Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25.04.2002

LSG Rpf: gleichbehandlung im unrecht, handelsvertreter, ware, arbeitskraft, eigentum, kaufpreis, unternehmer, eingliederung, provision, verfügung

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 25.04.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Speyer S 5 Ar 234/98
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 AL 162/00
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 17.10.2000 – A 5 Ar 234/98 – wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Überbrückungsgeld (Übbg). Vorrangig geht es um die Frage, ob der Kläger eine
selbständige Tätigkeit aufgenommen hat.
Die Beigeladene handelt mit Motorradhelmen und sonstigem Motorradzubehör. Im Bundesgebiet unterhält sie mehrere
von ihr angemietete Geschäftslokale, die von als Handelsvertreter bezeichneten Personen betrieben werden. Der
Kläger eröffnete am 01.11.1997 ebenfalls ein sog. G in K. Das Ladengeschäft war montags bis freitags von 9.00 bis
18.00 Uhr und samstags von 10.00 bis 14.00 Uhr geöffnet.
Das Geschäftslokal hatte die Beigeladene angemietet, vollständig eingerichtet und an den Kläger bis zum 30.06.2002
untervermietet. Der Mietzins betrug monatlich 1.885,00 DM. Der Kläger war vertraglich verpflichtet, die
Einrichtungsgegenstände zu einem Kaufpreis von 39.000,00 DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu erwerben. Nach der
zwischen ihm und der Beigeladenen abgeschlossenen Vereinbarung hatte er während der Dauer des
Untermietvertrages die von ihm erworbenen Einrichtungsgegenstände in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten
und notwendige Reparaturen und Ausbesserungen sofort durchzuführen. Außerdem musste der Kläger der
Beigeladenen das unwiderrufliche Angebot unterbreiten, ihr das Eigentum an den Einrichtungsgegenständen zu
übertragen. Dabei sollte die Übergabe durch die Vereinbarung des Besitzkonstituts der Verwahrung erfolgen. Als
Übernahmepreis der Beigeladenen wurde der Zeitwert der Einrichtungsgegenstände vereinbart; die Berechnung des
Kaufpreises war im Einzelnen geregelt.
Neben dem Untermietvertrag und dem Vertrag über die Einrichtungsgegenstände schloss der Kläger mit der
Beigeladenen ebenfalls am 01.10.1997 einen sog. Handelsvertretervertrag ab.
Nach § 1 Abs. 2 dieses Vertrages wurde der Kläger durch die Beigeladene mit der Vertretung für den Vertrieb ihrer
Kollektion sowie sonstiger Motorradkleidung und –zubehör, technischem Zubehör und Ersatzteilen in K betraut. Der
Kläger war nicht berechtigt, andere als die von der Beigeladenen gelieferte Ware im Ladengeschäft zu lagern und zu
verkaufen und/oder zu bewerben (§ 2 Abs. 2 k). Hinsichtlich der vom Kläger zu vertreibenden Artikel und deren
Preisen galt der jeweils gültige Katalog der Beigeladenen; Lieferung, Zahlung und Garantie der vom Kläger
vertriebenen Artikel bestimmten sich ausschließlich nach den jeweils gültigen allgemeinen Geschäftsbedingungen der
Beigeladenen (§ 1 Abs. 2).
Die Beigeladene lieferte dem Kläger eine in ihrem Eigentum verbliebene Erstausstattung ihrer Kollektion (§ 2 Abs. 2
a). Der Kläger war verpflichtet, die erhaltene Ware entsprechend den Richtlinien der Beigeladenen in den
Geschäftsräumen zu lagern (§ 2 Abs. 2 a).
Den von ihm erhaltenen Kauferlös nahm er für die Beigeladene treuhänderisch in Empfang. Geld und Schecks wurden
ausschließlich in einer von der Beigeladenen gelieferten Kasse deponiert; der Kläger war lediglich berechtigt,
Wechselgeld aus dieser Kasse zu entnehmen. Er musste den Kauferlös in einer von der betreffenden Bank zu
liefernden Geldbombe/-tasche bei der von der Beigeladenen angegebenen Bank täglich abliefern (§ 2 Abs. 2 f).
Der Verkauf der Ware erfolgte ausschließlich zu den von der Beigeladenen angegebenen Verbraucherpreisen. Rabatte
und Skonti durfte der Kläger erst nach schriftlicher Absprache mit der Beigeladenen gewähren (§ 2 Abs. 2 g). Jeder
Verkauf wurde über die von der Beigeladenen gelieferten Computerkasse registriert. Für die Benutzung dieses
Kassensystems zahlte der Kläger der Beigeladenen eine monatliche Gebühr in Höhe von 310,00 DM zzgl. der jeweils
gültigen Mehrwertsteuer (§ 2 Abs. 2 e).
Der Kläger war des Weiteren verpflichtet, auf seine Kosten die Ladeneinrichtung gemäß den Richtlinien der
Beigeladenen anzupassen oder zu komplettieren, um die Ware bei einer Veränderung des Lagerumfanges durch die
Beigeladene verkaufsgerecht lagern und präsentieren zu können (§ 2 Abs. 2 i).
Um das äußere Erscheinungsbild aller G-Shops möglichst einheitlich zu gestalten, sollte die Schaufensterdekoration
regelmäßig durch einen von der Beigeladenen beauftragten Dekorateur vorgenommen werden (§ 2 Abs. 2 l).
Außerdem wurden Geschäftsformulare und Visitenkarten einheitlich von der Beigeladenen gestaltet. Die Kosten der
Nachlieferungen von Visitenkarten hatte der Kläger zu tragen (§ 2 Abs. 2 l).
In der äußeren Gestaltung seiner Tätigkeit und der Einteilung seiner Arbeitszeit war der Kläger entsprechend § 2 Abs.
3 des Handelsvertretervertrages nicht weisungsgebunden. Er verpflichtete sich allerdings, das von ihm betriebene
Ladenlokal während der allgemeinen Ladenöffnungszeiten während des gesamten Jahres geöffnet zu halten und das
Geschäftslokal selbst zu leiten. Nach § 2 Abs. 4 war die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten aus dem
Handelsvertretervertrag höchstpersönlicher Art. Der Kläger durfte im Urlaubs- oder Krankheitsfall die ihm übertragenen
Aufgaben auf einen Dritten übertragen; die Beigeladene hatte er hierüber schriftlich zu informieren.
Außerdem war der Kläger berechtigt, auf eigene Kosten Mitarbeiter in dem Geschäftslokal unter seiner Leitung zu
beschäftigen. Auch hierüber musste er die Beigeladene informieren (§ 2 Abs. 4).
Nach § 3 des Handelsvertretervertrages hatte die Beigeladene bei der Erteilung von Weisungen der selbständigen
Stellung des Klägers Rechnung zu tragen.
Für die von ihm im Vertragsgebiet vermittelten Geschäfte sowie für alle von ihm im Rahmen und für Rechnung der
Beigeladenen abgeschlossenen Geschäfte hatte der Kläger einen Anspruch auf Provision. Die Höhe der Provision
richtete sich nach dem jährlichen Nettoumsatz. Allerdings stand dem Kläger gemäß § 7 Abs. 2 des
Handelsvertretervertrages eine jährliche Garantieprovision in Höhe von 48.000,00 DM zu.
Mit Wirkung vom 01.06.1998 schloss der Kläger mit der Beigeladenen alle drei Verträge mit teilweise geändertem
Inhalt neu ab.
Im ersten halben Jahr nach der Eröffnung halfen dem Kläger im Ladenlokal ab und zu seine Freundin und ein Freund
aus. In dieser Zeit vertrieb er neben den Artikeln der Beigeladenen auch Auspuffanlagen und sonstiges
Motorradzubehör von der Firma W; der Umsatzanteil dieser Artikel betrug maximal 10 %.
Am 23.09.1997 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit
der Existenzgründung bei der Beklagten die Gewährung von Übbg ab dem 01.11.1997 für die Dauer von 26 Wochen.
2.
Nach Auswertung der seinem Antrag beigefügten, mit der Beigeladenen abgeschlossenen Verträge vom 01.10.1997
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.1997 den Antrag des Klägers ab, weil der Kläger keine selbständige
Tätigkeit aufgenommen habe. Vielmehr sei im Hinblick auf die konkrete Vertragsgestaltung davon auszugehen, dass
bei ihm eine sog. Scheinselbständigkeit vorliege. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers, mit dem er im
Wesentlichen darauf hinwies, dass er ein eigenes Unternehmerrisiko trage und nach Außen hin selbst am freien Markt
auftrete, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23.03.1998 als unbegründet zurück.
Am 23.04.1998 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Speyer (SG) Klage erhoben.
Mit Urteil vom 17.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen.
Gegen das ihm am 13.11.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.12.2000 Berufung eingelegt.
Er trägt vor:
Ihm stehe Übbg zu, denn er habe am 01.11.1997 eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. Die Argumentation der
Beklagten berücksichtige nicht, dass er Handelsvertreter sei und er Waren der Beigeladenen in deren Namen und auf
deren Rechnung verkaufe. Dem Regelbild eines Handelsvertreters entspreche es aber, dass er auf die Preisgestaltung
seines Geschäftsherren keinen unmittelbaren Einfluss nehmen könne. Weil das Unternehmerrisiko kein
Tatbestandsmerkmal des § 84 Handelsgesetzbuch (HGB) und daher für die Abgrenzung zwischen einem
selbständigen Handelsvertreter und einem Arbeitnehmer bedeutungslos sei, sei es auch nicht entscheidungserheblich,
ob und inwieweit er ein eigenes Unternehmerrisiko trage. Ungeachtet dessen trage er aber sehr wohl ein eigenes
Unternehmerrisiko. Sein Verdienst hänge nämlich maßgeblich davon ab, in welchem Umfang er die Waren der
Beigeladenen verkaufe.
Im Übrigen sei sein Geschäft in hohem Maße saison- und wetterabhängig. Es könne durchaus sein, dass in der
Hauptsaison im Frühjahr/Frühsommer die Umsatzzahlen wegen eines schlechten Wetters stagnierten.
Entgegen der vertraglichen Vereinbarung mit der Beigeladenen habe er die Schaufenster in dem Ladenlokal selbst
dekoriert. Er habe nicht mit einem Dekorateur der Beigeladenen oder sonstigen Mitarbeitern von ihr
zusammengearbeitet.
Die Rechtsauffassung der Beklagten, er sei entsprechend einem Filialleiter tätig, sei falsch. Die Beigeladene betreibe
keinesfalls Filialen im Bundesgebiet. Sie habe sich ganz bewusst dafür entschieden, neben dem Versandhandel ihren
Vertrieb über selbständige Handelsvertretungen sicherzustellen. Deswegen sei er auch nicht mit einem angestellten
Filialleiter zu vergleichen. Auch die Tatsache, dass er keine eigene Preispolitik machen durfte, verkenne evident das
gesetzliche Leitbild des selbständigen Handelsvertreters.
Nicht überzeugend sei auch der Hinweis, dass das äußere Erscheinungsbild seines Geschäftslokals den Vorgaben
der Beigeladenen entsprechen müsse. Solche Vorgaben bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes seien bei allen
modernen Vertriebsformen über Selbständige, wie z.B. im gesamten Franchisebereich üblich und im Hinblick auf das
beiderseitige Interesse der Markenakzeptanz und des Wiedererkennungswertes bei der Kundschaft üblich und
angemessen. Hierdurch könne keinesfalls eine selbständige Tätigkeit ernsthaft in Frage gestellt werden.
Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sowohl das hanseatische Oberlandesgericht Bremen in seiner Entscheidung
vom 14.01.1997 sowie das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 06.09.1999 in Verfahren, die
ebenfalls Handelsvertreter der Beigeladenen betroffen hätten, eine selbständige und keine abhängige Beschäftigung
angenommen hätten.
Er besitze auch eine eigene Unternehmensorganisation. Er organisiere eigenständig die Präsentation der Ware im
Ladenlokal, überwache den Bestand, die Diebstahlssicherung, das Auffüllen von Abverkäufen und nehme außerdem
Einfluss auf die Bestandsgröße der von ihm vertriebenen einzelnen Artikelgruppen. Außerdem werbe er für sein
Geschäftslokal in Printmedien und im Kino.
Sowohl die Vertragsgestaltung als auch die konkrete Vertragshandhabung entsprächen in jedem Fall dem Wesen
einer selbständigen Handelsvertretung. Seine Pflicht zur höchstpersönlichen Leistungserbringung besage insoweit
lediglich, dass er persönlich für die Pflichterfüllung aus dem Vertrag einzustehen habe. Dies bedeute jedoch nicht,
dass er selbst die nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen persönlich erbringen müsse. Er sei keinesfalls
verpflichtet, während der Verkaufszeiten die Tätigkeit der von ihm ggf. eingestellten Mitarbeiter persönlich permanent
zu überwachen. Aufsicht in dem vertraglich gemeinten Sinne dürfe nicht mit persönlicher Anwesenheit verwechselt
werden.
Auch sei anderen Handelsvertretern der Beigeladenen durch andere Arbeitsamtsdienststellen der Beklagten sehr wohl
Übbg bewilligt worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 17.10.2000 – S 5 Ar 234/98 – abzuändern und den Bescheid der Beklagten
vom 16.12.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1998 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihm einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor:
Der Kläger habe am 01.11.997 keine selbständige Tätigkeit aufgenommen. Bei der Abgrenzung der selbständigen
Tätigkeit von einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis komme es in erster Linie darauf an, ob
ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis eines Arbeitnehmers gegenüber einem Arbeitgeber infolge der Eingliederung
in eine fremde Arbeitsorganisation bestehe.
Dabei sei typisches Merkmal für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, dass der Arbeitgeber
über Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der konkreten Tätigkeit bestimme. Des Weiteren sei von Bedeutung, ob
eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt werden könne, ob
also der Erfolg des Einsatzes der sachlichen und persönlichen Mittel ungewiss sei.
Die Frage, ob eine Tätigkeit abhängig oder selbständig verrichtet werde, entscheide sich in Zweifelsfällen danach,
welche Merkmale im Einzelfall überwiegen würden.
Bei Anwendung dieser Grundsätze könne an einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis des Klägers nicht gezweifelt
werden. Insoweit sei zunächst der mit Wirkung vom 01.11.1997 zwischen dem Kläger und der Beigeladenen
abgeschlossene Handelsvertretervertrag maßgeblich.
Dass zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich zum 01.06.1998, ein anderer Handelsvertretervertrag abgeschlossen
worden sei, sei für die Entscheidung über den Antrag auf Übbg, der erheblich früher gestellt worden sei, unbeachtlich.
Gegen ein Beschäftigungsverhältnis spreche nicht, dass der hier erkennbare Wille der Vertragsparteien ersichtlich
darauf gerichtet sei, für den Kläger ein Rechtsverhältnis zu gründen, in dem er Selbständigkeit besitzen sollte. Der
Wille der Vertragsparteien wäre für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nur dann zu beachten, wenn die
tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses diesem Willen entsprochen hätte. Dies sei vorliegend aber nicht
der Fall.
Der Kläger habe ein von der Beigeladenen vollständig eingerichtetes Ladengeschäft übernommen; hierdurch habe er
sich lediglich in eine bereits von der Beigeladenen aufgebaute betriebliche Organisation und vorhandene
Betriebsstruktur eingegliedert. Er habe tatsächlich nicht über eigene Betriebsräume, über die er wie ein freier
Unternehmer hätte verfügen können, verfügt.
Nach den Regelungen des Untermietvertrages sei er auf Gedeih und Verderb vom Verhalten der Beigeladenen
abhängig gewesen. Insbesondere die vertragliche Ausgestaltung des Untermietvertrages bezüglich der Übernahme der
Einrichtungsgegenstände verdeutliche, dass der Kläger gerade nicht über den Einsatz eigener Betriebsmittel im Sinne
eines echten Unternehmerrisiko verfügen konnte. Er hatte lediglich eine Art "Kaution" für die Dauer der Nutzung des
Ladenlokals inklusive der Einrichtungsgegenstände zu erbringen. All dies verdeutliche, dass der Kläger kein typisches
Unternehmerrisiko trage.
Einziger Einsatz des Klägers sei seine Arbeitskraft und sein Verkaufsgeschick gewesen. Hierdurch habe er sich dem
Grunde nach nicht von anderen kaufmännischen Angestellten unterschieden. Gegen ein eigenes Unternehmerrisiko
spreche außerdem, dass der Kläger Anspruch auf eine jährliche Garantieprovision in Höhe von 48.000,00 DM habe.
Hierdurch sei ihm ein monatliches Einkommen in Höhe von 4.000,00 DM sicher gewesen. Sowohl die Höhe als auch
die Art und Weise der Vergütung sei nicht geeignet, ein Unternehmerrisiko zu begründen.
Der Kläger könne zudem auch seine Arbeitszeiten nicht frei bestimmen. Er sei vertraglich verpflichtet gewesen, die
gesetzlichen Ladenöffnungszeiten regelmäßig einzuhalten.
Auch die umfangreichen Kontrollfunktionen der Beigeladenen und deren exakte Regelung bezüglich des vom Kläger
einzuhaltenden Zahlungsverkehrs mit den Kunden verdeutlichten die persönliche Abhängigkeit des Klägers gegenüber
der Beigeladenen.
Dass sich der Kläger seinen Urlaub nicht genehmigen lassen und auch Krankheitszeiten nicht belegen musste,
entspreche eher dem Gesamtbild eines leitenden Angestellten. Auch dieser dürfe im Vergleich zu sonstigen
Arbeitnehmern größere Freiheiten für sich in Anspruch nehmen. Die vorgenannten Gesichtspunkte belegten vielmehr,
dass der Kläger örtlich sowie organisatorisch in den Betrieb der Beigeladenen eingegliedert sei und sich in seiner
Tätigkeit nicht wesentlich von der üblichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eines Filialleiters
unterscheide.
Selbst wenn der Kläger nicht als persönlich abhängig einzustufen wäre, müsste er nach den vom
Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 16.07.1997 – 5 AZB 29/96 – aufgestellten Grundsätzen als
wirtschaftlich abhängig, daher einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig eingeordnet und als
arbeitnehmerähnliche Person betrachtet werden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der den Kläger
betreffenden Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid
der Beklagten vom 16.12.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1998 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übbg, denn er hat am 01.11.1997
keine selbständige Tätigkeit aufgenommen.
Nach dem hier anzuwendenden § 55 a Abs. 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) kann die Beklagte bei Aufnahme
einer selbständigen Tätigkeit von mindestens 18 Stunden wöchentlich für 26 Wochen Übbg gewähren. Diese
Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat am 01.11.1997 keine selbständige Tätigkeit, sondern
eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Beigeladenen aufgenommen.
Wie bereits nach den Vorschriften des Handelsrechts ist auch im Recht der Sozialversicherung die versicherungsfreie
Tätigkeit eines selbständigen Handelsvertreters von der versicherungspflichtigen Beschäftigung eines abhängigen
Handlungsgehilfen abzugrenzen. Nach den Vorschriften des Handelsrechts ist Handelsvertreter, wer als selbständiger
Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln; selbständig ist
dabei, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 HGB).
Liegen die zuletzt genannten Voraussetzungen nicht vor, so ist ein mit der Vermittlung von Geschäften für einen
Unternehmen Betrauter dessen Handlungsgehilfe im Sinne des § 59 HGB. Für das Handelsrecht sind hiernach
Personen, die ständig mit der Vermittlung von Geschäften betraut sind, entweder selbständige Handelsvertreter oder
angestellte Handlungsgehilfen. Die Vertragstypen des Handelsvertreters und des mit der Vermittlung von Geschäften
betrauten Handlungsgehilfen unterscheiden sich mithin nicht nach der Art der zu leistenden Dienste, sondern allein
nach dem Maß an persönlicher Freiheit, das dem Dienstpflichtigen bei seiner Tätigkeit eingeräumt ist. Kann der
Betroffene seine Vermittlungstätigkeit im Wesentlichen frei gestalten, ist er Handelsvertreter, im anderen Falle
Handlungsgehilfe.
Dass auch der Handelsvertreter an Weisungen des Unternehmers gebunden ist, hebt seine rechtliche Selbständigkeit
nicht auf. Er kann nur dann nicht mehr als selbständig und damit als Handlungsvertreter angesehen werden, wenn das
Weisungsrecht des Unternehmers vertraglich so stark ausgestaltet ist, dass der Beauftragte seine Tätigkeit und seine
Arbeitszeit wie ein Angestellter entrichten muss. Dem Handelsvertreter dürfen darüber hinaus durch Weisungen des
Unternehmers auch nicht neue, über den Vertrag hinausgehende Pflichten auferlegt werden. Zulässig sind lediglich
Weisungen, die aufgrund des Gesetzes oder des Vertrages bereits bestehende Pflichten des Handelsvertreters näher
konkretisieren. Die Weisungsgebundenheit des Handelsvertreters unterscheidet sich insofern wesentlich von der des
Handlungsgehilfen. Über dessen Arbeitskraft kann der Unternehmer durch einseitig erteilte Weisungen grundsätzlich
unbeschränkt verfügen. Die dadurch begründete persönliche Abhängigkeit des Handlungsgehilfen fehlt beim
Handelsvertreter. Er steht seinem Auftraggeber trotz Bindung an dessen Weisungen in einem Verhältnis persönlicher
Selbständigkeit und Gleichordnung gegenüber (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.1981 – Az.: 12 RK 63/79 –).
Obwohl die Begriffe der Selbständigkeit und der Abhängigkeit im Handelsrecht eine andere Funktion als im
Sozialversicherungsrecht haben, haben sie weitgehend den gleichen Inhalt. Das Sozialversicherungsrecht kann
deshalb für die – auch versicherungsrechtlich erhebliche – Frage, ob und welche Rechtsbeziehungen zwischen
Privatpersonen bestehen, an die entsprechenden Regeln des Privatrechts anknüpfen und diese auch für seinen
Bereich übernehmen. Auch im Sozialversicherungsrecht wird im Regelfall eine selbständige Tätigkeit durch das
eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen
freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet, während ein abhängig Beschäftigter typischerweise einem
Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, das Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung umfasst.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in seiner bis zum 31.12.1998
geltenden Fassung (a.F.). Nach dieser Vorschrift ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in
einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der
Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der
Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung
umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich
durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über
die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand
abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets
das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben
diese den Ausschlag (BSGE 45, 199, 200 ff = SozR 2200 § 1227 Nr. 8; SozR 3 – 2400 § 7 Nr. 13 S. 31 f, jeweils
m.w.N.); für die Unterscheidung zwischen selbständigen und abhängigen Dienstleistungen sind alle Umstände des
einzelnen Falles einzubeziehen und auf das "Gesamtbild der Tätigkeit abzustellen" (vgl. insoweit BSG, Urteile vom
27.07.1989 und 14.12.1989, Az.: 11/7 RA 71/87 und B 2 U 48/98R –).
Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, über
dessen Normen grundsätzlich nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden kann, schließen es aus, dass über
die rechtliche Einordnung einer Person als versicherungsfreier Handelsvertreter oder als versicherungspflichtiger
Handlungsgehilfe allein die von den Vertragschließenden getroffenen Vereinbarungen entscheiden. Der Wille der
Vertragschließenden, eine mit der Vermittlung von Geschäften beauftragte Person den Normen des
Handelsvertreterrechts zu unterstellen, kann für die Frage ihrer Versicherungspflicht nicht maßgebend sein, wenn
diese rechtliche Einordnung den sonstigen Bestimmungen des Vertrages oder ihrer tatsächlichen Anwendung nicht
entspricht.
Nach diesen Grundsätzen war der Kläger vom 01.11.1997 bis mindestens Ende Mai 1998 abhängig beschäftigt.
Ob ab dem 01.06.1998, also dem Abschluss der neuen Verträge, eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, mag
dahinstehen. Denn für den Anspruch des Klägers auf Übbg ab dem 01.11.1997 kommt es nur darauf an, ob er zu
diesem Zeitpunkt für die Dauer von (mindestens) 26 Wochen eine selbständige Tätigkeit aufgenommen und ausgeübt
hat. Dies ist aber nicht der Fall.
Die Versicherungspflicht des Klägers ist vorliegend allein aufgrund seiner mit der Beigeladenen am 01.10.1997
geschlossenen Verträge zu beurteilen.
Die vertragliche Ausgestaltung spricht vorliegend indes nicht für eine selbständige Tätigkeit des Klägers. Die
vertraglichen Einschränkungen des Klägers haben keinen Raum für eine frei zu gestaltende Tätigkeit gelassen.
Angesichts des dem Kläger praktisch vorgegebenen, durch eigene Initiative kaum wesentlich zu erweiternden
Umfanges seiner Geschäftstätigkeit ist der Einsatz seiner Arbeitskraft für ihn auch nicht mit einem nennenswerten
Verlustrisiko verbunden.
Vorliegend ist zwar nicht zu verkennen, dass der Kläger nicht nur Miete an die Beigeladene zahlen muss, sondern
darüber hinaus auch eine monatliche "Gebühr" für die Benutzung des ihm von der Beigeladenen zur Verfügung
gestellten Kassensystems entrichten musste. Zwar spricht die Tragung dieser Geschäftsunkosten und insbesondere
der zunächst vom Kläger aufzuwendende Kaufpreis für die Einrichtungsgegenstände, den er jedoch von der
Beigeladenen zum größten Teil erstattet bekam, für ein eigenes Unternehmerrisiko des Klägers; dies kann aber eine
selbständige Tätigkeit nicht begründen. Die Merkmale, die gegen eine selbständige Tätigkeit des Klägers sprechen,
überwiegen.
Bereits das Hauptmerkmal der Selbständigkeit, die wesentlich freie Bestimmung der Arbeitszeit, ist vorliegend nicht
erfüllt. Der Kläger kann über die zeitliche Verteilung seiner Arbeit nicht nach seinem eigenen Ermessen entscheiden.
Er kann auch nicht über die Art und weise seiner Tätigkeit frei bestimmen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 ist der Kläger
verpflichtet, das von ihm betriebene Ladenlokal während der allgemeinen Ladenöffnungszeiten während des gesamten
Jahres geöffnet zu halten. Er konnte seine Arbeitszeit nur in diesem zeitlichen Rahmen erbringen. Zudem muss der
Kläger das Geschäft selbst leiten. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung ist die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten
aus dem Handelsvertretervertrag höchst persönlicher Art. Lediglich im Urlaubs- und Krankheitsfall darf der Kläger die
ihm übertragenen Aufgaben auf einen Dritten übertragen. Er ist zwar berechtigt, auf eigene Kosten Mitarbeiter in dem
von ihm betriebenen Geschäftslokal zu beschäftigen, aber dies darf nur unter seiner Leitung erfolgen. Diese
vertraglichen Verpflichtungen bedeuten entgegen der Ansicht des Klägers sehr wohl, dass er während der vertraglich
festgelegten, üblichen Ladungsöffnungszeiten selbst – mit Ausnahme des Krankheits- oder Urlaubsfalles – in dem
Ladengeschäft anwesend sein muss.
Die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beigeladenen zeigt sich auch daran, dass er auch den Ort seiner
Tätigkeit nicht frei bestimmen und auch sonst keine selbständigen unternehmerischen Aktivitäten entwickeln kann.
Den Standort des Ladenlokals hatte die Beigeladene ausgesucht; faktisch arbeitete der Kläger in den von ihm zwar
angemieteten, aber ihm vollständig von der Beigeladenen zur Verfügung gestellten Räumen. Das Geschäftslokal ist
als Einrichtung der Beigeladenen bezeichnet. In gleicher Weise spricht auch die Vereinbarung bezüglich der
Einrichtungsgegenstände für die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beigeladenen. Der Kläger hat ein von
der Beigeladenen vollständig eingerichtetes Geschäftslokal übernommen; das Eigentum an den
Einrichtungsgegenständen hat er an die Beigeladene übertragen. Der von ihm zunächst entrichteten Kaufpreis
entspricht – hierauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen – einer Art Kaution, in der auch eine Art Mietzins
enthalten ist; denn der Kläger bekommt den Kaufpreis nach Vertragsbeendigung zumindest zum Zeitwert erstattet.
Zudem hat die Beigeladene insbesondere die Art und Weise des Verkaufs der von ihr dem Kläger zur Verfügung
gestellten, in ihrem Eigentum verbleibenden Ware an den Endverbraucher in allen Einzelheiten geregelt. Sogar die
Verwahrung und die Entgegennahme der Zahlungsmittel war bis ins Einzelne bestimmt. Der Kläger hatte bei
Ausübung seiner Verkaufstätigkeit keinerlei eigenen Handlungsspielraum; Skonti und Rabatte musste er mit der
Beigeladenen schriftlich absprechen. Dies zeigt eindrucksvoll, dass es sich bei den vom Kläger für die Beigeladene
übernommenen Aufgaben im Wesentlichen um einfache Verkäufertätigkeit, wie sie auch sonst in Läden vorkommen
und dann in der Regel von abhängig Beschäftigten ausgeführt werden, handelt. Für diese Tätigkeit erhielt der Kläger
auch eine jährliche Garantieprovision in Höhe von 48.000,00 DM. Auch bei sonstigen abhängig beschäftigten
Verkäufern ist eine umsatzorientierte, zu dem Festgehalt zu zahlende Provision durchaus üblich.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht berechtigt war, andere Ware als die ihm von der
Beigeladenen gelieferte im Ladengeschäft zu lagern und zu verkaufen. Diese Vereinbarung entspricht einem für
Arbeitnehmer typischen Wettbewerbsverbot (vgl. hierzu BS, Urteil vom 10.08.2000 – B 12 KR 21/98 R –).
Dass der Kläger entsprechend seinen Angaben vor dem SG tatsächlich (vertragswidrig) auch Artikel der Firma W
vertrieben hat, ist ohne Belang. Zum einen handelte es sich hierbei um einen zu vernachlässigenden Anteil am
Gesamtumsatz, zum anderen ist diese geringfügige Abweichung von der vertraglichen Ausgestaltung für die
Gesamtbeurteilung von geringer Bedeutung.
Gegen diese Bewertung spricht auch nicht, dass der Kläger nach seinem Vortrag einen erheblichen eigenen
Werbeaufwand betrieben hat, um hierdurch seine Verdienstchancen zu erhöhen. Ohne Bedeutung ist auch, dass der
Kläger entgegen der vertraglichen Vereinbarung tatsächlich seine Schaufensterdekoration selbständig durchgeführt
hat. Beiden Aspekten kommt im Hinblick auf obige Erwägungen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
Unerheblich ist auch, ob die Beklagte – entsprechend dem Vortrag des Klägers – bei anderen "Handelsvertretern" der
Beigeladenen eine selbständige Tätigkeit angenommen und ihnen Übbg bewilligt hat. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG) gebietet keine Gleichbehandlung im Unrecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.