Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 23.05.2003

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Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 23.05.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Speyer
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 2 U 370/02
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11.10.2002 wird zurückgewiesen. 2.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Unfall des Beigeladenen vom 26.8.1997 die Voraussetzungen eines versicherten Arbeitsunfalls
erfüllt. Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch im Zusammenhang mit Folgen des Unfalls
geltend.
Der 1960 geborene Beigeladene, der beruflich als Metallbauer im Fenstergewerbe tätig ist, und seine Ehefrau sind seit
1991 Mieter im Hause des Herrn M in K. Der Beigeladene übernimmt in diesem Mehrparteienhaus öfter kleinere
Arbeiten. Dafür erhält er kein Entgelt; diese Arbeiten werden auch bei der Höhe der Miete nicht berücksichtigt. Die
Ehefrau des Beigeladenen betreibt in dem Mehrfamilienhaus eine Gaststätte als Pächterin des Herrn M. Zum
Zeitpunkt des Unfalls im August 1997 hatte sie diese kurze Zeit zuvor eröffnet.
Herr M und seine inzwischen verstorbene Ehefrau waren in dieser Zeit mit Vorbereitungsarbeiten befasst, um eine
Gaststätte in E zu betreiben. Aus diesem Anlass hatte Herr M den Beigeladenen und dessen Ehefrau eingeladen, die
zukünftigen Gaststättenräume anzuschauen.
Der Beigeladene und seine Ehefrau fuhren am Unfalltag nach E (ca 12-14 km von K entfernt) zum Einkaufen. Sie
nutzen diese Gelegenheit, um die neue Gaststätte von Herrn M aufzusuchen. Zu diesem Zeitpunkt war dieser
betreffende Pachtvertrag schon abgeschlossen; das Lokal war jedoch noch nicht eröffnet.
Die Ehepaare J und M tranken gemeinsam Kaffee. Zu diesem Zweck wurde die neue Cappuccinomaschine von Herrn
M ausprobiert. Während des Besuchs setzten Herr M und seine Ehefrau ihre zuvor begonnenen Arbeiten in der
Gaststätte fort. Frau M sagte dabei nach Angaben ihres Ehemanns, dass "zunächst die Gardinen weg müssten".
Dem Zeugen M zufolge packte auch der Beigeladene mit an. Dieser stieg auf eine Leiter, um in einer ca vier Meter
hohen spitzen Ecke des Raumes Arbeiten auszuführen. Dabei fiel er von der Leiter und erlitt erhebliche Verletzungen,
ua eine Sprunggelenksdistorsion und einen Fersenbeinbruch.
Die Klägerin meldete der Beklagten im November 1997 einen Erstattungsanspruch an. Die Beklagte lehnte eine
Kostenerstattung ab. Zur Begründung hieß es: Der Beigeladene habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Vielmehr habe es
sich um eine Gefälligkeitsleistung unter Freunden gehandelt, die nicht dem Versicherungsschutz des Siebten Buchs
des Sozialgesetzbuch (SGB VII) unterlegen habe.
Am 21.6.2000 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zur Erstattung von 47.946,97 DM (=
24.514,90 Euro) zu verurteilen. Das Sozialgericht (SG) hat den Beigeladenen persönlich angehört und Herrn M als
Zeugen vernommen. Der Beigeladene hat ua erklärt: Er würde das Verhältnis zu Herrn M als "bekanntschaftlich"
bezeichnen. Er habe seinerzeit die Gardinen abgenommen und das Fenster geputzt; dies habe er von sich aus
gemacht. Herr M hat ausgesagt, er würde das Verhältnis als "sehr gutes Bekanntschaftsverhältnis" klassifizieren.
Dieser hat außerdem erklärt, er könne sich nicht mehr genau erinnern, ob der Beigeladene die Gardine oder die
Gardinenstange habe abhängen oder gegebenenfalls "etwas habe reinigen" wollen. Bis zu dem Unfall sei das Ehepaar
J "ungefähr eine Stunde (2-3 Tassen Cappuccino)" anwesend gewesen.
Durch Urteil vom 11.10.2002 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe
gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch aus Anlass des Unfalls des Beigeladenen. Denn dieser stelle keinen
versicherten Arbeitsunfall dar. Der Beigeladene sei für Herrn M nicht wie ein Beschäftigter iSd § 2 Abs 2 SGB VII tätig
geworden. Es habe sich um eine unversicherte Gefälligkeitsleistung unter guten Bekannten gehandelt. Unter den
gegebenen Umständen sei eine Hilfeleistung selbstverständlich gewesen. In dieser Einschätzung stütze sich die
Kammer sowohl auf die Haltung des Beigeladenen im Zeitpunkt des Unfallgeschehens als auch auf dessen Angaben
gegenüber der Beklagten und auf die Angaben der übrigen anwesenden Unfallbeteiligten. Dabei sei zu
berücksichtigen, dass die Ehefrau des Beigeladenen am 2.12.1997 gegenüber der Beklagten angegeben habe, es
habe sich um einen Privatunfall gehandelt, und auch der Beigeladene gegenüber der Beklagten erklärt habe, die
Hilfeleistung sei ein Freundschaftsdienst gewesen. Zudem seien die Angaben des Herrn M zu beachten, wonach die
spontane Hilfeleistung aus einem befreundeten Verhältnis heraus entstanden sei. Die Angaben von Herrn M ("Wenn
ich bei ihm im Bistro gewesen war oder wäre, hätte ich auch mitangepackt. Dies würde ich als normal bezeichnen.")
zeigten, dass die Hilfeleistung unter den Beteiligten selbstverständlich gewesen sei.
Gegen dieses ihr am 10.12.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.12.2002 beim Landessozialgericht (LSG)
Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung der Klägerin.
Die Klägerin trägt vor: Es stehe nicht fest, dass zwischen den Beteiligten eine so enge und freundschaftliche
Beziehung bestanden habe, dass geringfügige Hilfeleistungen als selbstverständlich hätten betrachtet werden
müssen. Die nicht festgestellte Enge dieses Verhältnisses könne dann aber nicht als Grund für die Verweigerung des
Versicherungsschutzes herangezogen werden. Das LSG Rheinland-Pfalz habe in seinem Urteil vom 23.2.1994 (Az L 3
U 143/93) entschieden, dass eine Hilfeleistung von etwa 10 Minuten unter befreundeten Personen kein
selbstverständlicher Hilfsdienst mehr sei. Hinzu komme, dass bei lebensnaher Betrachtungsweise das Abhängen von
Gardinen und das Putzen von Fenstern in der Regel keine Verrichtung sei, die von einem guten Bekannten bzw
Freund geradezu selbstverständlich geleistet werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 11.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 24.514,90 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.
Der Beigeladene trägt vor: Nach seiner Auffassung seien die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt. Herr M und
er hätten sich erst anlässlich des Mietverhältnisses kennen gelernt. Allein die persönliche Beziehung könne kein
Grund sein, um einen Versicherungsschutz zu verneinen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die
ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs 2
SGG), wobei er Folgendes ergänzt:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch nach § 105 des Zehnten Buchs des
Sozialgesetzbuchs (SGB X), weil die Beklagte nicht der zuständige Versicherungsträger für die Behandlungen und die
Arbeitsunfähigkeit wegen der Folgen des Unfalls vom 26.8.1997 ist. Vielmehr stellt dieser Unfall keinen versicherten
Arbeitsunfall dar.
Dass der Beigeladene mangels eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht als Arbeitnehmer von Herrn M
iSd § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII tätig wurde, ist zwischen der Klägerin und der Beklagten zu Recht nicht umstritten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind aber auch die Anforderungen des § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII nicht erfüllt.
Nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die wie ein nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB
VII Versicherter tätig werden. Bei der Anwendung dieser Vorschrift ist eine persönliche Abhängigkeit zu einem
Unternehmer nicht erforderlich. Es ist ausreichend, dass eine ernstliche, dem Unternehmen dienende Tätigkeit
verrichtet wird, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und die ihrer Art nach auch
von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden
Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung, zB Bundessozialgericht - BSG -, Urt v 27.10.1987, Az 2
RU 9/97). Hinzukommen muss, dass die Betätigung nach ihren konkreten Umständen einer Tätigkeit im Rahmen
eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (aaO).
Bei Gefälligkeitsleistungen, die ihr gesamtes Gepräge durch das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen den
Beteiligten Personen erhalten, besteht kein Versicherungsschutz. Dabei sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls
zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen
verwandtschaftlichen Beziehungen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 55).
Vorliegend besteht zwischen dem Beigeladenen und Herrn M kein Verwandtschaftsverhältnis. In Anlehnung an die
Rechtsprechung zu den Arbeiten zwischen Personen mit besonders engen persönlichen Bindungen ist aber davon
auszugehen, dass es sich bei reinen, ihrer Art und ihrem Umfang nach geringfügigen Gefälligkeitshandlungen unter
Bekannten nicht um solche handelt, die wie ein Beschäftigter verrichtet werden, sondern eher um Gefälligkeiten, die
durch das Verhältnis unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden geprägt sind (Krasney, NZS 1999, 577, 582).
Ebenso wie bei Tätigkeiten für Verwandte kommt es dabei insbesondere darauf an, wie eng das Verhältnis unter den
guten Bekannten, Nachbarn und Freunden ist und wie dieses Verhältnis laufend praktiziert wird.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beigeladene für Herrn M eine Hilfeleistung erbracht, die nach ihren
Gesamtumständen allein durch das Bekanntschaftsverhältnis zwischen den Beteiligten geprägt war. Die Eheleute J
und M waren gute Bekannte; der Zeuge M hat sogar von einem "sehr guten Bekanntschaftsverhältnis" gesprochen.
Entscheidend kommen die Umstände, unter denen die Hilfeleistung erbracht wurde, hinzu. Es fand nur eine zeitlich
kurzdauernde Hilfe während des privaten Besuchs statt. Die Eheleute J haben die Eheleute M zu einem Zeitpunkt
besucht, als diese gerade dabei waren, den Gaststättenraum neu zu gestalten, sodass sich die Hilfeleistung spontan
aus der gegebenen Situation heraus ergab. Da die Eheleute M trotz des Besuchs der Eheleute J mit den Arbeiten in
der Gaststätte fortfuhren, war es geradezu selbstverständlich, dass der Beigeladene mit Hand anlegte. Außerdem
wurde die Hilfeleistung mit dem gemeinsamen Kaffeetrinken (2-3 Tassen Cappuccino) verbunden. Gerade diese
Verknüpfung zwischen Geselligkeit und einer spontanen und relativ kurzdauernden Hilfeleistung spricht dafür, die Hilfe
als allein durch das Bekanntschaftsverhältnis geprägt anzusehen.
Bei der erforderlichen Würdigung berücksichtigt der Senat, dass ein enges freundschaftliches Verhältnis zwischen den
Eheleuten J und den Eheleuten M nicht bestand. Der Senat geht auch davon aus, dass unter Bekannten nur
eingeschränkter als bei Verwandten von einer selbstverständlichen Hilfeleistung, die allein durch das
Bekanntschaftsverhältnis gekennzeichnet ist, ausgegangen werden kann. Unter Berücksichtigung der besonderen
Umstände des Einzelfalls ist aber vorliegend ausnahmsweise ein Sachverhalt gegeben, bei dem die Hilfeleistung
entscheidend durch das Bekanntschaftsverhältnis bestimmt war. Dass die Hilfeleistung auf der Leiter nicht ganz
ungefährlich war, ist bei Gesamtwürdigung aller rechtserheblicher Fakten nicht von entscheidender Bedeutung.
Ohne Erfolg stützt sich die Klägerin auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 23.2.1994 (Az L 3 U 124/93). Der
Sachverhalt des damaligen Urteils ist mit demjenigen des vorliegenden Falls nicht vergleichbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen ist
nicht sachgerecht, weil sich dieser der Auffassung der Klägerin angeschlossen hat und der Senat seiner Meinung, der
Unfall vom 26.8.1997 stelle einen versicherten Arbeitsunfall dar, nicht folgt.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht erfüllt sind.