Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 29.10.2010

LSG Rpf: grobe fahrlässigkeit, wiedereinsetzung in den vorigen stand, eltern, ausbildung, haushalt, unterbringung, berufsschule, mitteilungspflicht

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 29.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Trier S 1 AL 40/08
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 AL 49/09
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 12.02.2009 - S 1 AL 40/08 - sowie die
Bescheide der Beklagten vom 16.04.2008 und 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.05.2008 aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und die
Rückforderung von Leistungen.
Der am ...1989 geborene ledige Kläger hat nach dem Schulbesuch zum 01.09.2006 eine Ausbildung nach dem
Berufsbildungsgesetz (BBiG) zum Industriemechaniker bei der G GmbH & Co KG in G aufgenommen, die er wie
vorgesehen im Jahr 2010 abschloss. Im ersten Ausbildungsjahr war er an drei Wochentagen in einer
Ausbildungswerkstatt in P und an zwei Wochentagen in der Berufsschule in G und ab dem zweiten Ausbildungsjahr
vier Wochentage im Betrieb des Arbeitgebers in G und einen Wochentag in der Berufsschule tätig.
Der Kläger wohnte bis zur Aufnahme der Ausbildung bei seinen Eltern in U und mietete zum 28.08.2006 eine
Wohnung (Miete einschließlich Nebenkosten 200,00 EUR monatlich) in P an. Die Entfernung von U nach G beträgt
nach seinen Angaben 35 km, von P nach G 22 km und von P nach U nach den Ermittlungen der Beklagten 45,8 km.
Der Kläger gab an, er habe sich eine Wohnung in P genommen, da die Busverbindungen von U nach P und nach G
unzureichend seien. Nach den in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen Fahrplanauskünften war dies
zutreffend. Von dem Arbeitgeber erhielt er einen monatlichen Zuschuss von 80,00 EUR für die Fahrt zwischen
Ausbildungsstätte und Berufsschule.
In dem Antrag auf Gewährung von BAB (Eingang bei der Beklagten am 23.08.2006; mündliche Antragstellung am
10.07.2006) war u.a. folgender Hinweis enthalten: "Ich nehme zur Kenntnis, dass ich verpflichtet bin, der Agentur für
Arbeit ohne Aufforderung unverzüglich jede Änderung mitzuteilen, die für den Anspruch auf die
Berufsausbildungsbeihilfe oder für deren Höhe von Bedeutung ist (z.B. vorzeitiges Ausscheiden aus meiner
Ausbildung, vorzeitiger Abschluss oder Unterbrechung meiner Ausbildung, Wechsel der Ausbildungsstätte - auch
durch Betriebsstilllegung oder durch Betriebsübernahme - Erkrankung, Wiederaufnahme der Ausbildung nach einer
Erkrankung oder Schwangerschaft, Änderung meiner Anschrift und Unterbringung)."
Der Kläger und seine Mutter J M bestätigten im Antragsformular durch Unterschrift, die "Hinweise zum Ausfüllen des
Antrages auf Berufsausbildungsbeihilfe" erhalten und von dem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Dort war zu der
Frage, ob der Kläger während seiner Ausbildung im Haushalt seiner Eltern oder seines Elternteils wohne, als Hinweis
ausgeführt: "Sie haben in der Regel keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe, wenn Sie bei den Eltern oder
einem Elternteil wohnen. Wenden Sie sich im Zweifelsfalle an die Berufsberatung / das Ausbildungsmarkt-
Partnerteam."
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 28.09.2006 BAB für den Zeitraum vom 01.09.2006 bis
31.08.2007 in Höhe von (i.H.v.) monatlich 91,00 EUR und vom 01.09.2007 bis 28.02.2008 i.H.v. monatlich 205,00
EUR. Sie legte der Berechnung ein anzurechnendes Einkommen von monatlich 434,63 EUR bei einem Gesamtbetrag
von monatlich 525,32 EUR bis 31.08.2007 und ab 01.09.2007 von 639,72 EUR zugrunde. In den Anlagen zum
Bescheid war darauf hingewiesen, dass die Fahrtkosten ab dem 01.09.2007 für drei Tage zwischen P und G
berücksichtigt worden seien. Die Fahrten zur Berufsschule bekomme er von seinem Arbeitgeber erstattet. Sollten sich
die Fahrtkosten ändern, werde um entsprechende Mitteilung gebeten. Außerdem war u.a. folgender Hinweis enthalten:
"Sie sind nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet, der Agentur für Arbeit ohne
Aufforderung unverzüglich jede Änderung mitzuteilen, die für den Anspruch auf die BAB oder für deren Höhe von
Bedeutung ist (z.B. vorzeitiges Ausscheiden aus der Ausbildung, vorzeitiger Abschluss oder Unterbrechung der
Ausbildung, Wechsel der Ausbildungsstätte - auch durch Betriebsstilllegung oder durch Betriebsübernahme -
Erkrankung, Wiederaufnahme der Ausbildung nach einer Erkrankung, Schwangerschaft, Änderung der Anschrift und
der Unterbringung des Auszubildenden). Für ihre schriftliche Mitteilung benutzen Sie bitte möglichst die beiliegende
Veränderungsmitteilung. Sie können die Agentur für Arbeit selbstverständlich auch in anderer geeigneter Weise
informieren."
Seit 01.08.2007 wohnte der Kläger wieder bei seinen Eltern in U und legte die Wege zum Ausbildungsbetrieb und zur
Berufsschule mit einem eigenen Pkw zurück.
Mit einem an den Vater des Klägers gerichteten Schreiben vom 20.12.2007 übersandte die Beklagte
Antragsvordrucke zur Weiterbewilligung. In dem Antrag vom 28.01.2008 gab der Kläger an, im Haushalt seiner Eltern
zu wohnen. Mit Bescheid vom 16.04.2008 lehnte die Beklagte eine Weitergewährung der BAB ab, da er nicht
außerhalb des Haushalts der Eltern untergebracht sei.
Nach Anhörung hob die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 16.04.2008 die Entscheidung über die Bewilligung der
BAB ab dem 01.08.2007 auf und forderte die Erstattung von 1.230,00 EUR. Mit Teilabhilfebescheid vom 05.05.2008
reduzierte die Beklagte die Erstattungsforderung auf 1.116,00 EUR (91,00 EUR für August 2007 und jeweils 205,00
EUR für September 2007 bis Januar 2008). Der Widerspruch wurde im Übrigen am 05.05.2008 zurückgewiesen. Die
persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von BAB seien ab dem 01.08.2007 nicht mehr gegeben gewesen.
Der Kläger habe wissen müssen oder zumindest leicht erkennen können, dass der Leistungsanspruch weggefallen
sei. Im Antrag habe er sich unterschriftlich verpflichtet, der Agentur für Arbeit ohne Aufforderung unverzüglich jede
Änderung mitzuteilen, die für den Anspruch auf BAB von Bedeutung sei. Bei der beispielhaften Aufzählung von
Änderungen sei auch die Änderung der Anschrift und der Unterbringung genannt.
Seit 15.08.2008 wohnt der Kläger in einer eigenen Wohnung in D. Auf seinen Antrag vom 15.12.2008 gewährte ihm die
Beklagte ab dem 01.12.2008 BAB i.H.v. monatlich 135,00 EUR (Bescheid von März 2009).
Der Kläger hat am Montag, den 09.06.2008 Klage bei dem Sozialgericht Trier (SG) erhoben und eine von seiner Mutter
unterschriebene und an die Beklagte gerichtete Kopie einer Veränderungsmitteilung vom 08.08.2007 vorgelegt, in
welcher der Umzug in das Elternhaus zum 01.08.2007 angegeben war. Dieses Schreiben wurde mit einfachem Brief
an die Beklagte versandt.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 12.02.2009 abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der BAB
gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn. 2 und 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit (i.V.m.) §
330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) lägen vor. Die Voraussetzungen für die Gewährung von BAB
seien seit dem Umzug in das Elternhaus am 01.08.2007 nicht mehr gegeben gewesen. Der Kläger habe seiner
Mitteilungspflicht nicht genügt, da ein Zugang der Veränderungsmitteilung bei der Beklagten nicht nachgewiesen
werden könne. Es sei grob fahrlässig, diese Mitteilung mit einfachem Brief zu versenden. Die fehlende Reaktion der
Beklagten hätte für den Kläger bzw. seine gesetzlichen Vertreter Anlass sein müssen, den Zugang des Schreibens zu
überprüfen. Auch habe er aus dem Antragsformular entnehmen können, dass die BAB nur gewährt werde, solange er
nicht im Haushalt seiner Eltern lebe.
Gegen das ihm am 06.03.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.03.2009 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass
er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht dadurch in besonders schwerem Maße verletzt habe, dass er die
Veränderungsmitteilung nur mit einfachem Brief versandt habe. Vielmehr habe er alles aus seiner Sicht Erforderliche
getan. Auch habe es sich ihm nicht aus sonstigen Gründen aufdrängen müssen, dass seine Anzeige nicht bei der
Beklagten eingegangen sei. Nachdem die Kosten für die Mietwohnung in etwa den Kosten der Kraftstoffe für die
Fahrten zwischen dem Wohnort in U und der Ausbildungsstätte entsprochen hätten, sei er davon ausgegangen, dass
er eine Förderung in gleicher Höhe zu beanspruchen habe. Außerdem sei er geschäftlich unerfahren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 12.02.2009 - S 1 AL 40/08 - sowie die Bescheide der Beklagten vom
16.04.2008 und 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat durch den Berichterstatter im Termin vom 08.09.2010 den Kläger gehört und als Zeugin J M
vernommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der
Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte war nicht
berechtigt, die Bewilligung der BAB ab dem 01.08.2007 aufzuheben und die Erstattung von 1.116,00 EUR zu
verlangen. Die Bescheide der Beklagten vom 16.04.2008 und 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 05.05.2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 28.09.2006 mit Wirkung ab dem
01.08.2007 nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 48 Abs. 1 SGB X lagen nicht vor. Zwar ist
eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die der Leistungsbewilligung zugrunde gelegen haben,
nach Erlass des Bewilligungsbescheides als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dadurch eingetreten, dass der Kläger
seit dem 01.08.2007 (wieder) im Haushalt seiner Eltern wohnte und dass dadurch ein Anspruch auf BAB wegen des
Wegfalls der sonstigen persönlichen Voraussetzungen (§ 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der Fassung (i.d.F.) des
Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24.03.1997, BGBl I 594; dieser Leistungsausschluss ist verfassungsgemäß:
vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28.11.2007 - B 11a AL 39/06 R -, SozR 4-4300 § 64 Nr. 3) nicht mehr
gegeben war (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
aufgehoben werden, soweit einer der in den Nrn. 1 bis 4 genannten Tatbestände erfüllt ist. Die Tatbestände nach Nrn.
1 und 3 kommen von vornherein nicht in Betracht.
Die Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, wonach der Betroffene einer
durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der
Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, liegen nicht vor. Zwar hat der Kläger seine sich
aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ergebende Obliegenheit, Änderungen in den
Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen
abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, nicht erfüllt, obwohl er bei der Antragstellung und im Bescheid vom
28.09.2006 auf die Pflicht zur Angabe von Änderungen der Anschrift und Unterbringung hingewiesen worden ist.
Allerdings hat sich der Kläger zur Überzeugung des Senats nicht grob fahrlässig - Vorsatz ist nicht gegeben -
verhalten.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X vor, wenn die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist, d.h. wenn schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten
müssen. Das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem
Einsichtsvermögen und Verhalten des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen
(subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Persönlich kommt es darauf an, dass die grobe Fahrlässigkeit bei dem "Betroffenen" vorliegt. Bei dem Kläger, der das
15. Lebensjahr vollendet hatte und damit die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit (§ 36 SGB I) erlangt hatte, werden
dadurch die Befugnisse des gesetzlichen Vertreters - seiner Eltern - nicht verdrängt (vgl. BSG, Urteil vom 28.04.2005
- B 9a/9 VG 1/04 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 8). Insoweit ist bei der gesetzlichen Vertretung auch auf die grobe
Fahrlässigkeit der Eltern abzustellen, die sich der Kläger ggfs. zurechnen lassen muss (vgl. BSG, Urteil vom
13.12.1984 - 9a RV 40/83 -, SozR 1300 § 48 Nr. 11). Ob der Kläger als Minderjähriger überhaupt zur Mitwirkung
verpflichtet war (vgl. Krauskopf-Waschull, SozKV, Vor § 60 SGB I RdNr. 14) kann offen bleiben, da jedenfalls ein grob
fahrlässiges Handeln von ihm oder von seinen Eltern nicht gegeben war.
Der Kläger ging davon aus, dass er seiner Mitteilungspflicht dadurch nachgekommen war, dass seine Mutter der
Agentur für Arbeit am 08.08.2007 unter Verwendung des dem Bescheid vom 28.09.2006 beigefügten Vordrucks die
Änderung seiner Anschrift und die Art der Unterbringung (Elternhaus) mitgeteilt hatte. Die Mutter des Klägers hat bei
ihrer Vernehmung am 08.09.2010 bekundet, dass sie diese Mitteilung bei der Post in G in den Briefkasten
eingeworfen und sich eine Kopie für die Unterlagen gemacht habe. Der Kläger war von dem Inhalt des Schreibens und
der Absendung informiert. Der Senat ist aufgrund der Angaben des Klägers und der glaubhaften Aussage der Mutter
davon überzeugt, dass das Schreiben am 08.08.2007 verfasst und an einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zur Post
gegeben worden ist. Allerdings hat der Brief die Beklagte nicht erreicht. Für den Zugang dieses Schreibens besteht
keine Vermutung. Postsendungen können verloren gehen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom
09.10.1973 - 2 BvR 482/72 -, BVerfGE 36, 85).
Entgegen der Auffassung des SG erachtet es der Senat nicht als grob fahrlässig, Mitteilungen über Änderungen der
tatsächlichen Verhältnisse mit einfachem Brief zu versenden. Eine Verpflichtung zur Wahl einer anderen
Versendungsform (z.B. Einschreiben mit oder ohne Rückschein) besteht grundsätzlich nicht. Vielmehr darf ein
Leistungsempfänger - jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung - davon ausgehen, mit einer Übersendung per
einfachem Brief seiner Mitteilungspflicht Genüge getan zu haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beklagte ihm
den Bewilligungsbescheid - wie hier - selbst mit einfachem Brief übermittelt hat und dem Kläger kein Hinweis darauf
gegeben worden ist, dass er durch gesteigerte Anforderungen an den Übermittlungsvorgang sicherstellen müsse, dass
Mitteilungen die Beklagte auch tatsächlich erreichten. Zudem können auch Einschreibsendungen verloren gehen (vgl.
z.B. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 26.04.2007 - I ZR 70/04 -, Juris). Im Übrigen ist der Verantwortungsbereich
des Bürgers bei der Übermittlung von Briefen darauf begrenzt, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und
ordnungsgemäß - zutreffend adressiert und ausreichend frankiert - zur Post zu geben, dass es nach deren
organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht
erreichen kann (vgl. zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: BVerfG, Beschluss vom 25.09.2000 - 1 BvR 2104/99
-, SozR 3-1100 Art. 103 Nr. 8; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 10/87 -, NJW 1990,
2639). Diesen Anforderungen haben der Kläger und seine Mutter vorliegend entsprochen. Die Annahme, damit der
Mitteilungspflicht nachgekommen zu sein, ist zur Überzeugung des Senats nicht grob fahrlässig. Eine Pflicht, sich bei
der Beklagten nach dem Eingang der Mitteilung zu erkundigen, war jedenfalls im vorliegenden Fall nicht vorhanden.
Eine Grundlage für eine solche Erkundigungspflicht besteht nicht und kann sich nur aus - hier nicht gegebenen -
Umständen des Einzelfalls ergeben. Anhaltspunkte, dass der Brief bei der Beklagten nicht eingegangen sein könnte,
bestanden nicht. Im Übrigen wäre ein Irrtum des Klägers sowie seiner Mutter, durch die Versendung mit einfachem
Brief der Mitteilungspflicht entsprochen zu haben, selbst nicht grob fahrlässig.
Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sind nicht erfüllt. Hiernach soll der Verwaltungsakt
mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder
nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem
Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Diese Bösgläubigkeit liegt entweder bei einem positiven "Wissen" oder dann vor, wenn der zum Wegfall führende
Umstand eingetreten ist und der Betroffene die Auswirkungen auf die Leistungsberechtigung wegen grober
Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.1986 - 7 RAr 55/84 -, SozR 1300 § 48 Nr. 22). Ein bloßes
"Wissenmüssen" genügt nicht, weshalb es nicht darauf ankommt, ob der Betroffene ernsthaft annehmen (damit
rechnen) konnte, dass der Anspruch weggefallen war (vgl. BSG, Urteil vom 26.02.2003 - B 8 KN 6/02 R -, SozR 4-
2600 § 101 Nr. 1). Dabei ist auf die Abschätzung der Rechtsfolgen durch den Betroffenen nach dessen individuellem
Verständnishorizont und insoweit auf eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" abzustellen (vgl. zu § 45 Abs. 2 Satz 3
Nr. 3 SGB X: BSG, Urteil vom 06.05.2009 - B 11 AL 10/08 R -, SozR 4-4300 § 144 Nr. 19).
Eine Kenntnis vom Wegfall der Anspruchsvoraussetzung war weder bei dem Kläger noch bei seiner Mutter gegeben.
Entgegen der Auffassung des SG war im Antragsformular auf BAB nicht dargelegt, dass die Leistung nur gewährt
werden kann, solange der Auszubildende während der Ausbildung nicht im Haushalt seiner Eltern oder eines
Elternteils lebt. Unter 4) war zu beantworten, ob der Kläger während seiner Ausbildung im Haushalt seiner Eltern oder
eines Elternteils wohnt, ohne dass sich aus dem Antragsformular ergab, dass dann ein Anspruch auf BAB nicht
bestand. Im Gegensatz zu Frage 3) war dies bei der Frage 4) gerade nicht ausgeführt. Aus dem Ausfüllhinweis ergab
sich lediglich, dass "in der Regel kein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe" besteht, wenn der Auszubildende bei
den Eltern oder einem Elternteil wohnt und ergänzend ausgeführt, dass dieser sich im Zweifelsfalle an die Agentur für
Arbeit wenden solle. Das positive Wissen über einen Wegfall des Anspruchs des Klägers ab dem 01.08.2007, dem
Zuzug in den Haushalt seiner Eltern, lässt sich aus diesen Antragsunterlagen nicht entnehmen. Die Ausfüllhinweise
legen vielmehr nahe, dass es gerade nicht in jedem Fall zu einem Wegfall des Anspruchs kommt, sondern dass die
Umstände des Einzelfalls maßgebend sind. Der Bewilligungsbescheid vom 28.09.2006 vermittelte ebenfalls keine
derartige Kenntnis. Auch hätten der Kläger bzw. seine Mutter nicht aufgrund einfachster und naheliegender
Überlegungen erkennen können, dass der Anspruch entfallen war. Die etwaige Annahme einer Änderung in der
Leistungshöhe genügte hierfür nicht, da nur ein Wegfall des "Anspruchs" maßgebend ist. Der Kläger und seine Mutter
gingen vielmehr davon aus, dass die "ersparten" Mietkosten durch die höheren Fahrtkosten kompensiert wurden.
Diese Bewertung war im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Senats nicht grob fahrlässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.