Urteil des LSG Saarland vom 12.11.2008

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LSG Saarbrücken Urteil vom 12.11.2008, L 2 KR 18/06
Krankenversicherung - Versicherter - Wahl von Kostenerstattung an Stelle von Sachleistung
- Umfang der Beratungspflicht durch Krankenkasse - Nichtberücksichtigung der
sogenannten Apotheken- und Herstellerrabatte bei Erstattung von Arzneimitteln
Leitsätze
Zum Umfang der Beratungspflicht der Krankenkassen gegenüber Versicherten, die an
Stelle des Sachleistungsprinzips die Kostenerstattung wählen, nach § 13 Abs 2 Satz 2 SGB
V in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003,BGBI. I S. 2190.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass eine Krankenkasse einer Versicherten
gegenüber, die gemäß § 13 Abs. 2 SGB V statt der Sachleistung die Kostenerstattung
gewählt hat, bei der Erstattung der Kosten für Arzneimittel die sog. Apothekenrabatte und
Herstellerrabatte nach §§ 130, 130 a SGB V nicht berücksichtigt; solche Rabatte fallen nur
im Bereich des Sachleistungsprinzips an.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des
Sozialgerichts für das Saarland vom 24.4.2006 wird
zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des
Sozialgerichts für das Saarland vom 24.4.2006
abgeändert; die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte, bei der sie in der
Krankenversicherung der Rentner versichert ist, Anspruch auf eine Kostenerstattung für
„Orthomol vision diabet“ sowie auf eine höhere Kostenerstattung für Arzneimittel hat.
Die Klägerin machte zum 1.1.2004 von ihrem Wahlrecht nach § 13 Abs. 2 SGB V
Gebrauch und wählte statt der Sach- oder Dienstleistungen die Kostenerstattung. Sie
unterzeichnete - wie ihr Ehemann, der die Klägerin vertritt, für sein eigenes
Versicherungsverhältnis - unter dem 15.1.2004 eine Erklärung, dass sie vor der Wahl der
Kostenerstattung über die Besonderheiten des Abrechnungsverfahrens beraten worden sei
und die Erläuterungen verstanden habe. Außerdem erhielten die Klägerin und ihr Ehemann
von der Beklagten ein Merkblatt zur Kostenerstattung, in dem sie unter anderem darüber
informiert wurden, dass man eine Erstattung in Höhe der Vergütung erhält, die die
Beklagte bei Erbringung als Sachleistung auf der Grundlage der Ersatzkassen-
Gebührenordnung oder sonstiger Vergütungsvereinbarungen zu tragen hätte. Weiter ist in
dem Merkblatt unter anderem aufgeführt, dass auch gesetzlich vorgesehene
Rabattierungen, wie zum Beispiel Apothekenrabatt und Rabatte der pharmazeutischen
Unternehmen für Arzneimittel bei der Erstattung berücksichtigt und entsprechend in Abzug
gebracht würden. Der genaue Zeitpunkt der Übermittlung des Merkblatts ließ sich nicht
klären.
In Umsetzung ihres Wahlrechts reichte die Klägerin bei der Beklagten Anfang des Jahres
2004 erstmals verschiedene Rechnungen vom Januar 2004 in Höhe von insgesamt 770,24
EUR zur Erstattung ein. Mit einer Mitteilung vom 23.2.2004 gab die Beklagte bekannt, man
habe von den Rechnungen einen Kassenanteil von 318,72 EUR überwiesen. Der
Erstattungsbetrag belaufe sich auf 344,56 EUR; hiervon müsse eine Verwaltungsgebühr
von 7,5% in Höhe von 25,84 EUR abgezogen werden. Einen Betrag in Höhe von 126,69
EUR für das Mittel Orthomol vision diabet (drei Packungen im Preis von 42,23 EUR je 30
Stück) aufgrund einer Verordnung von Dr. A. vom 15.1.2004 erstattete sie nicht.
Mit Schreiben vom 5.3.2004 erläuterte die Beklagte ihre Kostenerstattung und führte aus,
die Erstattung der Arzneimittel werde um den Apothekenrabatt von 2 EUR oder 5% des
Apothekenverkaufspreises (AVP) und gegebenenfalls den Herstellerrabatt von 11,2% des
AVP vermindert und zudem würden die Zuzahlung und eine pauschale Kürzung von 5% des
AVP abgezogen. Anschließend werde der Betrag noch um den Abschlag für
Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen in Höhe von 7,5% des
Erstattungsbetrags, mindestens 3 EUR, höchstens 41 EUR gemindert.
In Vollmacht der Klägerin erhob ihr Ehemann mit Schreiben vom 8.3.2004 Widerspruch
gegen die Kostenerstattung. Die Klägerin leide unter einer Makula-Degeneration und es
bestehe die Gefahr der Erblindung, wenn sie das Mittel Orthomol nicht erhalte. Sie
verstehe die Kürzung um den Apothekenrabatt und den Herstellerrabatt nicht. Sie beziehe
sich auf das Merkblatt; von der erheblichen Höhe der Abzüge sei dort keine Rede.
Apothekenrabatt und Rabatt der pharmazeutischen Industrie müssten ihr ebenfalls
gewährt werden.
Nachdem der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 12.5.2004 eine
Stellungnahme dahingehend abgegeben hatte, Orthomol Vision diabet sei ein diätetisches
Lebensmittel, vergleichbar mit Vitaminpräparaten, und stehe nicht in der Liste des
Gemeinsamen Bundesausschusses für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die
Therapiestandard bei schwerwiegenden Erkrankungen seien, teilte die Beklagte dem
Ehemann der Klägerin am 1.6.2004 mit, Rechtsgrundlagen für die eingeschränkte
Kostenerstattung seien § 13 Abs. 2 Sätze 7 und 8 SGB V sowie § 23 Abs. 2 Satz 6 ihrer
Satzung. Grundlage für die Rabatte seien §§ 130, 130a SGB V. Diese Rabatte seien nur
dann einzuräumen, wenn eine direkte Abgabe zulasten der Krankenkasse erfolge, also bei
der direkten Abrechnung zwischen Apotheken und Krankenkassen. Im Fall der
Kostenerstattung trete aber der Versicherte wie ein Privatpatient auf und in diesem Fall
bestehe keine Rechtsbeziehung zwischen Apotheken und Krankenkassen. Daher seien
diese Rabatte in Abzug zu bringen. Die pauschale Kürzung von 5% beziehe sich
beispielsweise auf fehlende Prüfungsmöglichkeiten bezüglich Verordnungseinschränkungen
sowie Aut-Idem-Arzneimitteln. Ebenfalls seien Abschläge für Verwaltungskosten und
fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorgesehen. Er sei im Merkblatt auf die finanziellen
Nachteile hingewiesen worden.
Der Ehemann der Klägerin mahnte in der Folge eine erhöhte Transparenz im
Abrechnungsnachweis an und vertrat die Ansicht, man erwirke Rabatte und füge den
Selbstzahlern dadurch Schäden zu, dass man diese nicht weitergebe. Die Beklagte müsse
für alle Versicherten Rabattansprüche in vollem Umfang einbeziehen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 27.7.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der
Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung der bereits vorgebrachten Argumente zurück.
Im Klageverfahren hat die Klägerin die Argumente des Verwaltungsverfahrens aufgegriffen.
Eine Rechtsgrundlage für den in der Satzung der Beklagten geregelten Abzug weiterer 5%
auf Arzneimittel sei nicht vorhanden. Sie mahne eine Offenlegung der
Berechnungsmethoden an.
Im Verlauf des Klageverfahrens hat die Beklagte angegeben, mittlerweile bestehe die
Möglichkeit, den tatsächlichen Herstellerabgabepreis zu ermitteln und diesen
Herstellerrabatt für jedes Medikament korrekt zu berechnen. Eine Überprüfung der
Erstattungen der Klägerin des Jahres 2004 mithilfe dieser neuen technischen Möglichkeiten
habe ergeben, dass die Klägerin meistens Arzneimittel mit einem geringeren als dem
angenommenen mittleren Preis in Anspruch genommen habe und daher habe sich im
Ergebnis eine höhere Erstattung ergeben. Man biete an, sämtliche bisher ermittelten
Erstattungsbeträge nachzuberechnen und eventuelle Nachzahlungen zu leisten. Künftig
werde nach diesen tatsächlichen Werten gerechnet.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht für das Saarland (SG) am 24.4.2006
erkannte die Beklagte an, eine neue Berechnung ohne den Abschlag von 5% für den
Verwaltungsaufwand vorzunehmen und nur den für Sachleistungen geltenden
Herstellerrabatt nach § 130 a SGB V zu berücksichtigen, der tatsächlich geleistet werde.
Die Klägerin nahm dies als Teilanerkenntnis an. Im Sitzungsprotokoll vom 24.4.2006 ist
unter Nr. 1 folgender Antrag der Klägerin formuliert: "unter Abänderung des angefochtenen
Bescheides vom 20.2.2004 beziehungsweise 23.2.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 27.7.2004 wird die Beklagte verurteilt, eine Kostenerstattung
ohne Berücksichtigung der Apothekenrabatte und der Rabatte der pharmazeutischen
Unternehmen für Arzneimittel vorzunehmen und zukünftig bei der Kostenerstattung nicht
mehr in Abzug zu bringen, sowie die Ermittlung des Erstattungsbetrages für ärztliche
Leistungen offen zu legen ".
Durch Urteil vom 24.4.2006 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide
verurteilt, die der Klägerin in der Vergangenheit gewählte Kostenerstattung neu zu
berechnen ohne die Abschläge für die Apothekenrabatte und Rabatte der Pharmaindustrie
für Arzneimittel zu berücksichtigen und dies auch bei zukünftigen Erstattungsbeträgen
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unberücksichtigt zu lassen. Im Übrigen
hat es die Klage abgewiesen. Im Tatbestand des Urteils ist folgender Antrag der Klägerin
aufgeführt: "unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 20.2.2004
beziehungsweise 23.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.7.2004
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für das ihr ärztlich verordnete Präparat
"Orthomol Vision" rückwirkend zu erstatten, eine Kostenerstattung ohne Berücksichtigung
der Apothekenrabatte und der Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen für
Arzneimittel vorzunehmen und zukünftig bei der Kostenerstattung nicht mehr in Abzug zu
bringen, sowie die Ermittlung des Erstattungsbetrages für ärztliche Leistungen offen zu
legen". Im Wesentlichen hat das SG ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf
ordnungsgemäße Kostenerstattung mit Ausnahme der Kosten für das Präparat Orthomol.
Die Beklagte müsse bei den Abzügen 11,2% für den Herstellerrabatt und den
Apothekenrabatt unberücksichtigt lassen. Die Satzung der Beklagten enthalte zwar eine
Regelung für die Kostenerstattung, darin sei aber nichts über die Abschläge für den
Hersteller- und Apothekenrabatt zu finden. Richtig sei zwar, dass die Krankenkassen bei
Erbringung der Sachleistung diese Rabatte nicht zu tragen hätten. Dies dürfe aber nicht
dazu führen, dass im Falle der Kostenerstattung diese Rabatte nicht von den Apotheken
bzw. pharmazeutischen Unternehmen, sondern von den Versicherten zu tragen seien. Dies
bedeute zum einen eine erhebliche Schlechterstellung desjenigen, der die Kostenerstattung
gewählt habe. Dies könne nur dann zulässig sein, wenn die Kostenerstattung andererseits
dem Versicherten Vorteile bringe. Dies sei nicht erkennbar. Zum anderen sei eine
Schlechterstellung auch dann gerechtfertigt, wenn lediglich die Kosten für die zusätzliche
Verwaltung an den Versicherten weitergegeben würden. Dies sei in der Satzung als
Abschlag für Verwaltungskosten normiert. Eine weitere Schlechterstellung in Bezug auf die
Rabatte finde keine Grundlage in den gesetzlichen Regelungen. Die bislang ergangene
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) betreffe die Rechtslage vor dem
1.1.2004; damals habe sich das Wahlrecht aber lediglich auf freiwillig Versicherte bezogen.
Nachdem nunmehr alle gesetzlich Versicherten dieses Wahlrecht hätten, sei der
Sachverhalt anders zu beurteilen. Diejenigen gesetzlich Versicherten, die vom Wahlrecht
Gebrauch machten, dürften nicht dadurch sanktioniert werden, dass sie nunmehr mit
Abzügen belastet würden, für die ansonsten die Apotheken und pharmazeutischen
Unternehmen einzustehen hätten. Zu berücksichtigen sei auch, dass solche Abzüge zum
Zeitpunkt der Entscheidung für eine Kostenerstattung nicht erkennbar gewesen seien. In
der Satzung sei hierüber nichts zu finden. Damit werde die Wahl für eine Kostenerstattung
zu einem nicht kalkulierbaren Risiko, wenn man die Rabatte nicht auch an die Versicherten
weitergebe, die Kostenerstattung gewählt hätten. Auch die gesetzliche Regelung des § 13
Abs. 2 Satz 7 SGB V, die Höhe der Vergütung sei auf die Höhe der von der Krankenkasse
zu erbringenden Sachleistung beschränkt, rechtfertige diesen Abzug nicht. Es sei nicht
nachvollziehbar, dass die Krankenkassen nicht auch bei der Kostenerstattung gegenüber
den Apotheken die Rabatte geltend machen könnten. Die Beklagte sei daher verpflichtet,
die Berechnung der Kostenerstattung für die von der Klägerin in der Vergangenheit
vorgelegten Rechnungen neu vorzunehmen und dabei die Abzüge für den Apotheken- und
Herstellerrabatt unberücksichtigt zu lassen. Dies gelte auch für die künftig geltend
gemachten Kostenerstattungen. Der Beklagten sei es durchaus gestattet, ihre pauschalen
Aufwendungen für den Verwaltungsaufwand zu erhöhen, soweit ein solcher höherer
Aufwand für die nachträgliche Geltendmachung der Rabatte gegenüber den Apotheken
erforderlich sein sollte. Der weitere Antrag der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten, die
Ermittlung des Erstattungsbetrags für ärztliche Leistungen offen zu legen, sei nicht
begründet. Dadurch, dass die Beklagte den Anspruch der Klägerin anerkannt habe, den
Abzug von 5% bei der Neuberechnung nicht mehr zu berücksichtigen, und durch die im
Urteil auferlegte Verpflichtung, bei der Neuberechnung der Kostenerstattung auch die
weiteren Abzüge für den Apotheken- und Herstellerrabatt nicht vorzunehmen, sei lediglich
der in der Satzung der Beklagten genannte Abzug von 7,5% statthaft, so dass eine weitere
Offenlegung der Erstattungsmethode nicht mehr erforderlich sei. Auch stehe der Klägerin
der Kostenerstattungsanspruch für das Präparat Orthomol nicht zu. Es handele sich nicht
um ein Arzneimittel, sondern um ein diätisches Lebensmittel, also um ein
Nahrungsergänzungsmittel. Dieses Präparat sei von der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung gemäß Nummer 17.1 i des Abschnittes F der Arzneimittelrichtlinien
ausgeschlossen. Auf die Regelung des § 34 Abs. 2 SGB V komme es nicht an. Dieses
Präparat sei auch nicht die einzige Möglichkeit, die Krankheit der Klägerin zu heilen oder
eine Verschlimmerung zu vermindern. Nach Kenntnis der Kammer sei die altersabhängige
Makula-Degeneration nicht heilbar. Es gebe auch keinen sicheren Nachweis dafür, dass das
Zuführen bestimmter Ernährungsstoffe das weitere Fortschreiten der Erkrankung
hinauszögern könne.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 9.5.2006 zugestellte Urteil am 6.6.2006, die Klägerin
gegen das ihr am 8.5.2006 zugestellte Urteil am 7.6.2006 Berufung eingelegt.
Die Beklagte begründet die Berufung im Wesentlichen damit, dass die höchstrichterliche
Rechtsprechung einen Abzug beider Rabatte erlaubt habe. Auch § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V
stelle auf die Vergütung ab, die die Krankenkasse im Rahmen der Sachleistung an den
Apotheker zu zahlen habe. Die gesetzliche Möglichkeit für alle Versicherten, ab Januar 2004
Kostenerstattung zu wählen, habe an der Rechtslage nichts ändern sollen. Die amtliche
Gesetzesbegründung spreche von "wie bisher". Die Satzung habe nichts darüber hinaus
regeln können, weil im Gesetz schon umfassend Regelungen enthalten seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
24.4.2006 abzuändern und die Klage insgesamt
abzuweisen
sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Klägerin den Antrag auf Verurteilung der
Beklagten, die Ermittlung des Erstattungsbetrags für ärztliche Leistungen offen zu legen,
nicht mehr aufrecht erhalten.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts für das
Saarland vom 24.4.2006 sowie des Bescheids vom
23.2.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
27.7.2004 die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für
das ärztlich verordnete Präparat Orthomol vision diabet zu
erstatten,
sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft die bereits vorgebrachten Argumente. Das Präparat Orthomol
sei von Prof. Dr. Ru. von der Universitätsklinik H. verordnet worden und sei ein
aussichtsreiches Therapiemittel bei der bestehenden Makula-Degeneration. Das SG habe
nicht erläutert, woher seine Kenntnis stamme, dass dieses Medikament eine
Verschlimmerung nicht verhindern könne.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
war.
Entscheidungsgründe
Die Berufungen der Beteiligten sind zulässig. Nach der Antragsbeschränkung der Klägerin
sind im Berufungsverfahren Streitgegenstand nur noch die Fragen, ob die Klägerin
Kostenerstattung ohne die Abschläge für Apothekenrabatte und Rabatte der Pharma-
Industrie beanspruchen (Berufung der Beklagten gegen das insoweit stattgebende Urteil
des SG) und ob die Klägerin eine rückwirkende Erstattung für das ärztlich verordnete
Präparat "Orthomol Vision diabet" erhalten kann (Berufung der Klägerin gegen das insoweit
abweisende Urteil des SG). Den ursprünglich gestellten Antrag bezüglich der Offenlegung
der Ermittlung des Erstattungsbetrags für ärztliche Leistungen hat die Klägerin im
Berufungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten. Damit ist im Berufungsverfahren der
Klägerin nur noch über die Kostenerstattung für das Präparat Orthomol zu befinden. Den
diesbezüglich von der Klägerin in der Klagebegründungschrift vom 26.11.2004 gestellten
Antrag hat das SG im Tatbestand des Urteils aufgeführt und hierüber in den
Entscheidungsgründen auch befunden. Dass im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor
dem SG diesbezüglich ein Antrag der Klägerin fehlt, ist unschädlich. Da sich aus den Akten
keine Hinweise ergeben, dass die Klägerin von diesem von ihr auch begründeten Antrag
Abstand nehmen wollte, und das SG inhaltlich auch hierüber entschieden hat, sieht der
Senat das Fehlen des Antrags im Protokoll der mündlichen Verhandlung des SG - im
Einvernehmen der Beteiligten - nicht als teilweise Klagerücknahme an.
Der noch im Berufungsverfahren geltend gemachte Anspruch der Klägerin bezieht sich aber
nach dem Antrag im Klageverfahren nur auf die Erstattung, die in dem angefochtenen
Abrechnungsbescheid abgelehnt wurde, nicht auf andere oder künftige Erstattungen. Die
Klägerin sprach im Klageantrag ausdrücklich nur von der Rückwirkung und der
entsprechenden Abänderung der angefochtenen Bescheide. „Rückwirkend“ bedeutet in
diesem Fall nur der im angefochtenen Bescheid genannte Abrechnungszeitraum; für
Zeiträume danach sind nach den Angaben der Beteiligten gesonderte
Abrechnungsbescheide ergangen und derzeit anhängige bzw. ruhende Widerspruchs- und
Klageverfahren eingeleitet worden. Da somit diesbezüglich nur die Abrechnung vom
23.2.2004 in Form eines Verwaltungsakts zur Festlegung der Erstattungsbeträge in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.7.2004 Streitgegenstand ist und dort nur über
einen Erstattungsbetrag für Orthomol vision diabet von 126,69 EUR entschieden wurde, ist
auch nur die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung zu überprüfen. Dass isoliert betrachtet
diesbezüglich die Berufungssumme (vergleiche § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht
wird, ist unschädlich, weil ursprünglich der Berufungsantrag noch einen Leistungsantrag in
Form der Offenlegung enthielt, für den die Berufungssumme nicht gilt. Die nachträgliche
Ausklammerung eines Anspruchs ist für die Zulässigkeit der Berufung unerheblich, weil es
nur auf den Umfang der sozialgerichtlichen Entscheidung und das anfängliche
Berufungsbegehren ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 26.1.2006, B 3 KR 4/05 R; vgl. auch
BSG, Urteil vom 5.2.1998, B 11 AL 19/97 R).
Im angefochtenen Bescheid ging es um das Präparat Orthomol Vision diabet. Hierbei
handelt es sich, wie Beklagte und SG zu Recht feststellen, nicht um ein von der Beklagten
als Krankenkasse zu erstattendes Arzneimittel. Dass dies kein Arzneimittel, sondern ein
(diätetisches) Lebensmittel ist, hat der MDK in seinem Gutachten vom 12.5.2004
festgestellt und wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Auch lt. Herstellerangaben im
Internet (http://www.orthomol.de/ products/vision.aspx) ist Orthomol Vision ein
diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät), zur
diätetischen Behandlung von altersbedingten Augenerkrankungen wie altersabhängiger
Makuladegeneration oder Altersstar. Solche Lebensmittel sind von der Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung, die nur mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln
versorgen muss (§§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V), ausgenommen. Nach der
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 9.12.1997, 1 RK 23/95) zur damaligen Rechtslage
gibt es keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen für
Mehraufwendungen durch Diät- oder Krankenkost. Das BSG hat ausgeführt, eine
Ausweitung des Arzneimittelbegriffs durch Einbeziehung dieser Mittel widerspreche der
begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Leistungspflicht
der Krankenkassen sei deshalb in der Regel auf Maßnahmen beschränkt, die gezielt der
Krankheitsbekämpfung dienten. Mehrkosten und andere Nachteile und Lasten, die der
Versicherte im täglichen Leben wegen der Krankheit habe, seien der allgemeinen
Lebenshaltung zuzurechnen und nicht von der Krankenkasse zu tragen. Dies gelte
grundsätzlich auch für Mehraufwendungen, die durch eine besondere, der Krankheit
angepasste Ernährungsweise entstünden. Dies hat das BSG jüngst in seinem Urteil vom
angepasste Ernährungsweise entstünden. Dies hat das BSG jüngst in seinem Urteil vom
28.2.2008, B 1 KR 16/07 R, ausdrücklich bestätigt und ausgeführt, dass nur das
Arzneimittel-, nicht aber das Lebensmittelrecht die Patienten durch ein
Zulassungsverfahren vor Gefahren schützt und Lebensmittel einen Fremdkörper im
Rechtsregime der Versorgung mit Arzneimitteln innerhalb der gesetzlichen
Krankenversicherung bilden.
Der Gesetzgeber hatte mit Wirkung vom 1.1.1999 § 31 Abs. 1 SGB V um Satz 2 ergänzt.
Er ermächtigte den Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB
V, somit den Arzneimittelrichtlinien, festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen
Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten oder die Verordnung von
Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden.
Hierum geht es im Fall der Klägerin aber nicht. Außerdem ist unter Nr. F 17.1 i der damals
geltenden Arzneimittelrichtlinien in der Fassung vom 31.8.1993 (BAnz. Nr. 246 vom
31.12.1993), geändert am 3.8.1998 (BAnz. Nr. 182 vom 29.9.1998) ergänzend
bestimmt gewesen, dass Elementardiäten (Gemische von Nahrungsgrundbausteinen,
Vitaminen und Spurenelementen) nur zulässig sind bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom,
stark Untergewichtigen mit Mukoviszidose, bei Patienten mit chronisch terminaler
Niereninsuffizienz unter eiweißarmer Ernährung und bei Patienten mit konsumierenden
Erkrankungen sowie medizinisch indizierter Sondennahrung. Diese Fallgestaltungen liegen
hier ebenfalls nicht vor (vgl. auch Urteil des Senats vom 28.2.2007, L 2 KR 52/05; LSG
Baden-Württemberg, Urteil vom 5.4.2006, L 5 KR 5106/05).
Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 6.12.2005,
1 BvR 347/98) kann die Klägerin nichts herleiten, denn es ist nicht ersichtlich, dass die
Klägerin ohne Orthomol vision lebensgefährlich erkranken würde. Im Übrigen führt das
Bundesverfassungsgericht auch aus, dass die gesetzlichen Krankenkassen nicht von
Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder
Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. auch BSG, Urteil vom 07.11.2006, B
1 KR 24/06 R).
Damit hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg.
Hingegen ist die Berufung der Beklagten begründet, denn das SG hat zu Unrecht
entschieden, dass für die ärztlichen Verordnungen, die den Zeitraum des angefochtenen
Abrechnungsbescheids betrafen, eine Kostenerstattung der Klägerin unter
Berücksichtigung der so genannten Apotheken- und Herstellerrabatte zu erfolgen hat.
Die Klägerin hat diesbezüglich zwei Klagen erhoben: einerseits für die Vergangenheit,
konkret die im Abrechnungsbescheid vom Februar 2004 aufgeführten Verordnungen, in
Form einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, und andererseits zur
allgemeinen Klärung der Rechtsfrage, ob diese Rabatte abgezogen werden dürfen, für
zukünftige Abrechnungen eine (vorbeugende) Feststellungsklage. Während sich die
Zulässigkeit der Kombinationsklage aus der entsprechenden Betroffenheit der Klägerin
durch den Abrechnungsbescheid (§ 54 Abs. 2 SGG) ergibt, ist die (vorbeugende)
Feststellungsklage nur dann zulässig, wenn die Klägerin ein besonderes
Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 2. Halbsatz SGG) hat. Zwar ist es ihr nicht zuzumuten,
diesbezüglich jeweils jeden Abrechnungsbescheid anzufechten und diese Rechtsfrage
mehrfach klären zu lassen. Mit der Klärung dieser Rechtsfrage im Streit um den
Abrechnungsbescheid vom Februar 2004, damit einen Verwaltungsakt, und der Bindung
der Beklagten als öffentlich-rechtliche Körperschaft an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3
GG) wäre aber auch mit einem Leistungsurteil gegen die Beklagte zukünftig hinreichend
gesichert, wie im Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter um die Erstattung
verordneter Arzneimittel die Frage, ob die genannten Rabatte abzuziehen sind oder nicht,
zu beantworten ist. Damit ist die für künftige Erstattungen zusätzlich erhobene
(vorbeugende) Feststellungsklage nicht zulässig.
Inhaltlich ist es im Gegensatz zur Ansicht des SG im Fall der selbst zahlenden Klägerin
korrekt, dass die Beklagte in der angefochtenen Abrechnung die Rabatte, die ihr die
Apotheken und Arzneimittelhersteller bei der Erbringung als Sachleistung zu gewähren
hätten, in Abzug gebracht hat.
Das in der gesetzlichen Krankenversicherung vorherrschende Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs.
2 SGB V) wird gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V aF. (insoweit für den hier streitigen
Zeitraum gültig ab 1.1.2004 bis 31.12.2006 idF. des GKV-Modernisierungsgesetzes vom
14.11.2003, BGBl. I S. 2190) dadurch unterbrochen, dass der Krankenversicherte statt
Sachleistungen eine Kostenerstattung wählt. Aus § 13 Abs. 2 Sätze 7 bis 9 SGB V aF.
folgt, dass Anspruch auf Erstattung höchstens in Höhe der Vergütung besteht, die die
Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung der
Krankenkasse hat dabei das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat
ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu
bringen. Aus der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/1525 Seite 80) geht
hervor, dass bis zum 1.1.2004 lediglich freiwillige Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung und ihre mitversicherten Familienangehörigen die Möglichkeit hatten,
an Stelle der Sachleistungen Kostenerstattung zu wählen. Viele pflichtversicherte Mitglieder
sahen hierin ein ungerechtfertigtes Privileg der freiwilligen Mitglieder. Zudem erhalten mit
der Gesetzesänderung alle Versicherten in Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH nach
dem § 13 Abs. 4 SGB V aF. die Möglichkeit, Leistungserbringer in anderen Mitgliedstaaten
der Europäischen Gemeinschaft im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen zu
können. Vor diesem Hintergrund wurde die Möglichkeit für alle Mitglieder geschaffen,
Kostenerstattung zu wählen. Hierdurch sollte auch das Prinzip der Eigenverantwortung
gestärkt werden. Weiter ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass wie bisher der
Umfang der Kostenerstattung auf höchstens die Vergütung beschränkt wird, die die
Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte (vergleiche auch Kasseler
Kommentar Sozialversicherungsrecht, Höfler, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 13 SGB V
Randnummern 11 ff, 16)
Vor der Entscheidung über den Umfang der Kostenerstattung ist zu klären, ob die Klägerin
ihr Wahlrecht ordnungsgemäß nach § 13 Abs. 2 aF. SGB V ausgeübt hat. Um den
Versicherten vor voreiligen Entscheidungen zu bewahren (so die Gesetzesbegründung
aaO.), wurde den Krankenkassen eine ausdrückliche Pflicht auferlegt, ihre Versicherten
über die Folgen einer Entscheidung für die Kostenerstattung aufzuklären (§ 13 Abs. 2 Satz
2 SGB V aF.). Welchen Inhalt diese Beratung konkret haben muss, ist gesetzlich nicht
definiert. Aus dem Zusammenhang dieser speziellen Norm über Beratungspflichten ergibt
sich, dass Inhalt der Beratung die materiellen Regelungen des § 13 Abs. 2 SGB V aF. sein
müssen, folglich insbesondere die in Sätzen 7 bis 9 des § 13 Abs. 2 SGB V aF. geregelte
Begrenzung der Erstattung auf die Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei
Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Beratungspflicht übt eine Schutzfunktion
zu Gunsten der Versicherten aus: die materiellen Regelungen führen dazu, dass im
Gegensatz zur Sachleistung, bei der die Versicherten in der Regel keine beziehungsweise
nur geringe finanzielle Beträge z.B. in Form der Zuzahlungen oder der „Praxisgebühr“ (§§
28 Abs. 4, 61 SGB V) leisten müssen, wesentlich höhere Eigenleistungen erbracht werden
müssen, wie alleine schon § 13 Abs. 2 Satz 9 SGB V aF. mit Hinweis auf die
Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen belegt. Eine konkrete
Belehrung dahingehend, wie hoch die einzelnen Beträge sind oder sein können, was auch
von Art und Umfang der erbrachten Leistungen abhängig ist, sieht § 13 Abs. 2 S. 2 SGB V
aF. nicht vor.
Im Fall der Klägerin hat eine solche Belehrung stattgefunden. Unabhängig davon, wann
konkret das Merkblatt der Klägerin beziehungsweise ihrem Ehemann zur Verfügung gestellt
wurde, steht nach den Ermittlungen des Senats fest, dass der Ehemann der Klägerin -
auch in Vertretung der Klägerin - in der Geschäftsstelle in Ne. vom Mitarbeiter der
Beklagten Sch. vor der Wahlentscheidung der Klägerin auf die erheblichen Zusatzkosten
hingewiesen wurde. Der Ehemann der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom
12.11.2008 ausdrücklich bestätigt, dass eine solche Beratung stattgefunden hat und dass
der Mitarbeiter der Beklagten ihm sogar mit Hinweis auf die erheblichen Zusatzkosten von
der Wahl abraten wollte. Dies hat der Ehemann der Klägerin mit Hinweis auf seine
finanzielle Situation und die Erkrankung der Klägerin, die er optimal behandelt wissen
wollte, abgelehnt. Belegt wird dies zudem einerseits durch die von der Beklagten am
14.7.2008 eingereichten Bestätigungen, die die Klägerin und ihr Ehemann am 15.1.2004
unterzeichnet haben, sowie durch die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung
vom 12.11.2008 vorgelegte Erklärung des Mitarbeiters der Beklagten Sch. vom
16.1.2004, in der der Mitarbeiter bestätigte, den Ehemann des Klägers in einem
persönlichen Gespräch eingehend über die Konsequenzen der Kostenerstattung aufgeklärt
persönlichen Gespräch eingehend über die Konsequenzen der Kostenerstattung aufgeklärt
zu haben. Die Klägerin wusste daher schon vor ihrer Wahlerklärung von den Konsequenzen
und finanziellen Risiken ihrer Wahlentscheidung, ohne dass es darauf ankommt, ob damals
schon das ausführliche Merkblatt der Beklagten in den Händen der Klägerin war. Eine
Beratung in schriftlicher Form gebietet die gesetzliche Regelung nicht. Das entsprechende
Merkblatt mit ausführlichen Hinweisen hat sie im Übrigen spätestens bei Einlegung ihres
Widerspruchs am 8.3.2004 besessen, denn in diesem Schreiben erwähnt der Ehemann
der Klägerin in deren Vertretung dieses Merkblatt ausdrücklich.
Damit steht fest, dass die Klägerin im Sinne von § 13 Abs. 2 S. 2 SGB V aF. über die
finanziellen Auswirkungen einer solchen Entscheidung informiert war. Die Klägerin beruft
sich auch weniger auf die Verletzung dieser formalen Pflicht durch die Beklagte, sondern
wehrt sich materiell gegen die Höhe des Selbstbehalts im Einzelfall und vor allem dagegen,
dass die Beklagte bei der Erstattung die Apotheken- und Herstellerrabatte abgezogen hat.
Die Klägerin und ihr Ehemann wussten aber vor der Entscheidung, dass sie von der
Beklagten nur die Leistungen beanspruchen konnten, die auch bei einer Sachleistung für die
Beklagte finanziell angefallen wären, wie es § 13 Abs. 2 S. 7 SGB V aF. ausdrücklich
vorschreibt.
Inhaltlich ist die Entscheidung der Beklagten, in ihrer Abrechnung vom Februar 2004 die
Rabatte nach §§ 130, 130a SGB V abzuziehen, nicht zu beanstanden. Wie ausgeführt ist
Vorgabe des Gesetzes, dass die Wahl von Kostenerstattung durch den Versicherten nicht
zu höheren Kosten für die Solidargemeinschaft führen darf (Kasseler Kommentar aaO.
Rdnr. 26). Aufgrund der Regelungen in §§ 130, 130 a SGB V entstehen der
Solidargemeinschaft bei der Arzneimittelversorgung durch Sachleistung geringere Kosten
als sie der Selbstzahler aufzuwenden hat, der sich die verordneten Arzneimittel wie ein
„Privatpatient“ in der Apotheke kauft. § 130 SGB V aF. erlegt den Apotheken bei der
Sachleistungserbringung für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel einen Abschlag von
zwei Euro je Arzneimittel auf und für sonstige Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von 5%
des für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreises. Nach Abs. 3 dieser
Norm setzt die Gewährung des Abschlags voraus, dass die Rechnung des Apothekers
innerhalb von 10 Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird. Neben diesem
Apothekenrabatt verpflichtet § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V aF. die Apotheken zu einem
weiteren Abschlag von 6% des Herstellerabgabepreises, für das Jahr 2004 für
verschreibungspflichtige Arzneimittel abweichend hiervon in Höhe von 16% des
Herstellerabgabepreises (§ 130a Abs. 1a SGB V aF.), wobei nach § 130a Abs. 1 Satz 2
SGB V aF. pharmazeutische Unternehmen verpflichtet sind, den Apotheken den Abschlag
zu erstatten.
Entgegen der Ansicht des SG ist die Beklagte im Frühjahr 2004, konkret für die
Abrechnung der Kostenerstattung vom Februar 2004, im Verhältnis zur Klägerin nicht
verpflichtet gewesen, diese Rabatte auch ihr zu gewähren. Diese Rabattregelungen gelten
nämlich ausschließlich im unmittelbaren Rechtsverhältnis zwischen Krankenkasse und
Apotheken sowie pharmazeutischen Unternehmen. Neben dem insoweit eindeutigen
Wortlaut der Regelungen belegt auch die Systematik der Normen diese Auslegung. Die
Rechtsvorschriften stehen im vierten Kapitel des SGB V unter Beziehungen der
Krankenkassen zu den Leistungserbringern, konkret im siebten Abschnitt über die
Beziehungen zu Apotheken und pharmazeutischen Unternehmen. Lediglich in diesen durch
die Rechtsnormen ausgefüllten direkten Beziehungen, also im Rahmen einer unmittelbaren
Abrechnung zwischen Krankenkasse und Apotheke beziehungsweise
Pharmazieunternehmen, fallen diese Rabatte überhaupt erst an. Diese Rabatte betreffen
daher nur das Sachleistungsprinzip mit Zahlungspflicht alleine der Krankenkasse, in dem
der Versicherte keine eigenen Rechtsbeziehungen zu Apotheken und pharmazeutischen
Unternehmen aufbaut. Damit ist das Argument des SG nicht zutreffend, die Beklagte habe
dafür zu sorgen, dass die Rabatte auch der Klägerin als so genannte Selbstzahlerin
zukommen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.
Diese Auslegung entspricht der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das BSG
hat im Urteil vom 25.9.2000, B 1 KR 24/99 R, ausgeführt, man könne für den Bereich der
Kostenerstattung einem gesetzlich vorgeschriebenen Kürzungsrecht nicht entgegenhalten,
durch die Kürzung werde der Versicherte unangemessen benachteiligt, weil er die
Rechnungen bereits bezahlt habe und möglicherweise endgültig mit den Kosten belastet
bleibe. Denn dies sei gerade ein für die Behandlung auf Privatrechnung typisches Risiko.
Durch die Entscheidung für die Kostenerstattung löse sich der Versicherte, soweit die
Rechtsbeziehungen zum Leistungserbringer betroffen seien, aus den öffentlich-rechtlichen
Bezügen des Sachleistungssystems. Er verschaffe sich die erforderliche Behandlung als
Privatpatient durch Abschluss eines Dienstvertrages, der nicht nur hinsichtlich der
Leistungserbringung, sondern auch der Vergütung der Leistungen rein privatrechtlicher
Natur sei. Die mit dem Sachleistungsgrundsatz verbundenen Vorteile, insbesondere das
Privileg, sich um die wirtschaftliche Seite der Behandlung nicht kümmern zu müssen, gebe
er mit der Wahl der Kostenerstattung auf. Zugleich übernehme er das Risiko, dass die in
Anspruch genommenen Leistungen nicht oder nicht in vollem Umfang den Erfordernissen
des SGB V entsprächen und die entstandenen Kosten deshalb ganz oder teilweise nicht
erstattet würden (BSG aaO.). Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass die Klägerin mit ihrer
Wahl der Kostenerstattung zwar den Leistungserbringern gegenüber als Privatpatientin
auftreten kann, dass aber Versicherte außerhalb des Sachleistungssystems - wie privat
Versicherte auch - gerade keinen gesetzlichen Anspruch auf Rabatte im Sinne von §§ 130,
130a SGB V haben.
Der Vorhalt der Klägerin, diese Rechtsprechung sei zu altem Recht ergangen und habe die
Erstattung in Bezug auf Kürzungen wegen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der
Verordnungsweise betroffen, ist zwar korrekt, ändert aber nichts daran, dass sich die
rechtliche Situation nicht grundlegend geändert hat. Ohne Bedeutung ist insoweit, dass die
Entscheidung des BSG eine Rechtslage betraf, die das Wahlrecht in Bezug auf die
Kostenerstattung nur für freiwillig Versicherte vorsah. Es ist nicht zu erkennen, warum die
Rechtslage anders sein soll, wenn dieses Wahlrecht auch auf Pflichtmitglieder der
gesetzlichen Krankenversicherung erweitert wird. Auch hat es keine Bedeutung, auf
welchen konkreten Kostentatbestand sich die Kürzung bezieht.
Die weiteren Einwendungen der Klägerin gegen den Kostenabzug überzeugen nicht. Eine
Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen kann der Senat nicht erkennen. Die Wahl ist eine
freiwillige Entscheidung und im Gegensatz zur Ansicht des SG kann sie durchaus auch
Vorteile dahingehend bringen, dass der Versicherte den Ärzten oder Apotheken gegenüber
wie ein Privatpatient auftritt und nach außen nicht den Bindungen der gesetzlichen
Krankenversicherung unterworfen ist. Gerade diese Sonderstellung wollte die Klägerin. Eine
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG zu denjenigen
Versicherten, die beim Sachleistungsprinzip verbleiben, liegt in der Ermöglichung dieser
freiwilligen Entscheidung - flankiert von (hier wahrgenommenen) Beratungspflichten der
Krankenkasse - nicht.
Das Argument des SG, die Satzung sehe einen Abzug der Rabatte nicht vor, ist
unverständlich, weil insoweit in § 13 Abs. 2 SGB V aF. umfassend geregelt ist, dass die
Kostenerstattung nicht zu Mehrkosten für die Solidargemeinschaft führen darf und daher
schon gesetzlich umfassende Regelungen materieller Art vorhanden sind, die keiner
Konkretisierung in einer Satzung bedürfen. Die gesetzliche Ermächtigung für die
Satzungsregelung in § 13 Abs. 2 Satz 7 bis 9 SGB V aF. betrifft lediglich das Verfahren der
Kostenerstattung, nicht jedoch die Pflicht zu inhaltlichen Wiederholungen oder
Ergänzungen.
Eine unter diesen Prämissen fehlerhafte Berechnung der Abzüge in der angefochtenen
Abrechnung hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
Die Berufung der Klägerin hat daher keinen Erfolg; die Berufung der Beklagten führt dazu,
dass der klagestattgebende Teil des Urteilstenors des SG abzuändern und die Klage
abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen fehlender höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Frage der Abziehbarkeit von
Apotheken- und Herstellerrabatten für „Selbstzahler“ sieht der Senat Anlass zur Zulassung
der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).