Urteil des LSG Saarland vom 26.09.1996

LSG Saa: luxemburg, arbeitsentgelt, bemessungszeitraum, getrennt leben, kirchensteuer, nettoeinkommen, auszahlung, verwaltungsakt, grenzgänger, beitragspflicht

Landessozialgericht für das Saarland
Urteil vom 26.09.1996 (rechtskräftig)
Sozialgericht für das Saarland S 16 Ar 204/93
Landessozialgericht für das Saarland L 1 Ar 68/95
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 05.10.1995 wird
zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes.
Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger war in der Zeit vom 17.03.1987 bis zum 13.04.1993 als Kraftfahrer in
Luxemburg beschäftigt. Nach den in der Arbeitsbescheinigung enthaltenen Angaben erzielte er in der Zeit vom
01.01.1993 bis zum 13.04.1993 ein Gesamtbruttoarbeitsentgelt von 221.278,- LFr. Das Arbeitsverhältnis endete durch
Kündigung der Arbeitgeberin zum 13.04.1993.
Am 19.04.1993 meldete sich der Kläger arbeitslos und stellte einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 18.05.1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem Datum der Antragstellung
auf der Grundlage eines gerundeten wöchentlichen Bruttoarbeitsentgelts von 730,- DM. Der von dem Kläger gegen
diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.1993 als unbegründet
zurückgewiesen.
Nachdem er in der Zeit vom 01.06.1993 bis 12.07.1993 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und von der AOK für das
Saarland Krankengeld erhalten hatte, stellte der Kläger am 13.07.1993 einen Antrag auf Wiederbewilligung des
Arbeitslosengeldes. Diesem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 20.07.1993 statt.
Am 21.09.1993 stellte der Kläger den Antrag, die Entscheidung vom 18.05.1993 erneut zu überprüfen. Er habe
während der Beschäftigung in Luxemburg ein Nettogehalt von ca. 2.600,- DM (52.312 LFr.) gehabt. Der Leistungssatz
von 323,40 DM erscheine ihm daher zu gering.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 29.09.1993 mit, daß die Überprüfung des Bescheides vom
18.05.1993 gem. § 44 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - 10. Buch (SGB X) ergeben habe, daß die
Bemessung des Arbeitsentgelts, wie sie in dem Bewilligungsbescheid vom 18.05.1993 mit wöchentlich 730,- DM
vorgenommen worden sei, rechtens sei. Mit dem Vordruck E 301 seien die Daten der Beschäftigung in Luxemburg
angefordert und von dort mit einem Wochenverdienst von 14.944 LFr. mitgeteilt worden. Dieses Entgelt sei
maßgebend für die Bemessung des Arbeitslosengeldes. Bei dem laut Dienstanweisung vorgegebenen Kurs von
4,85707 DM für 100 LFr. verbleibe es somit bei dem gerundeten Arbeitsentgelt von 730,- DM.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, daß der Bemessung des
Arbeitslosengeldes das von ihm erzielte Nettoeinkommen zugrundezulegen sei. Nach den beigefügten
Lohnabrechnungen für die Monate Januar, Februar und April 1993 habe er ein festes Nettoeinkommen in Höhe von
53.195 LFr. gehabt. Hieraus errechne sich ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2594,88 DM. Das zu
zahlende Arbeitslosengeld betrage 68% davon, also monatlich 1.764,52 DM, woraus ein wöchentliches
Arbeitslosengeld in Höhe von 1.764,52 DM x 12: 52 = 407,20 DM resultiere.
Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.1993 als unbegründet zurückgewiesen. In
den Gründen des Widerspruchsbescheides wird u.a. ausgeführt, daß nach der Bescheinigung der Administration de l
emploi in Luxemburg vom 05.05.1993 der Kläger in der Woche durchschnittlich 14.944 LFr. verdient habe. Bei einem
Umrechnungskurs von 4,85707 für 100 LFr. ergebe sich ein wöchentlicher Verdienst von 725,84 DM. Bei der
Berechnung des Arbeitslosengeldes sei daher ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 730,- DM
zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich ein wöchentlicher Leistungssatz in Höhe von 323,40 DM.
Seit dem 01.11.1993 bezieht der Kläger von der LVA für das Saarland eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und seit
dem 01.10.1995 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit.
Gegen den am 12.11.1993 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 13.12.1993, einem Montag, Klage
erhoben. Zur Begründung hat er im wesentlichen vorgetragen, daß nach den Darlegungen der Beklagten von dem
Bruttoarbeitsentgelt Beträge für Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen
seien. Hierin liege eine Ungleichbehandlung mit anderen EG-Bürgern. Auszugehen sei von dem Einkommen, daß der
Kläger tatsächlich in Luxemburg bezogen habe.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05.10.1995 abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es lediglich ausgeführt, daß der Bewilligungsbescheid vom 20.07.1993
rechtmäßig sei, so daß der Antrag auf Abänderung dieses Bescheides gem. § 44 SGB X zurückzuweisen gewesen
sei. Die Kammer halte die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 09.11.1993 für zutreffend, so
daß gem. § 136 Abs. 3 AFG von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werde.
Gegen den am 19.10.1995 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 15.11.1995 bei Gericht eingegangene
Berufung.
Zur Begründung trägt der Kläger im wesentlichen vor, daß die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 111
Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) mit dem Sinn der Norm unvereinbar sei. Mit dem Arbeitslosengeld solle es
dem Leistungsempfänger ermöglicht werden, seinen bisherigen Lebensstandard unter Berücksichtigung bestimmter
Einschränkungen im wesentlichen aufrecht zu erhalten. Es müsse daher berücksichtigt werden, daß in anderen EG-
Mitgliedsstaaten, namentlich in Luxemburg, wegen geringerer Steuer- und Beitragslast des Arbeitnehmers auch
geringere Bruttoarbeitsentgelte erzielt würden. Bei Berücksichtigung dieses Umstandes hätte die Beklagte der
konkreten Berechnung des Arbeitslosengeldes das von dem Kläger erzielte Nettoentgelt zugrunde legen müssen. Der
im konkreten Einzelfall gewählte Berechnungsmodus verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), da er
letztlich eine willkürliche Benachteiligung des Klägers herbeiführe, die nicht durch sachliche Gesichtspunkte
gerechtfertigt sei. Mit dieser Berechnung werde der Kläger nämlich gegenüber jedem deutschen Arbeitnehmer, der ein
vergleichbares Nettoentgelt erziele, im Fall des Leistungsbezuges benachteiligt. Die von der Beklagten
vorgenommene Auslegung sei auch unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten nicht haltbar.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts für das Saarland vom 05.10.1995 sowie
unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 29.09.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
09.11.1993 zu verpflichten, dem Kläger ab dem 19.04.1993 ein höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den weiteren Akteninhalt sowie auf die von
der Beklagten vorgelegte Leistungsakte mit der Stamm-Nr. M 89 476, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die von dem Kläger eingelegte Berufung ist zulässig.
Gemäß § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts
oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
1. bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000,-
Deutsche Mark oder 2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder
Behörden 10.000,- Deutsche Mark nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende
Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger die Zahlung eines höheren Arbeitslosengeldes für die Zeit ab dem 19.04.1993.
Da eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit erst ab dem 01.10.1995 gewährt worden ist, ist die Einjahresgrenze des §
144 Abs. 1 Satz 2 SGG überschritten.
Die Berufung ist auch in der gesetzlich vorgesehenen Form und Frist (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht
unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom
18.05.1993 um keinen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
Gemäß § 111 Abs. 1 AFG in der bis 31.12.1993 geltenden Fassung - die auch im vorliegenden Fall nach der
Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 5 AFG noch anzuwenden ist - beträgt das Arbeitslosengeld
1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 4 + 5 des Einkommensteuergesetzes haben,
sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 4 + 5 des
Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht
dauernd getrennt leben, 68 v. H., 2. für die übrigen Arbeitslosen 63 v. H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei
Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112).
Gemäß § 112 Abs. 1 AFG ist Arbeitsentgelt im Sinne des § 111 Abs. 1 das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im
Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Mehrarbeitszuschläge, Arbeitsentgelte, die der
Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält, sowie einmalige und wiederkehrende
Zuwendungen bleiben außer Betracht; dies gilt auch für Zuwendungen, die anteilig gezahlt werden, wenn das
Arbeitsverhältnis vor dem Fälligkeitstermin endet.
Gemäß § 112 Abs. 2 AFG in der bis 31.12.1993 geltenden Fassung - hier anwendbar gemäß § 242 q Abs. 7 AFG -
umfaßt der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten
Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der
Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Enthalten die
Lohnabrechnungszeiträume weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, so verlängert sich der
Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht
sind (§ 112 Abs. 2 Satz 3 AFG a.F.).
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Bestimmung des
Bemessungszeitraums für das Arbeitslosengeld zunächst ein Bemessungsrahmen festzulegen, der sich vom Ende
der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor Entstehung des Anspruchs rückwärts kalendermäßig
nach Zeitmonaten, nicht nach Kalendermonaten, berechnet (vgl. Urteil vom 25.01.1996, Az.: 7 RAr 90/94). Den
eigentlichen Bemessungszeitraum bilden dann die in diesen feststehenden Rahmen fallenden (oder hineinragenden)
Lohnabrechnungszeiträume, wenn das in ihnen erarbeitete Arbeitsentgelt bis zum Ausscheiden abgerechnet und
erzielt im Sinne von zugeflossen ist und wenn diese berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume
mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten.
Bei Anlegung dieser Kriterien umfaßt im vorliegenden Fall der Bemessungsrahmen, von dem ausgehend der
eigentliche Bemessungszeitraum zu ermitteln ist, die Zeit vom 14.01.1993 bis l3.04.1993. Nach der von dem Kläger
zunächst vorgelegten Arbeitsbescheinigung fielen in diesen Bemessungsrahmen insgesamt 4
Lohnabrechnungszeiträume, die den Gesamtzeitraum vom 01.01. - 13.04.1993 umfaßten. Die Arbeitsbescheinigung
ist jedoch insoweit nicht korrekt, als auch der Lohnabrechnungszeitraum 01.04. - 13.04.1993 darin aufgeführt wird.
Denn nach den von dem Kläger vorgelegten Lohnabrechnungen sind die Abrechnungen für einen bestimmten Monat
jeweils erst in der Mitte des Folgemonats erfolgt. Dies war auch bei der Lohnabrechnung für den Monat April so; nach
den in der Abrechnung enthaltenen Angaben ist diese erst am 12.05.1993 erfolgt. Die Arbeitsbescheinigung weicht
auch insoweit von den Lohnabrechnungen ab, als in ihr für den Monat Januar ein Bruttoentgelt von 64.908,- LFr
bescheinigt ist, während sich aus der entsprechenden Lohnabrechnung ein Bruttogehalt von 65.486.- LFr ergibt. Auch
insoweit geht der Senat davon aus, daß die in der Lohnabrechnung enthaltene Angabe korrekt ist.
Als Bemessungszeitraum ist daher im vorliegenden Fall die Zeit vom 01.01. bis 31.03.1993 anzusehen. In diesem
Zeitraum hat der Kläger an insgesamt 64 Arbeitstagen (laut Arbeitsbescheinigung) ein Gesamtbruttoentgelt von
195.302,- LFr (laut Lohnabrechnungen) bezogen.
Gemäß § 112 Abs. 3 AFG wird für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts das im
Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden
vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der
Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist, gilt als
in der Zahl von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen
Arbeitsstunden mit 13 vervielfacht und durch 3 geteilt wird.
Nach den eingereichten Lohnabrechnungen hat der Kläger das Gesamtbruttoentgelt von 195.302,- LFr in insgesamt 3
x 173 = 519 Arbeitsstunden erzielt, woraus sich ein Stundenlohn von 376,30 LFr errechnet. Multipliziert mit der
tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden (lt. Arbeitsbescheinigung) ergibt sich ein Wochenlohn von
15.052,- LFr. Dieser Wochenlohn ist bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Vorschriften des Europäischen Rechts.
Nach Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.197l über die Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern, in Kraft getreten am 01.10.1972 (ABl EG Nr. L 149/2 vom 05.07.1971), zuletzt
geändert durch den Vertrag vom 24.06.1994 (95/1/EG, Euratom, EGKS) und dem Beschluss des Rates der
Europäischen Union zur Anpassung der Dokumente betreffend den Beitritt neuer Mitgliedsstaaten zur Europäischen
Union zum 01.01.1995 (ABl EG Nr. L 1/1 vom 01.01.1995), erhalten Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen
nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten
Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates für sie gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der
Träger des Wohnorts zu seinen Lasten.
Grenzgänger ist gemäß Artikel 1 b der Verordnung jeder Arbeitnehmer oder Selbständige, der seine Berufstätigkeit im
Gebiet eines Mitgliedstaates ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, in das er in der Regel täglich,
mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt.
Es ist davon auszugehen, daß der Kläger "echter Grenzgänger" in diesem Sinne war (zum Begriff siehe Husmann in
Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsgesetz - GK-AFG, Vor §§ 100 ff Randr. 35 f).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sind die Leistungen, darunter das
Arbeitslosengeld, unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen, das der Arbeitnehmer während der letzten
Beschäftigung in dem Mitgliedstaat erhalten hat, in dem er unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war
(vgl. Urteil vom 28.02.1980, Rechtssache 67/79, veröffentlicht in Dienstblatt Rechtsprechung Nr. 2660 a zu Artikel 68
VO (EWG) Nr. 1408/71).
Der Berechnung des Arbeitslosengeldes des Klägers ist also das von ihm im Bemessungszeitraum während seiner
Tätigkeit für die Firma XXXXXXXXXXXXXXX GmbH erzielt worden ist, zugrunde zu legen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 13.05.198l, Az.: 7 RAr 68/77, veröffentlicht in Dienstblatt
Rechtsprechung Nr. 2661 a zu Artikel 68 VO (EWG) Nr. 1408/71) ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Umrechnung des
in ausländischer Währung erzielten Arbeitsentgelts in DM der letzte Tag des letzten abgerechneten
Lohnabrechnungszeitraumes, auf den nach der Rechtsprechung des EuGH die Bemessung des Arbeitslosengeldes
abzustellen ist. Dies ist im vorliegenden Fall entsprechend den oben gemachten Ausführungen der 31.03.1993.
Die Beklagte stellt die für die Umrechnung von im Ausland erzielten Arbeitslöhnen maßgeblichen
Währungsumrechnungskurse jeweils kalendervierteljährlich fest. Diese Praxis ist nicht zu beanstanden, da die
Ermittlung des maßgeblichen Währungsumrechnungskurses in jedem Einzelfall für einen ganz bestimmten Tag mit
einem unverhältnismäßigen, von einer Massenverwaltung nicht zu erbringenden Aufwand verbunden wäre und dem
gesetzlichen Ziel, angesichts der existenzsichernden Natur des Arbeitslosengeldes eine beschleunigte Feststellung
der Leistungshöhe und eine rasche Auszahlung zu gewährleisten (vgl. Husmann in GK-AFG § 111 Randnr. 172 unter
Hinweis auf BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6), zuwiderliefe.
Im vorliegenden Fall ist daher auf den von der Beklagten festgestellten maßgeblichen Währungsumrechnungskurs für
das erste Kalendervierteljahr 1993 abzustellen. Auf der Basis des im ersten Kalendervierteljahr 1993 geltenden
Währungsumrechnungskurses von 4,85530 DM für 100 LFr errechnet sich aus dem Wochenlohn des Klägers in Höhe
von l5.052,- LFr ein Betrag von 730,82 DM, der gemäß § 112 Abs. 10 AFG auf den nächsten durch 10 teilbaren
Deutsche-Mark-Betrag, also auf 730,- DM, zu runden ist. Genau von diesem Betrag ist die Beklagte bei der
Bewilligung des Arbeitslosengeldes aber ausgegangen.
Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG bestimmt der Bundesminister (heute: das Bundesministerium) für Arbeit und
Sozialordnung die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung. Dabei hat er zugrunde zu
legen:
l. als Lohnsteuer a) die Steuer nach der allgemeinen Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse I ohne
Kinderfreibetrag (Leistungsgruppe A) bei Arbeitnehmern, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse I oder IV
eingetragen ist; ... 2. als Kirchensteuer-Hebesatz den im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-
Hebesatz; 3. als Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung die Hälfte des gewogenen Mittels der am 01.07. des
Vorjahres geltenden allgemeinen Beitragssätze; 4. als Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung die Hälfte
des geltenden Beitragssatzes der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten; 5.
als Leistungsbemessungsgrenze die nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 für den Beitrag zur Bundesanstalt geltende
Beitragsbemessungsgrenze.
Nach den in der Leistungsakte enthaltenen Angaben war im Jahre 1993 auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die
Steuerklasse I mit einem halben Kinderfreibetrag eingetragen.
Nach der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Verordnung über die Leistungssätze des Unterhaltsgeldes, des
Altersübergangsgeldes, des Arbeitslosengeldes, der Arbeitslosenhilfe, des Kurzarbeitergeldes und des
Schlechtwettergeldes für das Jahr 1993 (AFG-Leistungsverordnung 1993) vom 18. Dezember 1992 (BGBl I Seite
2354) ergibt sich bei einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 730,- DM in der Leistungsgruppe A/1 (erhöhter
Leistungssatz) ein wöchentlicher Leistungssatz von 323,40 DM. Genau dieser Betrag ist dem Kläger laut den in der
Leistungsakte enthaltenen Zahlungsnachweisen bewilligt worden.
In den jeweiligen AFG-Leistungsverordnungen sind allerdings die in Deutschland üblichen Sozialversicherungsbeiträge
und Lohnsteuerabzugsbeträge berücksichtigt. Dies entspricht der gesetzlichen Vorgabe in § 111 Abs. 1 AFG, wonach
das Bruttoarbeitsentgelt um die "gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", zu vermindern ist.
Das Vorbringen des Klägers, daß er aufgrund der geringeren gesetzlichen Abzüge in Luxemburg ein höheres
Nettoarbeitsentgelt gehabt habe, läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß bei der Ermittlung des für ihn maßgeblichen
verminderten Arbeitsentgelts im Sinne des § 111 Abs. 1 AFG die gesetzlichen Abzüge, wie sie bei Arbeitnehmern in
Luxemburg gewöhnlich anfallen, berücksichtigt werden sollen. Dies entspricht allerdings nicht der gesetzlichen
Konzeption in § 111 AFG. Die Aufzählung der im einzelnen zu berücksichtigenden gesetzlichen Abzüge in § 111 Abs.
2 Satz 2 AFG macht deutlich, daß der Gesetzgeber den Verordnungsgeber lediglich verpflichten wollte, bei der
Festsetzung der Leistungssätze die üblichen inländischen Abzüge, nicht hingegen im Ausland geltende
Abzugsbeträge zu berücksichtigen. Dies steht in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Europäischen Rechts.
Denn nach dem bereits zitierten Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 sind die Leistungen im Falle der
Vollarbeitslosigkeit von Grenzgängern nach den Vorschriften des Wohnsitzstaates, im vorliegenden Fall also von
Deutschland, zu gewähren.
Hiergegen kann der Kläger nicht mit Erfolg unter Bezugnahme auf das verfassungsrechtlich verbürgte
Gleichheitsgebot einwenden, daß er durch die Berücksichtigung der in Deutschland anfallenden Abzugsbeträge
gegenüber Arbeitslosen, bei denen das Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer Vorbeschäftigung im Inland zu
errechnen ist, schlechter gestellt würde. Denn es werden bei dem Kläger ja gerade dieselben Abzugsbeträge
berücksichtigt wie bei einem Arbeitslosen, bei dem die Leistungsbewilligung auf einer Vorbeschäftigung im Inland
beruht. Da der Kläger im Inland wohnt und im Inland auch als arbeitsuchend gemeldet ist, ist es sachgerecht, daß er
sich, was die Berücksichtigung von gesetzlichen Abzügen im Rahmen der Ermittlung des für die Bewilligung des
Arbeitslosengeldes maßgeblichen Arbeitsentgelts angeht, wie ein inländischer Arbeitnehmer behandeln lassen muß.
Schon von daher scheidet ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) aus.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß wegen der geringeren gesetzlichen Abzüge auch die Bruttolöhne
in Luxemburg generell niedriger seien. Denn es ist schon zweifelhaft, ob diese Behauptung, für die der Kläger keinen
Beleg eingereicht hat, überhaupt zutrifft. Nach den von ihm eingereichten Lohnabrechnungen hat der Kläger zuletzt
einen monatlichen Bruttolohn von 64.908,- LFr., das sind umgerechnet 3.153,- DM als Berufskraftfahrer bezogen.
Nach dem bis 01.05.1993 gültigen Lohntarifvertrag für die Arbeitnehmer im Verkehrsgewerbe des Saarlandes galten
im Jahre 1993 für Berufskraftfahrer folgende Wochenlöhne:
- Speditionsnahverkehr 67l,- DM umgerechnet 2.907,- DM im Monat - Möbelwagenfahrer 69l,- DM umgerechnet 2.994,-
DM im Monat - Güternahverkehr 653,- DM umgerechnet 2.829,- DM im Monat bis 7,5 Tonnen - - Güternahverkehr
682,- DM umgerechnet 2.955,- DM im Monat über 7,5 Tonnen - Güterfernverkehr 773,- DM umgerechnet 3.349,- DM
im Monat
Nur bei einer Tätigkeit im Güterfernverkehr ergibt sich damit für eine Tätigkeit in Luxemburg ein geringerer Bruttolohn.
Daß der insoweit bestehende Differenzbetrag von 196,- DM aber gerade darauf beruhen soll, daß die gesetzlichen
Abzüge in Luxemburg geringer waren, läßt sich allenfalls vermuten, nicht aber beweisen.
Dies kann letztlich auch dahingestellt bleiben. Denn es ist zwar richtig, daß im Hinblick auf die Lohnersatzfunktion
des Arbeitslosengeldes bei der Berechnung der Leistung grundsätzlich an den Nettolohn angeknüpft werden soll, den
der Arbeitslose zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bezogen hat (vgl. Husmann a.a.O. Randnr. 171 unter Hinweis
auf BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6). Auf der anderen Seite erfordert, worauf bereits hingewiesen
worden ist, die existenzsichernde Natur des Arbeitslosengeldes eine beschleunigte Feststellung der Leistungshöhe
und eine rasche Auszahlung. Dies zwingt zu einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung. Um solchen
Erfordernissen gerecht zu werden, stellt § 111 Abs. 1 AFG auf die "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzüge ab.
Hieraus folgt die Berechtigung, der Berechnung ein pauschaliertes und typisiertes Nettoarbeitsentgelt zugrunde zu
legen (vgl. Husmann a.a.O. Randnr. 172).
Nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben setzt eine noch hinzunehmende Typisierung
voraus, daß die durch sie eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von
Personen betreffen und der "Verstoß" gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich für die
Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist ferner, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter
Schwierigkeiten vermeidbar wäre. Hierbei fallen auch praktische Erfordernisse der Verwaltung ins Gewicht (vgl.
Husmann a.a.O. Randnr. 174 unter Hinweis auf BVerfGE 9, 20, 3l; 45, 376, 390; 63, 119, 128).
Bei Anlegung dieser Kriterien gilt es zunächst festzuhalten, daß die Berechnung bzw. Überprüfung eines individuellen
Nettoarbeitsentgelts in jedem Einzelfall, in dem Auslandsbezüge bei der Berechnung der Leistung zu berücksichtigen
wären, einen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern würde, der eine beschleunigte Leistungsberechnung und
Auszahlung ungebührlich erschweren würde (vgl. Husmann a.a.O. Randnr. 175). Das gesetzliche Ziel, einfache
Maßstäbe bei der Leistungsberechnung anzulegen, würde damit verfehlt. Wollte man hingegen auf die im Ausland
"gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzüge abstellen, müßte das Bundesministerium für Arbeit (zumindest) für alle
Staaten der Europäischen Gemeinschaft jährlich eine gesonderte Leistungssatz-Verordnung erstellen, wobei sich
ebenfalls um ein kaum praktikables Unternehmen handeln würde, welches vom Gesetzgeber, wie bereits ausgeführt,
auch ausdrücklich nicht vorgesehen ist. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß sich die gesetzliche Regelung durchaus
auch zugunsten des einzelnen Arbeitslosen auswirken kann und zwar dann, wenn die im Ausland üblichen
gesetzlichen Abzüge höher sind als die inländischen Abzugsbeträge.
Daß im Falle des Klägers im Ergebnis bei der Leistungsbemessung ein geringeres Nettoarbeitsentgelt zugrunde gelegt
wird, als er es tatsächlich gehabt hat, ist damit als Folge der pauschalierenden gesetzlichen Regelung hinzunehmen
und auch unter grundgesetzlichen Aspekten nicht zu beanstanden. Der Kläger ist in diesem Zusammenhang
vergleichbar einem konfessionslosen Arbeitnehmer, bei dem gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG ein
Kirchensteuer-Hebesatz als gesetzlicher Abzug berücksichtigt wird, was im Ergebnis dazu führt, daß auch bei ihm ein
geringeres Nettoarbeitsentgelt der Bemessung der Leistung zugrunde gelegt wird als er es tatsächlich erzielt hat.
Auch dies hat das Bundessozialgericht - zumindest für die Jahre bis 1993 - als gerechtfertigt angesehen (vgl. SozR 3
- 4100 § 249 e Nr. 5 und Urteil vom 26.10.1994, Az.: 11 RAr 87/1993).
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) lagen nicht vor.