Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 10.06.2002
LSG Rpf: berufliche tätigkeit, innere medizin, entschädigung, universität, entstehung, berufskrankheit, aluminium, rauch, meinung, gefährdung
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 10.06.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Trier
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 2 U 268/98
1. Auf die Berufung der Beklagten und die Klage des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 23.9.1998
insoweit abgeändert, als der Tenor lautet: Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26.3.1997 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.1997 wird festgestellt, dass beim Kläger ein Versicherungsfall der
Quasi-Berufskrankheit vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen dieses Versicherungsfalls eine
Verletztenrente nach einer MdE von 20 % zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die weitergehende
Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. 3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu
erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob beim Kläger die Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) nach der Berufskrankheitenverordnung
– BKV - bzw einer wie eine BK zu entschädigenden Erkrankung vorliegen.
Der 1941 geborene Kläger arbeitete seit Mitte der 1950er Jahre (zuletzt seit April 1979 bei der Firma B GmbH in T )
als Metallbaufacharbeiter. Nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom Januar
1994 fielen bei dieser Tätigkeit hauptsächlich Zuschneide-, Schleif- und Schweißarbeiten, aber auch Klebe- und
Zusammenbauarbeiten an.
Die den Kläger behandelnde Lungenärztin Dr M aus Trier erstattete im Juni 1993 eine ärztliche Anzeige an die
Beklagte über eine BK beim Kläger, in der sie eine "Schweißerlunge" diagnostizierte, welche der Kläger auf berufliche
Einwirkungen von Schweißrauch und Zinkdämpfen zurückführe; die Beschwerden seien erstmals 1992 aufgetreten.
Die Beklagte holte ein Gutachten von Prof Dr S (mit Dr Z ) von der Abteilung für Innere Medizin V der
Universitätsklinik H /S vom September 1995 ein. Dieser hielt fest: Beim Kläger bestehe eine Lungenfibrose, deren
Ursache letztlich unklar sei. Zur weiteren Abklärung seien zusätzliche Untersuchungen erforderlich. Nach deren
Durchführung führte Prof Dr S im April 1996 aus: Die Exposition gegenüber Schweißrauchen müsse als wesentliche
Mitursache der Lungenfibrose des Klägers gewertet werden. Am Ehesten sei die BK Nr 4107 einschlägig. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 20 % einzuschätzen.
Der TAD der Beklagten vertrat in seinem Schreiben vom Mai 1996 die Auffassung, die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der BK Nr 4107 lägen nicht vor. Der Kläger habe in der Firma B keinen Umgang mit
Sinterhartmetallen, Aufschweißlegierungen, Aufspritzpulvern auf Karbidbasis und mit Schneidwerkzeugen aus
Hartmetallen gehabt.
Der Staatliche Gewerbearzt des Landes Rheinland-Pfalz Dr W legte in seinem Kurzgutachten vom August 1996 dar,
dem Gutachten von Prof Dr S werde zugestimmt, jedoch werde "eher" eine BK Nr 4106 angenommen. Der TAD der
Beklagten bejahte in seiner Stellungnahme vom Oktober 1996 die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme nach Aktenlage von Prof Dr O aus B vom Januar 1997.
Dieser führte aus: Aus der von Prof Dr S mitgeteilten Elementanalyse lasse sich nicht ohne weiteres ableiten, dass
der Kläger in hohem Maß gegenüber Aluminium exponiert gewesen sei. Weder aus der radiologischen
Befundbeschreibung noch aus den Ergebnissen der durchgeführten Elementanalyse lasse sich das Vorliegen einer
Aluminose überwiegend wahrscheinlich machen. Bezüglich der Elementanalyse werde vorgeschlagen, einen auf
diesem Gebiet besonders erfahrenen Untersucher Stellung nehmen zu lassen, wobei Prof Dr M (Direktor des
Pathologischen Instituts der Universität B ) vorgeschlagen werde.
Durch Bescheid vom 26.3.1997 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, weil eine BK gemäß Nr 4106 bzw Nr 4302
der Anlage zur BKV nicht vorliege und sich keine Hinweise dafür fänden, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers die
Lungenfibrose verursacht habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom
17.9.1997 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage des Klägers durch Urteil vom 23.9.1998 den angefochtenen Bescheid
aufgehoben und die Beklagte verurteilt, eine BK Nr 4106 anzuerkennen und nach einer MdE von 20 % zu
entschädigen. Zur Begründung hat es sich auf die Ausführungen von Dr M , Prof Dr S und Dr W gestützt.
Gegen dieses ihr am 5.10.1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 15.10.1998 beim Landessozialgericht (LSG)
Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung der Beklagten. Sie hat eine Stellungnahme von Prof Dr M (mit Dr M ) von der
Abteilung für Pathologie der Universität B vom Juli 1999 vorgelegt. Dieser hat das vorhandene Bronchoskopiematerial
untersucht und ausgeführt, dieses bestätige eine BK nach Nr 4106 oder 4107 nicht. Prof Dr M (mit Dr M ) hat im
Dezember 1999 ergänzend Stellung genommen. Er hat angemerkt, das Material sei nur eingeschränkt für die
Beurteilung, ob eine Hartmetall- bzw Aluminiumlunge vorliege, geeignet, da es sich um Bronchialbiopsiematerial und
nicht um alveolär gegliedertes Lungengewebe handele.
Prof Dr S (mit Dr W ) hat sich für den Senat im Mai 2000 geäußert. Er hat ausgeführt, die Diagnose einer
berufsbedingten Lungenfibrose sei aufgrund folgender Tatsachen gestellt worden: mit einer Lungenfibrose vereinbares
klinisches Beschwerdebild, Vorhandensein typischer röntgenmorphologischer Veränderungen, Nachweis passender
lungenfunktionsanalytischer Veränderungen, eindeutiger qualitativer Nachweis von Schwermetallen aus dem
Bronchusbiopsiematerial, Ausschluss anderer relevanter Ursachen für eine Lungenfibrose. Beim Kläger sei von einer
ausgesprochenen Mischstaubablagerung auszugehen.
Der Kläger hat einen Röntgenbefund von Dr K von den Vorsorge- und Rehabilitationskliniken Höchenschwand vom
Mai 2000 vorgelegt. Die Beklagte hat eine Stellungnahme von Prof Dr O vom Juli 2000 in das Verfahren eingebracht.
Darin hat dieser ausgeführt, zur Bestätigung einer berufsbedingten Lungenfibrose sei die Durchführung einer
transbronchialen Lungenbiopsie oder besser einer offenen Lungenbiopsie erforderlich. Auf Veranlassung des Senats
hat Prof Dr S (mit Arzt A ) sodann eine transbronchiale Biopsie durchgeführt. In seiner Stellungnahme vom Mai 2001
hat er dargelegt: Das Biopsat entspreche einer transbronchialen Lungenbiopsie mit einer chronischen
histiozytenreichen interstitiellen Entzündung ohne Nachweis von lichtmikroskopisch erkennbarem anorganischem
Fremdmaterial, zB Aluminium. Dennoch werde das Vorliegen einer berufsbedingten Lungenfibrose weiterhin für
wahrscheinlich gehalten.
Die Beklagte hat im Anschluss daran ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23.11.2000 (Az L 10 U 4773/98)
vorgelegt, in welchem – entgegen einem Urteil des Hessischen LSG vom 13.11.1996 (Az L 3 U 40/93) - ua die
Auffassung vertreten worden war, gesicherte Erkenntnisse über einen Ursachenzusammenhang zwischen einer
beruflichen Belastung durch Schweißtätigkeiten und einer Lungenfibrose seien nicht vorhanden.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom August 2001
eingeholt. Darin heißt es: Der beim BMA gebildete Ärztliche Sachverständigenbeirat sei 1997 in die Prüfung der
Fragestellung "Lungensiderose" eingetreten; die Beratungen ruhten aber seit einiger Zeit; zum gegenwärtigen
Zeitpunkt sei nicht abzusehen, ob die Thematik erneut aufgegriffen werde und wann mit einem Ergebnis der
Beratungen gerechnet werden könne.
Zuletzt hat der Senat von Amts wegen ein Gutachten nach Aktenlage von Prof Dr B (Ordinariat für Arbeitsmedizin der
Universität Hamburg) vom März 2002 eingeholt. Dieser hat dargelegt: Es lägen wesentliche neue Erkenntnisse der
medizinischen Wissenschaft vor, welche das Auftreten einer Schweißerlunge nach langjähriger intensiver Exposition
gegenüber Schweißrauch belegten. Im Falle des Klägers sei ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und seiner Lungenerkrankung wahrscheinlich. Die MdE wegen der Erkrankung werde auf 20-30 %
veranschlagt.
Die Beklagte trägt vor: Prof Dr B habe nicht belegt, dass die von ihm angegebenen Erkenntnisse über ein gehäuftes
Auftreten von Lungenfibrosen durch Schweißrauche neu seien und dass sie von einer Mehrzahl der einschlägigen
Fachwissenschaftler vertreten würden. Die Literatur, welche er als Beleg für neue gesicherte Erkenntnisse angeführt
habe, stamme ganz überwiegend aus den 1980er Jahren. Seinerzeit habe Prof Dr W vom Institut für Arbeits- und
Sozialmedizin der Universität G in Einzelfällen eine Entschädigung als Quasi-BK (seinerzeit § 551 Abs 2
Reichsversicherungsordnung –RVO-) empfohlen; als Vorsitzender des Sachverständigenbeirats beim BMA habe er
bisher jedoch keine entsprechende Empfehlung an die Bundesregierung herbeigeführt. Es lägen auch keine neuen
technischen Erkenntnismöglichkeiten vor; die von Prof Dr B genannten Diagnosetechniken seien weitaus älter als 10
Jahre und hätten somit bereits vor der letzten Neufassung der BKV vorgelegen. Wenn sich eine neue herrschende
Meinung zur BK-Reife der Schweißerlunge herausgebildet hätte, müssten entsprechende Ermittlungen über die
Voraussetzungen für die Aufnahme der Krankheit in die BK-Liste im Sachverständigenbeirat noch im Gange sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Trier vom 23.9.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen, auch soweit es um die Feststellung
und Entschädigung einer Quasi-BK geht.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, eine Quasi-BK festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine
Verletztenrente nach einer MdE von 20 % zu gewähren, äußerst hilfsweise, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
ein Gutachten von Prof Dr Woitowitz einzuholen.
Er trägt vor: Durch das Gutachten von Prof Dr B sei bestätigt worden, dass seine Lungenfibrose als BK bzw wie eine
BK zu entschädigen sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die
ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 ff, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, weil die Voraussetzungen einer BK Nr
4106 entgegen der Auffassung des SG nicht vorliegen. Entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers ist jedoch eine
Quasi-BK festzustellen und die Beklagte zu einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 % wegen dieser zu
verurteilen.
Ob sich die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nach § 551 Abs 2 RVO oder nach der ab 1.1.1997 in Kraft
befindlichen Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII richtet, kann offen bleiben, weil die rechtliche Beurteilung des
Sachverhalts nach beiden Vorschriften gleich ist.
Entgegen der Auffassung des SG sind vorliegend die Voraussetzungen einer BK Nr 4106 nicht gegeben, da keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass berufliche Einwirkungen durch Aluminium eine wesentliche
Mitursache der Lungenfibrose des Klägers darstellen. Bei dieser handelt sich vielmehr, wie zuletzt Prof Dr B
klargestellt hat, um keine Erkrankung im Sinne der BK-Liste. Dies hat auch Prof Dr S eingeräumt, der davon ausgeht,
dass keine bestimmte in der BKV genannte Noxe als wesentliche Mitursache der Lungenfibrose angeschuldigt werden
könne.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jedoch dem Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung und Entschädigung
der Lungenfibrose als Quasi-BK stattzugeben.
An einer diesbezüglichen Entscheidung ist der Senat nicht wegen einer fehlenden Verwaltungsentscheidung der
Beklagten gehindert. Denn der angefochtene Bescheid vom 26.3.1997 ist nach dem maßgebenden Empfängerhorizont
so auszulegen, dass die Beklagte umfassend über eine Anerkennung und Entschädigung der Lungenfibrose als BK
bzw wie eine BK entschieden hat. Die Beklagte hat in diesem Bescheid keine Beschränkung der Prüfung auf die
BKen 4106 und 4302 vorgenommen. Diese sind zwar in der Begründung des Bescheides vom 26.3.1997 aufgeführt,
nicht aber – was entscheidend ist – im Entscheidungssatz dieses Bescheides, der lediglich besagt, dass ein
Anspruch auf eine Entschädigung abgelehnt werde. Damit hat die Beklagte in dem Verwaltungsakt vom 26.3.1997
umfassend über eine Entschädigung nach allen in Betracht kommenden Vorschriften – auch unter dem Gesichtspunkt
einer Quasi-BK - entschieden. Dafür spricht auch, dass es in der Begründung dieses Bescheides ua heißt, es ließen
sich keine Hinweise dafür finden, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers die Lungenfibrose verursacht habe.
Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in
der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen. Dem
entspricht seit 1.1.1997 die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII, die nicht als Soll-, sondern als Muss-Vorschrift
ausgestaltet ist. Neben der fehlenden Nennung in der BK-Liste ist erforderlich, dass die Gesundheitsstörungen im
Einzelfall rechtlich wesentlich durch besondere Einwirkungen verursacht wurden, denen bestimmte Personengruppen
durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Einwirkungen müssen
generell geeignet sein, Krankheiten solcher Art zu verursachen. Weitere Voraussetzung ist, dass die Krankheit
bislang nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurde, weil die betreffenden medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnisse über die Gefährdung besonderer Berufsgruppen neu sind.
Hinsichtlich der Verursachung einer Lungenfibrose durch Schweißtätigkeiten liegen hinreichende Erkenntnisse vor, um
von einer generellen Eignung zur Verursachung solcher Erkrankungen durch die versicherte Tätigkeit ausgehen zu
können, wie durch das Gutachten von Prof Dr B geklärt wurde. Der Senat schließt sich insoweit den Urteilen des
Hessischen LSG (aaO) und des Bayerischen LSG (Urt.v. 22.5.2001, Az. L 17 U 105/99) an; der gegenteiligen
Meinung des LSG Baden-Württtemberg (aaO) vermag er nicht zu folgen.
Prof Dr B hat die wissenschaftlichen Untersuchungen, aus denen sich die gesicherten Erkenntnisse ergeben,
ausführlich dargestellt. Diesbezüglich ist epidemiolisch auf die Querschnittsstudie von M e a (1985), die
Untersuchungen von Z /W (1985), S e a (1987), L e a (1989), R e a (1991) sowie die zusammenfassenden
Darstellungen von Einzelfallbeobachtungen durch M (1998), W e a (2000), R /W (1998) und S /B (1991) und
tierexperimentell auf die Untersuchungen von H e a (1983, 1984) sowie Y und Y (1988) hinzuweisen.
Nach Prof Dr B handelt sich um begrenzte epidemiologische Studien, die eine Überhäufigkeit von radiologisch
fassbaren Lungenveränderungen und Lungenfunktionsstörungen im Sinne einer Siderofibrose belegen. Bei gegebener
Konsistenz und Plausibilität sowie zeitlicher Sequenz ist von gesicherten Erkenntnissen auszugehen. Das nur
begrenzte Vorhandensein epidemiologischer Erkenntnisse schließt es nicht aus, gesicherte Erkenntnisse unter
Mitberücksichtigung andersartiger Studien, zB Clusteruntersuchungen und tierexperimentellen Befunden, anzunehmen
(vgl Keller, SGb 2001, 226, 228). Die gesicherten Erkenntnisse können nämlich subsidiär auch auf andere,
wissenschaftlich gleichwertige Weise gewonnen werden, etwa durch kasuistische Auswertungen typischer
Geschehensabläufe, durch methodisch ausgewertete ärztliche Erfahrungen, durch medizinisch-toxikologisch
begründbare Analogieschlüsse sowie durch Berücksichtigung der tierexperimentellen Forschung einschließlich der
Molekularbiologie. Dementsprechend hat es das Bundessozialgericht (BSG) zB als ausreichend angesehen, die
generelle Geeignetheit der Einwirkung von Asbest für die Entstehung von Kehlkopfkrebs aus verschiedenen
Einzelfallstudien und Erkenntnissen, aus Anerkennungen in der ehemaligen DDR sowie aus bisher nach § 9 Abs. 2
SGB VII ausgesprochenen Anerkennungen zu folgern (BSG, Urt. v. 14.11.1996, Az. 2 RU 9/96 = HVBG-Info 1997,
552; in die gleiche Richtung gehend auch Beschl. v. 27.5.1997, Az. 2 BU 43/97 = HVBG-Info 1997, 2013 f.).
Ausgehend hiervon sind die vorhandenen epidemiologischen Erkenntnisse unter Mitberücksichtigung der übrigen
Forschungsergebnisse ausreichend, um gesicherte Erkenntnisse im Sinne des § 551 Abs 2 RVO bzw § 9 Abs 2 SGB
VII bejahen zu können.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Auffassung hinsichtlich eines gesicherten Zusammenhangs zwischen
Einwirkungen durch Schweißrauchen und der Entstehung einer Lungenfibrose nicht von allen Fachmedizinern geteilt
wird. Dies ist jedoch unschädlich, wenn jedenfalls die überwiegende Mehrheit der medizinischen Sachverständigen,
die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu
derselben, wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
Berufskrankheit, 6. Auflage, 1998, 101). Dies ist vorliegend der Fall, wie Prof Dr B ausdrücklich klargestellt hat.
Bei der insoweit gegebene Gefährdung durch Schweißarbeiten in Bezug auf die Entstehung von Lungenfibrosen
handelt es sich um eine gruppentypische Gefahr. Der Kläger gehörte als Schweißer zu einer Personengruppe, welche
durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt war.
Die Erkenntnisse über den generellen Zusammenhang sind auch neu iSd § 551 Abs 2 RVO bzw § 9 Abs 2 SGB VII.
Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn sie erst nach der letzten Änderung der BKV gewonnen worden oder
bekannt geworden sind (BSGE 44, 90, 93) oder sich erst nach der letzten Änderung der BK-Liste zur BK-Reife
verdichtet haben (BSGE 59, 295, 72, 303, 305; BSG SozR 2200 § 551 Nr 18) oder die Erkenntnisse zwar objektiv alt
sind, aber dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren und daher von ihm nicht berücksichtigt werden konnten bzw
dem Verordnungsgeber zwar bekannt waren, er sie aber dennoch nicht geprüft und gewürdigt hat oder wenn sie trotz
Nachprüfung nicht ausreichten, sich aber mit nachträglichen Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben (BSGE 40,
90; 49, 248, 150).
Wie bereits das Hessische LSG (aaO) und das Bayerische LSG (aaO) aufgezeigt haben, haben sich die
Erkenntnisse, welche eine Aufnahme von Lungenfibrosen als Folge von Schweißtätigkeiten in die BKV erlauben, nach
dem Inkrafttreten der 2. ÄndV v 18.12.1992 zur BK-Reife verdichtet; der Ärztliche Sachverständigenbeirat hatte sich
zuvor 1986 mit der Frage befasst (Seite 12 des Urteils des LSG Baden-Württemberg, aaO). Dem entspricht es, dass
nach Prof Dr B die "Verdichtung" – wie sich aus den Literaturangaben seines Gutachtens ergibt - in den "letzten zehn
Jahren" eingetreten ist. Da ein wesentlicher Teil der zitierten Literatur aus der Zeit nach dem 18.12.1992 stammt,
zeigt auch diese Aussage auf, dass die BK-Reife nach dem 18.12.1992 entstanden ist. Der Auffassung des LSG
Baden-Württemberg (aaO), es seien keine wesentlichen zusätzlichen Erkenntnisse hinzugekommen, kann unter
Berücksichtigung des Gutachtens von Prof Dr B nicht gefolgt werden.
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMA hat in der Zeit seit dem 18.12.1992 keine Entscheidung über eine
Einbeziehung des betreffenden Leidens in die BK-Liste vorgenommen. Vielmehr ist er, wie der BMA dem Senat
mitgeteilt hat, 1997 in die Prüfung der Fragestellung eingetreten; die Beratungen ruhen aber seit längerer Zeit.
Mangels einer ausdrücklichen Entscheidung des ärztlichen Sachverständigenbeirats seit 1986 muss bei dieser
Sachlage vom Vorliegen neuer Erkenntnisse im Sinne des § 551 Abs 2 RVO bzw § 9 Abs 2 SGB VII ausgegangen
werden.
Die Rechtsmeinung des LSG Baden-Württemberg (aaO), für eine gerichtliche Entscheidung nach § 551 Abs 2 RVO
bzw § 9 Abs 2 SGB VII sei kein Raum, solange ein einschlägiges Prüfungsverfahren beim Verordnungsgeber bzw
beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat anhängig ist, überzeugt nicht. Es kann offen bleiben, ob diese Auffassung für
Fälle zutrifft, in denen die Ermittlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA noch im Gange sind (so
Koch in Lauterbach, SGB VII, § 9, Rz 286). Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass – wie
dargelegt - seit geraumer Zeit beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat keine Ermittlungen im Gange sind, das
Verfahren also ruht. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage ist, wie das Bayerische LSG (aaO) zu Recht dargelegt hat,
die Annahme einer "Sperrwirkung" für eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Versicherten durch ein beim
Sachverständigenbeirat anhängiges Verfahren nicht gerechtfertigt, weil es nicht vertretbar ist, allein wegen einer
Untätigkeit des Sachverständigenbeirats auf unabsehbare Zeit eine Entscheidung zugunsten der Versicherten zu
blockieren.
Im Einzelfall des Klägers ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Mischstaubeinwirkungen im Rahmen der
beruflichen Tätigkeit und der Lungenfibrose wahrscheinlich, wie sich aus den Darlegungen von Prof Dr B ergibt, die im
Einklang mit denjenigen von Prof Dr S stehen. Der Kläger war zunächst von 1960 bis 1979 zu 75 % seiner Arbeitszeit
und in der Zeit danach bis 1997 zu 20 % seiner täglichen Arbeitszeit mit Schweißen beschäftigt. Eine erhebliche
Exposition durch Schweißrauch lag bei ihm vor, zumal er häufig über Symptome eines Metalldampffiebers geklagt hat
und solche auch bei Kollegen aufgetreten sind. Für einen ursächlichen Zusammenhang sprechen Prof Dr B zufolge 1.
die zeitliche Koinzidenz zwischen langjähriger Schweißertätigkeit unter ungünstigen arbeitshygienischen Bedingungen
und dem Auftreten der Lungenerkrankung und 2. der relativ benigne Verlauf ohne Progression nach Beendigung der
Exposition, wie dies bei einer exogen bedingten Lungenerkrankung zu erwarten ist. Außerdem sind, wie bereits Prof
Dr S aufgezeigt hat, keine konkreten außerberuflichen Ursachen der Lungenfibrose erkennbar.
Dem Umstand, dass es sich bei § 551 Abs 2 RVO – wie dargelegt – um eine Soll-Vorschrift handelte, kommt keine
entscheidende Bedeutung zu, weil ein Grund, um ausnahmsweise trotz des Vorliegens der tatbestandlichen
Voraussetzungen dieser Vorschrift von einer Entschädigung abzusehen, nicht vorliegt.
Hinsichtlich der durch die Erkrankung bedingten MdE schließt sich der Senat dem überzeugenden Gutachten von Prof
Dr S an. Dieses stimmt insoweit mit dem Gutachten von Prof Dr B überein, als dieser jedenfalls eine MdE von 20 %
("20 – 30 %) für gerechtfertigt hält.
Die Beklagte wird darüber zu entscheiden haben, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist und ab
wann dem Kläger die Verletztenrente nach einer MdE von 20 % zu gewähren ist. Der Senat war gemäß § 130 SGG zu
einem entsprechenden Grundurteil befugt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.