Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2004
LSG NRW: behandelnder arzt, arzneimittel, behandlung, verordnung, erlass, medikament, versorgung, gesundheit, auskunft, vertragsarzt
Landessozialgericht NRW, L 16 B 30/04 KR ER
Datum:
29.04.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 30/04 KR ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 13 KR 182/04 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 15.03.2004 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstattet.
Gründe:
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung
der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten für die Medikamente alpha VIBOLEX
600 HRK Kapseln und ferro sanol duodenal. Der Antragsteller ist bei der Beklagten
krankenversichert. Er leidet u.a. an einer Infektanämie mit Eisenmangel und einer
diabetischen Polyneuropathie.
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Der Internist D S C verordnete daher zu Behandlungszwecken die o.g.
nichtverschreibungspflichtigen Medikamente.
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Mit Schreiben vom 04.02.2004 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin
und teilte mit, sein behandelnder Arzt habe ihm mitgeteilt, für ihn wichtige Arzneimittel
würden nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt. Eine private Bezahlung sei nicht
akzeptabel. Sofern durch die Nichteinnahme der Medikamente körperliche Nachteile
entstünden, werde er die zuständigen Stellen in Anspruch nehmen.
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Die Antragsgegnerin verstand das Schreiben vom 04.02.2004 als Information, ohne den
Sachverhalt weiter aufzuklären.
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Am 23.02.2004 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Dortmund beantragt, die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für
die o.g. Medikamente zu übernehmen. Er hat zur Begründung ausgeführt, er sei
chronisch krank. Die Medikamente seien auch verschreibungspflichtig, da sein
behandelnder Arzt sie nur noch auf Privatrezept verordnen wolle. Da körperliche
Schäden drohten, sei eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
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Auf Veranlassung der Antragsgegnerin teilte der Internist D S C dieser unter dem
02.03.2004 mit, nach der Gesundheitsreform sei eine Verordnung der genannten
Medikamente wegen der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen zu Lasten der
gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr möglich.
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Die Antragsgegnerin hat auf die gesetzlichen Regelungen in §§ 31 Abs. 1
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und § 34 Abs. 1 SGB V hingewiesen, wonach
nichtverschreibungspflichtige Medikamente, die bei der Behandlung schwerwiegender
Erkrankungen als Therapiestandard gelten, vom Vertragsarzt zur Behandlung dieser
Erkrankungen bis zum Erlass einer Richtlinie gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (bis zum 31.03.2004) mit Begründung
ausnahmsweise verordnet werden dürften. Der Erklärung des behandelnden Arztes sei
nicht zu entnehmen, dass bei dem Kläger solch schwerwiegende Erkrankungen
vorlägen; andernfalls könnten die fraglichen Medikamente verordnet werden.
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Mit Beschluss vom 15.03.2004 hat das SG Dortmund den Antrag des Antragstellers
abgelehnt, da von diesem zum einen nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass eine die
Verordnung nichtverschreibungspflichtiger Medikamente rechtfertigende
schwerwiegende Erkrankung vorliege. Zum anderen fehle es an einem
Anordnungsgrund. Der behandelnde Arzt könne bei Annahme einer schwerwiegenden
Erkrankung die notwendigen Medikamente vertragsärztlich verordnen. Außerdem habe
der Antragsteller nicht dargetan bzw. glaubhaft gemacht, dass er die Medikamente nicht
bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens vorfinanzieren könne.
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Gegen den ihm am 17.03.2002 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am
25.03.2004 Beschwerde eingelegt. Der Beschwerde hat das SG nicht abgeholfen
(Nichtabhilfebeschluss vom 30.03.2004).
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Zur Begründung hat er vorgetragen, das SG habe sich offenbar durch die
Antragsgegnerin beraten lassen und ohne Genehmigung durch diese die von ihm
begehrte Anordnung nicht erlassen wollen. Außerdem hat er die zögerliche Bearbeitung
durch das SG beklagt, da es in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um Tod
oder Leben aufgrund nicht vorhandener Medikation gehen könne. Daher seien die
Gerichte - wie bei Mahnbescheiden - ohne rechtliche Würdigung verpflichtet, die
beantragte Anordnung zu erlassen. Zuletzt hat er mit Schriftsatz vom 27.04.2004
beantragt, das Bundesministerium für Gesundheit zu hören.
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Die Antragsgegnerin hat in Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrages darauf
hingewiesen, dass ausweislich der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss am
16.03.2004 beschlossenen Arzneimittel-Richtlinien das Medikament Ferro sanol
duodenal zur Behandlung einer gesicherten Eisenmangelanämie weiterhin
vertragsärztlich verordnet werden dürfe. Die Entscheidung hierüber liege beim
Kassenarzt. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
bestehe angesichts des Fehlens eines grundsätzlichen Leistungsausschlusses nicht.
Das Medikament alpha-VIBOLEX 600 HRK Kapseln sei lediglich apothekenpflichtig,
nicht aber verschreibungspflichtig. Es falle auch nicht unter die Ausnahmeregelung des
§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. den Arzneimittel-Richtlinien. Eine
Leistungsverpflichtung sei nicht gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
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Beratung gewesen sind.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Für den Erlass einer (Regelungs-) Anordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der
begehrten vorläufigen Regelung, und ein Anordnungsanspruch, d.h. die Rechtsposition,
deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren begehrt wird, geltend, und die zur
Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG
i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Antragsteller irrt daher, soweit er davon ausgeht, eine
einstweilige Anordnung müsse ohne rechtliche Würdigung ergehen. Im Unterschied
zum Hauptsacheverfahren erfolgt allerdings lediglich eine summarische Prüfung.
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Hinsichtlich des Begehrens des Antragstellers ist zu differenzieren. Bis zur Änderung
der Arzneimittel-Richtlinien am 16.03.2004 (und damit nach Erlass der angefochtenen
Entscheidung) und Einfügung des neuen Abschnitts F "Gesetzliche
Verordnungsausschlüsse bei der Arzneimittelversorgung und zugelassene Arzneimittel"
war eine Verordnung durch den Vertragsarzt ausnahmsweise möglich. Darauf haben
bereits das SG und die Antragsgegnerin zutreffend hinwiesen. Die Antragsgegnerin hat
eine Versorgung mit den begehrten Arzneimitteln zu keinem Zeitpunkt versagt. Lediglich
der behandelnde Arzt hat offenbar die Voraussetzungen einer Verordnung im
Ausnahmefall nicht gesehen. Ob angesichts dessen überhaupt ein
Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben war,
erscheint zweifelhaft. Jedenfalls dürfte ein solches aber hinsichtlich des Medikamentes
Ferro sanol duodenal fehlen, seit in Abschnitt F Ziffer 16.4.14 der Arzneimittel-
Richtlinien Eisen-(II)-Verbindungen zur Behandlung einer gesicherten
Eisenmangelanämie als Standardtherapeutika angesehen werden. Ausweislich der
Auskunft des behandelnden Arztes dürfte bei dem Antragsteller dieses Krankheitsbild
vorliegen. Die Verordnung obliegt der vertragsärztlichen Entscheidung.
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Ansonsten fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat keinen
Anspruch auf Versorgung mit nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln, soweit dies
nicht abweichend in den Arzneimittel-Richtlinien vorgesehen ist. Zwar haben
Versicherte gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Dies gilt aber nur, soweit diese nicht gemäß § 34
SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Ab. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt einen Versorgungsausschluss für
nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V kann die
Verordnung wiederum nur ausnahmsweise erfolgen, wenn der Gemeinsame
Bundesausschuss dies in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bestimmt.
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Für das nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel (vgl. hierzu die Ausführungen in der
"Roten Liste") alpha-VIBOLEX 600 HRK Kapseln zur Behandlung einer diabetischen
Polyneuropathie sehen die Arzneimittel-Richtlinien eine solche (Ausnahme-)Regelung
nicht vor, für das Medikament Ferro sanol duodenal nur bei o.g. Indikation.
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Ein Verstoß der Arzneimittel-Richtlinien gegen höherrangiges Recht ist nicht ersichtlich.
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Ausführungen zum Anordnungsgrund erübrigen sich bei Fehlen eines
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Anordnunganspruchs. Zutreffenderweise hat das SG aber darauf hingewiesen, dass die
Notwendigkeit einer Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
durch den Antragssteller nicht glaubhaft gemacht wurde. Dies gilt sowohl unter dem
Gesichtspunkt der Frage der Vorfinanzierbarkeit der benötigten Arzneimittel als auch
unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer unmittelbar zu behandelnden
schwerwiegenden Erkrankung.
Die Ausführungen des Antragstellers zur Behandlung der Rechtssache durch das SG
rechtfertigen eine abweichende Beurteilung nicht. Auch dem zuletzt gestellten Antrag,
eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit einzuholen, war
dementsprechend nicht zu folgen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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