Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 10.08.2009

LSG Rpf: nahrungsaufnahme, verbringen, versicherungsschutz, wohnung, verfügung, anhörung, gesellschaft, betriebsstätte, arbeitsunfall, chef

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 10.08.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Koblenz S 7 U 169/06
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 2 U 105/09
Bundessozialgericht B 2 U 23/09 R
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 4.12.2008 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein vom Kläger erlittener Verkehrsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung steht.
Der 1976 geborene Kläger erlitt am 7.4.2005 einen Verkehrsunfall, als er auf der B 256 im Bereich der Ortsgemeinde
G mit seinem Motorrad einen Lkw überholen wollte und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug frontal kollidierte. Er
zog sich hierbei eine Oberschenkelhalsfraktur links, eine Zwei-Pfeiler-Fraktur des linken Acetabulums, eine
Daumengrundgelenkluxation links und eine Wunde am linken Kniegelenk mit Eröffnung des Kniegelenks zu.
Der Kläger arbeitete zu dieser Zeit als Steinmetzgehilfe bei der Firma B GmbH und bewohnte eine sich auf dem
Betriebsgelände in G befindende Wohnung. Er hatte am Unfalltag um circa 12.05 Uhr die 30-minütige betriebliche
Mittagspause angetreten und sich auf den Weg zu seiner damaligen Freundin C W , wohnhaft in O , begeben, um bei
ihr zu Mittag zu essen. Eine Betriebskantine existierte nicht. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, er sei
trotz der knappen Zeit dorthin gefahren, weil ihm jede Minute mit seiner Freundin doppelt so lieb sei wie mit seinen
Arbeitskollegen.
Die Beklagte holte Auskünfte beim Arbeitgeber des Klägers ein, zog die polizeilichen Ermittlungsakten bei und
ermittelte die Entfernung zwischen der Betriebsstätte und der Wohnung der Freundin anhand des Routenplaners Map
& Route.
Mit Bescheid vom 12.9.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des
Unfallereignisses vom 7.4.2005 mit der Begründung ab, es habe sich nicht um einen versicherungsrechtlich
geschützten Weg zur Nahrungsaufnahme gehandelt. Unter Berücksichtigung einer Fahrzeit von jeweils etwa 13
Minuten wären zur Einnahme einer Mahlzeit nur 4 Minuten verblieben, so dass die Entfernung zwischen der
Betriebsstätte und der Wohnung der Freundin unverhältnismäßig weit gewesen wäre. Im Vordergrund habe zudem die
Motivation gestanden, die Mittagspause in der Gesellschaft der Freundin zu verbringen.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass er für die einfache Fahrt nur 9 Minuten benötigt habe.
Nach dem Routenplaner von Falk betrage die Fahrtstrecke im übrigen nur 8,2 statt 9,83 Kilometer. In der
Mittagspause habe daher genügend Zeit zur Essensaufnahme zur Verfügung gestanden. Im Übrigen seien Versicherte
nicht verpflichtet, ihre Mahlzeit an der nächstmöglichen Stelle einzunehmen. Eine Kantine habe nicht zur Verfügung
gestanden.
Die Auswertung der Routenplaner von Falk, Michelin und Map24 erbrachte Entfernungsangaben für die einfache
Fahrtstrecke zwischen 9,38 bzw. 9,83 und 11 Kilometern. Die für die Zurücklegung der Strecke ermittelten Zeiten
schwankten zwischen 10, 12 und 14 Minuten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.5.2006 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf das Ergebnis der
Routenplaner Map & Route und Map24 zurück.
Mit der am 22.6.2006 eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Er wiederholt, für den Hin und Rückweg jeweils nur 9 Minuten benötigt zu haben, so dass ihm zum Essen etwa 12
Minuten verblieben sei. Es sei auch häufiger vorgekommen, dass er seine Mittagspause um 5 10 Minuten
überschritten habe. Ob dies arbeitsrechtliche Konsequenzen habe, sei in dem vorliegenden Verfahren unbeachtlich.
Fakt sei, dass ihm ausreichend Zeit verblieben sei, um eine Mittagsmahlzeit zu sich zu nehmen.
Mit Urteil vom 4.12.2008 hat das SG nach Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugin Weber die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 12.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.5.2009
verurteilt, den Unfall des Klägers vom 7.4.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Zur Begründung
hat das SG ausgeführt, der Kläger habe am 7.4.2005 einen Arbeitsunfall erlitten, für den die Beklagte dem Grunde
nach entschädigungspflichtig sei. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII seien Arbeitsunfälle Unfälle infolge einer den
Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den
versicherten Tätigkeiten gehöre unter anderem auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit
zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Für das Vorliegen eines
Arbeitsunfalles sei danach erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet habe,
einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt
habe. Zunächst müsse also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen,
der so genannte innere Zusammenhang, der es rechtfertige, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen. Der innere Zusammenhang sei wertend zu ermitteln, indem untersucht werde, ob die jeweilige
Verrichtung innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung
reiche. Wege zum Zweck der Einnahme von Mahlzeiten seien grundsätzlich versichert, da sie der Erhaltung der
Arbeitskraft dienten. Unerheblich sei, ob der Weg zur eigenen Wohnung oder in ein Restaurant oder ähnliches
zurückgelegt werde. Der Versicherte könne auch nicht auf Möglichkeiten zur Essenseinnahme im Betrieb oder auf die
Mitnahme von Nahrungsmitteln von zu Hause verwiesen werden. Es sei auch nicht erforderlich, dass die
nächstgelegene Stelle zur Einnahme des Essens oder zur Besorgung von Nahrungsmitteln aufgesucht werde;
vielmehr bestehe im Rahmen vernünftiger zeitlicher Grenzen ein Spielraum des Versicherten. Das BSG habe einen
Hin- und Rückweg von insgesamt 8 Minuten in einer halbstündigen Pause als vertretbar angesehen. Dies könne
jedoch nur als ungefährer Anhaltspunkt dienen und die Frage solle eher großzügig beurteilt werden, um die
Versicherten nicht zu sehr zu beschränken, zumal der Weg auch Erholungswert haben könne. Unter Berücksichtigung
dieser Beurteilungsgrundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass der
Kläger sich zum Zeitpunkt des erlittenen Verkehrsunfalls auf einem versicherten Weg gefunden habe. Die Kammer
sehe es aufgrund der Angaben des Klägers und der Zeugin Weber als nachgewiesen an, dass der Kläger am Unfalltag
in der Mittagspause zu der Zeugin Weber, seiner damaligen Freundin, habe fahren wollen. Zweifel an der Richtigkeit
der Angaben des Klägers und der Aussage der Zeugin hätten sich nicht ergeben und seien von der Beklagten auch
nicht aufgezeigt worden. Von einem unangemessenen Verhältnis zwischen der Fahrtstrecke und der dafür benötigten
Zeit sowie der verbleibenden Zeit zur Einnahme des Essens gehe die Kammer nicht aus. Der Kläger habe unter
normalen Umständen durchschnittlich für den Hin- und Rückweg jeweils etwa 10 Minuten benötigt, so dass ihm für die
Nahrungsaufnahme eine Zeit von etwa 10 Minuten verblieben sei, wenn er die ihm für die Mittagspause zur Verfügung
stehende Zeit von 30 Minuten eingehalten habe, was nach seinen eigenen Angaben, die auch insoweit von der Zeugin
bestätigt worden seien, aber häufiger nicht der Fall gewesen sei. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger am Unfalltag
mit der Fahrt während der Mittagspause andere eigenwirtschaftliche Handlungsziele verfolgt habe, als die Einnahme
des Essens bei seiner Freundin, hätten sich nicht ergeben. Der Unfall habe sich auch an einer Stelle ereignet, die zu
der angegebenen Fahrtstrecke und dem Fahrziel passe. Die Antwort des Klägers auf die Nachfrage der Beklagten,
warum er überhaupt zu seiner Freundin gefahren sei, wenn die Zeit für die Einnahme eines Mittagessens so knapp
gewesen sei, dass er dies getan habe, weil jede Minute mit seiner Freundin ihm doppelt so lieb gewesen sei wie mit
seinen Arbeitskollegen, sei von der Beklagten überbewertet worden und lasse keinesfalls darauf schließen, dass das
Motiv für die Fahrt nur oder ganz überwiegend der Wunsch des Klägers gewesen sei, die Pause mit seiner Freundin
zu verbringen und nicht die Einnahme des Essens. Es habe in seiner Entscheidungsfreiheit gelegen, zu entscheiden,
wo und mit wem er sein Mittagessen habe einnehmen wollen. Er habe weder auf den in der Nähe des Betriebs
vorhandenen Imbiss noch auf eine Nahrungsaufnahme in seiner auf der Betriebsstätte gelegenen eigenen Wohnung
verwiesen werden können. Dass dem Kläger die Einnahme des Essens bei seiner Freundin lieber gewesen sei als die
Einnahme des Essens an einem Imbiss oder auf der Arbeitsstätte sei ohne weiteres nachvollziehbar und stehe einem
Versicherungsschutz auf dem Weg zur Wohnung der Freundin nicht entgegen. Wie der Kläger und seine damalige
Freundin glaubhaft angegeben hätten, sei er zwar nicht täglich in der Mittagspause zum Essen zu ihr gefahren, er
habe dies seinerzeit aber regelmäßig etwa ein bis zweimal die Woche getan. Trotz der knappen Zeit für die Einnahme
der Mahlzeit seien diese Angaben nach Auffassung der Kammer glaubhaft, so dass keine Gründe für die Annahme
bestünden, dass der Kläger am Unfalltag aus einem anderen Grund als zwecks einer Einnahme des Mittagessens zu
seiner Freundin unterwegs gewesen sei. Dass dabei möglicherweise auch der Spaß am Motorradfahren und der
Wunsch, die Mittagspause zusammen mit der Freundin zu verbringen, eine Rolle gespielt habe, stehe einem
Versicherungsschutz nicht entgegen.
Gegen dieses ihr am 5.3.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.4.2009 Berufung eingelegt.
Die Beklagte hat vorgetragen, das SG sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Kläger habe das
Betriebsgelände am Unfalltag um 12:05 Uhr verlassen und sei ausweislich des Polizeiberichts um 12:13 Uhr nach
Zurücklegung etwa der Hälfte der Strecke verunglückt. Eine einfache Fahrtzeit von 14 Minuten liege daher schon an
der unteren Grenze. Nach der Rechtsprechung des BSG werde der Versicherungsschutz beeinträchtigt, wenn eine
Gaststätte unverhältnismäßig weit entfernt liege. Die Zurücklegung des Weges habe außerdem fast die gesamte
Pause in Anspruch genommen. Die primäre Motivation sei gewesen, Zeit mit seiner Freundin zu verbringen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 4.12.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert, das SG habe sich in seinem Urteil zu Recht auf
die wahrheitsgemäßen Angaben der Zeugin Weber bezogen. Es sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass er
unter normalen Umständen für den Hin- und Rückweg jeweils höchstens 10 Minuten benötigt habe. Damit seien ihm
jeweils 10 Minuten für die Nahrungsaufnahme verblieben, wobei er, was unstreitig sei, öfters die Mittagspause
überzogen habe. Damit stehe fest, das er einen Unfall auf dem Weg zur Einnahme einer Mahlzeit erlitten habe.
Unerheblich sei, wo die Mahlzeit eingenommen worden sei.
Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung
wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 95ff GA ) verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach und Streitstandes wird auf die Prozessakte und auf die Verwaltungsakte der
Beklagten verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.5.2006
ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte es abgelehnt, das Ereignis
vom 7.4.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des erlittenen
Verkehrsunfalls auf einem nach § 8 Abs 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) versicherten Weg. Das
Urteil des Sozialgerichts ist rechtsfehlerfrei.
Gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz
nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
Nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII besteht grundsätzlich auch auf den Wegen vom Beschäftigungsbetrieb aus, die der
Einnahme der üblichen Mahlzeiten zur Erhaltung der Arbeitskraft dienen, gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Der
Weg zum Ort der Essenseinnahme steht aber nur dann in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten
Tätigkeit, wenn er zumindest auch wesentlich der Essenseinnahme zu dienen bestimmt ist und nicht anderen, dem
privaten Bereich zuzurechnenden Gründen dient.
Der Kläger befand sich auf einem solchen versicherten Weg.
Zwecks Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 136 Abs 3 SGG zur weiteren Begründung auf
die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Lediglich ergänzend ist auf Folgendes
hinzuweisen:
Die Essenseinnahme ist wesentlich mitursächlich für den Weg gewesen. Neben dem Besuch und dem Verbringen der
Zeit mit der Freundin war die Einnahme des Mittagessens zumindest gleichwertig und daher wesentlich für die Fahrt
zur Freundin.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass er nur
dann zu seiner Freundin gefahren sei, wenn diese am Abend zuvor vorgekocht habe. Er machte deutlich, dass er zu
seiner Freundin fuhr, um eine vorgekochte Mittagsmahlzeit einzunehmen. Dies entspricht auch der Darstellung seiner
Freundin vor dem SG. An anderen Tagen, an denen es bei ihr mittags nichts Vorgekochtes zu Essen gab, fuhr er
nicht zu ihr, sondern zu einem Imbiss. Eine Betriebskantine gab es in dem Steinmetzbetrieb, in dem der Kläger häufig
in der Werkstatt alleine arbeiten musste, weil die Kollegen auf Montage und der Chef unterwegs war, nicht. Seine
Mittagspause verbrachte er nicht in seiner Betriebswohnung, weil er dort nichts zu essen hatte. Wesentlich für die
Zurücklegung des Weges war folglich die Einnahme des Mittagessens. Damit ist die Annahme der Beklagten
widerlegt, die "primäre Motivation" des Klägers sei gewesen, Zeit mit seiner Freundin zu verbringen. Der Vortrag des
Klägers bestätigt, dass es ihm nicht vorrangig darum ging, seine Pause in Gesellschaft seiner Freundin zu verbringen,
sondern dass die (hierfür schließlich auch vorgesehene) Pause (zumindest auch) wesentlich dazu diente, ein
Mittagessen einzunehmen.
Seine schriftlichen Angabe gegenüber der Beklagten im Juli 2005, auf die sich die Beklagte maßgeblich stützte,
wonach es ihm doppelt so lieb sei, jede Minute mit seiner Freundin zu verbringen als mit seinen Arbeitskollegen, führt
zu keinem anderen Ergebnis. Auf deren Vorhalt gab der Kläger an, sich an diese Aussage nicht mehr erinnern zu
können. Er habe damals diese Antwort während des Krankenhausaufenthalts unter Medikamenteneinfluss gegeben.
Außerdem habe er viele Anfragen der Beklagten beantworten müssen. Diese Angaben bestätigen, dass diese
Aussage -wie vom SG bereits ausgeführt- von der Beklagten überbewertet wurde. Denn es entspricht schließlich der
Lebenswirklichkeit und weit verbreiteten Gepflogenheiten, dass ein Mittagessen (z.B. in einer Kantine oder einer
Gaststätte) häufig in (selbst gewählter, angenehmer) Gesellschaft eingenommen wird. Dies degradiert die
Nahrungsaufnahme nicht derart, dass sie als unwesentlich in den Hintergrund tritt.
Der Weg zur damaligen Freundin des Klägers war auch nicht so weit, dass die Einnahme des Mittagessens bereits
aufgrund der Fahrtdauer als unwesentliche (Mit-) ursache qualifiziert werden kann.
Das Verhältnis der Zeitdauer für die Zurücklegung des Weges zum und vom Mittagtisch im Verhältnis zur
Essenseinnahme (dazu BSG-Urteile vom 26.4.1977, 8 RU 76/76 und vom 26.6.1980 8a RU 36/79 und vom 26.4.1977
8 RU 76/76), ist nach der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11.5.1995 – 2 RU 30/94; vorgehend LSG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4.5.1994 – L 3 U 33/94) nicht als "absoluter" Maßstab für den Versicherungsschutz
anzusehen, weil diese Zeitdauer oft unterschiedlich ist und dem Versicherten nicht allgemein -mit
versicherungsrechtlichen Auswirkungen- vorgeschrieben werden kann, wie er die zu seiner freien Verfügung stehende
Arbeitspause einzuteilen hat (so auch SGB VII-Komm/Krasney § 8 RdNr. 216). Eine zeitliche Obergrenze, ab der
Versicherungsschutz ausscheidet, existiert aus diesem Grund bislang nicht. Wie das BSG in dem o.g. Urteil vom
11.5.1995 ausführt, ist in einem Fall, in dem die zurückgelegte Wegstrecke gemessen an dem angeblichen
Handlungsziel unverhältnismäßig weit oder anstrengend ist, zu prüfen, ob ein anderes, eigenständiges,
eigenwirtschaftliches Handlungsziel vorliegt, welches die erforderliche Handlungstendenz zur alsbaldigen
Nahrungsaufnahme eher als unwesentlich in den Hintergrund drängt.
Im vorliegenden Fall legt der Senat bei der von ihm zunächst vorzunehmenden Beurteilung des Verhältnisses der
benötigten Zeitdauer für die Zurücklegung des Weges zum und vom Mittagtisch im Verhältnis zur Pausenlänge die
glaubhafte Angabe des Klägers zugrunde, etwa 9 Minuten für die einfache Fahrt zwischen dem Betriebsgelände zum
und vom Mittagstisch (Wohnung der Freundin) benötigt zu haben. Dabei ist festzustellen, dass die von der Beklagten
herangezogenen Routenplaner, die für Fahrten mit dem Pkw konzipiert sind, sowohl unterschiedliche Fahrtzeiten (10,
12 und 14 Minuten) als auch unterschiedliche Entfernungen (9,3 bzw. 9,8 und 11 Kilometer) für die zurückgelegte
Fahrtstrecke errechnet haben. Legt man die Ergebnisse des Routenplaners von Michelin zugrunde, dessen für den
Kläger günstigsten Zeitbedarf die Beklagte im Widerspruchsbescheid allerdings unerwähnt gelassen hat, so sieht
dieser einen Zeitbedarf von 10 Minuten vor, obwohl er im Vergleich zu den beiden anderen Routenplanern eine größere
Entfernung (11 Kilometer statt 9,3 bzw. 9,8 Kilometer) errechnet hat. Bereits die Gegenüberstellung der Ergebnisse
der Auswertung macht deutlich, dass die Messgenauigkeit der Daten kritisch zu hinterfragen ist. Angesichts der
geringen Divergenz des mit Routenplanern errechneten günstigsten Zeitbedarfs (10 Minuten) zu der vom Kläger
angegebenen Zeit von 9 Minuten, die sich ohne Weiteres mit der Fahrt auf einem Motorrad erklären lässt, hat der
Senat keine Veranlassung, an den Angaben des Klägers zu zweifeln.
Soweit die Beklagte dem SG vorwirft, von einem falschen Sachverhalt ausgegangen zu sein und für ihre Auffassung,
der Kläger habe länger als 10 Minuten für die einfache Fahrtsstrecke benötigt, auf die im Polizeibericht vom 8.4.2005
genannte Unfallzeit 12:13 Uhr anführt, ist zunächst unklar, wie diese minutengenaue Uhrzeit überhaupt zustande kam.
Die Polizei war erst um 12:15 Uhr an der Unfallstelle. Die Zeugen machten ausweislich der polizeilichen
Ermittlungsakte keine Angaben zur Unfallzeit. Es ist daher anzunehmen, dass es sich nur um eine retrospektive
Schätzung handelte, bei der es nicht auf eine minutengenaue Angabe ankam, so dass durchaus sein kann, dass sich
der Unfall bereits ein paar Minuten früher ereignet hat. Eindeutige Rückschlüsse lassen sich daher aus dieser Angabe
nicht ziehen.
Es kommt folgende Überlegung hinzu: Würde diese Uhrzeit tatsächlich zutreffen, so hätte der Kläger für die Hälfte der
einfachen Fahrtstrecke bereits 16 Minuten benötigt, weil der Unfallort in der Mitte der Strecke lag und der Kläger um
12:05 Uhr startete. Dies würde wiederum bedeuten, dass er bereits durch die reine Fahrtzeit von 32 Minuten seine
Mittagspause überschritten und keinerlei Zeit mehr für die eigentliche Nahrungsaufnahme gehabt hätte. Eine Fahrt
macht jedoch keinen Sinn, wenn man direkt nach der Ankunft wieder umkehren muss. Diese Überlegung macht
deutlich, dass bei lebensnaher Betrachtung weder von einer Fahrtzeit von 16 Minuten noch von einer Fahrtzeit von 14
Minuten ernsthaft ausgegangen werden kann.
Bei der vom Senat zu Grunde gelegten 9 minütigen einfachen Fahrtzeit wären dem Kläger am Unfalltag unter
Zugrundelegung seiner 30-minütigen Mittagspause noch 12 Minuten Zeit zur Nahrungsaufnahme verblieben. Nach
Auffassung des Senats sind 12 Minuten ausreichend, um im Rahmen dieser Zeitspanne eine am Vorabend
vorgekochte, aufgewärmte Mahlzeit einzunehmen. Der Kläger und seine damalige Freundin bekundeten ebenfalls
glaubhaft, dass ihnen genügend Zeit für die gemeinsame Nahrungsaufnahme verblieben sei. Die Zeugin bekundete "er
sei dann zwar knapp mit der Zeit dran gewesen, das sei aber schon gegangen". Dieser Vortrag bestätigt zwar, dass
die für das gemeinsame Mittagessen verbrachte Zeit "knapp" war, dass sie aber letztlich durchaus reichte ("ging
schon"), um den Zweck zu erfüllen, zu Mittag zu essen. Das BSG hat bereits in seinem Urteil vom 26.4.1977 (aaO)
entschieden, dass ein Versicherter nicht darauf verwiesen werden kann, die nächstgelegene Nahrungsquelle
aufzusuchen, nur weil Nahrung in diesem Fall schneller zu haben ist und dass dem Versicherten hinsichtlich der Wahl
der Örtlichkeit ein nicht zu geringer Spielraum einzuräumen ist. Darauf, ob die Pause über die betriebliche
Mittagspause hinaus eigenmächtig verlängert wurde, weil sich der Kläger nach den weiteren Angaben seiner Freundin
von seinem Chef keine Grenzen setzen lassen wollte oder ob die Verlängerung trotz zweier erteilter Abmahnungen
seitens des Arbeitgebers fortlaufend geduldet wurde, kommt es daher nicht entscheidend an.
Da der Kläger bei dem Unfallereignis erheblich verletzt wurde, ist mit Entschädigungsleistungen der Beklagten an den
Kläger zu rechnen.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nach § 160 Abs 2 Satz 2 zugelassen. Der Senat hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob eine Essenseinnahme wesentlich für die Zurücklegung eines nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weges
sein kann, wenn sie etwa nur ein Drittel der gesamten Mittagspause einnimmt.