Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 10.01.2008
LSG Rpf: wiedereinsetzung in den vorigen stand, die post, vorläufiger rechtsschutz, firma, wohnung, haus, briefkasten, zustellung, bekanntgabe, auflage
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 10.01.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Speyer S 11 ER 463/07 KR
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 ER 319/07 KR
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 16.10.2007 wird als
unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 26.3.2007 bis zum 31.7.2007 im Wege des
vorläufigen Rechtsschutzes. Die Antragsgegnerin hält einen Anspruch nicht für gegeben, weil er nach § 48 Abs 2
Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgeschlossen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat den am 8.10.2007 gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz durch Beschluss vom
16.10.2007 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es fehle an dem für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund. Ein solcher sei vom Antragsteller nicht dargetan, da dieser lediglich die
einstweilige Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit begehre und durch die von ihm derzeit und im Zeitraum
vom 26.3.2007 bis zum 31.7.2007 bezogenen Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld –
Alg II) abgesichert sei.
Das SG hat die Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsteller durch die R Pfalz GmbH & Co KG veranlasst.
Der Zusteller E hat unter dem 17.10.2007 in der Postzustellungsurkunde bescheinigt, er habe dem Antragsteller das
Schriftstück zu übergeben versucht. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich gewesen sei,
habe er es in den zu dieser gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.
Am 24.11.2007 hat der Antragsteller gegen den Beschluss des SG Beschwerde eingelegt, der das SG nicht
abgeholfen hat. Der Antragsteller hat vorgetragen: Der Beschluss des SG vom 16.10.2007 habe am 30.10.2007
geöffnet in dem Gemeinschaftsbriefkasten des Hauses E straße 2, F , wo er, der Antragsteller, wohne, gelegen. Die
Firma D nehme aus verständlichen Gründen immer alle Post mit ins Haus. Damit komme es auch vor, dass er
manchmal erst nach mehreren Wochen an seine Post "rankomme". Hilfsweise beantrage er wegen einer etwaigen
Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ein Anordnungsgrund bestehe auch
deshalb, weil er, wenn die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin zuträfe, einem neuen Arbeitgeber mitteilen müsste,
dass er nach fachärztlicher Feststellung dauernd an einer Arbeit gehindert sei.
Der Antragsteller hat eine Erklärung von Herrn S von der Firma D vom 3.1.2008 vorgelegt, worin es heißt: Im Haus E
straße 2 sei es üblich, dass die gesamte, die Firma sowie die anderen Hausbewohner betreffende Tagespost von der
Firma "nach oben" genommen werde. Leider komme es vor, dass Herr D die Post erst nach einigen Tagen bearbeite
und dadurch für den Antragsteller bestimmte Post erst nach Tagen an diesen gelange. Nach Rücksprache mit Herrn D
solle die Post ab jetzt vorsortiert und für alle anderen Briefkastenmitbenutzer des Hauses im ersten Obergeschoss ein
Briefablagefach installiert werden.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig, da der Antragsteller die Beschwerdefrist nicht eingehalten hat. Nach § 173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim SG
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Da die Bekanntgabe am
17.10.2007 erfolgt ist, hätte die Beschwerde spätestens am 19.11.2007 (Montag) eingelegt werden müssen. Das
Beschwerdeschreiben des Antragstellers ist jedoch erst am 24.11.2007 beim SG eingegangen.
Vorliegend ist eine wirksame Bekanntgabe in Form der Zustellung (vgl § 133 Satz 2 SGG) erfolgt. Gemäß § 63 Abs 2
Satz 1 SGG iVm § 180 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann, wenn die Zustellung nach § 178 Abs 1 Nr 1 oder 2
ZPO nicht ausführbar ist, das Schriftstück in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche
Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen
Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Auch ein Sammelbriefkasten kann diese Voraussetzung grundsätzlich
erfüllen (Landesarbeitsgericht LAG Rheinland-Pfalz 12.7.2005 5 Sa 164/05; Hartmann in
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, Aufl.6 § 180 Rn 5; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl, § 56, Rn 34). Der
gegenteiligen Auffassung (HansOLG Bremen 28.2.2007 1 U 64/06b; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage § 180 Rn
3; zweifelnd Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage § 56 Rn 61) folgt der Senat nicht. Das
Tatbestandsmerkmal "zur Wohnung gehörig" in § 180 Satz 1 ZPO erfordert nach seinem Wortlaut nicht, dass der
Briefkasten allein zur Wohnung des Betreffenden gehört.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt. Diese setzt voraus, dass
jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 SGG). Daran fehlt
es im Falle des Antragstellers. Dessen Vortrag, die Firma D nehme aus verständlichen Gründen immer alle Post mit
ins Haus, genügt hierfür nicht. Da der Antragsteller angesichts der Rechtsnatur des vorliegenden Verfahrens als
vorläufiger Rechtsschutz mit einer baldigen Entscheidung über den Antrag durch das SG rechnen müsste, hätte er
rechtzeitig ausreichende Vorkehrungen dafür treffen müssen, dass ihn die an ihn gesandte Post erreichte (vgl LAG
Rheinland-Pfalz aaO). Dies hat er, wie aus der Erklärung von Herrn S hervorgeht, im hier fraglichen Zeitraum nicht
getan.
Unabhängig davon wäre die Beschwerde auch unbegründet. Insoweit verweist der Senat entsprechend § 153 Abs 2
SGG auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses. Für eine einstweilige Anordnung fehlt es an dem erforderlichen
Anordnungsgrund, weil der Antragsteller sowohl im Zeitraum vom 26.3.2007 bis zum 31.7.2007 als auch heute Alg II
bezieht und damit sein notwendiger Lebensunterhalt gesichert ist. Es ist ihm deshalb zumutbar, den Ausgang des
Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Ein Anordnungsgrund kann auch nicht damit begründet werden, der Antragsteller
müsse ohne die einstweilige Anordnung möglichen neuen Arbeitgebern mitteilen, er sei aus gesundheitlichen Gründen
an einer Arbeit gehindert. Ob den Antragsteller arbeitsrechtlich eine derartige Mitteilungspflicht trifft, kann offen
bleiben. Jedenfalls kann eine solche nicht die vorläufige Zahlung von Krankengeld für einen abgelaufenen Zeitraum
rechtfertigen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).