Urteil des LSG Saarland vom 16.03.2005

LSG Saarbrücken: ablauf der frist, psychosyndrom, juristische person, zustellung, unfallfolgen, gutachter, vergleich, psychiatrie, prozessvertretung, verfahrensmangel

LSG Saarbrücken Urteil vom 16.3.2005, L 2 U 62/02
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
04.02.2002 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Folgen des Arbeitsunfalles, den der Kläger am
23.10.1969 erlitten hat, eine Erhöhung der MdE von 80 v.H. auf 100 v.H. bedingen.
1941 geborene Kläger war bei der V. Hütte beschäftigt und erlitt dort am 23.10.1969
einen Arbeitsunfall, der zu einer Amputation des rechten Armes im unteren Drittel des
Oberarmes führte. Nach dem Unfall arbeitete er bis 1990 in der Poststelle der V.H. und
anschließend in der Behindertenwerkstatt (Buchbinderei und Druckerei). Seit 1991 ist der
Kläger erwerbsunfähig berentet.
Nach Einholung nervenfachärztlicher Befundberichte von Dr. Sch. vom 30.01.1970 und
09.06.1970 sowie eines Ersten Rentengutachtens vom 07.09.1970 bei Dr. H. und eines
Zweiten Rentengutachtens vom 05.08.1971 bei Dr. Ho. bewilligte die Beklagte dem Kläger
mit Bescheid vom 16.09.1971 eine Verletztenrente unter Zugrundelegung einer MdE von
70 v.H..
Einen Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 11.12.1983 lehnte die Beklagte nach
Einholung eines Zweiten Rentengutachtens vom 03.02.1984 bei Dr. Th. mit Bescheid vom
27.02.1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.1984 ab. Die dagegen
erhobene Klage wies das Sozialgericht für das Saarland (SG) nach Einholung eines
orthopädischen Gutachtens vom 01.04.1985 bei Prof. Dr. F. und eines psychiatrischen
Gutachtens vom 24.06.1985 bei Dr. B. mit Urteil vom 30.09.1985 ab (S 4 U 134/84).
Im Berufungsverfahren (L 2 U 70/85) wurden weitere medizinische Unterlagen sowie ein
nervenfachärztliches Gutachten vom 09.12.1987 nebst einer ergänzenden Stellungnahme
vom 06.05.1988 bei Prof. Dr. W. und ein psychologisches Zusatzgutachten vom
13.08.1987 bei Dipl.-Psych. U. eingeholt.
Das Berufungsverfahren endete durch ein Anerkenntnis der Beklagten, in dem sich diese
bereit erklärte, Rente nach einer MdE von 80 v.H. ab dem 23.10.1979 zu zahlen. Das
Anerkenntnis wurde durch Bescheid vom 16.09.1988 ausgeführt.
In der Folgezeit zog die Beklagte ärztliche Berichte von Dr. K. vom 02.05.1988,
20.09.1988, 20.10.1988 und 13.01.1989 sowie ein nervenärztliches Gutachten vom
13.03.1991 von Prof. Dr. W., das im Rahmen eines sozialgerichtlichen Rentenverfahrens
erstattet worden ist, bei.
Am 23.10.1997 beantragte der Kläger eine Erhöhung der Unfallrente, da eine
Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten sei. Die Phantomschmerzen und sein
Kreuzleiden hätten sich verschlimmert. Auch die Beweglichkeit des linken Armes sei stark
eingeschränkt. Linker Arm, Hüftgelenke und Kniegelenke seien durch die Belastung infolge
des Verlustes des rechten Armes abgenutzt und verbraucht. Sie ließen sich nur noch unter
starken Schmerzen bewegen.
Nach Einholung medizinischer Unterlagen sowie eines röntgenologischen Zusatzgutachtens
vom 03.12.1998 bei Prof. Dr. Hu., eines psychologischen Gutachtens vom 04.12.1998 bei
Dipl.-Psych. U., eines psychiatrischen Gutachtens vom 09.03.1999 sowie einer
ergänzenden Stellungnahme vom 07.01.2000 bei PD Dr. He. und eines orthopädischen
Gutachtens vom 02.02.2001 bei Prof. Dr. Schm. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
03.05.2001 den Antrag ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach den
eingeholten Gutachten liege eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht vor.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und legte ein ärztliches Attest vom 02.05.2001
von R. Ku. vor. In dem Attest heißt es, die Phantomschmerzen des Klägers hätten sich in
den letzten Jahren stark verschlimmert. Infolge des Verlustes des rechten Armes hätten
sich zunehmende Wirbelsäulenbeschwerden entwickelt. Durch die Überbelastung des linken
Armes hätten sich inzwischen starke Schmerzen im linken Ellenbogen und in der linken
Schulter entwickelt. Die Schmerzen in der linken Schulter strahlten in die Halswirbelsäule
aus und verursachten ständig Kopfschmerzen und Schwindel. Es beständen weiterhin
zunehmende Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und in den Hüftgelenken mit Ausstrahlen
in beide Leisten. Wegen der starken Kniebeschwerden bekomme der Kläger regelmäßig
Injektionsbehandlungen und starke Schmerztropfen. Infolge der multiplen unfallbedingten
Beschwerden und der daraus resultierenden fehlenden Belastbarkeit leide der Kläger unter
starker Nervosität, Schlafstörungen, schwerem Schwitzen und dadurch bedingten
Ekzemen mit Blutungen im Intimbereich. Eine Erhöhung der Verletztenrente von 80 % auf
100 % sei angebracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die im Attest vom 02.05.2001
aufgeführten Beschwerden seien nicht mit der in der gesetzlichen Unfallversicherung
erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis
vom 23.10.1969 zurückzuführen. Ungeachtet dessen könne eine höhere Einschätzung der
MdE auf Grund der geklagten subjektiven Beschwerden nicht erfolgen, da für die
Bewertung der MdE in erster Linie die unfallbedingte funktionelle Beeinträchtigung
entscheidend sei.
Die dagegen am 19.11.2001 erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 04.02.2002
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Unfallfolgezustand
des Klägers sei keine wesentliche Verschlimmerung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten.
Dies folge eindeutig aus dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr.
Schm./Assistenzarzt Dr. P. vom 07.01.2000. Diese führten darin aus, ein
Verschlimmerungsantrag sei wegen der Schmerzzunahme im Bereich des
Amputationsgebietes sowie im Bereich des rechten Schultergelenkes und der
Lendenwirbelsäule gestellt worden. Radiologisch und auch in der klinischen Untersuchung
habe sich keine Zunahme wesentlicher krankhafter Veränderungen gezeigt. Eine
Verschlimmerung zum maßgeblichen Vorgutachten habe von den Gutachtern nicht
objektiviert werden können. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit werde von ihnen auch
weiterhin mit 80 v.H. eingeschätzt. Dabei wiesen die Gutachter ausdrücklich darauf hin,
dass unfallunabhängig osteoporotische Veränderungen im gesamten LWS-Bereich ohne
Anzeichen einer frischen oder älteren Fraktur bestünden.
Gegen das ihm am 22.02.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.03.2002 Berufung
eingelegt.
Er legt ärztliche Atteste vom 29.11.2001 vom Orthopäden Dr. R. und vom 19.02.2002
von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W. vor und führt aus, es sei zu
berücksichtigen, dass er nach seinem Unfall noch 22 Jahre gearbeitet habe. Dass durch die
jahrelange Zustellung von schweren Paketen Schäden im körperlichen Bereich eintreten
könnten, liege auf der Hand. Dies sei in seinem Fall noch verstärkt worden, weil er nur
einen Arm habe und diesen dadurch vielmehr habe belasten müssen. Durch diese
Überlastung sei als Unfallfolge die Wirbelsäulen- und Kniegelenksbeschwerdenproblematik
eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 04.02.2002 sowie den Bescheid vom
03.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2001 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 23.10.1969 ab
Februar 2002 eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG Beweis erhoben durch die Einholung
eines Gutachtens sowie einer ergänzenden Stellungnahme bei der Ärztin für Neurologie
und Psychiatrie Ingrid W.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
schriftliche Gutachten vom 13.05.2003 sowie die schriftliche Stellungnahme vom
02.12.2003 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen; der Inhalt dieser
Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat weiterhin nur einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach
einer MdE von 80 v.H.. Die von ihm geltend gemachte Änderung des Unfallfolgezustandes
liegt nicht vor.
Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die
Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei
seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine
Verschlimmerung oder Verbesserung von Unfallfolgen bedeutet nur dann eine wesentliche
Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X, wenn sich hierdurch der Grad der
MdE um mehr als 5 v.H. senkt oder erhöht (BSG, Urteil vom 20.04.1993 – 2 RU 52/92;
Beschluss vom 16.07.1997 – 8 BKnU 6/97; Urteil des Senats vom 24.03.2004 – L 2 U
137/02). Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist durch einen Vergleich der für die letzte
bindend gewordene Feststellung maßgeblichen Befunde mit denjenigen zu ermitteln, die
zum Zeitpunkt der geltend gemachten Änderung vorliegen.
Vorliegend ergibt sich bei einem Vergleich der für den Bescheid der Beklagten vom
16.09.1988 maßgeblichen Befunde mit den nunmehr vorliegenden Befunden keine
wesentliche Verschlimmerung.
Die Sachverständige W. hat in ihrem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten ausgeführt,
aus den ihr vorliegenden Gutachten gehe hervor, dass die zu der MdE von 80 % führenden
Gesundheitsschäden die Armamputation rechts im oberen Drittel mit Phantomschmerzen
und ein organisches Psychosyndrom seien. Weiterhin hätten sich schon 1993 eine
schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS sowie des linken Armes im Schulter-
Ellenbogen- und Handgelenk gefunden. Über Missempfindungen und Taubheitsgefühl im
linken Arm klage der Kläger seit 2002. Bei der Untersuchung sei am linken Arm ein Sulcus-
ulnaris-Syndrom festgestellt worden. Ursächlich komme die stark entwickelte Muskulatur
des linken Armes dafür in Betracht. Da der Kläger Einhänder sei, führe dies zwangsläufig zu
einer Überlastung des verbleibenden Armes um 50 %. Da durch die Hypertrophie der
Armmuskulatur Druck auf den Nerven ulnaris ausgeübt werde, sei das Sulcus-ulnaris-
Syndrom als Unfallfolge zu werten. In einem Vorgutachten würden muskuläre
Verspannungen im HWS-Schulter- und Nackenbereich und degenerative
Wirbelsäulenveränderungen erwähnt. Sicherlich könnten degenerative
Wirbelsäulenveränderungen und Bandscheibenerkrankungen nicht als Unfallfolgen
anerkannt werden. Jedoch sei anzumerken, dass durch die Einarmigkeit der verbleibende
Arm und die dem Arm zugeordnete Schultermuskulatur einseitigen Zug an der HWS und
BWS erzeugten und so zu einer Dysbalance führten. Der Kläger beklage auch eine weitere
Verschlechterung der Phantomschmerzen und des psychischen Zustandes mit erhöhter
Reizbarkeit, depressiver Verstimmung und sozialen Problemen. Diese Symptome seien
schwer zu quantifizieren. Sicherlich bestehe eine schwere depressive Entwicklung, die sich
seit dem Unfallereignis feststellen lasse. Da auch durch organische Einflüsse ein
sogenanntes hirnorganisches Psychosyndrom vorliege, sei nicht zu erwarten, dass sich der
psychische Zustand verbessere. Eher sei davon auszugehen, dass mit zunehmender
Beschwerdedauer die psychische Belastbarkeit sich weiter reduziere.
Die Sachverständige W. kommt zu dem Ergebnis, dass unverändert seit 1988
- ein schweres chronisches Schmerzsyndrom infolge der Oberarmamputation mit
Phantomschmerz und Teleskopwahrnehmung der rechten Hand,
- sensible Reizerscheinungen mit Hyperaesthesien und Dysaesthesien im rechten oberen
Körperquadranten mit Maximum im Bereich des Amputationsstumpfes rechts
- und eine emotionale Labilität mit reizbar dysphonischem Syndrom bei erschwerter
Erlebnisverarbeitung auf dem Hintergrund des chronischen Schmerzsyndromes bestünden.
Das dysphonisch gereizte organische Psychosyndrom nehme jedoch zu und entwickele sich
schleichend über Jahre vor dem Hintergrund des chronischen Schmerzsyndromes. Hier sei
es zu einer Verschlimmerung durch ein weiteres Nachlassen der Kompensationsfähigkeit
gekommen, was sich in den gehäuften depressiv-gereizten Verstimmungszuständen und
dem zunehmenden sozialen Rückzug zeige.
Neu aufgetreten sei ein Sulcus-ulnaris-Syndrom links, das durch die Hypertrophie der
Muskulatur im Bereich des linken Ellenbogens aufgetreten sei. Die verstärkte Muskulatur
des linken Armes sei auf die Einhändigkeit und verstärkten Gebrauch des verbleibenden
Armes zurückzuführen und somit eine Unfallfolge. Es bestünden auf Grund dieses
Nervenengpass-Syndromes sensible Störungen an der linken Hand, im Ring- und Kleinfinger
und Handballen. Dadurch werde die Greiffähigkeit beeinträchtigt. Das Sulcus-ulnaris-
Syndrom sei erstmals 2002 festgestellt worden. Auf Grund der eingetretenen
Verschlimmerung werde eine MdE von 100 % ab 2002 empfohlen.
Der Senat vermag den Ausführungen der Sachverständigen W. nicht zu folgen.
Dies gilt zunächst hinsichtlich ihrer Behauptung, dass das organische Psychosyndrom
Unfallfolge sei. Hierzu hat die Sachverständige W. in ihrer ergänzenden Stellungnahme
ausgeführt, schon bei der Erstuntersuchung durch Dr. Sch. 1970 sei eine retrograde
Amnesie für das Unfallereignis festgestellt worden. Dr. Sch. habe eine gedeckte
Hirnschädigung im Sinne einer Gehirnerschütterung vermutet. Schon damals habe ein
„organisches Psychosyndrom mit ausgeprägter vegetativer Erregbarkeit und hochgradig
nervöser Reizbarkeit und Gespanntheit, die teilweise doch auf ein eventuelles
Schädelhirntrauma zurückzuführen sein könnte“, bestanden. Zu dem Zeitpunkt, als Dr.
Sch. diese Feststellung getroffen habe, seien die Untersuchungsmöglichkeiten durch
Computertomogramm noch nicht allgemein üblich gewesen. Eine objektive Feststellung, ob
Hirnblutungen bestanden hätten, sei also nicht möglich gewesen. Nur indirekt durch die
Symptome habe man eine organische Komponente vermuten können. Die beschriebene
Symptomatik habe jedoch zum einen auf eine organische Komponente als auch auf eine
Reaktion auf die schwere psychische Belastung durch den Armverlust hingewiesen. 1991
sei der Kläger von Prof. W. untersucht und testpsychologisch geprüft worden. Es hätten
sich Hinweis für ein organisches Psychosyndrom gefunden.
Diese Ausführungen überzeugen den Senat nicht. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin,
dass die Verwaltungsakten keinen Hinweis darauf enthalten, dass es bei dem Unfall vom
23.10.1969 zu einer Kopfverletzung gekommen ist. Dies ergibt sich auch aus dem von der
Sachverständigen zitierten nervenfachärztlichen Bericht vom 30.01.1970 von Dr. Sch..
Dort heißt es, dass am Schädel äußere Verletzungen angeblich nicht zu verzeichnen
gewesen seien. Bei der neurologischen Überprüfung seien Härtesymptome nicht zu finden
gewesen. Besondere Beschwerden von seiten des Kopfes lägen subjektiv nicht vor. Dr.
Sch. hat auch nicht, wie die Sachverständige W. ausgeführt hat, eine gedeckte
Hirnschädigung im Sinne einer Gehirnerschütterung vermutet, sondern konnte eine solche
lediglich nachträglich nicht ausschließen.
Auch dem von der Sachverständigen W. zitierten Gutachten vom 13.03.1991 von Prof. Dr.
W., das im Rahmen des Rentenverfahrens vor dem Sozialgericht (S 15 RJ 81/89) erstattet
worden ist, kann keineswegs entnommen werden, dass das hirnorganische
Psychosyndrom Unfallfolge ist. Prof. Dr. W. hat ausgeführt, dass neben den starken
Phantomschmerzen psychopathologische Zeichen eines beginnenden hirnorganischen
Psychosyndroms imponiert hätten, wie es schon von dem Nervenarzt K. im Januar 1990
(gemeint ist wohl der Befundbericht vom 13.01.1989) berichtet worden sei. Ätiologisch
ließen sich die beschriebenen hirnorganischen Veränderungen am ehesten auf die
chronische obstruktive Lungenerkrankung zurückführen, über die die Entwicklung einer
chronischen cerebralen Hypoxie möglich sei. Verschlimmernd dürfte sich auch ein früherer
erheblicher Nikotinkonsum ausgewirkt haben. Rezidivierende (selbstinduzierte)
Mischintoxikationen mit Medikamenten (wie von dem behandelnden Nervenarzt K.
beschrieben) könnten über kreislauf-deprimierende Effekte ebenfalls ursächlich zu den
hirnorganisch bedingten Symptomen beigetragen haben.
Auch PD Dr. He. hat in seinem Gutachten vom 09.03.1999 und insbesondere in seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 07.01.2000 darauf hingewiesen, dass das
hirnorganische Psychosyndrom ätiologisch nicht sicher zugeordnet werden könne. In der
röntgenologischen Zusatzbegutachtung habe kein organisches Korrelat ausgemacht
werden können. Als mögliche Ursachen kämen grundsätzlich zerebrale Gefäßprozesse in
Frage, die bei minimaler Ausprägung in den bildgebenden Verfahren nicht nachgewiesen
werden könnten. Beim Kläger bestehe die Diagnose einer chronisch-obstruktiven
Lungenerkrankung, so dass eine chronische zerebrale Hypoxie als Ursache für die
hirnorganische Leistungsbeeinträchtigung diskutiert werden müsse. Aber auch
selbstinduzierte Mischintoxikationen mit Medikamenten, wie sie in den Voruntersuchungen
beschrieben worden seien, kämen grundsätzlich in Frage. Die Medikation des Klägers sei
auch in der üblichen Dosierung ohne Intoxikationen bereits geeignet, psychische
Veränderungen hervorzurufen. Dabei sei anzumerken, dass es sich nicht nur um eine
schmerzstillende Medikation handele, sondern auch um Medikamente für Herz und
Kreislauf oder gegen Übelkeit. Insofern könne ein alleiniger Zusammenhang der
hirnorganischen Leistungsbeeinträchtigung mit dem Unfall vom 23.10.1969 nicht gesehen
werden. Das vorliegende hirnorganische Psychosyndrom könne derzeit ätiologisch nicht
zugeordnet werden, es kämen mehrere Ursachen in Frage, wobei keiner der bestehenden
Möglichkeiten eine besondere Gewichtung zukomme.
Diese nachvollziehbaren Ausführungen überzeugen den Senat. Demnach ist es nicht
wahrscheinlich, dass das hirnorganische Psychosyndrom Folge des Arbeitsunfalls ist. Dem
Gutachten der Sachverständigen W. kann demgegenüber nicht gefolgt werden, da in
diesem eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. W. und PD
Dr. He. zur ätiologischen Zuordnung des hirnorganischen Psychosyndroms nicht erfolgt ist.
Auch der Einschätzung der Sachverständigen W., dass das Sulcus-ulnaris-Syndrom am
linken Arm Unfallfolge sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist bereits nicht zutreffend,
wenn die Sachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme ausführt, die Einarmigkeit
führe dazu, dass der verbleibende Arm ausschließlich genutzt werde und alle Verrichtungen
tun müsse. Anlässlich der Begutachtung am 31.07.1987 gab der Kläger gegenüber dem
Gutachter Dipl.-Psych. U. an, dass seine Arbeit auf der Postverteilungsstelle darin
bestanden habe, dass er Briefe sortiere und 7 – 8 kg schwere Kästen heben müsse; die
Kästen habe er mit Hilfe seines Armstumpfes gehoben. Vor diesem Hintergrund ist nicht
nachvollziehbar, warum die Einarmigkeit des Klägers zu einer Überlastung des
verbleibenden Armes um 50 % führen soll, wie dies die Sachverständige W. ausgeführt
hat. Im Übrigen hat die Sachverständige W. einräumen müssen, dass keine
wissenschaftliche Untersuchung bei Einarmigkeit vorliegt, die besagt, dass der verbleibende
Arm durch die Mehrbelastung stärker belastet wird. Die entsprechende Behauptung der
Sachverständigen W. entbehrt somit einer wissenschaftlichen Grundlage. Letztlich ist auch
nicht nachvollziehbar, dass nach Einschätzung der Sachverständigen W. die Tätigkeit des
Klägers in der Poststelle ursächlich für das Sulcus-ulnaris-Syndrom sein soll, dieses jedoch
erst ca. 10 Jahre nach Beendigung der Tätigkeit aufgetreten ist.
Auch die Leiden des Klägers auf orthopädischem Gebiet rechtfertigen keine Erhöhung der
MdE. Hierzu hat Prof. Dr. Schm. in seinem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten
vom 02.02.2001 ausgeführt, radiologisch und auch in der klinischen Untersuchung habe
sich keine Zunahme wesentlicher krankhafter Veränderungen gezeigt. Eine
Verschlimmerung zum maßgeblichen Vorgutachten könne nicht objektiviert werden. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit sei weiterhin auf 80 % einzuschätzen. Unfallunabhängig
bestünden osteoporotische Veränderungen im gesamten LWS-Bereich ohne Anzeichen
einer frischen oder älteren Fraktur.
Zur Überzeugung des Senats steht somit fest, dass die Voraussetzungen des § 48 SGB X
nicht vorliegen. Der Kläger hat weiterhin nur einen Anspruch auf eine Verletztenrente nach
einer MdE von 80 v.H..
Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nicht mit der Revision angefochten werden, weil sie gesetzlich
ausgeschlossen und vom Landessozialgericht nicht zugelassen worden ist.
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom
Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der
Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem beim Bundessozialgericht zugelassenen
Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich
beim Bundessozialgericht, Kassel (Postanschrift: 34114 Kassel) einzulegen. Die
Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht
eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen:
a) die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen
von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von
Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von den
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche
Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem
sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die
unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres
Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten, sofern
die Bevollmächtigten kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind.
Gleiches gilt für Bevollmächtigte, die als Angestellte juristischer Personen, deren Anteile
sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen,
handeln, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und
Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt
und wenn die Vereinigung für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
b) jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt.
Behörden sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts brauchen sich nicht
durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem
zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich zu begründen.
In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die
Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil
abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann, bezeichnet werden.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs.1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt
werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht
schon durch einen Bevollmächtigten der unter I a) genannten Gewerkschaften oder
Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines
Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim
Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen
Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und
Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der
Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten
und ggf. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse - ggf. nebst entsprechenden Belegen - müssen bis zum
Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils)
beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt
benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht,
einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der
beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen
Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.