Einklang mit dem Befund der neurologischen Kinderklinik in Ko. stehe.
Das SG für das Saarland hat zunächst den Sachverständigen Prof. Dr. T., Direktor der
pädiatrischen Radiologie der Universitätskliniken He., mit der Erstellung eines Gutachtens
beauftragt. Die an den Sachverständigen gerichtete Beweisfrage lautete, ob beim Kläger
Gesundheitsstörungen vorliegen, die als Impfschaden im Sinne des BSeuchG in Folge der
Impfung am 28. November 1996 angesehen werden können.
Der Sachverständige hat sich mit Schreiben vom 14. Mai 2004 für nicht zuständig
erachtet, das erbetene Gutachten zu erstellen.
Der von dem Sachverständigen Prof. Dr. T. sodann vorgeschlagene Pädiater Prof. Dr. Rat.
hat sich nur bereit erklärt, das Gutachten zu erstatten, wenn ein bestimmter Stundensatz
anerkannt werde, was nicht möglich war.
Das SG für das Saarland hat sodann Prof. Dr. Al., Direktor der pädiatrischen Radiologie der
Universitätskinderklinik Gie., mit der Fertigung eines Gutachtens beauftragt. Die
Beweisfrage war die gleiche, die bereits an Prof. Dr. T. gerichtet war. Der Sachverständige
hat die Erstellung eines wissenschaftlich begründeten kinderradiologischen Fachgutachtens
abgelehnt, aber Ausführungen zu der Analyse der bildgebenden Verfahren gemacht, ohne
dass ihm die Aufnahmen zur Verfügung standen.
Alle bisher mit den bildgebenden Verfahren nachgewiesenen oder kontrovers diskutierten
Befunde schlössen nicht aus, dass schon bei der Geburt in der Bildgebung nicht
darstellbare, zerebrale Veränderungen vorgelegen hätten, die für das Anfallsleiden
verantwortlich seien. Andererseits bedürfe jedoch ein angeborenes Anfallsleiden in der
Bildgebung keinerlei nachweisbarer struktureller Veränderungen. Es bedürfe eines
entsprechenden Gutachtens eines Immunologen und Impfspezialisten, um zu beurteilen, ob
der beim Kläger verwendete Impfstoff in der Lage sei, ein Krampfleiden auszulösen.
Urteil vom 14. Oktober 2004
hat ausgeführt, Dr. Ra. und Prof. Dr. Si. hätten keinen kausalen Zusammenhang zwischen
der beim Kläger bestehenden Entwicklungsstörung und dem epileptischen Anfallsleiden und
der am 28. November 1996 verabreichten Impfung bestätigt. Prof. Dr. Si. sei zum
Ergebnis gelangt, dass die Entwicklungsstörungen mit dem schweren Krampfleiden des
Klägers kausal auf eine angeborene zerebrale Störung zurückzuführen seien. Diese
Meinung werde gestützt durch den ausführlichen Bericht des Epilepsiezentrums in Ko., in
welchem der Kläger in stationärer Behandlung gewesen sei. Zwar habe die Radiologin Prof.
Hub. die beim Kläger bestehenden nachgewiesenen Verplumpungen in den frontalen
Zisternenräumen als grenzwertig, aber nicht als pathologisch beschrieben. Hinweise auf
das Vorliegen einer Mark-Rinden-Reifungsstörung und einer Störung der Mark-Rinden-
Differenzierung ergäben sich nicht. Aufgrund dieses Gutachtens habe Prof. Dr. Kr. den
Schluss gezogen, dass die Fünffachimpfung mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit die
ausschließlich oder zumindest wesentliche Ursache des Leidens des Klägers sei. Aufgrund
der unterschiedlichen Bewertungen der bildgebenden Untersuchungen sei Prof. Dr. Al.
beauftragt worden. Dieser habe zwar die Erstellung eines Gutachtens abgelehnt, dazu
jedoch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Auch er habe im Ergebnis einen
kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem sich dann manifestierten
Krampfleiden verneint. Prof. Dr. Al. habe dargelegt, dass sich auch ein angeborenes
Krampfleiden nicht zwingend mit strukturellen Veränderungen in der Bildgebung
nachweisen lasse. Daraus folge, dass, selbst wenn keine zerebralen Veränderungen in der
Bildgebung nachweisbar seien, ein Anfallsleiden vorliegen könne. Dies widerspreche daher
den Schlussfolgerungen, die Prof. Dr. Kr. aus dem Gutachten von Prof. Hub. ziehe.
Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 02. November 2004 zugestellt worden ist, hat
dieser mit Schriftsatz vom 01. Dezember 2004, am selben Tag beim SG für das Saarland
Berufung
Der Kläger trägt vor:
Das angefochtene Urteil halte einer formell- und materiellrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Das Gericht habe die Untersuchungsmaxime und die ihm obliegende
Aufklärungspflicht verletzt. Außerdem sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu rügen. Zudem handele es sich um eine
Überraschungsentscheidung. Das Gericht habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß
aufgeklärt, teilweise nur unvollständig, teilweise widersprüchlich und unlogisch bewertet.
Das Gericht habe die Beweisregeln entweder verkannt oder auf den konkreten Rechtsstreit
nicht entsprechend nach den vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Beweisregeln
geprüft und abgehandelt. Über gestellte Anträge sei das Gericht ohne jegliche Begründung
hinweggegangen. So sei auch nicht über den gestellten Hilfsantrag entschieden worden.
Bis zur Impfung habe es sich bei ihm, dem Kläger, um einen gesunden Säuglingen
gehandelt. In seiner Familie gebe es keine genetischen Anfallsleiden. Er habe am Tag der
Impfung stark verkrampft; Infektzeichen habe es nicht gegeben, auch keine fiebrige
Erkrankung. Der Fieberschub habe sich erst zeitlich nach dem aufgetretenen Krampfanfall
eingestellt. Unrichtig sei jedenfalls die im Bericht des Kreiskrankenhauses Me. enthaltene
Bemerkung, dass bei seiner Einlieferung schon ein auf Fieber zurückzuführender Krampf
vorgelegen habe.
Die Untersuchung durch Dr. Ra. habe nur wenige Minuten gedauert. Bereits anlässlich der
Untersuchung habe Dr. Ra. die Meinung geäußert, dass es sich bei dem Leiden auf keinen
Fall um einen Impfschaden handeln könne.
Entscheidend sei mithin die medizinisch zu beantwortende Frage, ob die Erkrankung auf
eine vorgeburtliche Erkrankung oder auf die Fünffachimpfung zurückzuführen sei. Fraglich
sei zumindest auch, ob er nach erfolgter Vierfachimpfung am »26.11.1996« noch mit
Lebendviren gegen Kinderlähmung hätte geimpft werden dürfen.
In der wissenschaftlichen Literatur stehe zwischenzeitlich fest, dass Virämien im Anschluss
an eine Polio-Schluckimpfung mit Lebendviren bereits am Impftag selbst aufträten und
nachgewiesen worden seien mit der Folge, dass durch diese Impfung Krampfanfälle
verbunden mit späteren Fieberschüben ausgelöst würden. Insbesondere Prof. Eh.
diagnostiziere, dass jeder Infekt bei einem Impfling einen Infektkrampf auslösen könne.
Ausdrücklich halte Prof. Eh. fest, dass die frühere Auffassung, wonach eine Poliomyelitis
und somit auch eine Schluckimpfung von Krampfleiden ausgespart seien, als überholt zu
gelten habe.
Im März 2003 hätten das Gutachten des Prof. Dr. Si. und die für ihn, den Kläger, positiven
Gutachten der Profess. Dr. Kr. und Hub. vorgelegen. Nach der damaligen Sach- und
Rechtslage habe er die Auffassung vertreten, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung reif
sei und zwar ausschließlich zu seinen Gunsten. Mit Verwunderung habe er die ergänzende
Stellungnahme von Prof. Dr. Si. zur Kenntnis nehmen müssen. Prof. Dr. Al. habe
unmissverständlich erklärt, dass er die Erstellung eines wissenschaftlich begründeten
kinderradiologischen Gutachtens ablehne. Gleichwohl habe er seine Auffassung dargelegt.
Das Gericht hätte deshalb das Gutachten von Prof. Dr. Al. nicht verwerten dürfen.
Das Gericht habe ihm, dem Kläger, jede Möglichkeit genommen, seine Bedenken zur
Verwertung im Einzelnen zu äußern und etwa weitere Beweisanträge zu stellen. Für ihn sei
die Verwertung der sicherlich persönlichen Stellungnahme des Gutachters plötzlich und
überraschend gekommen. Die Meinungen des Prof. Dr. Al. habe das Gericht dazu bewegt,
die Klage abzuweisen, ohne ein weiteres, ursprünglich ins Auge gefasstes,
neuroradiologisches Gutachten und ohne das von Prof. Dr. Al. angeregte Gutachten
einzuholen. Immerhin habe das Gericht zuvor zu erkennen gegeben, dass es seine
Entscheidung von der Einholung eines weiteren neuroradiologischen Gutachtens abhängig
machen wollte.
Zu folgen sei Prof. Dr. Kr..
Das Gericht habe übersehen, dass die Frage der Vorschädigung nicht erwiesen sei. Das
hätte bei der durchgeführten Kausalitätsabwägung berücksichtigt werden müssen. Beruhe
nämlich die Kausalitätsabwägung nicht auf nachgewiesenen realen Tatsachen, führe dies
zu spekulativen Ergebnissen. Seien Störungen im Aufbau und Stoffwechsel des Gehirns
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit derzeitigen Untersuchungsmethoden nicht
nachzuweisen, so würden diese Ursachen für die Kausalitätsabwägung angesichts ihrer
spekulativen Charakters auf jeden Fall ausscheiden (BSG, Urteil vom 19. März 1986). Prof.
Dr. Kr. habe erklärt, die Ursache seines, des Klägers, Leidens liege entweder in einer
angeborenen Störung oder aber in einer Impfreaktion. Er beantworte die Frage ganz
eindeutig und erkläre, dass die Impfung mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch
die ausschließliche oder zumindest die wesentliche Ursache des Leidens sei.
Langzeiterfahrungen mit dem azellulären Impfstoff stünden noch aus. Angesichts des
derzeitigen unzureichenden Stands der Impfschadensforschung könne das von Prof. Dr. Al.
angeregte Gutachten nicht weiterhelfen. Es stehe fest, dass vor der streitgegenständlichen
Impfung eine Hirnfehlbildung nicht habe nachgewiesen werden können. Da zum Nachweis
der Kausalität zwischen Impfung und Schaden die große Wahrscheinlichkeit genüge und
eine andere Krankheitsursache nicht erkennbar sei, spreche nach seiner Auffassung mehr
für als gegen einen Impfschaden. Die Auffassung, die genetische Prädisposition oder eine
mögliche Vorschädigung sprächen dagegen, lasse diese Rechtsprechung außer Acht. Nach
ständiger Rechtsprechung des BSG stünde sowohl die Anlage als auch das schädigende
Ereignis nebeneinander, wenn das Leiden auf einer Anlage beruhe, die bisher kein
krankhaftes Geschehen im Körper hervorgerufen habe, und dieses durch einen
schädigenden Tatbestand ausgelöst werde. Dann könne versorgungsrechtlich nur die durch
ein schädigendes Ereignis gesetzte Bedingung die wesentliche und damit die Ursache im
Rechtssinne für die Anerkennung im Sinne der Entstehung sein. Die ablehnenden Gutachter
berücksichtigten nicht ausreichend, dass eine Anlagestörung des Gehirns jedenfalls bis zur
streitgegenständlichen Impfung keine Krankheitserscheinungen ausgelöst habe. Er
beantrage, Prof. Dr. Kr. zur Erläuterung seines Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu
laden.
Der Senat hat Prof. Dr. H. J. Sch., Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Arzt
für Kinderheilkunde, Infektiologe, Universitätsprofessor für Infektionskrankheiten,
Epidemiologie und Impfstoffentwicklung der J.-G.-U. M., befragt, ob es wahrscheinlich sei,
dass der verwendete Impfstoff in der Lage sei, ein Krampfleiden auszulösen.
In seinem Schreiben vom 20. Oktober 2005 hat der Gutachter ausgeführt, es sei nicht
bekannt, dass durch den vorliegend verwandten Fünffachkombinationsimpfstoff ein
Krampfanfallsleiden ausgelöst werden könne.
Der Senat hat weiter den Facharzt für Kinderheilkunde und Referatsleiter für
Arzneimittelsicherheit Dr. D.M., P.-E.-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, La., zu
Erfahrungen mit Krampffällen im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Impfung
befragt.
In seinen Schreiben vom 30. November und vom 08. Dezember 2005 hat er mitgeteilt,
eine Abfrage in der Nebenwirkungsdatenbank bezüglich der gemeldeten Fälle zum Thema
„Epilepsie nach Impfung mit Infanrix“ habe insgesamt 73 Meldungen mit der gemeldeten
Reaktion „Krampffälle ohne Fieber“ ergeben. Ein Kausalzusammenhang zwischen Impfung
und Krankheit habe in keinem der gemeldeten Fälle erstellt werden können.
Der Senat hat weiter Dr. K.H., W., dazu befragt, ob der bei dem Kläger verwendete
Lebendimpfstoff 1996 aus dem Verkehr gezogen worden sei.
Mit Schreiben vom 06. Dezember 2005 und 10. Februar 2006 hat Dr. H. ausgeführt, der
Lebendimpfstoff gegen Kinderlähmung sei ca. seit 1999 nicht mehr empfohlen worden.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Sch., Ma., mit der Fertigung eines
Gutachtens nach Aktenlage zu der Beweisfrage beauftragt, ob der beim Kläger am 28.
November 1996 verwendete Impfstoff geeignet war, ein zerebrales Krampfleiden
auszulösen.
In seinem Gutachten vom 01. September 2006 hat der Sachverständige ausgeführt,
keiner der angewendeten Impfstoffe könne zu einer Epilepsie mit Entwicklungsstörung
führen. Die Bewertung von Zusatzstoffen in Impfstoffen anhand der verfügbaren Literatur
ergebe ebenfalls keinen Hinweis, dass diese für die Krankheit des Kindes verantwortlich
seien. Ereigne sich ein Krampfanfall mehr als zweimal pro Jahr, spreche man im Gegensatz
zu einem Gelegenheitsanfall von einer Epilepsie. Epileptische Anfälle seien multifaktoriell
bedingt. Ihre Manifestation resultiere aus dem Zusammenwirken genetischer Disposition
und exogener Realisationsfaktoren. Epilepsiesyndrome würden polygen vererbt. Die
genetische Disposition zur Entwicklung von Anfällen sei prärequisite Voraussetzung, wobei
die exogen modifizierenden Faktoren allein nicht ausreichten, um einen Anfall auszulösen.
Ein Fieberkrampf liege hingegen vor, wenn die Konvulsionen während einer fieberhaften
Erkrankung ohne Infektion des zentralen Nervensystems vorkämen und wenn der Anfall
nicht Ursache einer Epilepsie sei. Bleibende Gesundheitsschäden seien von Fieberkrämpfen
in der Regel nicht zu erwarten. Komplizierte Fieberkrämpfe (mehr als 15 Minuten Dauer,
fokale Symptome) seien ein erster Hinweis auf eine Epilepsie. Von einer
Entwicklungsstörung spreche man, wenn sich deutliche Abweichungen der psychischen und
motorischen Entwicklung von der altersentsprechenden Norm ergäben. Eine Epilepsie oder
eine psychomotorische Retardierung könne sich schon im frühen Säuglingsalter
manifestieren. Solche Ereignisse könnten auch in zeitlicher Assoziation zu einer Impfung
auftreten. In der wissenschaftlichen Literatur sei nicht bekannt, dass irgendein Totimpfstoff
Hirnschäden oder eine Epilepsie auslösen könne. Eine toxische Wirkung des Pertussistoxins
wäre zwar theoretisch denkbar, sei jedoch experimentell nicht beschrieben. Der orale
Polioimpfstoff, ein Lebendimpfstoff, könne selbst zu einer Poliomyelitis mit einer schlaffen
Lähmung führen. Dies geschehe, wenn die Impfviren sich zurückverwandelten in Wildviren.
Die Häufigkeit dieser Ereignisse sei seltener als 1:100.000 Impflinge.
Symptome einer Poliomyelitis lägen bei dem Kläger nicht vor. Auch habe dieser bei seiner
ersten Krankenhauseinweisung nicht an einer Enzephalitis gelitten. Es sei auch nicht
biologisch plausibel, anzunehmen, dass der Polio-Impfstoff über eine Virämie den
Krampfanfall des Kindes habe auslösen können. Das würde voraussetzen, dass das
klinische Bild einer Enzephalitis vorliege. Die Aktenlage widerlege diese Annahme.
Es fänden sich weder in der wissenschaftlichen Literatur noch auf dem Beipackzettel der
Hersteller noch in den Angaben des P.-E.-Instituts Fälle, in denen eine Enzephalopathie nach
Impfung aufgetreten sei, oder Fälle, in denen einer dieser Impfstoffe Ursache einer Epilepsie
wäre. Enzephalopathien seien weder für den Ganzkeim-Pertussisimpfstoff noch für den
azellulären Pertussisimpfstoff beschrieben. Zu berücksichtigen sei, dass im Ko.
Referenzzentrum für pädiatrische Epilepsie die Erkrankung des Klägers auf eine pränatale
Migrationsstörung zurückgeführt werde. Weitere Differenzialdiagnosen seien
ausgeschlossen worden. Zu bemerken sei aus neuropädiatrischer Sicht, dass viele
Epilepsien als idiopathisch-kryptogen definiert würden, da anfangs keine Ursache gefunden
werde. Es sei aber in der Neuropädiatrie allgemein bekannt, dass viele Diagnosen erst im
Laufe der Zeit gestellt würden. Die klinische Manifestation einer Epilepsie zeige sich oft erst
beim entwickelten Gehirn im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreifung des
Nervensystems.
Zu berücksichtigen sei weiter, dass der Apgar-Wert des Klägers direkt nach der Geburt
erniedrigt gewesen sei. Schon vor der Impfung seien Symptome einer Erkrankung des
zentralen Nervensystems dokumentiert.
Andere Gründe für die Ursache der Krankheit des Klägers seien ausgeschlossen. Prof. Dr.
Kr. bagatellisiere die Deviation des Kopfumfanges von der 75. Normperzentile auf die 25.
Perzentile.
Ohne Zweifel könnten Impfstoffe Fieber und daher auch Fieberkrämpfe auslösen. Dieses
sei aber nicht Folge eines dauerhaften Hirnschadens, der eine Epilepsie auslöse. Auch wenn
die neuroradiologische Diagnose offen bleibe, sei ein kausaler Zusammenhang zwischen
Impfung und Anfallsleiden nicht bewiesen, da auch ohne Beleg durch die Bildgebung
verschiedene andere Fakten für einen pränatalen Entwicklungsschaden sprächen. Er könne
den Ausführungen von Prof. Dr. Si. zustimmen.
Während der Beklagte sich den inhaltlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr.
Sch. angeschlossen hat, ist der Kläger diesen entgegengetreten.
Er hat ausgeführt, der Sachverständige gehe bei seinem Gutachten offenbar davon aus,
er, der Kläger, sei mit einem Totimpfstoff gegen Polio behandelt worden. Diese
Unterstellung sei unrichtig, da er einen Lebendimpfstoff erhalten habe. Er bitte, den
Sachverständigen aufzufordern, zu diesem Punkt nochmals eingehend Stellung zu nehmen.
Versorgungsrechtlich gesehen handele es sich bei der Fünffachimpfung um die durch ein
schädigendes Ereignis gesetzte Bedingung, die als wesentlich und damit als Ursache im
Rechtssinne angesehen werden müsse.
Im Übrigen sei bei der Vorsorgeuntersuchung U4 noch attestiert worden, er, der Kläger, sei
ein gesunder Säugling. Der Entwicklungsrückstand erkläre sich nur durch den 30 Minuten
lang andauernden Krampfanfall.
Um Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr. am 16. Januar 2007
ausgeführt, er könne sich den Ergebnissen in dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. nicht
anschließen. Die Anfallsdetermination als vorschädigungs- oder fehlentwicklungsbedingt zu
bezeichnen, sei angesichts von Schwangerschafts-, Geburts- und Entwicklungsanalyse
sowie Aufdeckung und Verwerfung der oben genannten Fehlbeurteilung einer
Kernspintomographie rein spekulativ. Dies gelte um so mehr, als anhand einer erneuten
Analyse des Berichts aus dem Epilepsiezentrum Ko. - insoweit müsse er die Übernahme
aus Ko. in seinen früheren Texten korrigieren - mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit
eine primär generalisierte, schwere frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie mit alternierendem
Hemi-Grand-Mal vorgelegen habe, also eine frühkindliche genetisch, und zwar polygen,
determinierte Epilepsieform. Zu diesem Anfallsleiden schreibe Prof. Dr. Do., bis vor wenigen
Jahren Direktor der Neuropädiatrischen Abteilung der Universitätskinderklinik Ki. sowie des
Epilepsie-Zentrums Rai., als exogene pathogene Faktoren kämen fieberhafte Infektionen,
im Säuglingsalter Impfungen in Betracht. Bei einem Bruchteil der Träger einer genetischen
Anfallsdisposition komme es tatsächlich zu einem Anfallsleiden. Man gelange deshalb zu
dem Schluss, dass Gleichgewichtigkeit zwischen genetischer Determination einerseits und
exogenem Realisationsfaktor andererseits bestehe, im Falle einer postvakzinalen
Realisation also Gleichgewicht zwischen Genetik und Impfung. Aus medizinischer Sicht
bedeute dies, dass im vorliegenden Fall die Ursache hälftig als genetisch und hälftig als
impfbedingt einzuordnen sei. Da der Kläger vor dem 28. November 1996 keine
Krampfanfälle gezeigt habe und die spätere Entwicklungsstörung postkonvulsiv aufgetreten
sei, sei der impfbedingte Krampfanfall vom 28. November 1996 nicht nur
Gelegenheitsursache, sondern Ursache des Leidens des Klägers.
Um Stellungnahme dazu gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Sch. am 24. Juni 2007
ausgeführt, der Annahme von Prof. Dr. Kr., einige Kinder besäßen eine spezielle genetische
Prädisposition, als deren Folge dann eine Impfung anteilig zu Hirnschäden führe, sei nicht
haltbar. Außer Spekulationen gebe es bis heute keine Vorstellung davon, wie dies
pathogenetisch funktionieren könne. Es gebe mittlerweile wissenschaftliche valide Beweise
dafür, dass vermutete Hirnschäden nach Pertussisimpfung tatsächlich durch Mutationen in
einem Natrium-Kanal bedingt seien.
Der Sachverständige hat seine Ausführungen mit einer Stellungnahme der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Qualität und Sicherheit von Impfstoffen von der
Entwicklung bis zur Auslieferung ergänzt. Darin enthalten ist u. a. ein Bericht, wonach nach
neuesten Erkenntnissen die Einführung neuer Impfstoffe, wie z. B. des azellulären
Impfstoffs gegen Keuchhusten, in den letzten 10 Jahren zu einer Verminderung von
Anfällen nach der Impfung geführt habe. Selbst bei älteren Impfstoffen sei das Ergebnis
positiv gewesen. 2006 seien neue Beweise dahingehend aufgetaucht, dass Fälle
vermeintlich impfstoffbedingter Enzephalopathie auf Mutationen innerhalb des
Natriumkanalgens zurückzuführen seien.
Nochmals um Stellungnahme gebeten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr. am 26.
Oktober 2007 ausgeführt, ein erheblicher Teil der von Prof. Dr. Sch. gegebenen
Fehlinformationen gehe auf die bedauerliche Tatsache zurück, dass für den Fall des Klägers
relevante Inhalte von Neuropädiatrie und besonders pädiatrische Epileptologie durch Prof.
Dr. Sch. nicht zur Kenntnis genommen würden. Die genetische Veranlagung sei nur als ein
Teil der komplexen, multifaktoriellen Entstehungsbedingungen der Epilepsie zu verstehen.
Man dürfe keineswegs davon ausgehen, dass ein Kind auf Grund einer Veranlagung auch
ohne Auslösungsfaktoren wie der Impfung früher oder später eine schwere Epilepsie
bekommen hätte. Beim Kläger handele es sich nicht um eine primär impfbedingte
Hirnschädigung, sondern um eine impfbedingte Manifestationsprovokation (sogenannte
Bahnung durch impfbedingten Fieberkrampf) eines genetisch determinierten Anfallsleidens.
Hirnschäden seien, wie hierbei üblich, erst als anfallsbedingte Sekundärschäden
aufgetreten.
Selbst der Verweis auf die neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen spreche für den
Kläger. Es habe sich dort um die schwere myoklonische Epilepsie des Kindesalters
gehandelt. Beim Kläger lägen die Dinge einfacher, da bei ihm eine frühkindliche Grand-Mal-
Epilepsie gegeben sei. Die dieser Erkrankung zu Grunde liegende polygene Determination
werde vererbt. Nur ein Bruchteil der Träger dieser Determination erleide im Laufe des
Lebens die klinische Manifestation der Epilepsie. Diese habe erst die Impfung bewirkt, ihr sei
gleichgewichtig eine teilursächliche Rolle zuzuerkennen.
Der Kläger tritt diesen Ausführungen bei und regt an, sollte das Gericht vom klägerischen
Vorbringen nicht überzeugt sein, ein epileptologisches Zusatzgutachten durch Prof. Do., Ki.,
einzuholen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG für das Saarland vom 14. Oktober 2004 und
den Bescheid des Beklagten vom 01. März 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 aufzuheben;
2. festzustellen, dass das bei ihm, dem Kläger, bestehende zerebrale
Anfallsleiden Folge der durch die am 28. November 1996
verabreichten Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten,
Haemophilus influenzae b und Kinderlähmung ist;
3. den Beklagten zu verurteilen, ihm, dem Kläger,
Versorgungsleistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen zu
gewähren,
4. hilfsweise erneut Herrn Prof. Dr. Kr. zur Frage der Mitbeteiligung
anderer Ursachen als der Impfung an dem bei ihm, dem Kläger,
eingetretenen Leiden zu hören.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor:
Nach wie vor sei der Beweis dafür, dass das zerebrale Anfallsleiden Folge der am 28.
November 1996 verabreichten Impfung gewesen sei, nicht geführt.
Der Senat hat das SHG Klinikum Me. gGmbH, ehemals Kreiskrankenhaus Me. gGmbH,
dazu befragt, ob bezüglich des Aufenthalts des Klägers vom 28. November bis 05.
Dezember 1996 noch Unterlagen existierten, die die während des Aufenthalts des Klägers
gemessene Körpertemperatur dokumentierten.
Wegen des Ergebnisses der Anfrage wird auf das Schreiben des Chefarztes der Klinik für
Kinder und Jugendliche Prof. Dr. Rai. Ga. vom 21. Mai 2008 Bezug genommen.
Wegen des weiteren Verfahrensganges wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Die Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
II.
Sie führt auch in der Sache zum Erfolg.
1. Es bedurfte keiner Entscheidung, ob das Verfahren vor dem SG für das Saarland an
einem wesentlichen Verfahrensfehler nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG u.a. auch deshalb litt,
weil das SG für das Saarland von der Einholung weiterer Gutachten abgesehen hat. Der
darin ggfs. liegende Verstoß gegen die Aufklärungs- und Untersuchungsmaxime nach §
103 SGG ist durch die vom Senat weiter durchgeführten Ermittlungen jedenfalls geheilt
(Lüdtke/Handkommentar zum SGG, 2. Auflage, § 159 SGG, Rdnr. 8).
Andere Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere stellt das angefochtene Urteil
keine Überraschungsentscheidung dar. Zu allen Gutachten, auch zu den Ausführungen des
Prof. Dr. Al., war dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Mit
Verfügung vom 25. August 2004, mit welcher die Kammervorsitzende angefragt hat, ob
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, hat das SG
für das Saarland auch zu erkennen gegeben, dass es den Rechtsstreit nunmehr für
entscheidungsreif hält.
Unter diesen Umständen stellt das Urteil vom 14. Oktober 2004 keine
Überraschungsentscheidung dar; ein Verfahrensfehler liegt insoweit nicht vor.
2. Die Berufung ist aber begründet, weil das SG für das Saarland die Voraussetzungen für
einen Entschädigungsanspruch nach dem IfSG zu Unrecht verneint und die Klage
abgewiesen hat.
Das Urteil des SG für das Saarland vom 14. Oktober 2004 sowie der Bescheid des
Beklagten vom 01. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August
1999 waren daher aufzuheben.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen vor.
Zwar galt zum Zeitpunkt der stattgehabten Impfung noch das BSeuchG.
Da das IfSG gemäß Art. 5 Abs. 1 des Seuchenneuordnungsgesetzes am 01. Januar 2001
in Kraft getreten, während das BSeuchG zeitgleich ohne Übergangsvorschrift außer Kraft
getreten ist, ist im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch bis zum Inkrafttreten des IfSG
das BSeuchG weiterhin anzuwenden. Für die Zeit danach sind der Entscheidung allerdings
die im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zu Grunde zu legen (BSG, Urteil
vom 20. Juli 2005, B 9a/9 VJ 2/04 R), von welchen im Folgenden auszugehen ist.
2.1. Das zerebrale Anfallsleiden des Klägers ist Folge der ihm am 28. November 1996
verabreichten Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae
b und gegen Kinderlähmung im Sinne § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG.
Durch die Impfung vom 28. November 1996 erlitt der Kläger gegen Abend desselben
Tages einen Krampfanfall, der bei ihm erstmalig eine frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie
manifestierte, die zu Entwicklungsstörungen geführt hat.
2.2. Dem Kläger steht deshalb ein Anspruch auf Versorgungsleistungen nach § 60 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 IfSG i. V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu.
Zu 2.1.: Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält der, der durch eine Schutzimpfung oder durch
eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die
1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in
ihrem Bereich vorgenommen wurde,
2. auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3. gesetzlich vorgeschrieben war oder
4. auf Grund der Verordnung zur Ausführung der Internationalen
Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des
Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei
einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der
Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des
BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
a) Einen Antrag auf Versorgung hat der Kläger am 03. Februar 1998 gestellt.
b) Der Kläger hat am 28. November 1996 in Me. eine öffentlich empfohlene
Schutzimpfung erhalten.
Er ist zu jenem Zeitpunkt gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten mit Infanrix DTPa, Fa.
S.K. B., gegen Haemophilus influenzae b mit Pedvax HiB, Fa. B., und gegen Kinderlähmung
mit Oral Virelon, Fa. B., geimpft worden.
Diese Impfungen waren von der zuständigen Landesbehörde, dem saarländischen
Ministerium für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales, gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
IfSG öffentlich empfohlen und in deren Bereich vorgenommen worden.
Nach der Bekanntmachung über die öffentlichen Empfehlungen von Schutzimpfungen im
Saarland vom 29. März 1996 (Gemeinsames Ministerialblatt Saarland vom 20. Mai 1996,
Seite 76) waren die verabreichten Impfungen gegen Diphtherie, Keuchhusten,
Kinderlähmung, Tetanus, Haemophilus influenzae b empfohlen.
Sie waren auch zugelassen.
Nach der oben genannten Bekanntmachung dürfen für die Schutzimpfungen nur Impfstoffe
verwendet werden, die vom Bundesamt für Sera und Impfstoffe (P.-E.-Institut) zugelassen
und deren Chargen von dieser Behörde freigegeben sind.
Das war der Fall.
Wie die vom Senat erbetene, am 08. Dezember 2005 eingegangene Auskunft des P.-E.-
Instituts ergab, waren sowohl der Impfstoff „Infanrix“ gegen Diphtherie, Tetanus und
Keuchhusten als auch der Impfstoff „Pedvax“ gegen Haemophilus influenzae b zugelassen.
Auch der am 28. November 1996 verabreichte – einzige - Lebendimpfstoff Oral Virelon
gegen Kinderlähmung war damals noch zugelassen. Erst 1998 empfahl die Ständige
Impfkommission (STIKO), den Poliolebendimpfstoff nicht mehr zu verwenden
(Epidemiologisches Bulletin vom 17. April 1998, Seite 106).
Die beim Kläger am 28. November 1996 eingesetzten Impfstoffe waren damit öffentlich
empfohlen, zugelassen und auch im Bereich der zuständigen Landesbehörde, nämlich in
Me., vorgenommen worden.
c) Durch diese Impfungen erlitt der Kläger eine gesundheitliche Schädigung, nämlich einen
schweren Krampfanfall, in Folge dessen sich bei ihm eine frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie
manifestierte, die zu den aufgetretenen Entwicklungsstörungen geführt hat.
aa) Die Impfung, die Schädigung durch die Impfung in Form einer über das übliche Ausmaß
einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (§ 2 Nr. 11 IfSG) und der
verbleibende Schaden, d.h. die anhaltenden Gesundheitsstörungen, müssen voll bewiesen
sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVi 4/84).
bb) Die ursächliche Verknüpfung zwischen Impfung und Schädigung einerseits sowie
zwischen der Schädigung und den fortdauernden Gesundheitsstörungen andererseits muss
wahrscheinlich sein.
Zu aa): Die Impfung am 28. November 1996, der Krampfanfall, d.h. die Schädigung, und
das zerebrale Anfallsleiden mit Entwicklungsstörung, also der verbleibende
Gesundheitsschaden, sind nachgewiesen.
Zum Vorliegen der Tatbestandsmerkmale „Impfung“ und „fortdauernde
Gesundheitsstörungen“ sind keine weiteren Ausführungen zu machen; von Letzterem hat
sich der Senat in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild machen können; der
inzwischen fast zwölfjährige Kläger sitzt im Rollstuhl; er kann nur schemenhaft sehen; eine
gezielte Ansprache ist nicht möglich.
Der vom Kläger erlittene Krampfanfall ist auch als eine über die übliche Impfreaktion
hinausgehende Schädigung anzusehen.
Ungefähr acht Stunden nach der am 28. November 1996 verabreichten Impfung erlitt der
Kläger einen komplizierten Krampfanfall. Nachdem die Eltern des Klägers am frühen
Nachmittag nach der Impfung bei ihm ein zuvor nie beobachtetes Blinzeln mit den
Augenlidern festgestellt hatten, hatte der Kläger abends starr verkrampfte Arme und
Beine; sein Kopf war starr zum Nacken gebeugt; er war nicht ansprechbar gewesen. Der
Anfall hatte 30 Minuten lang gedauert; Fieber hatte der Kläger nicht, was die vom Senat
erbetenen Auszüge aus den Tagesblättern über den Aufenthalt des Klägers vom 28.
November bis 05. Dezember 1996 im ehemaligen Kreiskrankenhaus Me. gGmbH, jetzt
SHG Klinikum Me. gGmbH, vom 21. Mai 2008 auch bestätigt haben.
Dieser als schwer einzuordnende Krampfanfall am Abend des 28. November 1996 ist nicht
mehr als übliche Impfreaktion anzusehen, sondern stellt eine darüber hinausgehende
gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG dar.
Welche Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche
Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschädigung gelten, ergibt sich aus
Ziff. 56 und 57 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, herausgegeben vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (AHP), Rechtsstand: 2008.
Die AHP haben zwar keine Normqualität, können aber weitgehend als antizipierte
Sachverständigengutachten verstanden werden. Sie wirken sich in der Praxis normähnlich
aus und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche
Rechtsnormen von den Gerichten anzuwenden. Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung soll dies so lange der Fall sein, bis der Gesetzgeber die erforderliche
Ermächtigungsnorm mit klaren gesetzlichen Vorgaben - insbesondere im Hinblick auf die
parlamentarische Verantwortung für die im Verordnungswege zu erlassenen, jetzt in den
AHP enthaltenen Regelungen - geschaffen hat (vgl. zur Problematik: BSG in seiner
amtlichen Sammlung, BSGE Band 72, Seite 385 f).
Zwar ist gemäß § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des BVG
und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007
(BGBl I, 2904 ) das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nunmehr ermächtigt,
im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des
Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische
Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen
im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer
Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für
die Bewertung der Hilflosigkeit der Stufen und der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG
aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
Von der somit geschaffenen Ermächtigungsgrundlage ist aber bisher noch nicht Gebrauch
gemacht worden (vgl. zur Problematik: BTDrs. 16, 6985). Den Gesetzesmaterialien ist zu
entnehmen, dass die Änderung dazu dienen soll, eine materielle Ermächtigungsgrundlage
zum Erlass einer Rechtsverordnung in § 30 BVG zu schaffen, auf deren Grundlage die AHP
zukünftig ohne verfassungsrechtliche Bedenken erlassen werden könnten. Daraus ist zu
schließen, dass die AHP 2008, die alle bis zum 31. Dezember 2007 veröffentlichten
Änderungen enthalten, noch nicht auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 BVG n.F. erlassen
worden sind. Dass dem so war, ergibt sich auch aus den einleitenden Worten des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in den AHP 2008, wonach diese Auflage weiter
wie eine untergesetzliche Norm und als antizipierte Sachverständigengutachten gelten soll,
bis eine „Neuauflage als Ergebnis einer systematischen Überarbeitung nach Verrechtlichung
erscheinen werde“.
Für die Abgrenzung zwischen einer üblichen Impfreaktion und einem darüber
hinausgehenden Gesundheitsschaden sind vorliegend also die AHP 2008, soweit es um die
Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae b geht,
maßgeblich; bezüglich der inzwischen nicht mehr empfohlenen Schluckimpfung gegen
Kinderlähmung sind die AHP 1996 heranzuziehen, weil die aktuellen AHP dazu keine
Feststellungen mehr treffen.
Dies ergibt sich aus der hier zu wählenden und gewählten Klageart, nämlich der
kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 und 4, 55
Abs. 1 SGG. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der
der letzten mündlichen Verhandlung (BSG in BSGE Band 41, Seite 38; BSG, Urteil vom 23.
Juli 2002, B 3 KR 63/01 R; M.-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage,
§ 54 SGG, Rdnr. 34, § 55 SGG, Rdnr. 20a). Es finden daher grundsätzlich die AHP in ihrer
aktuellen Fassung von 2008 Anwendung.
Während zum Zeitpunkt der stattgehabten Impfung zu den Schutzimpfstoffen noch eigene
Ausführungen zu möglichen Impfkomplikationen und Impfschäden in den damals geltenden
AHP 1996 (dort: Ziff. 57) vorgesehen waren, erfuhr Ziff. 57 (Impfschäden) in den AHP
2006 eine neue Fassung, die auch den aktuell geltenden AHP 2008 zu Grunde liegt. Im
Gegensatz zu den AHP 1996 und 2004 enthalten die AHP 2006 und 2008 keine eigenen
Ausführungen mehr zu möglichen Impfkomplikationen bzw. Impfschäden. Vielmehr
verweist Ziff. 57 AHP dazu auf die Arbeitsergebnisse der STIKO als Darstellung des
aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft; dort kommt die Schluckimpfung gegen
Kinderlähmung aber nicht mehr vor.
Für den 1996 noch zugelassenen Lebendimpfstoff gegen Kinderlähmung ist allerdings Ziff.
57 der AHP 1996/2004 maßgeblich, für die anderen Impfstoffe gelten die AHP in ihrer
aktuellen Fassung.
Unter Zugrundelegung dessen ist der beim Kläger aufgetretene, schwere Krampfanfall als
ein über das Ausmaß einer üblichen Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden
anzusehen.
Das ergibt sich aus Folgendem:
Nach Ziff. 57 AHP 2008 entwickelt die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO
Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß
einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die
Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen
den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Nach den im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichen Arbeitsergebnissen ist das Auftreten
von Krampfanfällen nach Gabe der hier verabreichten Impfstoffe gegen Diphtherie,
Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae b beschrieben.
In dem Epidemiologischen Bulletin vom 22. Juni 2007 (Seite 212) ist für den beim Kläger
verwendeten Dreifachimpfstoff unter „Komplikationen“ das Auftreten eines Fieberkrampfs
(in der Regel ohne Folgen) genannt. Selten würden hypoton-hyporesponsive Episoden
(kurzzeitiger schockähnlicher Zustand mit reduziertem Muskeltonus und
Nichtansprechbarkeit, bilde sich schnell und folgenlos zurück) nach der Gabe von
Impfstoffen beobachtet, welche die azelluläre Pertussis-Komponente enthielten.
Für den beim Kläger verwendeten Impfstoff gegen Haemophilus influenzae b ist nach den
Ausführungen der STIKO im Epidemiologischen Bulletin vom 22. Juni 2007 (Seite 216)
unter „Komplikationen“ das Auftreten eines Fieberkrampfs (in der Regel ohne Folgen)
vorgesehen.
Zu der dem Kläger verabreichten Schluckimpfung gegen Kinderlähmung (Oral Virelon)
enthält das Epidemiologische Bulletin weder in seiner Ausgabe vom 22. Juni 2007 noch in
der Vorausgabe vom 06. Februar 2004 Ausführungen, denn zu diesen Zeitpunkten war
der Lebendimpfstoff nicht mehr empfohlen.
Zu dem gemäß obigen Ausführungen aber zum Zeitpunkt der Impfung noch zugelassenen
Schluckimpfstoff gegen Kinderlähmung ist in Ziff. 57 AHP 1996/2004 (dort: Poliomyelitis-
Schutzimpfung mit Lebendimpfstoff) ausgeführt:
„Übliche Impfreaktionen: Einige Tage nach der Schluckimpfung gelegentlich – nur wenige
Tage anhaltend – Durchfälle, Erbrechen, erhöhte Temperaturen, Exantheme,
Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit.
Impfschäden: Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens
sechs Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim Impfling 3 bis 30 Tage,
Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. Bei Immundefekten sind
längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten)“.
Unter Berücksichtigung all dessen ist der 30 Minuten lang andauernde Krampfanfall, der
sich bereits Stunden zuvor durch körperliche Reaktionen, nämlich das vorher nie
beobachtete Augenblinzeln angekündigt hatte, und im Verlauf dessen der Kläger nicht
ansprechbar war, eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende
gesundheitliche Schädigung.
Sowohl bei dem Dreifachimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten als auch bei
der Einzelimpfung gegen Haemophilus influenzae b, als auch bei dem Schluckimpfstoff
gegen Kinderlähmung sind solche Reaktionen beschrieben.
Zu bb): Nach den Ausführungen von Prof. Dr. Kr. in seinem Gutachten vom 03. Juni 2002
sowie in den beiden Stellungnahmen vom 16. Januar und 26. Oktober 2007 und nach den
Gutachten der Profess. Hub. vom 01. April 2003 und Dr. Re. vom 15. Februar 2000 steht
zur Überzeugung des Senats fest, dass wahrscheinlich durch die Impfung vom 28.
November 1996 ein schwerer, prolongierter, komplizierter Krampfanfall erzeugt wurde, der
wahrscheinlich zur Manifestation eines schweren, therapieresistenten Anfallsleidens
(frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie) geführt hat, das seinerseits die Entwicklungsstörungen
beim Kläger verursacht hat.
Für den Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und der Schädigung sowie der
Schädigung und dem verbleibenden Gesundheitsschaden genügt - wie oben ausgeführt -
der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit.
Ursächlich im Sinne der im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Kausalitätslehre der
wesentlichen Bedingung ist ein Ereignis dann, wenn es allein den Erfolg herbeigeführt hat,
oder aber, wenn ihm im Vergleich zu anderen Bedingungen, die ebenfalls zum Erfolg
beigetragen haben, eine überwiegende oder zumindest annähernd gleichwertige
Bedeutung zukommt (BSG in BSGE Band 1, S. 72 und 150).
Gab es also neben der Impfung noch konkurrierende Ursachen, z.B. Vorschädigungen oder
Krankheitsanlagen, so war die Impfung wesentlich, so lange die konkurrierende Ursache
nicht von überragender Bedeutung war.
bb 1): Solche konkurrierende Ursachen, denen neben der Impfung überragende Bedeutung
zukäme, konnten nicht festgestellt werden.
bb 1a): Eine Vorschädigung des Gehirns des Klägers ist nicht bewiesen.
bb 1b): Die therapieresistente Grand-Mal-Epilepsie, an der der Kläger leidet, ist zwar
genetisch determiniert. Dieser Disposition kommt aber gegenüber der Impfung keine
herausragende Bedeutung zu.
Zu bb 1a): Der Senat hält die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr., dessen
langjährige Erfahrung und präzise Begutachtung dem Senat aus anderen Verfahren
bekannt sind, für in sich schlüssig, nachvollziehbar und logisch. Seinen gutachtlichen
Äußerungen, ergänzt durch die Ergebnisse der Gutachten der Profess. Hub. und Dr. Re.,
hat der Senat gegenüber den Ausführungen von Dr. Ra. sowie den der Profess. Dres. Si.,
Sch. und Al. den Vorzug gegeben.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Prof. Dr. Kr. hat im Gegensatz zu den Gutachtern Dres. Ra. und Profess. Si., Sch. und Al.
mit großer Sorgfalt unter Berücksichtigung des Verlaufs der Schwangerschaft, der
bisherigen Entwicklung des Klägers und der Nachbefundung der bildgebenden Verfahren
eine Vorschädigung des Gehirns, möglicherweise bereits pränatal, ausgeschlossen. Dabei
hat Prof. Dr. Kr. – im Gegensatz zu den anderen Gutachtern - alle bislang bekannten
ärztlichen Daten berücksichtigt und in seine für den Senat überzeugenden Erwägungen mit
einbezogen.
So hat er ausgeführt, dass im Befundbericht zur Geburt des Klägers nur leichtere
perinatale Komplikationen beschrieben worden seien; die Zustandsbeurteilung sei
ausreichend gut gewesen; eine sehr rasche Erholung sei dokumentiert. Eine perinatale
Schädigung des Kindes sei mit der nötigen Wahrscheinlichkeit nicht darstellbar.
Zur Entwicklung des jungen Säuglings bis zur angeschuldigten Impfung hätten die Eltern,
die Erfahrung aus der Beobachtung der älteren Schwester des Klägers hätten, normale
Entwicklungsschritte angegeben. Die dazu vorgelegten Fotos seien, soweit überhaupt
aussagekräftig, unauffällig gewesen.
Zwar sei nach dem vorgelegten Vorsorgeheft bei der Vorsorgeuntersuchung U3 von dem
Kinderarzt M. am 27. September 1996 handschriftlich »muskuläre Hypotonie,
Hyperexzitabilität« vermerkt worden; zehn krankengymnastische Behandlungen seien
rezeptiert worden. Bei der Vorsorgeuntersuchung U4 am 28. November 1996 habe der
Kinderarzt M. dann aber handschriftlich »gesunder Säugling« attestiert.
Der Sachverständige hat dazu in sich schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass die
Feststellung eines erniedrigten Muskeltonus und einer erhöhten Erregbarkeit nach zwei
Monaten oder möglicherweise auch schon früher eine überbewertende Fehlbeurteilung
darstellen könne, dass diese Erscheinungen aber auch auf harmlose exogene Einflüsse
zurückgehen könnten. Letztlich könne dies auch bereits der Hinweis auf eine zerebrale
Schädigung bzw. Fehlentwicklung sein. In der weiteren Stellungnahme vom 16. Januar
2007 vertieft er diese Ausführungen dahingehend, dass man Übererregbarkeit, Hypertonie
und Hyperreflexie sowie Anfälle (sofern nicht gehäuft) nicht ohne anderweitige Bestätigung
oder Beobachtung der weiteren Entwicklung als Folgen einer schon vorhandenen
Schädigung einordnen könne, dagegen sehr wohl auffällige Lethargie, signifikantes Fehlen
oder Stillstand oder gar Rückschritt in der Abfolge der so genannten Meilensteine in der
Entwicklung.
Anhaltspunkte dafür, dass es beim Kläger bis zur Impfung zu Entwicklungsrückschritten
gekommen ist, sind aber gerade nicht ersichtlich.
Aus den Messdaten zu dem Kopfumfang des Klägers hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr.
allein auch keine zwingende Symptomatik ableiten können, die für eine Hirnschädigung
spricht.
Der Kopfumfang bei der Vorsorgeuntersuchung U2 habe am 02. September 1996 36,5
cm, bei der Vorsorgeuntersuchung U3 am 27. September 1996 39 cm und bei der
Vorsorgeuntersuchung U4 am 28. November 1996 40,5 cm betragen.
Gleiches gelte für die Verlaufskurve des Kopfumfangs. Die ersten beiden zitierten Werte
lägen bei der 75. Perzentile für Knaben nach dem Normwertdiagramm von Brandt. Der
dritte Wert, gemessen am Tag der Impfung, liege dagegen auf der 25. Perzentile. Hätte
der nächste gemessene Wert (Vorsorgeuntersuchung U5 vom 12. März 1997, 44 cm) auf
einer noch niedrigeren Perzentile gelegen, wäre klar, dass man es mit einem schon vor der
angeschuldigten Impfung pathologisch verminderten Hirnmassenwachstum
(Hirnschädigung, Hirnentwicklungsstörung) zu tun gehabt hätte. Jedoch liege der vierte
gemessene Wert von 44 cm etwas oberhalb der 25. Perzentile, dies trotz inzwischen
erster eingetretener anfallsbedingter Sekundärschäden des Gehirns.
Der Rückschluss des Sachverständigen, dass der Perzentilenwechsel zwischen der
Vorsorgeuntersuchung U3 und U4 damit nicht zuverlässig pathologisch im Sinne bereits vor
der angeschuldigten Impfung verminderten Hirnwachstums gedeutet werden könne, ist
überzeugend und einleuchtend.
Letztlich ergeben auch die vorliegenden bildgebenden Dokumente keinen Nachweis für eine
Vorschädigung des Gehirns, wovon Prof. Dr. Kr. bei seiner abschließenden Würdigung
zutreffend ausgegangen ist.
Angesichts der bei Fertigung seines Gutachtens vom 03. Juni 2002 vorliegenden
Befundberichte zu den bisherigen bildgebenden Verfahren vom 10. Dezember 1996, 15.
Januar 1997, 12. März und 13. Juli 1999 hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr. ausgeführt,
gutachtlich wichtig sei die strittige Frage, ob bei der Untersuchung am 15. Januar 1997
bereits eine Hirnrindenvergröberung vorgelegen habe. Noch wichtiger und entscheidender
sei die Frage, wie der Bildbefund vom 13. Juli 1999 in Ko. zu deuten sei.
In dem Arztbrief des Epilepsiezentrums Ko. war nämlich dokumentiert, die aktuellen
kernspintomographischen Aufnahmen vom 13. Juli 1999 belegten eine ausgedehnte
bilaterale Differenzierungsstörung im temporalen Cortex und im darunterliegenden
Marklager. Derartige Störungen der corticalen Architektur entstünden pränatal im Stadion
der Markrindendifferenzierung, die bis zum fünften Schwangerschaftsmonat ihren
Abschluss finde.
Prof. Dr. Re., der auf Anregung des Sachverständigen Prof. Dr. Si. ein neuroradiologisches
Zusatzgutachten fertigte, hat diese Aufnahme indessen anders gedeutet. Die
Untersuchung zeige eine normale Myelinisierung der Markfasern mit einem normal
entwickelten Corpus callosum. Die Gyrierung der Hirnrinde sei normal. Das supra- und
infratentorielle Ventrikelsystem zeige eine normale Weite. Es zeigten sich zwar geringfügige
hyperintense Signalabweichungen temporal und temporo-polar beidseits. Betroffen sei zum
einen das temporo-polare Marklager; die hyperintensen Signalveränderungen reichten
jedoch bis in den Gyrus parahippocampalis und die Hippocampusregion. Die Befunde seien
leicht linksbetont. Das übrige Hirnparenchym stelle sich auf den vorliegenden koronaren und
sagittalen T1-, T2-gewichteten und FLAIR-Sequenzen unauffällig dar.
In Bezug auf die zeitlich frühere Kernspintomographie vom 15. Januar 1997 ist Prof. Dr. Re.
auch zu anderen Ergebnissen als das Epilepsiezentrum in Ko. gelangt. Dort war nur
festgehalten, es sei beidseits frontoparietal ein vergröbertes Hirnrindenrelief beschrieben.
Nach Prof. Dr. Re. ist das supra- und infratentorielle Ventrikelsystem normal konfiguriert
und glatt begrenzt. Für ein 4,5 Monate altes Kind finde sich eine altersentsprechende
Myelinisierung. Die Hirnoberfläche sei normal gyriert. Die Erstuntersuchung zeige einen
altersentsprechenden unauffälligen Befund.
Zu Recht hat Prof. Dr. Kr. wegen der differierenden Interpretationen zu den bildgebenden
Darstellungen des Gehirns und deren Bedeutung für die Klärung des medizinischen
Sachverhalts eine Nachuntersuchung angeregt.
Die sodann durch Prof. Hub. durchgeführte Nachbefundung deckt sich aber mit den
Ergebnissen des Sachverständigen Prof. Dr. Re..
Nach den Ergebnissen dieses Gutachtens ist eine Hirnschädigung, die als
Krankheitsursache in Betracht kommt, gerade nicht erwiesen.
Die Sachverständige Prof. Hub. hat in ihrem Gutachten vom 01. April 2003 die
Bilddokumente vom 10. Dezember 1996, 15. Januar 1997, 13. Juli 1999, 08. und 09.
Februar 2001 sowie 07. Juni 2001 nachbefundet. Die Sachverständige hat bezüglich des
kranialen CCT vom 10. Dezember 1996 eine grenzwertige Verplumpung der frontalen
Konvexitätszisternen der polaren Sylvischen Zisternen und der Interhemisphärenzisterne
bei gleichzeitig auch verplumpten Ventrikelräumen festgestellt.
Auch das kraniale MRT vom 15. Januar 1997 zeige wie die Untersuchung vom 10.
Dezember 1996 die grenzwertige Verplumpung. Eine eindeutige Störung der Mark-Rinden-
Differenzeirung und Hinweise auf das Vorliegen einer Migrationsstörung ergebe die
Untersuchung nicht.
Aus dem kranialen MRT vom 13. Juli 1999 hat die Sachverständige eine symmetrisch
regelrechte Mark-Rinden-Differenzierung und keine Hinweise auf eine Migrationsstörung
diagnostiziert.
Die kraniale Computertomographie vom 08. Februar 2001 und die kraniale MR-
Untersuchung vom 09. Februar 2001 zeigten das Bild einer schweren postiktalen
hypoxämischen und wahrscheinlich posttraumatischen allgemeinen Hirnschwellung.
Dem zeitlichen Verlauf entsprechend zeige die MR-Untersuchung vom 07. Juni 2001
residuale Veränderungen nach einem über Tage andauernden, zerebralen Anfall mit
allgemeiner Bewusstseinsstörung, lichtstarren Pupillen, Hirnödem und zusätzlicher
traumatischer Schädigung. Hinweise auf das Vorliegen einer Mark-Rinden-Reifungsstörung
und einer Störung der Mark-Rinden-Differenzierung lägen nicht vor.
Mithin ist eine Vorschädigung des Gehirns nicht bewiesen, was Prof. Dr. Kr. als einziger
Sachverständiger unter Würdigung aller vorliegenden medizinischen Daten berücksichtigt
hat.
Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Interpretationen der bildgebenden
Verfahren und die differenzierte Würdigung aller vorhandenen ärztlichen Unterlagen zu
Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung des Klägers bis zur Impfung finden sich in den
Gutachten der anderen Sachverständigen nicht.
So verweist Dr. Ra. auf das relativ hohe Lebensalter der Mutter bei der Geburt des Klägers
und auf den in der erstbehandelnden Klinik geäußerten Verdacht auf ein
Amnioninfektionssyndrom. Dr. Ra. würdigt allerdings die medizinischen Daten zu
Schwangerschaft und Geburt und die bis zur Impfung unauffällige Entwicklung des Klägers
nicht in ihrer Gesamtheit.
Das gilt auch für das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Si..
Dieser begründet eine von ihm für möglich gehaltene Vorschädigung des Gehirns nur mit
der Übererregbarkeit und dem starken muskulären Tonus des Klägers bei der
Vorsorgeuntersuchung U3. Er würdigt aber nicht, dass am Tag der Impfung der Kinderarzt
M., der den Kläger behandelt hatte, keine diesbezüglichen Auffälligkeiten mehr vermerkt,
sondern vielmehr „gesunder Säugling“ testiert hat. Eine Auseinandersetzung mit den zu
verschiedenen Zeitpunkten gemessenen Werten des Kopfumfangs des Klägers und den
sich daraus möglicherweise ergebenden Hinweisen auf eine Hirnschädigung fehlt bei ihm
ganz.
Die gutachtlichen Ausführungen von Prof. Dr. Si. werden in entscheidender Weise dadurch
entwertet, dass er in einem an das SG für das Saarland vom 04. Mai 2000 gerichteten
Schreiben ausgeführt hat, er halte ein neuroradiologisches Zusatzgutachten bezüglich der
ihm überlassenen Röntgenaufnahmen für notwendig. Das neurologische Zusatzgutachten
des Prof. Dr. Re., das sodann gefertigt wurde, findet in den gutachtlichen Äußerungen des
Prof. Dr. Si. indessen keine inhaltliche Berücksichtigung. Vielmehr legt der Sachverständige
Prof. Dr. Si. seiner Bewertung die – insoweit abweichenden - Interpretationen eines
Arztbriefs des Epilepsiezentrums Ko. vom 29. März 2000 zu Grunde, ohne in seinem
Gutachten zu diskutieren, dass die gerade von ihm angeregte Nachbefundung durch Prof.
Dr. Re. zu ganz anderen Ergebnissen gelangt. Dass er dann in einer Stellungnahme vom
03. Dezember 2003 eine neue bildgebende Begutachtung anregt, kann angesichts des
Umstands, dass er nach eigenen Äußerungen die Aufnahmen einem auf diesem Gebiet
erfahrenen Neuroradiologen, nämlich Prof. Dr. Re., vorlegen ließ, nicht überzeugen.
Auch den Ausführungen des Prof. Dr. Sch. vermag der Senat nicht zu folgen.
Seinen Schluss, der Kläger leide wahrscheinlich an einer angeborenen Krankheit des
Zentralnervensystems, stützt er nur auf die Ausführungen im Befundbericht des
Epilepsiezentrums Ko. vom 29. März 2000, ohne sich mit den Gutachten der Profess. Dr.
Re. und Hub. auseinanderzusetzen, die die bildgebenden Dokumente anders deuten. Eine
Abwägung der medizinischen Daten zu Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung des
Klägers bis zur Impfung fehlt völlig.
Die Einwendungen, die Prof. Dr. Kr. gegen das Gutachten Prof. Dr. Sch. erhebt, werden
von dem Senat geteilt. Der Sachverständige Prof. Dr. Kr. hat ausgeführt, dass in dem
Epidemiologischen Bulletin zu dem beim Kläger verwandten Impfstoff gegen Diphtherie,
Tetanus und Keuchhusten sowie zu dem Einzelimpfstoff gegen Haemophilus influenzae b
unter den akzeptierten Komplikationen übereinstimmend „Fieberkrampf (in der Regel ohne
Folgen)“ aufgelistet sei.
Zu Recht weist er weiter darauf hin, dass der Hersteller des Schluckimpfstoffs gegen
Kinderlähmung als Nebenwirkung Fieberkrämpfe, enzephalitische Krankheitsbilder und
neurologische Schädigungen nennt. Übereinstimmende Formulierungen für alle drei
Impfstoffe fänden sich auch in der Roten Liste. In der Roten Liste von 2007 seien zu dem
Impfstoff „Infanrix“ im Übrigen unter den Nebenwirkungen immer noch Krampfanfälle
genannt. Zu Recht rügt er auch weiter, das der Sachverständige Prof. Dr. Sch. der
auffallend La. Dauer des Krampfanfalls von mindestens 30 Minuten nicht ausreichend
Beachtung schenke. Er würdige auch die bisherige Entwicklung des Kindes bis zur
angeschuldigten Impfung nicht umfassend, insbesondere den Vermerk des Kinderarztes M.
am 28. November 1996 „gesunder Säugling“. Prof. Dr. Sch. habe sich auch nicht mit den
unterschiedlichen Interpretationen der bildgebenden Dokumente auseinandergesetzt.
Auch die weiteren Ausführungen von Prof. Dr. Sch. in der erbetenen Stellungnahme vom
24. Juni 2007 überzeugen nicht. Dort macht der Sachverständige geltend, es gebe
mittlerweile wissenschaftlich valide Beweise dafür, dass vermutete Hirnschäden nach
Pertussis-Impfung tatsächlich durch Mutation in einem Natriumkanal bedingt seien. Zum
Beleg hat er eine in englischer Sprache verfasste, mehrseitige Abschrift eines Datenblatts
der WHO beigefügt, wobei nach der durch den Senat veranlassten Übersetzung festgestellt
wurde, dass die eigentlich wesentliche Passage nur wenige Zeilen ausgemacht hat, die in
deutscher Sprache darzustellen dem Sachverständigen sicher möglich gewesen wäre.
Prof. Dr. Kr. hat sich über die dort genannte Untersuchung kundig gemacht und dazu
ausgeführt, in jener Studie, die Prof. Dr. Sch. nenne, sei nur eine Gruppe von Patienten
beobachtet worden, die zu einer bestimmten Epilepsiegruppe, nämlich der so genannten
schweren myoklonischen Epilepsie des Kindesalters gehörten. Dort handele es sich um eine
sehr spezifische Epilepsie, die mit der beim Kläger vorliegenden Epilepsie überhaupt nicht
vergleichbar sei.
Für den Fall des Klägers ist diese Untersuchung damit ohne Bedeutung; die Ausführungen
von Prof. Dr. Sch., die zunächst beeindruckend wirkten, waren letztlich irreführend und
damit den Wert seiner Begutachtung mindernd.
Die Ausführungen des Prof. Dr. Al. sind unbrauchbar. Dieser hatte die Erstellung eines
wissenschaftlichen begründeten kinderradiologischen Fachgutachtens abgelehnt, wozu er
auch nicht beauftragt war. Ohne im Besitz der zur Beurteilung erforderlichen Bilder zu sein,
beantwortet er die an ihn gerichtete Beweisfrage an Hand der beschriebenen
Befundberichte, die kontrovers diskutiert wurden. Eine solche Vorgehensweise wird den
Anforderungen an eine Begutachtung in keiner Weise gerecht und bleibt ohne
Aussagewert, da nur Allgemeinplätze wiedergegeben sind.
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür gesehen, die bildgebenden Dokumente erneut
neuroradiologisch begutachten zu lassen, da inzwischen zwei Fachgutachten dazu
vorhanden sind, die sich im Ergebnis entsprechen und eine für den Senat überzeugende
Entscheidungsgrundlage darstellen.
Zu bb 1b): Der beim Kläger vorliegenden therapieresistenten Grand-Mal-Epilepsie mag
zwar eine genetische Determination zu Grunde gelegen haben. Dieser Disposition kommt
aber neben der Impfung keine überragende Bedeutung zu.
Der Senat folgt den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr., wonach die Impfung
wesentliche Bedingung für das zerebrale Anfallsleiden des Klägers war. Eine überragende
Bedeutung der Krankheitsanlage für die Entstehung des Anfallsleidens des Klägers besteht
nicht.
Beruht der Ausbruch eines Leidens, wie vorliegend die therapieresistente Grand-Mal-
Epilepsie, auf mehreren Ursachen, also einerseits der Impfung und andererseits einer
Krankheitsanlage, so ist die Impfung wesentlich, solange die Krankheitsanlage nicht von
überragender Bedeutung war (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 27/04; LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2006, L 8 VJ 847/04).
Eine Krankheitsanlage ist aber nur von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so
leicht ansprechbar ist, dass die Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in
ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich
vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte (BSG in BSGE
Band 62, S. 220).
Das hat der Sachverständige Prof. Dr. Kr. vorliegend in überzeugender Weise verneint.
Zwar hat der Sachverständige das aus diesem Krampfanfall resultierende Leiden in seinem
Gutachten vom 03. Juni 2002 noch als nicht näher klassifizierbare, aber symptomatische
Epilepsie eingeordnet, das heißt als eine Epilepsie auf nicht genetischer Basis. Diese
Einschätzung hat er in seiner Stellungnahme vom 16. Januar 2007 so nicht
aufrechterhalten, sondern beim Kläger eine vorgegebene Anfallsdetermination festgestellt,
die mit dem impfbedingten Krampf zur Epilepsie wurde. Er hat dies in der Stellungnahme
vom 16. Januar 2007 überzeugend damit begründet, dass die Kinderheilkunde
(Neuropädiatrie, pädiatrische Epileptologie) seit mehreren Jahrzehnten Risikofaktoren für die
Epilepsie kenne. Beim Kläger seien drei dieser Risikofaktoren vorhanden gewesen, nämlich
das Anfallsalter von nur drei Monaten, der überlang dauernde, sogenannte komplizierte
Krampfanfall und schließlich die Wiederholung der Krampfanfälle bald anschließend und in
dichter Reihenfolge. An Hand der erneuten Analyse des Berichts aus dem Epilepsiezentrum
Ko. signalisierten das Mosaik der Anfallbilder, Verlauf der Krankheit, die Theta-Rhythmen
und die EEG-Ableitungen, dass mit überwältigender Wahrscheinlichkeit eine primär
generalisierte, schwere frühkindliche Epilepsie vorgelegen habe, also eine frühkindliche
genetisch - polygen - determinierte Epilepsieform. Zu diesem Anfallsleiden habe Prof. Dr.
Do., bis vor wenigen Jahren Direktor der neuropädiatrischen Abteilung der
Universitätskinderklinik in Ki. sowie des Epilepsiezentrums Rai., ausgeführt, dass bei dieser
Epilepsieform gehäuft Impfungen die Erstmanifestation provozierten.
Auch die Erstmanifestation eines genetisch (polygen) determinierten frühkindlichen
Anfallsleidens geschehe oft in Form eines überlangen, das heißt komplizierten Krampfes,
jedoch sei die hinter diesem Krampfanfall stehende genetische Disposition für sich allein
keine Krankheit des Nervensystems.
Die Ursache sei vielmehr hälftig genetisch, hälftig impfbedingt einzuordnen. Es gebe zwar
immer noch einzelne Gutachter, die im Falle genetisch determinierter Anfallsleiden dem
genetischen Faktor die weitaus dominierende Rolle zuschrieben. Dem stehe aber
entgegen, dass nachgewiesen sei, dass die genetische Anfallsdetermination relativ häufig
sei, aber vergleichsweise nur ein geringer Anteil (im einstelligen Prozentbereich) im Laufe
des Lebens tatsächlich zu der klinischen Manifestation komme. Deshalb seien
Determination einerseits und Realisierungsfaktor andererseits als gleichgewichtige
Teilursachen einzuordnen. Das nicht selten zu hörende Argument, die Epilepsie habe
ohnehin zur Manifestation angestanden, greife in diesem Fall nicht, denn ein erblich
Veranlagter werde nur unter der Einwirkung eines zusätzlichen exogenen Faktors krank.
Man könne nicht davon ausgehen, dass ein Kind auf Grund einer Veranlagung auch ohne
Auslösungsfaktor wie der Impfung früher oder später eine schwere Epilepsie bekommen
hätte.
bb 2): Da mithin auch der genetischen Disposition keine überragende Bedeutung
beigemessen werden kann, war die am 28. November 1996 erfolgte Impfung für die
Entstehung des Anfallsleidens wesentliche Bedingung.
Gemäß Ziff. 38 AHP in allen hier in Betracht kommenden Fassungen
(1996/2004/2006/2008) ist anzunehmen, dass der wahrscheinlich durch die Impfung vom
28. November 1996 erzeugte schwere Krampfanfall wahrscheinlich zur Manifestation des
zerebralen Anfallsleidens geführt hat.
Diese Annahme ist nach Ziff. 38 Abs. 1 AHP gegeben, wenn nach der geltenden
medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen
Zusammenhang spricht. Mit besonderer Sorgfalt ist das Für und Wider abzuwägen.
Bei der danach gebotenen Abwägung sprechen aber nach Überzeugung des Senats mehr
Umstände für einen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem zerebralen
Anfallsleiden als dagegen.
Dass ein solcher Zusammenhang bestehen kann, ergibt sich für den 1996 noch
zugelassenen Lebendimpfstoff gegen Kinderlähmung bereits aus Ziff. 57 AHP 1996/2004.
Spätere Fassungen der AHP können nicht herangezogen werden, weil – wie bereits
ausgeführt - Ziff. 57 AHP 2006 geändert wurde und u.a. auch keine eigenen Ausführungen
mehr zu Impfschäden enthält. Die ab dann maßgeblichen Arbeitsergebnisse der STIKO
sehen aber zu dem ab 1998 nicht mehr empfohlenen Lebendimpfstoff gegen Poliomyelitis
keine Ausführungen mehr vor.
In der hier maßgeblichen Fassung der Ziff. 57 AHP war zu der Poliomyelitis-Schutzimpfung
mit dem Lebendimpfstoff u.a. Folgendes vermerkt:
„Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines
hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets
einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit
der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 03. und dem 14.
Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine
Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.
Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer
mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als
Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.“
Das Auftreten des ersten schweren Krampfanfalls am selben Tag der stattgehabten
Impfung, der Umstand, dass es danach in dichter zeitlicher Folge zu rezidivierenden
Anfällen gekommen ist, und das Zurücktreten anderer Verursachungsmöglichkeiten
sprechen für einen kausalen Zusammenhang.
Für die übrigen beim Kläger verwendeten Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis
und Haemophilus influenzae b sieht die nunmehr maßgebliche Ziff. 57 Satz 2 AHP 2008
vor, dass die versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und
Nr. 56 Abs. 1 der AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung
ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60f IfSG durchzuführen ist (siehe hierzu auch Nr.
35-52 der AHP ); d.h., dass zur Anerkennung
eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des
ursächlichen Zusammenhangs genügt (§ 61 Satz 1 IfSG).
Bei der damit vorzunehmenden Abwägung des Für und Wider überwiegen die Umstände,
die für einen Kausalzusammenhang sprechen.
Die enge zeitliche Verbindung zwischen der Impfung und dem Auftreten des schweren
Krampfanfalls, die bis dahin unauffällige Entwicklung des Klägers, die auf die Impfung in
dichten Abständen wiederholt auftretenden, in Art und Intensität miteinander
vergleichbaren Krampfanfälle, der Umstand, dass eine vor der Impfung bereits vorliegende
Hirnschädigung nicht festgestellt werden konnte, sowie der Gesichtspunkt, dass die dem
Leiden zu Grunde liegende genetische Disposition nur in einem geringen Anteil zur
klinischen Manifestation gelangt, wiegen nach Überzeugung des Senats schwerer als ein –
im Übrigen von dem Sachverständigen Prof. Dr. Kr. nicht geteilter – Zusammenhang
zwischen einer angeborenen Erkrankung des Zentralnervensystems und dem zerebralen
Anfallsleiden.
Dem steht nicht entgegen, dass in den Arbeitsergebnissen der STIKO zu den hier
verwandten Impfstoffen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae
b das Auftreten von Krampfleiden unter der Rubrik „Krankheiten/Krankheitserscheinungen
in ungeklärtem Zusammenhang mit der Impfung“ genannt wird.
Die im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichen Arbeitsergebnisse der STIKO sind für die
vorliegende Frage des Kausalzusammenhangs nicht maßgeblich, da sie nur zur Abgrenzung
einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion
hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) heranzuziehen sind. Die
versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden u.a. bezüglich der Kausalität ist
ausschließlich nach §§ 60 f IfSG i.V. mit Ziff. 35 bis 52 AHP durchzuführen.
Wollte man die Arbeitsergebnisse der STIKO gleichwohl heranziehen, gilt Folgendes:
In dem Epidemiologischen Bulletin vom 22. Juni 2007 (Seite 212) ist für den beim Kläger
verwendeten Dreifachimpfstoff Folgendes vermerkt:
„Nach der Ablösung der früher verwendeten Vollbakterien-Pertussis-Komponente im DTP-
Impfstoff durch eine moderne azelluläre Pertussis-Komponente wurde über zentral-nervöse
Schäden nach einer Impfung in der medizinischen Fachliteratur nicht mehr berichtet.
Einzelne veröffentlichte Kasuistiken (Enzephalopathie) über einen ursächlichen
Zusammenhang sind fraglich.“
Für den beim Kläger verwandten Impfstoff gegen Haemophilus influenzae b ist ausgeführt
(Seite 216):
„In Einzelfällen wurde in der medizinischen Fachliteratur über Krämpfe und Guillain-Barre-
Syndrom berichtet, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Hib-Impfung von Kindern
auftraten. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist bei diesen Beobachtungen
fraglich. Es könnte sich in der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte um das zufällige zeitliche
Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen
Ergebnissen handeln.“
Diesen Ausführungen der STIKO – wollte man sie heranziehen - kann damit nicht der
Schluss entnommen werden, ein Kausalzusammenhang zwischen Impfung und
Krampfleiden sei ausgeschlossen.
Sie sind also aus mehreren Gründen unmaßgeblich und ändern am oben gewonnenen
Ergebnis nichts.
Zu 2.2.: Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. IfSG i.V. mit
dem BVG.
Auf die Berufung des Klägers waren das Urteil des SG für das Saarland vom 14. Oktober
2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 01. März 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 aufzuheben. Der Klage war stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.