Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2011

LSG Rpf: vom 12.11.2010 aufgehoben. 2. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten., vollstreckung, vollziehung, darlehen, heizung, aussetzung, rechtsschutz

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 26.01.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Mainz S 8 AS 1467/10 ER
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 6 AS 616/10 B ER
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz - S 8 AS 1467/10 ER - vom
12.11.2010 aufgehoben.
2. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt die (einstweilige) Übernahme einer Heizkostenforderung (Erdgas) als Darlehen.
Der 1949 geborene und alleinlebende Antragsteller bezieht seit 21.06.2005 nahezu ununterbrochen laufende
Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Er bewohnt ein eigenes Einfamilienhaus in
der mit einer Grundstücksgröße von 272 Quadratmetern (m2). Die Wohnfläche beträgt nach den Angaben des
Antragstellers ca. 75 m2, nach Auffassung des Antragsgegners ca. 95 m2.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 18.06.2010 (vorläufig) in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.08.2010, geändert durch Bescheid vom 19.10.2010 und 16.12.2010 (ohne
ausdrücklichen Vorläufigkeitsvermerk) u. a. Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 288,29 EUR für die
Monate Juli bis November 2010 und in Höhe von 178,43 EUR für Dezember 2010 bewilligt und dabei Zinskosten des
Antragstellers in Höhe von monatlich 55,- EUR berücksichtigt. Ohne Vorlage eines aktuellen Nachweises könnten die
Schuldzinsen nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden (letztmals nachgewiesene Zinsbelastung für
Dezember 2009: 56,27 EUR). Tilgungskosten wurden nicht miteinbezogen. Bis einschließlich November 2010
berücksichtigte der Antragsgegner die Betriebskosten und die Heizkosten (monatliche Abschlagszahlung: 188,- EUR)
in tatsächlicher Höhe bzw. in bereinigter tatsächlicher Höhe (d.h. abzüglich der Kosten der Warmwasserbereitung). Ab
Dezember 2010 wurden die Heizkosten nur noch in Höhe des sich aus dem bundesweiten Heizspiegel ermittelten
Grenzwertes von 71,67 EUR anerkannt. Zuvor hatte der Antragsgegner den Antragsteller mit einer
Kostensenkungsaufforderung vom 20.05.2010 darauf hingewiesen, dass überdurchschnittliche Heizkosten nach
Ablauf von sechs Monaten nicht mehr übernommen würden und gab die jährlich übernahmefähigen Heizkosten auf
Grundlage des bundesweiten Heizspiegels mit 860,- EUR (17,20 EUR x 50 m2) an. Wegen der Frage der Höhe der
Leistungen für Unterkunft und Heizung ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Mainz unter dem Aktenzeichen S 8
AS 1316/10 anhängig. Ein entsprechender Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist erfolglos geblieben (Beschluss
des Senats vom 12.01.2011 - L 6 AS 611/10 B ER).
Unabhängig davon beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 26.03.2010 u.a. die darlehensweise Übernahme
eines Zahlungsrückstandes bei der für Gasheizungskostenabschläge in Höhe von 3.557,56 EUR. Mit Bescheid vom
18.05.2010 lehnte der Antragsgegner den Darlehensantrag ab. Die Zahlungsrückstände seien selbstverschuldet, da
der Antragsteller im Jahr 2009 keine Abschläge gezahlt habe. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom
Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2010 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsteller habe
die Leistungen für Unterkunft und Heizung wissentlich zweckwidrig verwandt, um die Tilgungsraten für sein Eigenheim
zu begleichen. Das Begehren des Antragstellers ist Gegenstand der bereits am 07.07.2010 erhobenen Klage, die vor
dem Sozialgericht Mainz unter dem Aktenzeichen S 8 AS 955/10 anhängig ist.
Das Amtsgericht Mainz hat den Antragsteller auf Betreiben der am 29.09.2010 im Wege des Anerkenntnisurteils (Az.:
72 C 106/10) verurteilt, den ungehinderten Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der zu den im
Anwesen befindlichen Räumlichkeiten, in dem sich die Messeinrichtungen der befinden, zu dulden, damit der
Beauftragte die Gasversorgung Zähler 4238888 unterbrechen kann, an die 3.670,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr seit dem 09.04.2010 sowie 75,50 EUR vorgerichtliche Kosten
zu bezahlen. Eine vollstreckbare Ausfertigung des Anerkenntnisurteils vom 12.10.2010 liegt vor.
Am 29.10.2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Mainz einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt
und die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Forderung der als Darlehen begehrt. Dazu hat er einen
Vollstreckungsauftrag der Rechtsanwälte vom 19.10.2010 über eine Forderung in Höhe von 3.953,79 EUR vorgelegt.
Diese Summe enthält neben den durch Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Mainz (72 C 106/10) titulierten
Ansprüchen auch Zinsen, sonstige Nebenforderungen und Rechtsanwaltsgebühren. Des Weiteren hat der Antragsteller
ein Schreiben des Gerichtsvollziehers M vom 21.10.2010 (DR-II 1589/10) vorgelegt, wonach Termin zur Vollziehung
für Freitag, den 19.11.2010, 10.30 Uhr, bestimmt wurde und anlässlich dieses Termins die notwendige Gassperre
durchgeführt werden sollte. Überdies hat der Antragsteller einen Kostenfestsetzungsantrag der Rechtsanwälte vom
04.10.2010 vorgelegt.
Durch Beschluss vom 12.11.2010 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 3.953,79 EUR zur Tilgung der bei der bestehenden
Gasschulden und darauf basierender Nebenforderungen zu gewähren, wobei die Überweisung des Darlehensbetrages
unmittelbar an die bzw. deren Bevollmächtigten zu erfolgen habe. Das Darlehen sei durch den Antragsgegner nur Zug
um Zug gegen Abgabe einer Zustimmungserklärung des Antragstellers zu gewähren, dass die vom jeweiligen
Gasversorger festgesetzten Abschlagszahlungen für Gas in Zukunft direkt durch den Antragsgegner an den
Gasversorger erfolgen und von den durch den Antragsgegner bewilligten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts abgezogen werden. Das Sozialgericht hat ausgeführt, der Antragsteller habe einen
Anordnungsanspruch auf Gewährung eines Darlehens in der für die Abwendung der drohenden Gassperre notwendigen
Höhe nach § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausreichend glaubhaft gemacht; insoweit bestehe auch ein Anordnungsgrund.
Im Regelfall sei eine Übernahme von Energiekostenrückständen geboten und diese nur in atypischen Fällen zu
versagen. Die endgültige Klärung ob ein atypischer Fall vorliege, könne regelmäßig erst im Hauptsacheverfahren
erfolgen. Vorliegend sei die Kammer vom Vorliegen eines solchen Falles nicht überzeugt. Zwar habe es der
Antragsteller in der Vergangenheit unterlassen, die notwendigen Abschläge an den Gasversorger zu leisten. Es sei
aber in mehreren Verfahren vor der Kammer zwischen den Beteiligten geführten Verfahren (S 8 AS 797/10, 798/10
und 799/10) streitig, ob der Antragsgegner verpflichtet gewesen wäre, dem Antragsteller höhere Leistungen für
Unterkunft und Heizung zu leisten; insbesondere habe der Antragsgegner die vom Antragsteller für sein Eigenheim
aufzuwendenden Tilgungsraten nicht übernommen. Eine entsprechende Pflicht sei aber im Hinblick auf das Urteil des
Bundessozialgerichts vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - zumindest nicht offensichtlich ausgeschlossen.
Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller in seinem Antrag auf gesundheitliche Einschränkungen
hingewiesen habe, die bei der Beurteilung einer drohenden Gassperre ebenfalls zu berücksichtigen seien. Zur
Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache sei eine darlehensweise Gewährung, wie vom Antragsteller
beantragt, angezeigt und ausreichend. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller seinen Zahlungsverpflichtungen an
den Gasversorger in der Vergangenheit nur unzureichend nachgekommen sei, sei es geboten, dass der
darlehensweise zu gewährende Kontoausgleich und die zukünftigen Zahlungen für Gaslieferungen direkt an das
Versorgungsunternehmen geleistet werden. Angesichts der durch den Gerichtsvollzieher für den 19.11.2010
angekündigten Gassperre sei auch die notwendige Eilbedürftigkeit gegeben. Den weitergehenden Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz hat das Sozialgericht abgelehnt, insbesondere fehle es an einem Anordnungsgrund zur
Bewilligung eines Darlehens für die anwaltliche Kostenfestsetzungsforderung in Höhe von 1.315,15 EUR.
Aufgrund des ihm am 16.11.2010 zugestellten Beschlusses hat der Antragsteller mit Schreiben vom 17.11.2010,
eingegangen bei dem Antragsgegner am 18.11.2010, der Leistung Zug um Zug zugestimmt und um Zusendung des
Darlehensvertrages und seiner "Erklärungsverpflichtung für das mtl. Verfahren der Zahlweise" gebeten. Schon jetzt
erkläre er sich damit einverstanden, dass der Antragsgegner die "mtl. Zahlweise z. Zt. 117,- EUR mtl. übernimmt und
dem Hilfebedürftigen Antragsteller in Abzug bringt".
Der Antragsgegner hat die Darlehensleistung nicht erbracht und gegen den ihm am 12.11.2010 zugestellten Beschluss
am 08.12.2010 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig beantragt, die Vollstreckung aus dem Beschluss durch
einstweilige Anordnung gemäß § 199 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen.
Die Rechtsanwälte haben auf Anfrage des Senats am 20.12.2010 für die telefonisch erklärt, der Vollstreckungsauftrag
sei zurückgezogen worden. Herr H von der hat am selben Tag telefonisch erklärt, weitere Vollstreckungsmaßnahmen
seien allein im Hinblick auf den Beschluss des Sozialgerichts vom 12.11.2010 vorläufig nicht weiter betrieben worden.
Durch Beschluss vom 21.12.2010 hat der Senat durch die Senatsvorsitzende beschlossen, die Vollstreckung aus
dem Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 12.11.2010 vorläufig auszusetzen. Der Antragsteller habe aus dem ihm
am 16.11.2010 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts bis zum Beschluss des heutigen Tag gerichtliche
Vollstreckungsmaßnahmen nicht eingeleitet. Die Monatsfrist des § 86b Abs. 2 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO sei bei
der Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollstreckung beachtlich und daher die
Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 12.11.2010 vorläufig auszusetzen.
Mit Schreiben vom 17.01.2011 hat die erklärt, dass sie nunmehr die Versorgungsunterbrechung aus dem
Anerkenntnisurteil vorantreiben werde.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie der
Prozessakte verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
Die nach den § 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Der
angegriffene Beschluss des Sozialgerichts ist aufzuheben, weil aus ihm nicht mehr vollstreckt werden kann.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist die Vollziehung des
Beschlusses über die Anordnung der einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Beschluss
verkündet oder der Partei auf deren Antrag er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. § 929 Abs. 2 ZPO ist
auch bei der Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens
anzuwenden. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 12.11.2010 ist dem Antragsteller am 16.11.2010 zugestellt
worden. Der Antragsgegner hat die in diesem Beschluss angeordneten Leistungen, trotz der ihm am 18.11.2010
zugegangenen Erklärung des Antragstellers vom 17.11.2010, nicht erbracht. Vollstreckungsmaßnahmen des
Antragstellers sind bis zu dem Beschluss der Senatsvorsitzenden über die Aussetzung der Vollstreckung vom
21.12.2010 nicht eingeleitet worden. Damit ist die Vollstreckung aus dem Beschluss unstatthaft mit der Folge, dass
der Beschluss wegen veränderter Umstände gemäß § 202 SGG i.V.m. § 927 ZPO oder in analoger Anwendung von §
927 ZPO aufzuheben ist. (Vgl. zum Ganzen m.w.N.: Sächsisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 - L 3 B 610/07
AS-ER).
Der Anwendbarkeit von § 929 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass sich der Antragsteller möglicherweise darauf
verlassen hat, der Antragsgegner werde sich gesetzestreu verhalten, und er deshalb von Vollstreckungsmaßnahmen
abgesehen hat. Obwohl der Antragsgegner bis zum Beschluss über die Aussetzung der Vollstreckung am 21.12.2010
rechtsgrundlos seiner Pflicht die Leistungsverpflichtung aus der einstweiligen Anordnung zu erfüllen, nicht nachkam
und trotz des grundsätzlich gerechtfertigten Vertrauens des Bürgers in eine gesetzestreue Verwaltung kann die
Anwendung der Regelung des § 929 ZPO wegen des eindeutigen und ausdrücklichen gesetzlichen
Anwendungsbefehls in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG nicht ausgeschlossen werden (ebenso: Sächsisches LSG a.a.O.;
Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 04.01.2007 - L 11 B 509/06 AS-ER -, Juris).
Der Umstand, dass im vorliegenden Verfahren der angegriffene Beschluss wegen Ablaufs der Monatsfrist aus § 929
Abs. 2 ZPO aufzuheben ist, hindert die Antragsteller nicht, eine erneute einstweilige Anordnung beim Sozialgericht zu
erwirken. Hierdurch wird - im vorliegenden Einzelfall - auch dem Recht des Antragstellers auf eine effektive
Rechtsschutzgewährleistung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und auf Sicherstellung eines
menschenwürdigen Lebens, das zu gewährleisten eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist und aus dem
Gebot des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1, 3 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 3 GG)
folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05- Juris), Genüge getan. Schwere und unzumutbare
Beeinträchtigungen treten für den Antragsteller durch die Verweisung auf die Erwirkung einer erneuten einstweiligen
Anordnung - auch vorübergehend - nicht ein. Denn der Energieversorger hat seinen bereits erwirkten
Vollstreckungsauftrag aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Anerkenntnisurteils vom 29.09.2010
zurückgenommen. Auch wenn der Versorger zwischenzeitlich erklärt hat, nunmehr die Versorgungsunterbrechung aus
dem Anerkenntnisurteil vorantreiben zu wollen, ist bislang durch den zuständigen Gerichtsvollzieher noch kein (neuer)
Termin zur Vollziehung bestimmt worden; jedenfalls hat der Antragsteller dies bis zum Beschluss des heutigen Tages
nicht vorgetragen. Überdies verbleibt dem Antragsteller nach der Erfahrung des Senats auch innerhalb der Zeitspanne
zwischen der Bekanntgabe des Termins zur Vollziehung und dem Vollziehungstermin des Gerichtsvollziehers noch
hinreichend Zeit um eine erneute einstweilige Anordnung zu erwirken.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.