Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2007

LSG NRW: restriktive auslegung, eheliche wohnung, zivilrechtliche ansprüche, hausrat, begriff, trennung, ausstattung, meinung, auflage, verfügung

Landessozialgericht NRW, L 20 AS 12/07
Datum:
29.10.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 20 AS 12/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 48 (5) AS 381/05
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 14 AS 64/07 R
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 19.10.2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die
Anschaffung einer Waschmaschine unter dem Gesichtspunkt der Erstausstattung der
Wohnung hat.
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Der 1947 geborene Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zunächst lebte er in einer
Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau, seiner 1988 geborenen Tochter N und dem
1989 geborenen Sohn H. Zum 01.05.2005 mietete er mit seiner Tochter N laut
Mietvertrag vom 18.04.2005 eine Zweizimmerwohnung in E an. Die Beklagte bewilligte
in der Folge Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Regelleistungen. Außerdem
erhielt der einkommens- und vermögenslose Kläger einen Mehrbedarfszuschlag für
Alleinerziehende. Mit Schreiben vom 10.05.2005 und 23.08.2005 beantragte der Kläger
Leistungen der Erstausstattung für eine Waschmaschine. Mit Bescheid vom 06.09.2005
lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Regelleistung zur
Sicherung des Lebensunterhaltes umfasse insbesondere Ernährung, Kleidung,
Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang
auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Könne im
Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer
Bedarf nicht gedeckt werden, könne dem Hilfebedürftigen nach § 23 Abs. 1 SGB II bei
entsprechendem Nachweis der Bedarf als Sach- oder Geldleistung in Form eines
Darlehens gewährt werden. Der Kläger sei aber in der Lage, die beantragte
Sonderleistung aus eigenen Kräften und Mitteln in vollem Umfang zu decken. Es
bestehe auch kein unabweisbarer Bedarf; es sei dem Kläger vielmehr zuzumuten, für
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eine Waschmaschine Ansparungen zu treffen und vorübergehend die Wäsche in einem
Waschsalon zu waschen.
Zur Begründung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 21.09.2005 trug der
Kläger vor, er könne keine Rücklagen bilden, wenn er mindestens viermal in der Woche
in einen Waschsalon gehen müsse.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Sie führte nunmehr ergänzend aus, ein Anspruch auf Erstausstattung setze die
erstmalige Gründung eines Hausstandes voraus wie etwa bei erstmaliger Anmietung
einer Wohnung nach Verlassen des Elternhauses, nach Haftentlassung, nach der
Aufgabe des Wohnsitzes im Ausland und beim Auszug aus einem
Übergangswohnheim. Anspruchsberechtigt seien nicht automatisch getrennt lebende
Leistungsberechtigte, die die eheliche Wohnung ohne Mitnahme von Hausrat verlassen
hätten. Diese hätten nach § 6 der Hausratsverordnung einen Anspruch auf Zuteilung
von gemeinsam gehörendem Hausrat. Anstelle der Erstausstattungsbeihilfe würden
dann Transportkosten nach § 22 SGB II übernommen. Erst wenn (zivilgerichtlich) ein
Anspruch auf Zuteilung versagt werde, könne eine Erstausstattungsbeihilfe gewährt
werden. Ein Anspruch auf Ersatzbeschaffung bestehe nicht. Unter Berücksichtigung
seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse sei der Kläger in der Lage, die
beantragte Leistung in vollem Umfang zu decken.
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Zur Begründung seiner hiergegen am 21.10.2005 beim Sozialgericht Dortmund
erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, seine Frau habe die Waschmaschine
mitgenommen, weil sie ihr gehöre. Ansparungen seien nicht möglich, wenn man in eine
Wäscherei gehen müsse; außerdem seien auch Arztkosten, Schulsachen etc. aus den
Regelleistungen zu decken.
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Der Kläger hat erstinstanzlich sinngemäß beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2005 Mittel zur Anschaffung einer
Waschmaschine zu gewähren.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat auf die Ausführungen in ihren Bescheiden Bezug genommen.
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Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19.10.2005 verpflichtet, dem Kläger
zur Anschaffung einer Waschmaschine einen Betrag von 250 EUR zu gewähren. Der
Anspruch auf Erstausstattung für Wohnungen erfasse auch die Beschaffung einer
Waschmaschine. Der Begriff der Erstausstattung sei bedarfs- und nicht allein
zeitbezogen zu verstehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso ein aus längerer
Strafhaft Entlassener besser gestellt werde als der Hilfeempfänger, der sich von seinem
Ehepartner getrennt habe. Nach der Trennung von Eheleuten sei regelmäßig Hausrat
nur einfach vorhanden. Die Richtlinien der Beklagten sähen für die Anschaffung einer
Waschmaschine einen Betrag zwischen 154 EUR und 256 EUR vor, daher erscheine
der zuerkannte Betrag der Kammer angemessen.
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Das Sozialgericht hat die Berufung im der Beklagten am 13.11.2006 zugestellten Urteil
nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten vom 21.11.2006
hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 16.02.2007 zugelassen.
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Zur Begründung der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, der Gesetzgeber
habe den Begriff der Erstausstattung nicht näher definiert. Die Gewährung einer
Erstausstattungsbeihilfe komme nur in Betracht, wenn beim Hilfebedürftigen eine
Wohnungsausstattung noch nicht vorhanden oder nicht mehr vorhanden sei. Sei
Hausrat teilweise vorhanden, könne allein nach dem Wortlaut "Erstausstattung" ein
Anspruch nicht in Betracht kommen. Die Erstausstattung sei inhaltlich in Abgrenzung
zum Erhaltungs- oder Ergänzungsbedarf zu bestimmen, der aus der Regelleistung zu
bestreiten sei. Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Begriffe "Teilausstattungen" oder
"Ausstattungen" verwenden müssen. Beim Kläger sei Hausrat bis auf die
Waschmaschine vorhanden gewesen. Es hätte allenfalls ein Darlehen in Anspruch
genommen werden können.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.10.2006 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des
Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, sowie der Prozessakte Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die nach Zulassung zulässige Berufung (§§ 144, 145 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der
Beklagten ist unbegründet. Streitgegenstand ist allein der vom Kläger geltend gemachte
Anspruch auf Gewährung einer Leistung zur Erstausstattung der Wohnung.
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Der Kläger ist durch den Bescheid vom 06.09.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.09.2005 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1
SGG. Das Sozialgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der
Erstausstattung seiner Wohnung mit einer Waschmaschine zu Recht bejaht und der
(kombinierten) Anfechtungs- und Leistungsklage stattgegeben.
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Der Anspruch des Klägers folgt bei Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Klägers
und damit gegebener Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 Abs. 1 SGB II aus § 23 Abs. 3 Nr. 1
SGB II in der maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003 (BGBl. I, 2954).
Danach sind Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich
Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst (Satz 1); sie werden vielmehr
gesondert erbracht (Satz 2), und zwar als Sach- oder Geldleistung, auch in Form von
Pauschalbeträgen (Satz 4). Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass der nicht
legaldefinierte Begriff der Erstausstattung nicht zeitlich (den erstmaligen Einzug in eine
Wohnung betreffend), sondern bedarfsbezogen zu verstehen ist (vgl. Beschlüsse des
Senats vom 25.01.2006, Az.: L 20 B 30/06 AS ER sowie vom 19.05.2006, Az: L 20 B
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93/06 AS ER). Die bedarfsbezogene Betrachtungsweise entspricht auch der ansonsten
in der Rechtsprechung (vgl. etwa LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, L 3
ER 45/05 AS; Hessisches LSG, Beschluss vom 23.11.2006, L 9 AS 239/06 ER; LSG
NRW, Beschluss vom 28.03.2006, L 9 B 12/06 AS ER) und Kommentarliteratur (vgl.
etwa Münder in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 23 RdNr. 26; Lang in: Eicher/Spellbrink,
SGB II, 1. Auflage 2005, § 23 RdNr. 103; Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 23
RdNr. 81) vorherrschenden Meinung.
Abzugrenzen ist der Begriff der Erstaussttattung nach allgemeiner Meinung von sog.
Erhaltungs- und Ergänzungsbedarf (vgl. statt vieler Münder, a.a.O., Hessisches LSG,
a.a.O.; Behrend, a.a.O.; Kalhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: August 2006, § 23 RdNr.
20).
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Nach diesen Grundsätzen kommt ein Anspruch auf Erstausstattung insbesondere in
Betracht, wenn ein Haushaltsgegenstand etwa nach erfolgter Trennung zwar noch im
Haushalt des nunmehr getrennt lebenden Partners vorhanden ist (so ausdrücklich
Münder, a.a.O.; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11.11.2005, S 11 AS 25/05 ER) und
- wie im zu entscheidenden Fall - infolge der Trennung eine erstangemietete Wohnung
ausgestattet werden muss (vgl. auch Behrend, a.a.O., RdNr. 79). Die Situation ist
insoweit derjenigen bei Verlust der Einrichtung durch Wohnungsbrand oder bei
Erstanmietung nach Haft vergleichbar (vgl. zu diesen in der Gesetzesbegründung im
Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
genannten Beispielen, BT-Drs. 15/1514, S. 60, auf die BT-Drs. 15/1749, S. 33 verweist).
In der Konstellation der Trennung und Begründung eines (neuen) Haushalts kann die
Wohnungseinrichtung nebst Haushaltsgegenständen dem Hilfebedürftigen ebenso nicht
zur Verfügung stehen.
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Das Begehren des Klägers zielt auch nicht lediglich auf den Ersatz eines abgenutzten
Haushaltsgegenstands ab.
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Dem Anspruch kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, es komme
lediglich eine "Vollausstattung" der Wohnung in Betracht, eine "Teilausstattung" sei
durch den Wortlaut der Norm nicht abgedeckt. Den Senat vermag sich einer derart
restriktiven Betrachtungsweise nicht anzuschließen. Der Begriff "Erstausstattung" trifft
zur Überzeugung des Senats keine zwingende Aussage über den Umfang der
Ausstattung, sondern beschränkt Ansprüche auf Konstellationen, in denen erstmalig
(oder ausweislich der Gesetzesbegründung in einer der erstmaligen Anschaffung
vergleichbaren Bedarfssituation) eine Ausstattung erforderlich ist. Eine Auslegung im
Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten führte konsequenterweise dazu, dass etwa
auch Hilfeempfängern ein Anspruch verwehrt wäre, denen nach einem Wohnungsbrand
ein Teil des Hausrats verbleibt, oder denen etwa auch im Fall der erstmaligen
(zulässigen) Gründung einer eigenen Bedarfsgemeinschaft von Verwandten und/oder
Bekannten lediglich ein Haushaltsgegenstand zur Verfügung gestellt wird bzw. ein Teil
des Hausrates (z.B. des Jugendzimmers) zur weiteren Nutzung verbleibt. Dass nicht
lediglich eine Vollausstattung als Erstausstattung in Betracht kommt, erscheint
angesichts des Gesetzeszwecks zwingend. Sachliche und eindeutige Kriterien zur
Bestimmung eines Mindestumfangs im Sinne einer Mindestzahl etwa von
Einrichtungsgegenständen oder eines Mindestwertes werden auch von der Beklagten
nicht benannt. Die in jedem Falle willkürliche Festlegung einer solchen Grenze
erscheint nicht sachgerecht. Gegen eine allzu restriktive Auslegung der
Erstausstattungsbedarfe spricht im Übrigen der Umstand, dass eine Öffnungsklausel für
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Sondersituationen und -bedarfe fehlt. Eine zu restriktive Auslegung könnte also die
Gefahr steter Bedarfsunterdeckung nach sich ziehen (vgl. Lang in: Eicher/Spellbrink, §
23 SGB II RdNr. 96).
Der Senat hält es wie das Sozialgericht für erwiesen, dass der Kläger nicht über eine
Waschmaschine verfügte und nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung
vom 29.10.2007 auch weiterhin nicht verfügt. Der Kläger konnte auch nicht mit Erfolg
(zur Durchsetzung des Nachranggrundsatzes - § 2 Abs. 1 SGB II) auf etwaige
zivilrechtliche Ansprüche gegen seine Ehefrau verwiesen werden. Insoweit hat er schon
glaubhaft dargelegt, dass die Waschmaschine im Eigentum der Ehefrau stand. Im
Übrigen ergibt ein Verweis keinen rechten Sinn, wenn sodann die ebenfalls im
Leistungsbezug stehende Ehefrau einen Anspruch auf Erstausstattung geltend machen
müsste.
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Schließlich besteht im Rahmen der Erstausstattung für Wohnungen regelmäßig auch
Anspruch auf Ausstattung mit einer Waschmaschine. Der Erstbeschaffungsbedarf
erfasst grundsätzlich alle Einrichtungsgeräte und -gegenstände, die für eine geordnete
Haushaltsführung notwendig sind, wie insbesondere Möbel (wie Bett, Schrank, Tisch,
Stuhl, Sofa etc.), Lampen, Gardinen, Herd, Kochtöpfe, Staubsauger, Bügeleisen sowie
Kühlschrank (vgl. etwa Münder, a.a.O., RdNr. 29; Behrend, a.a.O., RdNr. 80). Hierzu
zählt auch eine Waschmaschine (Sozialgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom
18.07.2005, S 11 AS 75/05 ER; Lang, a.a.O., RdNr. 99; Behrend, a.a.O., RdNr. 80;
Münder, a.a.O., RdNr. 30 – siehe aber auch RdNr. 29; vgl. zur verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes BVerwGE 107, 234ff.).
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Der vom Sozialgericht angesetzte Betrag von 250 EUR begegnet unter
Berücksichtigung der vom Senat nachvollziehbaren Erfahrungswerte (§ 23 Abs. 3 Satz 5
SGB II) keinen Bedenken. Er ist von der Beklagten auch nicht angegriffen worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen worden.
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