Urteil des LSG Saarland vom 25.05.2010

LSG Saarbrücken: aufnahme einer erwerbstätigkeit, wirkung ex nunc, wohl des kindes, aufnahme von pflegekindern, abweichende meinung, anrechenbares einkommen, haushalt, unterhalt, anteil, aufteilung

LSG Saarbrücken Urteil vom 25.5.2010, L 9 AS 9/07
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Erziehungshonorar für
4 Pflegekinder - zweckbestimmte Einnahme - Erwerbsmäßigkeit der Pflege - wirtschaftliche
Gesamtsituation - Wohngeldzahlung - Mehrbedarf bei Alleinerziehung
Leitsätze
1. Die Anrechnung des Erziehungsbeitrages, der im Rahmen der Vollzeitpflege nach §§
33,39 SGB VII geleistet wird, auf Leistungen nach dem SGB II bei der Betreuung von mehr
als zwei Pflegekindern ist für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Regelung in § 11 Abs. 4 SGB
II am 01. Januar 2007 unter Berücksichtigung von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II davon
abhängig, ob die Betreuung derart professionell betrieben wird, dass sie als eine dauerhafte
Erwerbsquelle der Pflegeperson angesehen werden kann.
2. § 11 Abs. 4 SGB II neuer Fassung ist erst ab dem 01. Januar 2007 anwendbar (BSG,
Urteil vom 29. März 2007, B 7b AS 12/06 R).
3. Der Mehrbedarf für Alleinerziehung ist auch bei Pflege und Erziehung von Kindern zu
berücksichtigen, mit denen der Begünstigte keine Bedarfsgemeinschaft bildet. Die
Gewährung von Leistungen nach § 39 SGB VII steht dem nicht entgegen.
4. Gezahltes Wohngeld ist auf den Bedarf anzurechnen, unabhängig davon, ob die Zahlung
rechtmäßig oer rechtswidrig war.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerinnen werden das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland
vom 20. März 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2005 aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, an die Klägerinnen für die Zeit vom 09. September 2005 bis zum 30.
April 2006 Leistungen nach dem SGB II gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ohne
Anrechnung des gezahlten Erziehungsbeitrages zu gewähren.
2. Die Beklagte hat den Klägerinnen die in beiden Rechtszügen entstandenen
außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen begehren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für
Arbeitsuchende – (SGB II) ohne Anrechnung des der Klägerin zu 1) gewährten sog.
Erziehungsbeitrages für die von ihr betreuten 4 Pflegekinder als Einkommen im
streitgegenständlichen Zeitraum vom 09. September 2005 bis April 2006.
Die am 1960 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der 1996 geborenen Klägerin zu 2).
Am 04. Januar 2005 beantragte die Klägerin zu 1) für sich und die Klägerin zu 2) erstmals
die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Bereits zu diesem Zeitpunkt lebte sie
zusammen mit der Klägerin zu 2) sowie ihrer älteren Tochter J., geb. 1986, und den 4
Pflegekindern M.R., geb. 1986, M.L., geb. 1993, J.S., geb. 1995, und S.S., geb. 1997. Die
Pflegekinder wurden von der Klägerin zu 1) in Vollzeitpflege gem. § 33 des Achten Buchs
des Sozialgesetzbuchs – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) betreut.
Die aufzubringenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) für das von der Klägerin zu
1) angemietete Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 120 qm beliefen sich zu diesem
700,00 Euro Kaltmiete,
97,50 Euro Nebenkosten und 165,00 Euro Heizkosten
Wohngeld
434,00 Euro monatlich gezahlt. Dieses erhöhte sich in der Zeit vom 01. September 2005
487,00 Euro
69,57 Euro.
Kindergeld
dreimal 154,00 Euro und dreimal 179,00 Euro, vgl. Tabelle Kindergeld für 2005 und 2006
auf www.nettoeinkommen.de.
Pflegegeld
M.R. 822,00 Euro (ab Oktober 2004),
M.L. 634,50 Euro,
J.S. 826,47 Euro und
S.S. 701,47 Euro.
wobei jeweils von den genannten Beträgen ein Anteil in Höhe von 198,00 Euro als Kosten
der Erziehung ausgewiesen war und ein Kindergeldanteil von 77,00 Euro bei M. sowie
jeweils 38,50 Euro bei den anderen Pflegekindern in Abzug gebracht wurde. Ab dem 01.
April 2005 belief sich der für die Kostender Erziehung geleistete Beitrag für M., J. und Sa.
auf monatlich 202,00 Euro je Pflegekind (letzteres ist aus den Bescheiden nicht ersichtlich,
wurde aber immer übereinstimmend vorgetragen) und ab April 2006 auf 207,00 Euro.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für die Klägerin zu 2) wurden in Höhe von
164,00 Euro gewährt. Mit Ablauf des 2. September 2005 wurden die Leistungen
12,00 Euro
Beitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung
131,34 Euro
5,00 Euro
Rente.
Die Aufwendungen für eine Kfz-Haftpflichtversicherung betrugen ab dem 01.01.2006
51,26 Euro
Mit Bescheid vom 02. Februar 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen an
die Klägerin zu 1) ab, was sie damit begründete, dass die Klägerin nicht bedürftig sei. Den
gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2005 zurück.
Am 09. September 2005 beantragten die Klägerinnen erneut die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II.
Bescheid vom 05. Oktober 2005
Leistungen nach dem SGB II an die Klägerinnen ab, wiederum da Hilfebedürftigkeit im Sinne
des Gesetzes nicht gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerinnen am 27. Oktober 2005 Widerspruch ein, den
sie damit begründeten, dass kein Kindergeld in Höhe von 633,75 Euro für den Monat
Oktober angerechnet werden könne, wenn lediglich ein Kind zur Bedarfsgemeinschaft
zähle. Ebenso dürfe kein Wohngeld als Einkommen angerechnet werden, da gemäß § 1
des Wohngeldgesetzes (WoGG) Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II vom
Bezug von Wohngeld ausgeschlossen seien und dies bereits während der Antragstellung zu
berücksichtigen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07. November 2005 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Klägerin zu 1) mit den
Pflegekindern keine Bedarfsgemeinschaft bilde, da nach der Regelung in § 7 Abs. 3 SGB II
lediglich leibliche Kinder erfasst würden. Die ältere Tochter sei bereits volljährig und gehöre
somit nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II auch nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft. Es bestehe
lediglich eine Bedarfsgemeinschaft mit der Klägerin zu 2), da diese ihren Bedarf, bestehend
aus der Regelleistung in Höhe von 207,00 Euro und den anteiligen Unterkunftskosten in
Höhe von 133,26 Euro, nicht aus ihrem Einkommen, bestehend aus Kindergeld in Höhe
von 172,75 Euro, vollständig decken könne. Die Klägerin zu 1) beziehe Kindergeld in Höhe
von insgesamt 999,00 Euro monatlich. Davon würden auf die 4 minderjährigen Kinder
insgesamt 691,00 Euro entfallen. Kindergeld für minderjährige Kinder sei jeweils dem Kind
zuzuordnen, soweit es für die Sicherung seines Lebensunterhaltes benötigt werde. Werde,
wie hier, für mehr als drei Kinder Kindergeld gewährt, sei das gesamte Kindergeld
gleichmäßig auf alle Kinder aufzuteilen. Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhielten u.a. gemäß
§ 19 Satz 1 SGB II als Arbeitslosengeld II (Alg II) Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die
monatliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes betrage 345,00 Euro für die
Klägerin zu 1) und 207,00 Euro für die Klägerin zu 2). Ferner sei ein Mehrbedarf für
Alleinerziehung in Höhe von 41,00 Euro anzuerkennen.
Die Kosten der Unterkunft seien in folgender Höhe zu berücksichtigen:
Grundmiete
700,00 Euro
Nebenkosten
97,50 Euro
Heizkosten
135,00 Euro
(tatsächliche Heizkosten abzüglich 18 % für die
Warmwasserbereitung);
Summe
932,80 Euro
Da die Wohnung von insgesamt 7 Personen bewohnt werde, entfielen pro Person anteilige
Unterkunftskosten in Höhe von 133,26 Euro monatlich.
Der Bedarf der Klägerin zu 2) belaufe sich somit auf 340,26 Euro monatlich (207,00 Euro
Regelleistung + 133,26 Euro anteilige KdUH) und der Bedarf der Klägerin zu 1) betrage
519,26 Euro (345,00 Euro Regelleistung + 133,26 Euro anteilige KdUH + 41,00 Euro
Mehrbedarf).
Auf den Bedarf der Klägerin zu 2) sei das anteilige Kindergeld in Höhe von 172,75 Euro
anzurechnen. Somit verbleibe ein monatlicher Bedarf in Höhe von 168,01 Euro. Auf den
Bedarf der Klägerinnen sei das zu berücksichtigende Einkommen anzurechnen. Wie der
Hilfeakte zu entnehmen sei, beziehe die Klägerin zu 1) Einkommen in Form von Kindergeld
und Leistungen gemäß den §§ 33, 39 SGB VIII. Diese Leistungen nach dem SGB VIII würden
sich aus dem Pflegegeld (Entgelt für tatsächliche Ausgaben für das jeweilige Pflegekind) und
dem Erziehungsgeld (Anerkennung für den erzieherischen Einsatz) zusammensetzen. Bei
den Kosten der Erziehung handele es sich um Einnahmen der Pflegeperson. Sie seien daher
grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen. Der Erziehungsbeitrag sei jedoch eine
zweckgebundenen Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Leistungen nach dem
SGB II seien nur zu gewähren, wenn sie neben dem Erziehungsbeitrag gerechtfertigt seien.
Hierin liege ein deutlicher Unterschied zu den bisherigen Vorschriften des Sozialhilferechts.
Nach § 77 Abs. 1 des früher geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sei keine sog.
Gerechtfertigkeitsprüfung durchzuführen gewesen. Sobald der Erziehungsbeitrag die
hälftige Regelleistung übersteige, sei zu prüfen, ob daneben Leistungen nach dem SGB II
noch gerechtfertigt seien. In dem Fall, dass die Einnahmen die hälftige Regelleistung nicht
übersteigen würden, werde ohne weitere Prüfung davon ausgegangen, dass die
Gewährung von Leistungen nach dem SGB II noch gerechtfertigt sei.
Wie den Bescheiden des Jugendamtes zu entnehmen sei, habe die Klägerin zu 1) ab dem
01. April 2005 für die Kosten der Erziehung für die 4 Pflegekinder 202,00 Euro monatlich
pro Kind erhalten. Somit errechne sich ein Betrag in Höhe von 804,00 Euro monatlich. Da
der Erziehungsbeitrag die hälftige Regelleistung in Höhe 172,50 Euro (345,00 Euro : 2)
deutlich übersteige, sei die zusätzliche Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht
gerechtfertigt.
Aufgrund der Höhe der Einnahmen werde die Betreuung der Pflegekinder als
Erwerbstätigkeit betrachtet. Dies habe zur Folge, dass das Betreuungsentgelt als
monatliche Betriebseinnahme betrachtet werde. Die mit der Erziehung des Einkommens
verbundenen Betriebsausgaben seien pauschal in Höhe von 30 v. H. der
Betriebseinnahmen abzusetzen.
Daraus ergebe sich folgende Berechnung:
Erziehungsbeitrag
804,00
Euro
monatlich
abzüglich halbe Regelleistung von
172,50
Euro
monatlich
ergibt Zwischensumme von
631,50
Euro
monatlich
abzüglich 30 v. H. von 804,00 Euro =
241,20
Euro
monatlich
abzüglich Versicherungspauschale
30,00 Euro
monatlich;
demnach bereinigtes Einkommen
360,30
Euro
monatlich.
Abzüglich eines weiteren Freibetrages nach § 30 SGB II
in Höhe von
81,23 Euro
ergebe sich ein anzusetzendes Einkommen von
279,07
Euro
Ferner
sei
das
Kindergeld,
welches
den
Anrechnungsbetrag
beim Pflegegeld übersteige, zu berücksichtigen.
Dies ergebe den Betrag von
518,25
Euro
Zudem sei das Kindergeld für die volljährige Tochter
der Klägerin zu 1) in Höhe von
154,00
Euro
zu berücksichtigen, was einen Gesamtanrechnungsbetrag
aus Kindergeld in Höhe von
672,25
Euro
ergebe.
Das anzurechnende Einkommen in Höhe von insgesamt 951,32 Euro übersteige den
Bedarf der Klägerinnen in Höhe von insgesamt 687,27 Euro monatlich (168,01 Euro +
519,26 Euro).
Selbst wenn man das Kindergeld für die volljährige Tochter außer Betracht lasse, ergebe
sich ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 797,32 Euro, welches den Bedarf in Höhe
von 687,27 Euro noch immer übersteige.
Mit weiterem Bescheid vom 07. Juni 2006 lehnte die Beklagte die weitere
Leistungsgewährung ab, wobei im beigefügten Berechnungsbogen der Zeitraum vom 01.
Mai bis 30. September 2006 berücksichtigt wurde. Nach dem Auszug von Ma. im
November 2006 zog im März 2007 Ja. als weiteres Pflegekind zu den Klägerinnen. Im Mai
bzw. Juni 2006 zogen dann M. und J. aus. Mit Bescheid vom 07. September 2009 erfolgte
erstmals die Leistungsgewährung ab September 2007.
Gegen den Bescheid vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07. November 2005 haben die Klägerinnen am 01. Dezember 2005 Klage vor dem
Sozialgericht für das Saarland (SG) erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass
das Erziehungsgeld kein Einkommen darstelle, sondern eine zweckgebundene Einnahme
sei. Das Pflegegeld und damit auch der sogenannte Erziehungsbeitrag habe der
Sicherstellung des notwendigen Unterhaltes der Kinder gedient und habe nicht der freien
Verfügbarkeit der Pflegemutter unterlegen. Der Erziehungsgeldanteil sei auch nicht so
hoch, dass daneben keine Leistungen mehr nach dem SGB II auszuzahlen wären. Die
Praxis der Beklagten, den Erziehungsbeitrag nur dann anzurechnen, soweit er die hälftige
Regelleistung übersteige, sei willkürlich und damit rechtswidrig. Aus § 1 WoGG ergebe sich
auch keine Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II gegenüber dem Wohngeld.
Mit Urteil vom 20. März 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das
SG darauf abgestellt, der Erziehungsbeitrag sei zwar nicht als Einkommen auf den Bedarf
der Klägerinnen anzurechnen. Die Klägerinnen seien aber darauf zu verweisen, den
ungedeckten Bedarf durch den Bezug von Kinderzuschlag nach § 6a des
Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zu decken.
Gegen das den Klägerinnen am 30. März 2006 zugegangene Urteil haben sie am 20. April
2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass der Klägerin zu 1)
Wohngeld bewilligt worden sei. Das sei bei der Prüfung der Leistungsbewilligung nach dem
SGB II berücksichtigt worden. Die Berechnung des Kinderzuschlages im Urteil des SG sei
falsch, da dort das bewilligte Wohngeld nicht berücksichtigt werde. Im Verfahren S 11 KG
7/06 gegen die Beigeladene bzgl. des Kinderzuschlags vor dem SG sei darauf hingewiesen
worden, dass ohne Berücksichtigung des Erziehungsbeitrages bereits nicht die
Mindesteinkommensgrenze (MEG) für den Kinderzuschlag erreicht werde. Die Berechnung
im Urteil berücksichtige auch den Mehrbedarf für Alleinerziehung nicht. Ebenso seien die
monatlichen Aufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 139,24 Euro
für sie, die Klägerin zu 1), zu berücksichtigen, da sie diese selbst tragen müsse, weil sie
kein Alg II beziehe. An zwei der Kinder werde das Kindergeld jetzt selbst ausgezahlt.
Mangels Professionalität der Betreuung sei keine Gerechtfertigkeitsprüfung bzgl. der
Anrechnung des Erziehungsbeitrages durchzuführen, sondern die Anrechnung habe zu
unterbleiben. Bis zu drei Kinder dürften von jeder Privatperson betreut werden, ohne dass
es hierzu überhaupt gesetzliche Vorgaben gebe. Sie, die Klägerin zu 1), betreibe die Pflege
der zeitweise anvertrauten Kinder keinesfalls derart professionell, dass die Tätigkeit als
dauerhafte Erwerbsquelle anzusehen wäre. Die bewohnten Räumlichkeiten seien noch nie
derart ausgestattet gewesen, dass von einer professionell betriebenen Pflegeeinrichtung
gesprochen werden könne. Anfang der 90-iger Jahre habe sie mit ihrem damaligen
Ehemann im eigenen Einfamilienhaus gewohnt, als sie das erste Pflegekind, Ma.,
aufgenommen habe. Bei diesem Pflegekind habe es sich zudem noch um ihr eigenes
Patenkind gehandelt. Es sei zu diesem Zeitpunkt immer angedacht gewesen, dass das
Kind nach dem Drogenentzug der Mutter wieder zu dieser zurückkehren solle. Zu diesem
Zeitpunkt sei sie, die Klägerin zu 1), beim Jugendamt auch lediglich als Bereitschafts- und
Kurzzeitpflegestelle gelistet gewesen, eine Vollzeitpflege sei nicht angedacht gewesen.
Nach der Scheidung habe sie mit dem Pflegekind und den eigenen drei Kindern das
angemietete Haus bezogen. Sie habe damals ergänzend, zuerst nur für die kurze Zeit der
Bereitschaftspflege, die Geschwister Sa. und J. bei sich aufgenommen, die sie dann wieder
für ein Jahr verlassen hätten und erst danach wieder zurückgekehrt seien. Zu diesem
Zeitpunkt habe sie den Kindern ihr Schlafzimmer überlassen und auf der Couch geschlafen.
M. und ihre leibliche Tochter Ju. hätten sich ein Kinderzimmer geteilt. Aufgrund der
verwandtschaftlichen Beziehung, vor allem aber aus ihrer moralischen und menschlichen
Verpflichtung heraus, sei ihr gar keine Wahlfreiheit verblieben. Zu den Kindern seien
mittlerweile familiäre Beziehungen entstanden. Sie betreue diese Kinder seit vielen Jahren.
Sie betreibe gerade keine professionelle Pflegeeinrichtung, in welche sie ständige
wechselnde Pflegekinder aufnehme.
Weiterhin trägt sie vor, sie habe das Kindergeld für ihre volljährige Tochter nie erhalten.
Dies könne mit Dauerüberweisungsaufträgen belegt werden. Spätestens bei der
Systematik der Wohngeldberechnung und der Anrechnung als Einkommen komme man
auch zu dem Ergebnis, dass das Wohngeld in Höhe von 487,00 Euro pro Monat für 7
Personen bewilligt worden sei, der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft und die KdUH jedoch
lediglich nach einem Zweipersonenhaushalt berechnet würden. Insofern käme allenfalls
eine 2/7-Anrechnung des bezogenen Wohngeldes in Betracht, mithin ein Betrag in Höhe
von 139,14 Euro pro Monat.
Die Klägerinnen haben weiter vorgetragen, dass auf das Pflegegeld für ein Pflegekind 77,00
Euro Kindergeld angerechnet worden seien, was bislang nicht berücksichtigt worden sei.
Die Klägerinnen beantragen,
1. das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 20. März 2006
aufzuheben,
2. den Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2005 aufzuheben,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihnen, den Klägerinnen, Leistungen
nach dem SGB II gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ohne
Anrechnung des an die Klägerin zu 1) gezahlten Erziehungsbeitrages
zu gewähren, und zwar für die Zeit vom 09. September 2005 bis
30. April 2006.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass unter Berücksichtigung der Entscheidung des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 29, März 2007 im Verfahren B 7b AS 12/06 R die
Anrechnung des Erziehungsbeitrages als Einkommen aufgrund der professionellen
Betreuung der Pflegekinder erfolgen müsse. Nach telefonischer Auskunft des Zeugen
Wilhelm, Kreisjugendamt Neunkirchen, der die Situation der Klägerinnen seit Jahren kenne,
betreue die Klägerin zu 1) seit Anfang der 90-iger Jahre Kinder im Rahmen der
Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII. Bis auf kurzfristige Unterbrechungen betreue sie 4 Kinder
in Vollzeitpflege. Nach Ausscheiden eines Kindes sei sie auch stets um die Wiederbesetzung
des Pflegeplatzes bemüht, da sie offensichtlich auf die Einnahmen aus ihrer Pflegetätigkeit
angewiesen sei. Sie sei hauptberuflich Pflegeperson. Die Pflegekinderzahl von 4 werde nicht
überschritten, da sie ansonsten als Einrichtung gelte und dann eine Genehmigung des
Landesjugendamtes benötige. Sie verfüge auch über die räumlichen Voraussetzungen, um
eine entsprechende Anzahl von Pflegekindern zu betreuen. Sie habe ein Einfamilienhaus mit
einer Wohnfläche von 120 Quadratmetern angemietet. Da die Klägerin zu 1) die Betreuung
von Pflegekindern derart professionell betreibe, sei hier eine Gerechtfertigkeitsprüfung im
Sinne des Gesetzes eben gerade nicht entbehrlich, weil die Betreuung von Pflegekindern für
sie eine dauerhafte Erwerbsquelle darstelle. In diesem Zusammenhang werde auch auf die
Regelung in § 11 Abs. 4 in der ab dem 01. Januar 2007 geltenden Fassung des SGB II
verwiesen. Hier komme ganz klar der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, dass der
Erziehungsbeitrag ab dem dritten Pflegekind als Einkommen berücksichtigt werden solle.
Die derart intensive Pflegekinderbetreuung der Klägerin zu 1) lasse die Frage aufkommen,
wie daneben noch eine Erwerbstätigkeit möglich sein solle. Sie sei faktisch an der
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert. Der geplante Nebenerwerb ,,Video Werkstatt‘‘
sei bisher nicht zum Tragen gekommen, weil sie nach eigener Aussage wegen einer
Häufung unvorhersehbarer Ereignisse mit den Pflegekindern keine Aufträge angenommen
habe.
Weiterhin sei das Kindergeld für die volljährige Tochter Ju. dem Einkommen der Klägerin als
Kindergeldberechtigte zuzuordnen, da Ju. in deren Haushalt lebe. Dies gelte nur dann nicht,
wenn das Kindergeld an ein nicht im Haushalt lebendes volljähriges Kind weitergeleitet
werde. Das gezahlte Wohngeld sei bei der bisherigen Berechnung überhaupt nicht
berücksichtigt worden. Dennoch habe sich ein übersteigendes Einkommen ergeben.
Die Klägerin zu 1) hat ein Schreiben des Zeugen Kümmel, Amtsleiter Kreisjugendamt
Neunkirchen, vom 22. Februar 2008 zu den Akten gereicht. Darin heißt es wörtlich: ,,…
bestätige Ihnen hiermit, nach Rücksprache mit Herrn Ma. W., dass Sie beim
Kreisjugendamt nicht als professionelle Pflegestelle geführt werden. Des Weiteren bestätige
ich Ihnen, dass sie nicht hauptberuflich als Pflegeperson arbeiten. Im Übrigen gehen wir,
wie die Finanzbehörden davon aus, dass eine Pflegestelle erst dann gewerblich geführt ist,
wenn mehr als 5 Kinder in der Pflegestelle betreut und versorgt werden. Die an Sie
gezahlten Pauschalen sind ausschließlich zum Zwecke der Abdeckung der erhöhten
Aufwendungen für die einzelnen Pflegekinder gedacht. Hierunter fallen die Aufwendungen
für Fahrten zu Therapeuten und Psychologen, zum Krankengymnasten und Ärzten und
Aufwendungen für Betreuung Ihrer restlichen Pflegekinder bei Ihrer Abwesenheit bei
Arztterminen usw.‘‘
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Kopien aus dem Aktenheft der
Beklagten im Verfahren S 11 KG 7/06 verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden. Da
die Klägerin zu 1) nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2010
das alleinige Sorgerecht für die Klägerin zu 2) innehat, konnte die Klägerin zu 2) auch allein
vertreten durch ihre Mutter den Prozess führen (§ 71 Sozialgerichtsgesetz , § 36
Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil - , § 1629 Bürgerliches
Gesetzbuch ).
Streitgegenständlicher Zeitraum des vorliegenden Berufungsverfahrens ist der Zeitraum
vom 09.September 2005 bis April 2006. Zwar hat die Beklagte mit Bescheid vom 05.
Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2005
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II insgesamt versagt. In
solchen Fällen ist in der Regel über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) zu entscheiden.
Hier liegt der Fall jedoch anders. Auf den Folgeantrag der Klägerinnen vom 28. April 2006
hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 7. Juni 2006 erneut die Leistungsgewährung
verneint, wobei in der Anlage zu diesem Bescheid auf die Monate Mai bis September 2006
Bezug genommen wurde. Mit der Erteilung des Bescheides vom 7. Juni 2006 endet der
Zeitraum, für den die erste ablehnende Entscheidung Wirkung entfaltet. Die Einbeziehung
der neuen Bescheide kommt für Folgezeiträume des Arbeitslosengeldes II ohnehin
regelmäßig nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007, Az. B 14/11b AS 59/06,
veröffentlicht unter www.juris.de). Letzteres gilt auch dann, wenn durch den neuen
Bescheid die alte - ablehnende - Rechtsauffassung lediglich bestätigt wird. Im Übrigen
haben die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung klargestellt, dass es ihnen nur
um den Zeitraum vom 09. September 2005 bis April 2006 geht.
II.
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerinnen sind durch den angefochtenen Bescheid
vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. November
2005 beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Den Klägerinnen steht in der Zeit
vom 09. September 2005 bis April 2006 ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II
ohne Anrechnung des sog. Erziehungsbeitrages zu.
Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung
erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben (ab dem 01.01.2008: die Altergrenze nach § 7a noch
nicht erreicht haben),
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).
Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer
Bedarfsgemeinschaft leben (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sowie die dem Haushalt angehörenden minderjährigen
unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, soweit sie nicht
aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts beschaffen können (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II in der bis zum 30. Juni
2006 geltenden Fassung).
Hilfebedürftig ist gem. § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in
Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen
nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht
1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit,
2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen
sichern kann und erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder
von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und
Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei minderjährigen unverheirateten Kindern,
die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die
Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder
Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder
des Elternteils zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte
Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft
im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 SGB II
in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung – ab dem 01. Juli 2006 fällt in Satz 2 das
Wort ,,minderjährigen’’ weg).
Unter Berücksichtigung dieser Regelungen bildeten allein die Klägerinnen im genannten
Zeitraum eine sog. Bedarfsgemeinschaft.
Zur Ermittlung des Bedarfs der Klägerinnen war zunächst auf die nach § 20 zu
berücksichtigende Regelleistung sowie die bei den Klägerinnen anteilig mit 2/7
anzuerkennenden KdUH gem. § 22 SGB II abzustellen.Nutzen Hilfebedürftige eine
Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören,
so sind die Kosten hierfür im Regelfall unabhängig von Alter oder Nutzungsintensität anteilig
pro Kopf aufzuteilen. Die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere
Familienmitglieder lässt in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung
ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für diese Wohnung nicht zu. Anhaltspunkte für
einen Sonderfall, der eine vom Prinzip der Aufteilung nach "Kopfzahl" abweichende
Aufteilung rechtfertigen würde, sind vorliegend nicht ersichtlich (vgl. BSG, Urteil vom
31.10.2007, Az. B 14/11b AS 7/07 R und Urteil vom 27. Januar 2009, Az. B 14/7b AS
8/07 R, beide veröffentlicht unter www.juris.de; die zuletzt genannte Entscheidung bezieht
sich konkret auch auf den Fall der Aufnahme von Kindern zur Vollzeitpflege in den
Haushalt).
Bei der Ermittlung der Regelleistung ist auf die gesetzlich vorgeschriebenen Beträge von
345,00 Euro und 207,00 Euro zurückzugreifen. Denn das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) hat auch in der jüngsten Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der
Regelleistung ausdrücklich festgehalten, dass bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung die
bislang geltenden Beträge weiterhin anwendbar bleiben und damit auch anzuwenden sind
(vgl. die Pressemitteilung Nr. 5/2010 vom 09. Februar 2010, veröffentlicht unter www.
bundesverfassungsgericht.de).
Bei der Klägerin zu 1) ist zudem ein Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von 124,20
Euro gem. § 21 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen. Der Mehrbedarf wegen Alleinerziehung ist
auch bei Pflege und Erziehung von Kindern zu berücksichtigen, mit denen der Begünstigte
keine Bedarfsgemeinschaft bildet. Es kommt allein auf das Zusammenleben in einer
Haushaltsgemeinschaft an. Der Berücksichtigung des Mehrbedarfs steht schließlich die
Gewährung von Leistungen nach § 39 SGB VIII nicht entgegen. Dem Gesetz lässt sich kein
Anhalt dafür entnehmen, dass die Gewährung eines Erziehungsbeitrages nach § 39 Abs. 1
Satz 2 SGB VIII den Mehrbedarf wegen Alleinerziehung schon dem Grunde nach entfallen
lässt (BSG, Urteil vom 27. Januar 2009, Az. B 14/7b AS 8/07 R, aaO mit weiteren
Nachweisen, insbesondere auf die wohl abweichende Meinung im Beckschen Online-
Kommentar).
Die Kosten der Unterkunft betragen je Klägerin jeweils 1/7 von 700,00 Euro Kaltmiete,
97,50 Euro Nebenkosten und 165,00 Euro Heizkosten, was die Beträge von 100,00 Euro,
13,93 Euro und 23,57 Euro ergibt. Von dem Betrag von 23,57 Euro für die Heizkosten ist
für die Kosten der Warmwasserbereitung für die Klägerin zu 1) ein Betrag von 6,22 Euro
und für die Klägerin zu 2) von 3,73 Euro abzuziehen (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008,
Az. B 14/11b AS 15/07 R, veröffentlicht unter www.juris.de). Die klägerseits auf Bl. 91 der
Gerichtsakte geänderten Angaben zu den KdUH sind mangels Vorlage von Belegen zu
unsubstantiiert, um berücksichtigt werden zu können. Es wurde dazu lediglich vorgetragen,
die bislang berücksichtigten Kosten seien ,,wahrscheinlich’’ falsch, ohne konkret
anzugeben, wie sich die Beträge im Einzelnen verändert haben.
Der Bedarf der Klägerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum beträgt danach:
- Bedarf der Klägerin zu 1):
345,00 Euro + 124,20 Euro + 131,28 Euro = 600,48 Euro
- Bedarf der Klägerin zu 2):
207,00 Euro + 133,77 Euro =
340,77 Euro
- Gesamtbedarf:
941,25 Euro
Diesem Gesamtbedarf stand gem. § 11 SGB II allerdings Einkommen gegenüber, das bei
der Leistungsbewilligung zu berücksichtigen war.
Gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind grds. alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert als
Einkommen zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des Einkommens aus
nichtselbstständiger Arbeit ist zunächst von den Bruttoeinnahmen auszugehen und davon
sind die gesetzlich vorgeschriebenen Abzüge vorzunehmen (§ 11 Abs. 2 SGB II). Laufende
Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 13 SGB II i.V.m. §
2 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur
Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld,
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - ALG II-V).
a) Anrechnung des Kindergeldes
Bei der Berechnung war zunächst das bei den Klägerinnen zu 1) und 2) nach den
gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigende Kindergeld bedarfsmindernd zu
berücksichtigen. Auch das für Pflegekinder ausgezahlte Kindergeld ist grundsätzlich als
Einkommen des Kindergeldberechtigten heranzuziehen, soweit es nicht gem. § 39 Abs. 6
SGB VIII bei der Berechnung des Pflegegeldes auf den Bedarf des Kindes angerechnet wird.
Dies folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden
Fassung. Danach ist das Kindergeld für minderjährige Kinder bei dem jeweiligen Kind
anzurechnen, soweit es bei diesem minderjährigen Kind zur Sicherung des
Lebensunterhalts benötigt wird. Im Übrigen verbleibt es bei der Anrechnung als Einkommen
des (Pflege-)Elternteils. Aus dem Zweck des Kindergeldes folgt entgegen der klägerischen
Auffassung keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als Einkommen des Kindes.
Nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 31, 62 ff. des Einkommen-
steuergesetzes (EStG) fallen wegen eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger
Steuern an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie und es fließt in
dieser Höhe Einkommen zu. Zweck des Kindergeldes ist es mithin, die steuerliche
Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu
bewirken (§ 31 EStG). Mit diesem Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst (vertreten
durch die Eltern) als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums gewährt,
sondern es bleibt der Teil des Einkommens der Eltern steuerfrei, den diese zur
Existenzsicherung ihres Kindes benötigen. Eine Steuerfreistellung kann zu einem höheren
Nettoeinkommen des Anspruchsberechtigten, nicht dagegen zu Einkommen des Kindes
selbst führen, für das Kindergeld gewährt wird. Dabei ergibt sich keine Besonderheit
daraus, dass die im Haushalt lebenden Kinder als Pflegekinder nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG
und nicht als leibliche Kinder berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 27. Januar 2009,
aaO).
Wird für vier und mehr Kinder Kindergeld gewährt, so ist der Gesamtbetrag gleichmäßig
auf alle Kinder aufzuteilen, hiervon jeweils der auf das Pflegegeld angerechnete Betrag
abzuziehen und die Differenz als Kindergeld zu berücksichtigen (Hengelhaupt in
Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, § 11 RN 312). Danach sind für jedes Kind im
vorliegenden Fall 166,50 Euro zu berücksichtigen.
aa) Klägerin zu 1):
- 166,50 Euro für Tochter Ju. (keine Berücksichtigung bei Ju. auch bei
Weiterleitung an diese, da volljährige Tochter, die im Haushalt lebt – §
11 Abs. 1 Satz 2 SGB II; vgl. auch BSG, B 4 AS 9/09 R, aaO, mit
weiteren Nachweisen)
- 166,50 Euro für Pflegekind M.R. abzüglich tatsächlich auf das
Pflegegeld angerechneter 77,00 Euro (wegen der Problematik der
Weiterleitung siehe oben)
- 166,50 Euro für Pflegekind Ma. abzüglich 38,50 Euro wegen der
Anrechnung auf das Pflegegeld
- 166,50 Euro für Pflegekind J. abzüglich 38,50 Euro s.o.
- 166,50 Euro für Pflegekind Sa. abzüglich 38,50 Euro s.o.
640,00 Euro
abzüglich der sog. Versicherungspauschale von 30,00 Euro (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 3
Nr. 1 Alg II-V; damit wurde insbesondere die auf Bl. 5 VA ausgewiesene
Wasserversicherung von wohl 121,00 Euro im Jahr abgedeckt);
sowie der Aufwendungen für die Kranken- und Pflegversicherung in Höhe von 131,34 Euro
(§ 11 Abs. 2 Nr. 3 a SGB II)/ bzw. abzgl. 5,00 Euro im Dezember/abzgl. 7,90 Euro wegen
Erhöhung Kranken- und Pflegeversicherung und 51,26 Euro Kfz-Haftpflichtversicherung ab
Januar 2006 =
für September bis November 2005
478,66 Euro,
für Dezember (- 5,00 Euro) also
473,66 Euro,
ab Januar (- 5,00 Euro -7,90 Euro – 51,26 Euro)
also
414,50 Euro.
- Klägerin zu 2):
166,50
Euro.
b) Anrechnung des Wohngeldes
69,57
139,14 Euro
es unerheblich, ob die Zahlung rechtmäßig oder rechtswidrig war (Hengelhaupt in
Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, § 11, RN 64 q).
c) Gesamteinkommen nach a) und b):
September bis November 2005:
478,66 Euro zzgl. 166,50 Euro zzgl. 139,14 Euro = 784,30 Euro
Dezember 2005:
473,66 Euro zzgl. 166,50 Euro zzgl. 139,14 Euro = 779,30 Euro
Januar bis April 2006:
414,50 Euro zzgl. 166,50 Euro zzgl. 139,14 Euro = 720,14 Euro
d) Die Differenz zwischen dem gleichbleibenden
Bedarf
von 941,25 Euro und
dem Einkommen von 784,30 Euro für September
bis
November 2005 =
156,95 Euro
und dem Einkommen von 779,30 Euro für
Dezember 2005 =
161,95 Euro
und dem Einkommen von 720,14 Euro für Januar
bis
April 2006 =
221,11 Euro
Ohne Anrechnung des Erziehungsbeitrages ergibt sich
ein Gesamtleistungsanspruch von
115,10 Euro
(= 156,95 : 30 x 22 anteilig für September 2005),
zweimal
156,95 Euro
(Oktober und November 2005)
161,95 Euro
(Dezember 2500)
und viermal
221, 11 Euro
(Januar bis April 2006)
=
1.475,39
Euro
Allerdings reduziert sich dieser Betrag gegebenenfalls um die Aufwendungen zur Kranken-
und Pflegeversicherung bei Übernahme der Beiträge für die im Falle des Leistungsbezugs
eintretende Versicherungspflicht der Klägerinnen in der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung nunmehr durch die Beklagte, sollte eine Rückzahlung der freiwilligen
Beiträge an die Klägerinnen noch möglich sein. (1.475,39 - 96,31 < = 131,34 : 30 x 22
für September> und dreimal 131,34 für Oktober bis Dezember und viermal 139,24 für
428,10 Euro Gesamtanspruch
d) Anrechnung des sog. Erziehungsbeitrages
Die Anrechnung des Erziehungsbeitrages als Einkommen im vorliegenden Fall ist nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gerechtfertigt.
Der 7b-Senat des BSG hat zu der Frage der Anrechnung des Erziehungsbeitrages als
Einkommen gem. § 11 SGB II in der Entscheidung vom 29. März 2007, Az. B 7b AS 12/06
R, wie folgt ausgeführt:
,,Die Qualifizierung des Erziehungsbeitrags nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII als nach § 11
SGB II nicht zu berücksichtigendes Einkommens folgt für den vorliegenden Fall aus § 11
Abs. 3 Nr. 1a SGB II (i.d.F. der Norm durch das Kommunale Optionsgesetz vom 30. Juli
2004 – BGBl. I 2014). § 11 Abs. 4 SGB II in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes
vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) ist hier demgegenüber noch nicht heranzuziehen. Nach §
11 Abs. 4 Nr. 1 SGB II n.F. wird "abweichend von den Absätzen 1 bis 3" des § 11 der Teil
des Pflegegeldes, der für den erzieherischen Einsatz gewährt wird, für das erste und
zweite Pflegekind nicht (als Einkommen) berücksichtigt. Da die Kläger im vorliegenden Fall
lediglich zwei Pflegekinder betreut haben (für drei und mehr Pflegekinder sieht § 11 Abs. 4
Nr. 2 und Nr. 3 SGB II a.F. eine teilweise bzw. vollständige Berücksichtigung des
Erziehungsbeitrages als Einkommen vor), wäre bei ihnen das Pflegegeld insgesamt nicht als
Einkommen zu berücksichtigen, wenn sich § 11 Abs. 4 Nr. 1 SGB II insoweit rückwirkende
Geltung beilegen würde oder vom Gesetzgeber ausdrücklich als Klarstellung der geltenden
Beides ist nicht der Fall.
gemäß Art. 16 Abs. 4 des Fortentwicklungsgesetzes erst zum 1. Januar 2007 in Kraft
getreten. In den Gesetzesmaterialien wird hierzu als Begründung angegeben, dass dieses
verzögerte Inkrafttreten "zur Vermeidung von Umsetzungsproblemen bei der
Bundesagentur für Arbeit" erforderlich sei (BT-Drucks 16/1410, S. 35 zu Art. 16). § 11
Abs. 4 SGB II n.F. ist daher erst mit Wirkung ex nunc ab dem 1. Januar 2007 anwendbar.
Der Gesetzgeber hat (anders als etwa im Rahmen der Neuregelung des § 7 durch das
Fortentwicklungsgesetz, vgl. BT-Drucks 16/1410 S. 19 zu Nr. 7) auf die zu § 11 Abs. 3 Nr.
1a SGB II ergangenen Entscheidungen der Sozialgerichte nicht Bezug genommen und auch
jede Festlegung dahingehend vermieden, ob es sich bei dem Erziehungsbeitrag immer
schon um eine zweckbestimmte Einnahme i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II gehandelt hat
(mit der Folge, dass die Neuregelung lediglich eine Klarstellung der geltenden Rechtslage
mit einer gleichzeitigen Verschlechterung für Pflegeeltern mit mehr als zwei Pflegekindern
darstellen würde) oder ob eine Neuregelung bezweckt wird mit dem Ziel, den
Erziehungsbeitrag entgegen der bisherigen Rechtslage erstmals von einer Berücksichtigung
als Einkommen i.S. des § 11 SGB II auszunehmen.
Trotz der fehlenden Festlegung des Gesetzgebers des Fortentwicklungsgesetzes war der
Erziehungsbeitrag auch vor Inkrafttreten des § 11 Abs. 4 SGB II nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a
SGB II zumindest in den Fällen, in denen nicht mehr als zwei Kinder in einer Familie erzogen
wurden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II bestimmt, dass
Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie als zweckbestimmte
Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die
Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem
Buch nicht gerechtfertigt wären. Das Pflegegeld nach § 39 SGB VIII einschließlich des
Erziehungsbeitrags dient einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Durch
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff SGB II soll (lediglich)
das soziokulturelle Existenzminimum der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sichergestellt
werden, wobei diese Leistungen gemäß § 3 Abs. 3 SGB II nur erbracht werden sollen,
soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Zweck der Leistung
ist mithin eine Basissicherung, solange und soweit ein an sich erwerbsfähiger
Hilfebedürftiger keine Arbeitsstelle finden kann, mit der er selbst seinen Unterhalt zu
decken in der Lage ist.
Das Pflegegeld nach § 39 SGB VIII ist hingegen Teil der Hilfe zur Erziehung und soll von
seiner Zweckrichtung her den Pflegekindern und nicht den Pflegeeltern, um deren
existenzielle Sicherung nach dem SGB II es hier geht, zukommen. Nach § 27 Abs. 1 SGB
VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines
Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder
des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet, die Hilfe für seine
Entwicklung geeignet und notwendig ist. Die Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach
Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Art und Umfang
der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere
soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden (§ 27 Abs. 2 Satz 2
SGB VIII). Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und dem
Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen
sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der
Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete
Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten (§ 33 Satz 1 SGB VIII). Im
Rahmen dieser Hilfe ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen
außerhalb des Elternhauses sicherzustellen, der auch die Kosten der Erziehung umfasst (§
39 Abs. 1 SGB VIII). Wird ein Kind nach § 33 SGB VIII in Vollzeitfamilienpflege betreut, so
erhält die Pflegeperson Leistungen zum Unterhalt des Kindes nach § 39 SGB VIII. Pflegegeld
erhält die Pflegeperson Leistungen zum Unterhalt des Kindes nach § 39 SGB VIII. Pflegegeld
und Erziehungsbeitrag stellen zusammen den notwendigen Unterhalt nach § 39 Abs. 1
Satz 1 SGB VIII dar. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begründet hierbei keinen selbständigen
Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt, sondern einen sog. Annex-Anspruch.
Anspruchsinhaber ist entweder der Personensorgeberechtigte oder der Minderjährige
selbst, was aber im Einzelnen streitig ist. Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass der
Anspruch im Fall der Vollzeitpflege nicht der Pflegeperson selbst zusteht.
Anspruchsinhaber waren daher im vorliegenden Fall die Personensorgeberechtigten der
Pflegekinder, allenfalls im Falle des § 35a SGB VIII unterfallenden Pflegekindes dieses selbst.
Die rechtliche Zuordnung bringt zum Ausdruck, dass die Gewährung des Pflegegeldes
einschließlich des Erziehungsbeitrages nicht den Zweck hat, das Einkommen der
Pflegeperson zu vermehren. Vielmehr ist der Betrag für die Kosten der Erziehung
notwendiger Unterhalt des Pflegekindes, was zur Folge hat, dass die Höhe des
Erziehungsbeitrages sich an dem Bedarf des Kindes ausrichten muss. Der Pauschalbetrag
zur Deckung der Kosten zur Erziehung in § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII umfasst danach die
gesamten Kosten, die für die Erziehungsstelle anfallen. Damit ist der Erziehungsbeitrag
nicht nur eine Anerkennung der Erziehungsleistung in ihrer ideellen Form, sondern deckt
(zumindest auch) Ausgaben ab, die der Erziehung dienen. Da die Erziehung außerhalb des
Elternhauses geleistet wird, ist auch die Erziehungsleistung kostenpflichtiger Bestandteil
des notwendigen Lebensunterhalts. Der Begriff der Kosten der Erziehung ist dabei bewusst
an die Terminologie des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts (§ 1610 Abs. 2 Bürgerliches
Gesetzbuch) angelehnt. Danach zählen zu den Kosten der Erziehung z.B. die Kosten, die
durch die Anschaffung von Sachen, die der Erziehung dienen (Spielzeug, Bücher,
Musikinstrumente, Sportgeräte usw), durch Dienste dritter Personen oder Einrichtungen
(etwa Musik- oder Nachhilfeunterricht) oder durch den Besuch von Theatern, Konzerten
etc. entstehen.
Schließlich spricht auch der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung dafür, den
Erziehungsbeitrag gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im SGB II nicht als Einkommen zu
behandeln. So sind nach einem Schreiben des Bundesministers der Finanzen an die
obersten Finanzbehörden der Länder vom 7. Februar 1990 die Erziehungsbeiträge
steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 1 Einkommensteuergesetz. Dies gilt allerdings nur,
soweit die Pflege auf Dauer angelegt und nicht erwerbsmäßig betrieben ist.
Erwerbsmäßigkeit wird angenommen, wenn Pflegegeld und Erziehungsbeitrag die
wesentliche Erwerbsgrundlage darstellen. Dies mag ein Grund für die Gesetzesneufassung
in § 11 Abs. 4 SGB II gewesen sein, kann im vorliegenden Fall bei der Betreuung von
lediglich zwei Kindern jedoch dahinstehen. Ebenso wurde im Sozialhilferecht der
Erziehungsbeitrag bislang nicht als Einkommen der Pflegeperson behandelt. Dies galt
sowohl zu § 77 Abs. 1 BSHG wie auch zur Nachfolgeregelung des § 83 SGB XII. Zutreffend
hat insofern bereits das Sozialgericht Schleswig (Beschluss vom 12. Januar 2006 - S 7 AR
37/05 ER) darauf hingewiesen, dass bei einer Behandlung des Erziehungsbeitrags als
Einkommen im SGB II eine Ungleichbehandlung gegenüber Pflegekindern entstehen würde,
die in Familien lebten, die im Leistungsbezug nach dem SGB XII stünden. Zutreffend hat
das SG hier in seiner erstinstanzlichen Entscheidung auch ausgeführt, dass eine
Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags als Einkommen dazu führt, dass der dem
Pflegekind zur Verfügung stehende Geldbetrag geschmälert wird. Der Erziehungsbeitrag
verfolgt damit einen anderen Zweck als die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II. Er dient gerade nicht dazu, den Basis-Unterhalt der Pflegepersonen
sicherzustellen. Auch die nach allgemeiner Ansicht im Erziehungsbeitrag enthaltene
"Anreizfunktion" dient nicht vorrangig dem Zweck, den Lebensunterhalt der pflegenden
Personen sicherzustellen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien zum SGB VIII wollte der
Gesetzgeber durch die verbesserten materiellen Leistungen für Pflegekinder im SGB VIII
breitere Bevölkerungsschichten zur Aufnahme von fremden Kindern motivieren (BR-Drucks
503/89, S. 73). Diese Anreizfunktion des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII beizubehalten ist
auch bei Personen, die im SGB II-Leistungsbezug stehen, geboten. Die Pflegefamilien sollen
generell - auch - einen wirtschaftlichen Anreiz haben, Pflegekinder aufzunehmen.
Aus der soeben aufgezeigten Zielsetzung des Erziehungsbeitrags gemäß § 39 Abs.1 Satz 2
SGB VIII folgt zugleich, dass - jedenfalls bei der Betreuung von lediglich zwei Kindern - eine
"Gerechtfertigkeitsprüfung" gemäß § 11 Abs. 3 SGB II im Regelfall ausscheidet. Geht man
davon aus, dass der Erziehungsbeitrag wesentlich eine staatliche Leistung an das
Pflegekind ist, die dazu dienen soll, diesem vermittelt über eine geeignete Pflegefamilie zur
Reintegration in die Gesellschaft zu verhelfen, so ist jedenfalls im vorliegenden Fall eine
Prüfung, ob daneben der Bezug von Leistungen nach dem SGB II gerechtfertigt sein
könnte, entbehrlich. Etwas anderes mag für den Fall gelten, in dem (auch im Sinne der
steuerrechtlichen Regelungen) die Betreuung von Pflegekindern derart professionell
betrieben wird (von der Anzahl der Pflegekinder und der Einrichtung des Hauses her), dass
die Betreuung von Pflegekindern eine dauerhafte Erwerbsquelle für die Pflegeperson
darstellt. Dies kann jedoch im vorliegenden Fall dahinstehen.’’
Diese Auffassung hat der 4. Senat des BSG in der Entscheidung vom 01. Juli 2009, Az. B 4
AS 9/09 R, grundsätzlich geteilt. Er schreibt jedoch, bei einer Pflege von mehr als zwei
Kindern könne davon ausgegangen werden, dass die Grenzen der Erwerbsmäßigkeit
überschritten würden. Nach Auffassung des Senats kann aufgrund der vorstehenden
Ausführungen zu der Entscheidung vom 29. März 2007 aus dieser Entscheidung der
aufgezeigte Rückschluss gerade auch im Hinblick auf die dargestellte Regelung im
Steuerrecht nicht gezogen werden, weshalb zur Frage der Erwerbsmäßigkeit der
Pflegetätigkeit Beweis zu erheben war.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass die
Betreuung der Pflegekinder im vorliegenden Fall nicht derart professionell betrieben wurde,
dass sie eine dauerhafte Erwerbsquelle der Pflegeperson darstellte.
Hierbei war für den Senat entscheidend, dass über Jahre in Vollzeitpflege lediglich die Kinder
M., Ma., J. und Sa. sowie zuletzt noch Ja. von der Klägerin zu 1) betreut wurden. Sa. und Ja.
wohnen auch weiterhin bei den Klägerinnen. Zu den anderen drei ehemaligen Pflegekindern
besteht weiterhin Kontakt, zumindest über das Internet. Wie die Klägerin zu 1) glaubhaft in
der mündlichen Verhandlung bekundet hat, sind die Kinder für sie wie ihre eigenen Kinder.
M. sagt auch ,,Mama’’ zu ihr. Für J. und Sa. wurde der Klägerin zu 1) auch die
Vormundschaft übertragen. All dies zeigt, dass kein ständiges ,,Auswechseln’’ der Kinder
erfolgte, sondern sie dauerhaft in die Familie integriert wurden, was wiederum gegen
vorrangige erwerbswirtschaftliche Ziele der Betreuung der Pflegkinder spricht.
Auch schilderte die Klägerin zu 1) überzeugend, warum die J. aus gesundheitlichen Gründen
nicht weiter bei ihr wohnen kann und dass sie aufgrund ihres Alters nach der Ja. auch keine
weiteren Kinder mehr aufnehmen wollte. Wäre für die Klägerin allerdings bei der Betreuung
die Schaffung einer Einnahmequelle entscheidend gewesen, hätte sie für beide Kinder
sicherlich umgehend nach Ersatz gesucht.
Dass dies gerade nicht der Fall war, wurde auch durch die Angaben der Zeugin Mohns
bestätigt. Sie erklärte im Rahmen ihrer Vernehmung, die Klägerin zu 1) habe zwar
gegenüber dem Jugendamt ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Pflegekindern signalisiert,
habe andererseits aber nach der Zuweisung von Ja. auch keine konkreten Nachfragen bzgl.
der Aufnahme weiterer Kinder in ihren Haushalt mehr gestellt.
Zudem erklärte die Zeugin Ch.-Sch., dass die Klägerin zu 1) kein Kontingent gehabt habe,
das seitens des Jugendamtes aufzufüllen gewesen wäre. Auch der weitere Zeuge aus dem
Bereich des Jugendamtes, der Zeuge Wi., erklärte letztlich, dass die Klägerin zu 1)
überhaupt nicht über die Ausbildung verfüge, die erforderlich gewesen sei, um für eine
berufliche Vollzeitpflege in Betracht zu kommen. Ein entsprechender Vertrag sei mit ihm
nicht geschlossen worden. Dieser hätte die Zusicherung enthalten, dass eine Bezahlung
auch bei Nichtbelegung einer Stelle erfolgt.
Ferner sprechen die räumlichen Gegebenheiten, in denen die Klägerinnen und die
Pflegekinder wohnten bzw. wohnen, gegen die Annahme einer professionellen
Erwerbstätigkeit durch die Betreuung der Kinder. Denn bei dem bewohnten Hausanwesen
handelt es sich um ein reines Wohnhaus. Es wurde in Eigenregie ausgebaut, damit jedes
der Kinder ein Zimmer hatte. Die Klägerin zu 1) selbst schläft im Wohn-/Esszimmer. Auch
ist lediglich ein Bad vorhanden. Sog. ,,Gemeinschaftsräume’’, die für eine heimähnliche
Ausrichtung sprechen könnten, fehlen vollständig.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen war nach Auffassung des Senats die Anrechnung
des Erziehungsbeitrages als Einkommen im Rahmen des SGB II auf den Anspruch der
Klägerinnen nach dem SGB II nicht möglich.
Da damit auch die MEG für die Gewährung des Kinderzuschlages nicht erreicht wird,
scheidet diese Leistung als vorrangige Leistung aus.
Kinderzuschlag erhalten nach § 6a Abs. 1 BKGG Personen für in ihrem Haushalt lebende
Kinder, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, wenn 1. sie für diese Kinder
nach dem BKGG oder dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes Anspruch auf
Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen i.S. von § 4 BKGG haben, 2. sie mit
Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen iS der §§ 11, 12 SGB II
mindestens in Höhe des nach Abs. 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrags und höchstens
in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2
verfügen und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden
wird.
Die Klägerin zu 1) bezieht zwar Kindergeld im dargelegten Umfang (§ 6a Abs. 1 Nr. 1
BKGG). Sie verfügt jedoch mit Ausnahme des Wohngeldes nicht über Einkommen im Sinne
des § 11 SGB II mindestens in Höhe des nach § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG für sie
maßgebenden Betrags (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG). Der maßgebende Betrag bestimmt sich
nach § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG aus dem Arbeitslosengeld II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II
ohne Berücksichtigung von Kindern. Hieraus folgt: Es ist bei der Berechnung des
Kinderzuschlags in einem ersten Rechenschritt die sogenannte MEG für denjenigen zu
ermitteln, der den Anspruch auf Kinderzuschlag geltend macht. Decken die Einkünfte des
Anspruchstellers i.S. des § 11 SGB II seinen eigenen Bedarf an Alg II - also ohne Bedarf der
Kinder -, kann ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehen. Zu ermitteln ist demnach das
Einkommen des Anspruchstellers nach § 11 SGB II und dieses ist alsdann dem Bedarf nach
§ 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG gegenüberzustellen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, Az. B 14/11 b
AS 11/07 R, veröffentlicht unter www.juris.de).
Es ergibt sich folgende Berechnung:
Einkommen der Klägerin zu 1): 478,66 Euro/ 473,66 Euro/414,50 Euro (vgl. oben);
Bedarf Klägerin zu 1) bzw. MEG: 345,00 Euro zuzüglich 371,01 Euro (= 39,94 % von
928,92 Euro <700,00 Euro zzgl. 97,50 Euro und 165,00 Euro abzüglich 3x 6,22 Euro und
4x 3,73 Euro als Kosten der Warmwasserbereitung>) =
716,01
Euro
(vgl. § 6a Abs. 4 Satz 2 BKKG- Existenzminimumbericht für 2005 – vgl.
www.arbeitnehmerkammer.de).
Die MEG wird also nicht erreicht.
Der Berufung war daher stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
IV.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.