Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25.02.2003

LSG Rpf: wichtiger grund, berufliches fortkommen, firma, besondere härte, berufliche ausbildung, verpackung, arbeitslosigkeit, aufhebungsvertrag, betriebsrat, abfindung

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 25.02.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Koblenz S 9 AL 321/01
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 AL 7/02
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 05.12.2001 - S 9 AL 321/01 - sowie der Bescheid der
Beklagten vom 06.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2001 werden aufgehoben. Die
Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2001 bis 23.06.2001 zu zahlen. 2. Die
Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer 12-wöchigen Sperrzeit.
Die am 1951 geborene, geschiedene Klägerin war vom 01.07.1999 bis 31.03.2001 bei der Firma H - und I für t A F K
(Firma H KG) als Produktionshelferin in der Abteilung "Verpackung/Zierleisten" beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah
eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. des Monats bzw. zum Monatsende vor. Mitte 2000 entschloss sich die
Arbeitgeberin, die Abteilung der Klägerin sowie zwei weitere Abteilungen ("Zierleisten/Produktion" und "Druck
Paneele") zu schließen und ins Ausland zu verlagern. In der Abteilung der Klägerin waren zu diesem Zeitpunkt vier
weitere Arbeitnehmer und in den beiden anderen Abteilungen sieben bzw. drei Arbeitnehmer beschäftigt. Zwischen der
Geschäftsleitung und dem Betriebsrat wurde am 12.12.2000 eine Betriebsvereinbarung über einen
Interessenausgleich gemäß §§ 111 und 112 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vereinbart. Diese sah u.a. vor, dass
betriebsbedingte Kündigungen vermieden und stattdessen einvernehmliche Versetzungen erreicht werden sollten. Die
Besetzung frei werdender Arbeitsplätze und die Auswahl der einzelnen Personen für den jeweiligen Arbeitsplatz
erfolge im Einvernehmen mit dem Betriebsrat.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde durch Aufhebungsvertrag vom 11.01.2001 zum 31.03.2001 beendet. Die
Klägerin erhielt eine Abfindung in Höhe von 18.750,00 DM brutto. Zugleich schloss die Firma H KG mit zwei weiteren
Mitarbeitern der Abteilung "Verpackung/Zierleisten" einen Aufhebungsvertrag; die zwei übrigen Mitarbeiter wurden in
die Abteilungen Stanze und Versand umbesetzt. Zum 28.02.2001 wurde die Abteilung "Verpackung/Zierleisten"
endgültig geschlossen. Vor den Umstrukturierungsmaßnahmen beschäftigte die Firma H KG 40 Mitarbeiter; nach
Abschluss waren dort nur noch 23 Mitarbeiter tätig.
Am 23.03.2001 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 01.04.2001 bei der Arbeitsamtsdienststelle Andernach
arbeitslos. Auf Nachfrage teilte die Firma H KG dem Arbeitsamt mit, dass für eine innerbetriebliche Umbesetzung kein
geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte und dass sie das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin auch ohne
deren Zustimmung hätte kündigen müssen.
Mit Bescheid vom 06.06.2001 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Zeit vom 01.04.2001 bis
23.06.2001 (12 Wochen) fest. Während diese Zeit ruhe der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg). Zur
Begründung führte sie aus, die Klägerin habe ohne wichtigen Grund ihre Beschäftigung selbst aufgegeben, da sie ihr
Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag gelöst habe. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese gelten machte,
die drohende betriebsbedingte Kündigung stelle einen wichtigen Grund dar, wurde von der Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 23.08.2001 als unbegründet zurückgewiesen. Zwar wäre die Klägerin möglicherweise
durch eine rechtmäßige Kündigung zum gleichen Zeitpunkt auch arbeitslos geworden. Es sei der Klägerin jedoch
zuzumuten gewesen, die Kündigung durch den Arbeitgeber abzuwarten. Für den Eintritt einer Sperrzeit komme es
allein auf den tatsächlichen Geschehensablauf an; hier habe die Klägerin durch die Zustimmung zum
Aufhebungsvertrag die Ursache für die eingetretene Arbeitslosigkeit gesetzt.
Die Klägerin hat am 30.08.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.12.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zu Recht habe die Beklagte den Eintritt
einer Sperrzeit von 12 Wochen festgestellt und die Gewährung von Alg für die Zeit vom 01.04.2001 bis 23.06.2001
versagt. Die Klägerin habe keinen wichtigen Grund für die Lösung ihres Beschäftigungsverhältnis gehabt. Ein solcher
Grund liege nicht in der Zahlung einer Abfindung oder in der drohenden Kündigung durch den Arbeitgeber. Die Klägerin
hätte ohne erhebliche Nachteile die Kündigung abwarten können. Insbesondere wäre in ihrem Fall nicht zu befürchten
gewesen, dass eine derartige Kündigung sich für ihr weiteres berufliches Fortkommen negativ auswirken würde. Denn
die Kündigung wäre allein aus betriebsbedingten Gründen erfolgt; dies hätte die ehemalige Arbeitgeberin ggf. im
auszustellenden Zeugnis deutlich machen müssen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Chancen der Klägerin auf
einen neuen Arbeitsplatz im Falle des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages günstiger seien als im Falle einer
allein betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 13.12.2002 zugestellten Gerichtsbescheid am 08.01.2002 Berufung eingelegt.
Sie ist der Ansicht, der Umstand, dass ihre Arbeitgeberin ihr betriebsbedingt hätte kündigen dürfen, stelle sehr wohl
einen wichtigen Grund für ihr Verhalten dar. Die Regelung in § 144 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) über die
Sperrzeit stelle keine Strafvorschrift dar. Sie habe keinen erzieherischen Charakter, sondern solle lediglich die
Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des Versichertenrisikos schützen. Die Versichertengemeinschaft
solle gegen die Risikofälle geschützt werden, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten habe. Zumindest wäre
die Sperrfrist aber auf 6 Wochen herabzusetzen, da eine besondere Härte vorliege.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 05.12.2001 - S 9 AL 321/01 - sowie den Bescheid der
Beklagten vom 06.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2001 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2001 bis 23.06.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend.
Der Senat hat weitere Auskünfte bei der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin, der Firma H KG, insbesondere zu den
Sozialdaten der von den Umstrukturierungsmaßnahmen betroffenen Arbeitnehmer eingeholt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin
betreffenden Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. ) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der
angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2001
ist rechtswidrig. Bei der Klägerin ist in der Zeit vom 01.04.2001 bis 23.06.2001 keine 12-wöchige Sperrzeit
eingetreten, da sie für die Lösung ihres Beschäftigungsverhältnisses einen wichtigen Grund hatte.
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen u.a. ein, wenn der Arbeitslose das
Beschäftigungsverhältnis gelöst und er dadurch seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt
hat, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.
Das SG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin durch den Aufhebungsvertrag vom 11.01.2001 ihr
Beschäftigungsverhältnis mit der Firma H KG i. S. des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III gelöst und dadurch zumindest grob
fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Vorliegend hatte die Klägerin für ihr Verhalten jedoch einen wichtigen
Grund.
Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter
Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung zu beurteilen. Sie soll die Solidargemeinschaft vor der
Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte schützen, die den Eintritt des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit
selbst herbeigeführt oder zu vertreten haben; eine Sperrzeit soll nur eintreten, wenn einem Arbeitnehmer unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der
Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 17.10.2002 - B
7 AL 136/01 R -). Dabei muss der wichtige Grund nicht nur die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern
gerade auch den konkreten Zeitpunkt der Lösung decken (BSG, a.a.O.).
Ein wichtiger Grund kann demnach nicht ohne Weiteres darin gesehen werden, dass ein Arbeitnehmer dem Ausspruch
einer drohenden bzw. feststehenden Kündigung des Arbeitgebers - auch bei Zahlung einer Abfindung - zuvorkommt;
grundsätzlich ist dem Arbeitnehmer im Interesse der Versichertengemeinschaft zuzumuten, die Kündigung
abzuwarten, sofern nicht besondere Umstände vorliegen (BSG, Urteil vom 12.04.1984 - 7 RAr 28/83 -, DBlR Nr. 2959
zu § 119 AFG). Solche besonderen Umstände können z.B. dann gegeben sein, wenn dem Arbeitnehmer eine nach
Arbeitsrecht rechtmäßige Kündigung aus einem von seinem Verhalten unabhängigen Grund zu dem Zeitpunkt droht,
zu dem er das Arbeitsverhältnis löst, und er durch eine einverständliche Lösung des Arbeitsverhältnisses Nachteile
vermeiden kann, die sich durch eine Kündigung des Arbeitgebers für sein berufliches Fortkommen ergeben (BSG,
a.a.O.). Dabei kommt es bei der Rechtmäßigkeit der Kündigung nicht darauf an, ob die Klägerin subjektiv die
drohende betriebsbedingte Kündigung für rechtmäßig halten durfte; entscheidend ist allein, ob diese objektiv
rechtmäßig war (vgl. BSG, Urteile vom 17.10.2002 - B 7 AL 136/01 R - und vom 25. April 2002 - B 11 AL 65/01 R;B
11 AL 100/01 R -). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis (z.B. durch Freistellung
gegen Zahlung von Arbeitsentgelt) bereits zu einem früheren Zeitpunkt als das Arbeitsverhältnis beendet wurde (vgl.
BSG, Urteil vom 17.10.2002, a.a.O.). Es kann somit dahinstehen, ob das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin hier
möglicherweise aufgrund der Schließung ihrer Abteilung zum 28.02.2001 bereits vor dem 31.03.2001 geendet hat.
Vorliegend wäre eine zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages vom 11.01.2001 ausgesprochene betriebsbedingte
Kündigung des Arbeitgebers objektiv rechtmäßig gewesen.
Die Rechtmäßigkeit der drohenden Kündigung beurteilt sich nach § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in der ab
01.01.1999 geltenden Fassung von Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur
Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843; zur Anwendbarkeit des KSchG bei Betrieben mit
in der Regel mehr als fünf Mitarbeitern vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Danach ist die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder
Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial
ungerechtfertigt ist (Abs. 1). Sozial gerechtfertigt ist eine Kündigung u.a. dann, wenn sie durch dringende betriebliche
Gründe bedingt ist und der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte
ausreichend berücksichtigt hat (Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1).
Hier standen dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung der Klägerin über den 31.03.2001 hinaus
entgegen.
Die ehemalige Arbeitgeberin hatte sich entschlossen, die Abteilung "Verpackung/Zierleisten" zum 28.02.2001 zu
schließen, so dass der bisherige Arbeitsplatz der Klägerin entfallen ist. Diese Unternehmensentscheidung ist nach
gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung
hin zu kontrollieren; zu prüfen ist lediglich, ob diese offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, wofür hier
kein Anhalt besteht (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 30.04.1987 - 2 AZR 184/86 - NZA 1987, 776 = AP Nr. 42 zu § 1
KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Allerdings ist auch bei Wegfall eines Arbeitsplatzes aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung die
betriebsbedingte Kündigung nur dann zulässig, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, insbesondere wenn
keine Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer - ggf. auch zu geänderten Bedingungen - auf einem anderen Arbeitsplatz
weiterzubeschäftigen (vgl. auch § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b KSchG). Eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
bestand für die Klägerin jedoch nicht. Dabei kommt es für die Frage, ob dringende betriebliche Erfordernisse die
Kündigung rechtfertigen, allein darauf an, ob sämtliche Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz aufgrund der
unternehmerischen Maßnahme entfällt, weiter beschäftigt werden können. Denn soweit für mehrere Arbeitnehmer das
Beschäftigungsbedürfnis entfällt und diese um eine geringere Anzahl von freien Arbeitsplätzen zur
Weiterbeschäftigung konkurrieren, handelt es sich um eine Frage der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG (vgl.
Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Auflage 2002, Rdnr.
1004). Der Senat hat jedoch keinen Hinweis darauf, dass tatsächlich für alle von den Umstrukturierungsmaßnahmen
betroffenen Arbeitnehmern andere Arbeitsplätze zur Verfügung standen. In den stillgelegten Abteilungen waren zuvor
insgesamt 15 Mitarbeiter beschäftigt. Der Betrieb selbst umfasste vor den Schließungen lediglich 40 Mitarbeiter.
Angesichts dieser Zahlen liegt es auf der Hand, dass allenfalls für einzelne Arbeitnehmer die Möglichkeit bestand,
einen freien Arbeitsplatz zu übernehmen.
Aber auch die Sozialauswahl ist hier nicht zu beanstanden. Zum Kreis der in die Sozialwahl einzubeziehenden
Arbeitnehmer gehören grundsätzlich nur vergleichbare Arbeitnehmer, d.h. Arbeitnehmer, deren Tätigkeit die Klägerin
wahrnehmen und auf deren Arbeitsplatz die Klägerin allein durch Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrecht
versetzt werden kann (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 17.2.2000 - 2 AZR 142/99 - AP Nr. 46 zu § 1 KSchG 1969 -Soziale
Auswahl = NJW 2000, 2604). Nach Auskunft der ehemaligen Arbeitnehmerin waren in diesem Sinne nur die fünf
Mitarbeiter der stillgelegten Abteilung "Verpackung/Zierleisten" vergleichbar, deren Arbeitsplätze ebenfalls entfallen
sind. Der Senat hat keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
eine Sozialauswahl von vorne herein nicht zu treffen ist. Denn von den fünf Arbeitnehmern wurden zwei in eine andere
Abteilung, nämlich die Abteilungen Stanze und Versand umbesetzt. Es ist daher zu prüfen, ob es soziale
Gesichtspunkte erforderlich gemacht hätten, der Klägerin anstelle dieser beiden Arbeitnehmer eine
Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen anzubieten (vgl. hierzu auch § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG). Insofern
hatte die Arbeitgeberin - wie oben bereits ausgeführt - in entsprechender Anwendung des § 1 Abs 3 KSchG eine
soziale Auswahl vorzunehmen. Dabei ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der Sperrzeit zu unterstellen, dass die
Klägerin einer solchen Weiterbeschäftigung zugestimmt hätte.
Zu den sozialen Gesichtspunkten, die bei der Auswahl zu berücksichtigen sind gehören in erster Linie die Dauer der
Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers. Daneben sind ggf. weitere
soziale Kriterien heranzuziehen (z.B. Gesundheitszustand, Schwerbehinderteneigenschaft, Chancen auf dem
Arbeitsmarkt).
Auf der Grundlage der von der Firma H KG mitgeteilten Sozialdaten der fünf Arbeitnehmer der Abteilung
"Verpackung/Zierleisten" ist nicht erkennbar, dass die Arbeitgeberin bei ihrer Entscheidung zu Lasten der Klägerin
soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hätte. Von den beiden umbesetzen Arbeitnehmern
ist lediglich die am 1954 geborenen Arbeitnehmerin C H in sozialer Hinsicht mit der Klägerin vergleichbar. Denn der
am 1952 geborene Arbeitnehmer A S weist eine längere Betriebszugehörigkeit (seit dem 28.05.1996) auf und hat ein
Kind zu versorgen. Frau H und die Klägerin haben demgegenüber beide keine Kinder, die gleiche Dauer der
Betriebszugehörigkeit (01.07.1999) und ein ähnliches Lebensalter (44 bzw. 48 Jahre). Die beiden Frauen
unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch ihre Ausbildung und durch ihren Familienstand: Frau H hat im
Gegensatz zur Klägerin, die den Beruf der Verkäuferin erlernt hat, keine berufliche Ausbildung; dafür ist sie - anders
als die Klägerin - verheiratet ist und hätte daher bei einer Arbeitslosigkeit eventuell Unterhaltsansprüche gegen ihren
Ehemann. Da dem Arbeitgeber bei seiner Abwägung der unterschiedlichen Kriterien auch ein gewisser
Wertungsspielraum zuzugestehen ist (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 - NZA 1990, 729 = AP Nr.
19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; LAG Hamm, Urteil vom 04.10.1983 - 13 Sa 1327/83 - EzA § 1 KSchG
Betriebsbedingte Kündigung Nr. 26), kann es angesichts der relativen Vergleichbarkeit der beiden Arbeitnehmerinnen
letztlich nicht als sozialwidrig angesehen werden, dass er seine Auswahl zugunsten von Frau H getroffen an. Dabei ist
auch zu beachten, dass der Betriebsrat der Firma aufgrund des Interessenausgleichs an den Versetzungen und an
der sozialen Auswahl beteiligt war.
Wäre somit eine betriebsbedingte Kündigung der Klägerin zum Zeitpunkt der Stilllegung der Abteilung oder einem
späteren Zeitpunkt objektiv rechtmäßig gewesen, kommt es entscheidend darauf an, ob der Klägerin die Hinnahme
einer rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung zuzumuten war. Dies ist unter Abwägung ihres Interesses mit den
Interessen der Versichertengemeinschaft unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beantworten. In
diesem Zusammenhang hat das BSG auch darauf hingewiesen, dass gerade in Fällen einer rechtmäßigen Kündigung,
in denen der Arbeitnehmer sich rechtlich nicht gegen eine Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses wehren
kann, der Zweck der Sperrzeit und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, an dem alles staatliche Handeln zu
messen ist, zu bedenken seien (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2002 - B 11 AL 65/01 R -).
Allein das Interesse an einer Entlassungsentschädigung reicht für eine Bejahung der Zumutbarkeit nicht aus.
Allerdings kann sich die einverständliche Lösung des Beschäftigungsverhältnisses positiv auf die
Eingliederungsmöglichkeiten des Arbeitslosen auswirken. Das BSG hat dies insbesondere angenommen, wenn der
Arbeitslose - wie hier die Klägerin - noch nicht zu der Altersgruppe gehört, für die der Gesetzgeber von
Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben ausgeht und deshalb nicht fordert, alle Möglichkeiten
zu nutzen und nutzen zu wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden (§ 428 Abs. 1 SGB III, vgl. hierzu BSG,
a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass die mit einer Kündigung typischerweise einhergehenden Nachteile ("Makel" der
Kündigung) im Falle der Klägerin nicht eintreten, liegen nicht vor. Angesichts des Übermaßverbotes darf die Klägerin
insoweit auch nicht einfach darauf verwiesen werden, dass sie ein entsprechendes qualifiziertes Zeugnis von ihrem
Arbeitgeber verlangen und gegenüber potentiellen Arbeitgebern die betriebsbedingten Hintergründe ihrer Kündigung
darlegen könne. Hier kommt außerdem hinzu, dass der Klägerin aufgrund ihrer sehr kurzen Kündigungsfrist von nur
vier Wochen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages bereits zum 28.02.2001, d.h. mit Wirkung
zum Zeitpunkt der tatsächlichen Stilllegung ihre Abteilung hätte gekündigt werden können. Wie sich aus dem
Interessenausgleich vom 12.12.2001 ergibt, stand dieser Zeitpunkt auch bereits seit längerem fest. Mit der
einverständlichen Lösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2001 hat die Klägerin dagegen den Fortbestand des
Arbeitsvertrages (mit entsprechender Fortzahlung des Arbeitsentgelts und der Sozialversicherungsbeiträge) für einen
weiteren Monat gesichert und so auch die Versichertengemeinschaft entlastet. Unter Abwägung aller Umstände
überwog daher hier das Interesse der Klägerin an einer einverständlichen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses.
Ein wichtiger Grund ist zu bejahen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.