Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.01.2006

LSG Rpf: wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten., verwaltungsakt, erlass, leistungsanspruch, post, fahrlässigkeit, arbeitslosenhilfe

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 20.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Mainz S 10 AL 97/02 Mz
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 AL 106/05
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 07.04.2005 - S 10 AL 97/02 - wird
zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Rückforderung bezogener Arbeitslosenhilfe (Alhi) streitig.
Die 1976 geborene Klägerin bezog bis zum 31.01.2001 Arbeitslosengeld (Alg) nach der Leistungsgruppe A/0 und
einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 460,00 DM. Danach war ihr Leistungsanspruch erschöpft.
Mit Bescheid vom 13.03.2001 bewilligte ihr die Beklagte antragsgemäß Alhi ebenfalls nach der Leistungsgruppe A/0
und einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 420,00 DM. Der wöchentliche Leistungssatz
betrug 174,65 DM (täglich 24,95 DM).
Am 16.03.2001 heiratete die Klägerin. Ab diesem Tag führte sie auf ihrer Lohnsteuerkarte 2001 die Lohnsteuerklasse
V. Die entsprechende Änderung der Lohnsteuerklasse hatte sie am 21.03.2001 vorgenommen. Am 20.03.2001
informierte sie die Beklagte anlässlich einer persönlichen Vorsprache über ihre Eheschließung. Der Ehemann der
Klägerin ist bei der Firma M , B , beschäftigt. Im Januar 2001 verdiente er 2.982,75 DM netto, im Februar 2001
3.375,54 DM netto und im März 2001 3.287,96 DM netto. Die Beklagte rechnete das Einkommen des Ehemanns auf
die der Klägerin zustehende Alhi an und kam zu dem Ergebnis, dass der wöchentliche Anrechnungsbetrag 160,79 DM
betrage.
Mit Bescheid vom 25.09.2001 hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alhi ab dem 16.03.2001
ganz gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf, weil die Klägerin nicht mehr bedürftig sei. Die Klägerin wurde
aufgefordert, die ihr in der Zeit vom 16.03.2001 bis zum 30.06.2001 ausgezahlte Alhi in Höhe von 2.669,65 DM zu
erstatten. Auf den Widerspruch der Klägerin änderte die Beklagte ihre Entscheidung teilweise ab. Sie verfügte nun für
die Zeit vom 16.03.2001 bis zum 20.03.2001 lediglich eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides in
Höhe von 160,79 DM wöchentlich und hob diesen mit Wirkung ab dem 21.03.2001 ganz auf. Der Erstattungsbetrag
reduzierte sich auf 2.659,75 DM. Den weitergehenden Widerspruch der Klägerin wies sie als unbegründet zurück
(Widerspruchsbescheid vom 25.03.2002).
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Mainz (SG) mit Urteil vom 07.04.2005 abgewiesen.
Gegen das ihr am 18.04.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.05.2005 Berufung eingelegt.
Sie trägt im Wesentlichen vor: Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X seien nicht
erfüllt. Zwar sei es richtig, dass der Bewilligungsbescheid im Zeitpunkt seines Erlasses wegen ihrer Eheschließung
rechtswidrig gewesen sei. Zutreffend sei es auch, dass ihr ab diesem Zeitpunkt wegen des anzurechnenden
Einkommens ihres Ehemanns keine Alhi mehr zugestanden habe. Trotzdem durfte die sie begünstigende
Entscheidung nicht zurückgenommen werden. Ihr könne keinesfalls ein grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen
werden. Unmittelbar nach ihrer Eheschließung habe sie der Beklagten sowohl ihre geänderte Lohnsteuerkarte als auch
die Verdienstbescheinigung ihres Ehemannes vorgelegt. Ihr sei zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt worden, dass durch die
Eheschließung ihr Leistungsanspruch gefährdet sei. Dies könne ihr Ehemann bestätigen. Es könne ihr nicht zum
Nachteil gereichen, dass ihr der Bewilligungsbescheid am Tag ihrer Eheschließung zugegangen sei. Die sich an
diesen Umstand anschließenden Rechtsfolgen hingen von einem Zufall ab. Sie beantrage noch einmal die
Vernehmung ihres Ehemannes als Zeugen. Das SG sei diesem Antrag nicht nachgegangen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 07.04.2005 - S 10 AL 97/02 - und den Bescheid der Beklagten vom
25.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichts- und der die Klägerin
betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. ) Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der
angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 25.03.2002 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte durfte ihre Entscheidung über die
Bewilligung von Alhi vom 13.03.2001 für die Zeit vom 16.03.2001 bis zum 20.03.2001 wegen des anzurechnenden
Einkommens ihres Ehemannes in Höhe von 160,79 DM wöchentlich und ab dem 21.03.2001 ganz aufheben.
Rechtsgrundlage für die (teilweise) Aufhebung ist § 48 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nur unter den
Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist der Verwaltungsakt bereits mit
Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. In Abgrenzung zu § 48 GB X kommt dagegen eine
Rücknahme nach § 45 SGB X in Betracht, wenn der durch Bescheid eingeräumte Leistungsanspruch nicht besteht,
weil der Verwaltungsakt von Anfang an einen mit der Rechtslage nicht in Einklang stehenden Verfügungssatz enthält.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Vielmehr ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass
des Bescheides vom 13.03.2001 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Bescheid vom
13.03.2001 ist nicht erst am 16.03.2001, also dem Tag an dem er der Klägerin nach ihrem Vortrag zugegangen ist,
erlassen worden. Erlass iSd § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist nicht mit der Bekanntgabe nach § 37 Abs. 2 SGB X,
sondern mit der Aufgabe zur Post (vgl. hierzu auch Steinwedel in Kasseler-Kommentar, § 48 SGB X Rz. 8)
gleichzustellen. Der Bewilligungsbescheid vom 13.03.2001 muss daher spätestens einen Tag zuvor, also am
15.03.2001, zur Post aufgegeben worden sein, so dass er zu diesem Zeitpunkt nicht rechtswidrig iSd § 45 SGB X
gewesen ist.
Die wesentliche Änderung bezüglich des Zeitraumes 16.3.2001 bis zum 20.03.2001 ist darin zu sehen, dass mit der
Eheschließung das Einkommen ihres Ehemannes gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf die ihr bewilligte Alhi
anzurechnen war.
Der Ehemann der Klägerin hatte in den Monaten Januar bis März 2001 ein durchschnittliches monatliches
Nettoeinkommen von 3.215,42 DM erzielt. Abzüglich der von ihm nachgewiesenen Versicherungsbeiträge, der
Werbungskosten und seines eigenen Freibetrages in Höhe der hypothetischen Arbeitslosenhilfe ergab sich ein
monatlicher Anrechnungsbetrag von 696,83 DM; dies entspricht einem durchschnittlichen wöchentlichen
Anrechnungsbetrag von 160,79 DM. Dieser Betrag war auf die der Klägerin bewilligte wöchentliche Alhi von 174,65
DM anzurechnen. Während dieses Zeitraumes standen der Klägerin mithin lediglich 1,98 DM täglich zu (täglicher
Leistungsbetrag in Höhe von 24,95 DM abzüglich des täglichen Anrechnungsbetrages in Höhe von 22,97 DM). Für die
Zeit vom 16. bis 20.03.2001 hatte die Klägerin daher Alhi in Höhe von 9,90 DM zu beanspruchen. Dies hat die
Beklagte auch zutreffend festgestellt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen für eine vollständige Aufhebung der
Leistungsbewilligung ab dem 21.03.2001 vor. Die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
und Nr. 4 SGB X sind ebenfalls erfüllt. Bezüglich des anzurechnenden Einkommens ihres Ehemannes und der sich
hieraus ergebenden wesentlichen Änderung iSd § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X wird auf obige Ausführungen
verwiesen. Ab dem Zeitpunkt des mit Wirkung zum 16.03.2001 vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels stand der
Klägerin unter Berücksichtigung des nach wie vor maßgeblichen gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelts von
420,00 DM und der eingetragenen Lohnsteuerklasse V zudem Alhi nur noch in Höhe von 124,25 DM wöchentlich zu.
Das auf diesen Leistungssatz anzurechnende Einkommen ihres Ehemannes überstieg indessen die Alhi, so dass die
Klägerin nicht mehr bedürftig war (vgl. § 193 Abs. 1 SGB III).
Die Klägerin hat auch zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass ihr die ihr bewilligte Alhi wegen
des Lohnsteuerklassenwechsels nicht mehr in dieser Höhe zustand. Die Klägerin hatte ihre Lohnsteuerkarte am
21.03.2001 rückwirkend zum 16.03.2001 geändert und mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt die Lohnsteuerklasse V
eintragen lassen. Der Lohnsteuerklassenwechsel wirkt sich leistungsmindernd aus, weil Arbeitnehmer, auf deren
Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse I eingetragen ist, der Leistungsgruppe A, Arbeitnehmer mit der
Lohnsteuerklasse V hingegen der Leistungsgruppe D zuzuordnen sind (§ 137 Abs. 2 Nr. 1, 4 SGB III). Über die
Rechtsfolgen eines Lohnsteuerklassenwechsels ist sie hinreichend durch das ihr bei Antragstellung im Februar 2001
ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose - Ihre Rechte - Ihre Pflichten -, dessen Empfang und Kenntnisnahme sie
unterschriftlich bestätigt hat, informiert worden. Unter Punkt 4.2 ist unter der Überschrift "Die Bedeutung der
Lohnsteuerklasse" einfach und klar verständlich erklärt, welche Leistungsgruppe welcher Lohnsteuerklasse
zuzuordnen ist. Weil der Klägerin mit dem Bescheid vom 13.03.2001 Alhi nach der Leistungsgruppe A bewilligt worden
ist, ab dem Lohnsteuerklassenwechsel indes die Leistungsgruppe D maßgeblich gewesen wäre, hätte sie die
Rechtswidrigkeit erkennen müssen. Sie hat deshalb grob fahrlässig nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Halbsatz 2 SGB X
gehandelt, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat. Das setzt nach der
Rechtssprechung des Bundessozialgerichts eine besonders grobe und subjektiv schlechthin unentschuldbare
Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnlich Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Davon ist auszugehen,
wenn schon einfachste und nahe liegende Überlegungen angestellt werden und nicht beachtet wird, was im gegebenen
Fall jedem einleuchten musste. Maßgebend ist dabei die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen
(subjektiver Sorgfaltsmaßstab; vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Nach
diesem Grundsätzen ist der Klägerin ein bösgläubiges Verhalten anzulasten.
Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X
zu erstatten. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung des geforderten Erstattungsbetrages sind weder geltend
gemacht worden noch ersichtlich.
Der Vernehmung des Ehemannes der Klägerin bedurfte es nicht. Die Aussage ist nicht entscheidungserheblich.
Selbst wenn der Ehemann der Klägerin sie zu den aktenkundigen Vorsprachen bei der Beklagten am 20.03.2001 und
25.04.2001 begleitet haben sollte und ihnen die behauptete Auskunft erteilt worden wäre, könnte diese die bei
Bescheiderlass am 15.03.2001 bestehende Bösgläubigkeit der Klägerin nicht mehr rückwirkend beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor.