Urteil des LSG Saarland vom 21.06.2006

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LSG Saarbrücken Beschluß vom 21.6.2006, L 2 B 5/06 KR
Krankenversicherung - Werbemaßnahme - werbender Charakter - Beachtung der §§ 13-15
SGB 1 - Androhung von Ordnungshaft - Auffangsstreitwert
Leitsätze
1. Eine Werbemaßnahme einer Krankenkasse muss ihren werbenden Charakter eindeutig
erkennen lassen.
2. Eine Krankenkasse hat bei der Mitgliederwerbung stets auch ihre Pflicht zur Aufklärung,
Beratung und Information des Versicherten (§§ 13-15 SGB I) zu beachten.
3. Die Androhung von Ordnungshaft ist gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse nicht
möglich.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden Ziffer 1a des Tenors des Beschlusses des
Sozialgerichts für das Saarland vom 22.02.2006 aufgehoben und der Antrag Ziffer 1 der
Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Ziffer 1b des Tenors des Beschlusses des Sozialgerichts für das Saarland vom 22.02.2006
wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei Vermeidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken zu behaupten, dass Ärzte im Saarland
nach Möglichkeiten suchten, die Behandlung von Versicherten „einer der günstigsten
regionalen Krankenkassen-Anbieter“ zu verweigern.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens für die erste Instanz tragen die Antragstellerin zu 1/3 und die
Antragsgegnerin zu 2/3.
Die Kosten für das Beschwerdeverfahren tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, bei der es sich ebenso wie bei der Antragsgegnerin um eine gesetzliche
Krankenkasse handelt, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine
Werbemaßnahme der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Anzeigenblatt „D.W.“ folgende Anzeige:
- Anzeige -
Am 19.01.2006 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Sie trägt vor, der Grundsatz der deutlichen Trennung von Werbung und redaktionellem Teil
sei verletzt, da die Anzeige als solche nicht klar erkennbar sei. Die für einen flüchtigen
Durchschnittsleser im Hintergrund stehende Kennzeichnung in der Anzeige werde gänzlich
negiert durch den Zusatz „(red./pr)“, der am Ende des Artikels rechts unten abgedruckt
sei. Mit diesem Zusatz werde wahrheitswidrig auf eine angebliche redaktionelle Herkunft
der Anzeige verwiesen. Einem flüchtigen Durchschnittsleser erscheine die Anzeige daher als
redaktioneller Beitrag und nicht als Werbeanzeige. Weiter behaupte die Antragsgegnerin
wahrheitswidrig unter Verweis auf den Artikel in der „Online-Ärztezeitung“, dass die
saarländischen Ärzte nach Möglichkeiten suchten, die Behandlung von Versicherten der
Antragstellerin zu verweigern. Durch die Bezugnahme auf den Artikel in der „Online-
Ärztezeitung“ sei die Antragstellerin als der in der Anzeige erwähnte „günstigste
Krankenkassenanbieter“ für die umworbenen Verbraucher eindeutig identifizierbar; zudem
sei allgemein bekannt, dass sie zu den günstigsten Krankenkassen im Saarland zähle. Aus
dem erwähnten Artikel der „Online-Ärztezeitung“ ergäbe sich lediglich, dass Vertreter der
KV S. den Vorstand aufgefordert hätten zu überprüfen, ob der Sicherstellungsauftrag für
die Versicherten der Antragstellerin zurückgegeben werden könne. Insbesondere unterlasse
die Antragsgegnerin den Hinweis, dass aus dem Artikel hervorgehe, dass nach
Einschätzung des KV-Vorsitzenden Dr. Ha. die Möglichkeit der Rückgabe des
Sicherstellungsauftrages für unwahrscheinlich gehalten werde. Mit der unzutreffenden
Bezugnahme auf den Artikel in der „Online-Ärztezeitung“ werde beim Verbraucher der
Eindruck erweckt, dass die niedergelassenen Ärzte im S. die Versicherten der
Antragstellerin nicht mehr behandeln wollten, was unzutreffend sei. Dabei sei der
Antragsgegnerin bekannt, dass eine partielle Rückgabe des Sicherstellungsauftrages
gesetzlich nicht möglich sei. Die Werbung der Antragsgegnerin ziele darauf ab, bei den
Versicherten der Antragstellerin Angst davor zu erwecken, dass sie durch die Vertragsärzte
im S. nicht beziehungsweise schlechter behandelt würden. Dies stelle eine unzulässige
Angstwerbung dar. Zudem werde die Antragstellerin durch die entstellende Wiedergabe
des Artikels der „Online-Ärztezeitung“ diffamiert und diskriminiert. Im Übrigen habe die
Kopfpauschale der Antragstellerin im Jahr 2004 nicht 248,- EUR, sondern 285,99 EUR
betragen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, es bei der Vermeidung eines vom Gericht
für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu
250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder anzudrohender Ordnungshaft
von bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken
des Wettbewerbes
1. in Zeitungen und/oder Zeitschriften in redaktionell aufgemachter Form
Anlage A 1
veröffentlichen,
2. zu behaupten, dass Ärzte im S. nach Möglichkeiten suchten, die Behandlung
von Versicherten der Antragstellerin zu verweigern
hilfsweise
zu behaupten, dass Ärzte im S. nach Möglichkeiten suchten, die Behandlung von
Versicherten einer der „günstigsten regionalen Krankenkassenanbieter“ zu
verweigern und
3. zu behaupten, dass die Kopfpauschale der Antragstellerin für das Jahr 2004
248,00 EUR betragen habe
hilfsweise
zu behaupten, dass die Kopfpauschale von einem der „günstigsten regionalen
Krankenkassenanbieter“ für das Jahr 2004 248,00 EUR betragen habe.
Dem hat die Antragsgegnerin entgegen gehalten, dass der Werbecharakter der Anzeige
durch die Kennzeichnung als „Anzeige“ ausreichend deutlich werde. Insbesondere in einem
Anzeigenblatt erwarte der Leser ohnehin, überwiegend mit Anzeigen oder PR-Beiträgen
konfrontiert zu werden. Der Zusatz „(red./pr.)“ bedeute in ebenfalls leicht
nachvollziehbarer Form, dass es sich um einen PR-Artikel handele, der von der
Antragsgegnerin veranlasst, aber von der Redaktion verfasst worden sei. Auf den
„flüchtigen Leser“ komme es nicht an. Maßgeblich sei, wie stets in Wettbewerbssachen
und insbesondere, wenn es um mögliche Irreführungen gehe, das Leitbild des
durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers. Von der
Antragstellerin sei in dem beanstandeten Text keine Rede. Sie werde auch nicht im Sinne
des § 6 Abs. 1 UWG „mittelbar erkennbar“ gemacht. Die Rede sei vielmehr von „einem der
günstigsten regionalen Krankenkassen-Anbieter“. Nach § 6 Abs. 1 UWG müsse die
Identifizierung auch in der Werbung erfolgen. Dass die saarländischen Ärzte nach
Möglichkeiten suchten, die Behandlung von Mitgliedern eines der günstigsten regionalen
Krankenkassen-Anbieter zu verweigern, sei Tatsache. Dies werde von der Antragstellerin
auch gar nicht bestritten. Sie sei lediglich der Meinung, dass die Suche nicht von Erfolg
gekrönt sein werde. Mangels Identifizierbarkeit der Antragstellerin liege auch keine
vergleichende Werbung vor.
Mit Beschluss vom 22.02.2006 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die
Antragsgegnerin verpflichtet, bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder
anzudrohender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten es zu unterlassen, im geschäftlichen
Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes:
a) in Zeitungen und/oder Zeitschriften Anzeigen zu veröffentlichen, die in redaktioneller
Form gestaltet sind und sich nicht in der Aufmachung von dem redaktionellen Teil deutlich
unterscheiden und von diesen Teilen deutlich getrennt sind;
b) zu behaupten, dass Ärzte im S. nach Möglichkeiten suchten, die Behandlung von
Versicherten einer der „günstigsten regionalen Krankenkassen-Anbietern“ zu verweigern;
c) zu behaupten, dass die Kopfpauschale von einem der „günstigsten regionalen
Krankenkassen-Anbietern“ für das Jahr 2004 248,- EUR betragen habe.
Zur Begründung hat das SG Bezug genommen auf die Ausführungen der Antragstellerin
und ergänzend ausgeführt, der Werbecharakter der Anzeige werde durch die nur in kleiner
Schrift bei genauerem Hinsehen erkennbare Bezeichnung „Anzeige“ in der oberen
Umrandung der Anzeige nicht ausreichend deutlich. Auch für den durchschnittlichen Leser
werde allenfalls bei sehr aufmerksamer Lektüre durch die genannte Bezeichnung erst
möglich sein, den Beitrag als private Anzeige zu erkennen. Dies umso mehr, als auch die
Überschrift und der Inhalt der „Anzeige“ keineswegs von einem durchschnittlichen Leser
von einem redaktionellen Beitrag ohne besonders große Aufmerksamkeit unterschieden
werden könne. Die Aufmachung, die Schriftform, der relativ lange Text und vor allem der
Umstand, dass die „Anzeige“ nicht von dem redaktionellen Teil getrennt sei, vermittele
bereits, ohne dass auf den Inhalt einzugehen sei, den Eindruck, dass es sich nicht um eine
Anzeige, sondern einen redaktionellen Beitrag handele. Der Einwand der Antragsgegnerin,
in einem Anzeigenblatt erwarte der Leser ohnehin, überwiegend mit Anzeigen oder PR-
Beiträgen konfrontiert zu werden, sei in diesem Zusammenhang belanglos, da es zum
einen nicht auf die Erwartungshaltung des Lesers ankomme und zum anderen die
„Anzeige“ sich im redaktionellen Teil befinde, wo der Leser gerade keine Anzeige erwarte.
Hinzu komme, dass durch den Zusatz „(red./pr.)“ für den durchschnittlichen Leser der
Eindruck verstärkt werde, es handele sich um einen redaktionellen Beitrag. Die
streitgegenständliche Formulierung, dass Ärzte im S. nach Möglichkeiten suchten, die
Behandlung von Versicherten von einem der günstigsten regionalen Krankenkassen-
Anbieter zu verweigern, sei in dieser Form ebenfalls wettbewerbswidrig, da die Behauptung
so nicht richtig sei. In dem Artikel der „Online-Ärztezeitung“ sei nicht die Rede von „Ärzte
im S.“, vielmehr würden Aussagen des saarländischen KV-Vorsitzenden wiedergegeben.
Ob diese Aussagen so richtig seien, habe die Antragsgegnerin offensichtlich nicht selbst
überprüft. Sie erwecke bei den Verbrauchern den Eindruck, dass die niedergelassenen
Ärzte im S. die Versicherten der Antragstellerin nicht mehr behandeln wollten. Dies sei in
dieser Form sicherlich nicht zutreffend. Auch wenn die Antragsgegnerin nicht ausdrücklich
den Namen der Antragstellerin genannt habe, sondern von einem der „günstigsten
regionalen Krankenkassen-Anbieter“ spreche, werde dadurch die Antragstellerin
diskriminiert. Denn dass diese zu den günstigsten regionalen Krankenkassen-Anbietern
zähle, sei nicht nur gerichtsbekannt, sondern habe sich im S. auch unter den Versicherten
herumgesprochen, sodass der Bezug zur Antragstellerin für den durchschnittlichen Leser
ohne weiteres möglich sei. Durch das Schüren von Angst werde der Verbraucher in
unzulässiger Art und Weise beeinflusst. Hier werde zu Lasten der sachlichen Information
diese zu Gunsten der Suggestivkraft von Angstgefühlen in den Hintergrund gedrängt.
Damit verstoße die Anzeige auch gegen die gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der
Aufsichtsbehörden. Die Ausführungen zur Kopfpauschale seien ebenfalls falsch und bereits
deshalb geeignet, die Antragstellerin im Wettbewerb zu diffamieren. Es bestehe auch ein
Anordnungsgrund. Da die Antragsgegnerin die Auffassung vertrete, ihr
streitgegenständliches Handeln sei wettbewerbskonform, bestehe auch die Gefahr, dass
sie auch in Zukunft ihr Handeln nicht ändern werde.
Gegen den am 27.02.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am
20.03.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.
Sie rügt zunächst, dass der angefochtene Beschluss weder im Rubrum noch im Tenor
erkennen lasse, dass es sich um eine einstweilige Anordnung handele. Die Androhung von
Ordnungshaft sei unzulässig. Der Tenor hinsichtlich der Ziffer 1 a) sei zu unbestimmt. Mit
dem im Tenor angesprochenen Merkmal „deutlich getrennt“ werde zudem eine
Positionierung innerhalb der Zeitung verlangt, die nicht Gegenstand des Antrags der
Antragstellerin gewesen sei. Im Übrigen unterscheide sich die angegriffene Form der
Anzeige von den umgebenden Artikeln dadurch hinreichend deutlich, dass sie als „Anzeige“
gekennzeichnet sei. Da das Wort „Anzeige“ unmittelbar über der Überschrift platziert sei,
sei es wahrnehmungstechnisch ausgeschlossen, die Überschrift zu lesen, ohne das Wort
„Anzeige“ zur Kenntnis zu nehmen. Eingestandenermaßen beruhe der Anordnungsantrag
zu diesem Punkt auf der Annahme eines „flüchtigen“ Lesers. Maßstab sei jedoch das
Leitbild eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers. Einen
„redaktionellen Teil“, in dem die Anzeige sozusagen als Fremdkörper erscheine, gebe es
bei „D.W..“ nicht. Das SG bemängele, die Antragsgegnerin hätte nicht sagen dürfen,
„Ärzte im S.“ suchten nach Möglichkeiten, die Behandlung zu verweigern, denn es würden
nur Aussagen des Vorsitzenden der saarländischen KV wiedergegeben. Das sei schlicht
falsch. Schon die Überschrift des Ärztezeitung-Artikels heiße „Ärzte an der Saar fordern
höhere Kopfpauschalen“. Im ersten Absatz heiße es dann, „die Vertreter der KV S.“ hätten
den Vorstand aufgefordert, die Rückgabe des Sicherstellungsauftrages zu prüfen. Die in der
Anzeige gewählte Formulierung „Ärzte im S.“ lasse offen, um wie viele Ärzte es sich
handele. Auch der bestimmte Artikel („Die Ärzte“) sei vermieden worden. Durch die
unbestimmte Formulierung „Ärzte im S.“ werde die Original-Formulierung der Ärzte-
Zeitung sogar abgeschwächt, weil die dort gewählte Formulierung „Die Vertreter der KV
S.“ für eine deutlich größere und repräsentativere Zahl von Ärzten spreche.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts für das Saarland vom 22.02.2006 abzuändern
und die Verpflichtung der Antragsgegnerin gemäß Ziffer 1 a) und b) des
Beschlusses aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des Antrages auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung vom 19.01.2006 zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte.
II.
Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
1.) Die Beschwerde ist hinsichtlich der Ziffer 1 a) des Tenors des angefochtenen
Beschlusses des SG begründet, da ein dahingehender Anordnungsanspruch nicht besteht;
dies gilt auch für den im Wortlaut abweichenden ursprünglichen Antrag Ziffer 1 im Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen bestimmen sich anhand des
gesetzlichen Auftrags und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des
Sozialgesetzbuches; diese und nicht die Normen des privatrechtlichen Wettbewerbsrechts
sind anzuwenden, wenn über Ansprüche aus unzulässigen Werbemaßnahmen einer
Krankenkasse zu entscheiden ist. Nur soweit eine eigene Rechtsgrundlage für solche
Ansprüche im Recht der Krankenversicherung vorhanden ist, können
wettbewerbsrechtliche Regelungen und die dazu von den ordentlichen Gerichten
entwickelten Rechtsgrundsätze als Auslegungshilfe ergänzend herangezogen werden (BSG,
Urteil vom 31.03.1998 – B 1 KR 9/95 R).
Beschränkungen hinsichtlich Form und Inhalt von Maßnahmen der Mitgliederwerbung
ergeben sich insbesondere aus der Pflicht der Kassen zur Aufklärung, Beratung und
Information der Versicherten (§§ 13 – 15 SGB I) sowie dem Gebot, bei der Erfüllung dieser
und anderer gesetzlicher Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern zusammen
zu arbeiten (§ 15 Abs. 3 SGB I; § 86 SGB X). Dass speziell die Krankenkassen im Interesse
der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zur
Zusammenarbeit untereinander verpflichtet sind, wird in § 4 Abs. 3 SGB V nochmals
hervorgehoben. Wie bei jeder Handlungspflicht korrespondiert damit eine Pflicht zur
Unterlassung von Tätigkeiten, die dem vorgegebenen Handlungsziel zuwiderlaufen. Wird
deshalb bei der Werbung die Pflicht zur sachbezogenen Information und zur
Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachtet,
kann sich daraus im Umkehrschluss ein Anspruch des beeinträchtigten Trägers auf
Unterlassung der unzulässigen Werbemaßnahmen ergeben (BSG, a.a.O., m.w.N.). In
Anlehnung an § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ist jeder Mitbewerber, also jede Krankenkasse und
somit auch die Antragstellerin, grundsätzlich antragsbefugt.
Werbemaßnahmen einer Krankenkasse müssen ihren werbenden Charakter eindeutig
erkennen lassen. Es gilt hier wie im Wettbewerbsrecht der Grundsatz der Trennung von
Werbung und redaktionellem Text. Objektiv neutralen Handlungen und Äußerungen wird
nämlich typischerweise größere Bedeutung und Beachtung zugemessen als bei
entsprechenden, ohne weiteres als Werbung erkennbaren Angaben des Werbenden selbst
(vgl. insoweit zum Wettbewerbsrecht § 4 Nr. 3 UWG und dazu Köhler in
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl. 2006, § 4 Rdnr. 3.2). Es muss
daher, um das Trennungsgebot nicht zu verletzen und den Eindruck einer getarnten
redaktionellen Werbung zu vermeiden, deutlich und unübersehbar zum Beispiel mit dem
Wort „Anzeige“ zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um Werbung und nicht um
eine Stellungnahme der Redaktion handelt (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.1996 – I ZR 53/94
„Editorial II“; Pieper in Köhler/Pieper, UWG, 3. Aufl. 2002, § 1 UWG Rdnr. 40). Dies ist hier
geschehen.
Die streitgegenständliche Werbung musste vorliegend als „Anzeige“ gekennzeichnet
werden, weil ansonsten Verwechslungsgefahr mit einem redaktionellen Beitrag bestanden
hätte. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann auch dem Zusatz „(red./pr.)“
nicht entnommen werden, dass es sich um Werbung handelt. Zutreffend hat das SG
ausgeführt, dass es keineswegs für den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und
verständigen Verbraucher leicht nachvollziehbar sei, dass dies ein Hinweis auf einen Artikel
darstelle, der von der Antragsgegnerin veranlasst und von der Redaktion verfasst worden
sei.
Entgegen der Auffassung des SG und der Antragstellerin ist die streitgegenständliche
Werbung jedoch durch das Wort „Anzeige“ deutlich und unübersehbar als solche
gekennzeichnet. Die Schriftgröße entspricht dem übrigen Text und ist lediglich kleiner als
die Überschrift. Dadurch, dass das Wort „Anzeige“ unmittelbar über der Überschrift
positioniert ist, ist sie auch für den durchschnittlich informierten und verständigen
Verbraucher unübersehbar.
2.) Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ziffer 1b des Beschlusses des SG
wendet, nur insoweit begründet, als die Androhung von Ordnungshaft nicht möglich ist.
Das SG hat der Antragsgegnerin untersagt zu behaupten, dass Ärzte im S. nach
Möglichkeiten suchten, die Behandlung von Versicherten einer der „günstigsten regionalen
Krankenkassen-Anbietern“ zu verweigern. Ein dahingehender Unterlassungsanspruch der
Antragstellerin besteht selbst dann, wenn diese Behauptung wahr und nach dem
Wettbewerbsrecht möglicherweise zulässig wäre. Als Träger der sozialen
Krankenversicherung hat die Antragsgegnerin bei der Mitgliederwerbung stets auch ihre
Pflicht zur Aufklärung, Beratung und Information des Versicherten (§§ 13 – 15 SGB I) zu
beachten. Ihrer Eigenschaft als Träger der sozialen Krankenversicherung widerspricht
deshalb jeder Hinweis, der, sei es auch nur durch Unvollständigkeit, die umworbene Person
irreführen oder die Wahl der Kasse unsachgemäß beeinflussen könnte (BSG, Urteil vom
20.04.1988 – 3/8 RK 4/87). Die Pflicht der Antragsgegnerin zur - vollständigen -
Information der Versicherten hätte es im vorliegenden Fall erforderlich gemacht darauf
hinzuweisen, dass der KV-Vorsitzende in dem in Bezug genommenen Artikel der „Online-
Ärztezeitung“ es für unwahrscheinlich hält, dass der Sicherstellungsauftrag hinsichtlich der
Versicherten der Antragstellerin zurückgegeben werden kann. Zudem hätte die
Antragsgegnerin, um ihrer Informationspflicht gerecht zu werden, nach eigener Prüfung der
rechtlichen Lage über die Erfolgsaussichten eines solchen Ansinnens der betreffenden Ärzte
aufklären müssen. Nur dann wäre gewährleistet, dass die Versicherten die möglichen
Auswirkungen auf die Sicherstellung der vertragsärztlichen Behandlung richtig einschätzen
können und so in der Wahl ihrer Krankenkasse nicht unsachgemäß beeinflusst werden.
Neben dem Anordnungsanspruch ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Der Senat
schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des SG an. Zudem folgt aus der
gesetzlichen Wertung des § 12 Abs. 2 UWG, dass auch bei Wettbewerbsverstößen im
öffentlich-rechtlich geprägten Wettbewerb zwischen Krankenversicherungsträgern im
Regelfall ein Anordnungsgrund vorliegt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
28.05.2002 – L 5 B 29/02 KR ER).
Die Androhung von Ordnungshaft, wie dies im Tenor des Beschlusses des SG geschehen
ist, ist allerdings nicht möglich. § 890 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 ZPO sieht zwar die Androhung
von Ordnungshaft als Ordnungsmittel ausdrücklich vor, wobei dies auch gegenüber
juristischen Personen des Zivilrechts möglich ist (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 24. Aufl., 2004,
§ 890 Rn 12 m.w.N.). Diese Vorschrift ist jedoch gemäß § 198 Abs. 1 SGG nur
entsprechend anwendbar. Bei der Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften
ist zu beachten, dass diese in keinem Fall in der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben
beeinträchtigt werden dürfen. Eine Ordnungshaft gegen gesetzliche Krankenkassen, die an
Vertretern der Krankenkasse zu vollziehen wäre, würde aber schwerwiegende Eingriffe in
ihr organisatorisches Gefüge und in den Ablauf ihrer Verfahren zur Folge haben (s. zu §§
167 VwGO, 890 ZPO VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.1995 - 10 S
488/94; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.07.1999 - 21 E 424/99
m.w.N.). Dementsprechend sieht auch § 201 Abs. 1 SGG für die Vollstreckung von
Verpflichtungsurteilen nur die Festsetzung von Zwangsgeld, nicht aber von Zwangshaft
(wie dies in § 888 Abs. 1 ZPO der Fall ist) vor. Der Tenor des Beschlusses war somit neu
zu fassen.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
4.) Nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG i.V.m. § 197a Abs. 1 S. 1 SGG ist der
Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der
Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung
des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist gemäß § 52 Abs 2 GKG ein
Streitwert von 5.000 EUR ("Auffangstreitwert") anzunehmen.
Vorliegend ist der Auffangstreitwert anzusetzen, da das wirtschaftliche Interesse der
Antragstellerin nicht beziffert werden kann und genügende tatsächliche Anhaltspunkte für
eine Schätzung fehlen (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 03.05.2005 – L 1 ER
11/05 KR – und vom 25.11.2005 – L 5 ER 99/05 KR). Es ist bereits nicht ersichtlich, ob
und wie viele Mitglieder die Antragsgegnerin durch die Werbemaßnahme verloren hat.
Zudem ist es nicht möglich, das wirtschaftliche Interesse an einem Krankenkassenmitglied
zu beziffern (vgl. BSG, Beschluss vom 25.11.1992 - 1 RR 1/91).
Im Hinblick darauf, dass zu erwarten ist, dass durch das Eilverfahren der Gesamtstreit
erledigt wird und nicht mit einem anschließenden Hauptsacheverfahren zu rechnen ist, ist
der Streitwert nicht zu halbieren (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25.11.2005
a.a.O.; aA LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.05.2005 a.a.O.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).