Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2005
LSG NRW: befreiung von der versicherungspflicht, lehrer, rechtsgutachten, lebensversicherung, rechtskraft, zahl, versorgung, mitgliedschaft, apotheker, anwendungsbereich
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 13 RA 14/03
18.03.2005
Landessozialgericht NRW
13. Senat
Urteil
L 13 RA 14/03
Sozialgericht Düsseldorf, S 22 RA 60/02
Bundessozialgericht, B 4 RA 123/05 B
Rentenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf
vom 7. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger von der Versicherungspflicht zu befreien ist.
Der 1963 geborene Kläger ist seit 1.7.1989 als selbständiger Tennislehrer tätig und betreibt
seit Herbst 1990 eine Tennisschule sowie einen Einzelhandel mit Tennisartikel. Nachdem
er bei der Beklagten Interesse an einer freiwilligen Versicherung angemeldet hatte
entschied die Beklagte mit Bescheid vom 8.7.1991, dass der Kläger als selbständiger
Tennislehrer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - der
Versicherungspflicht unterliege. Widerspruch und Klage zum Sozialgericht Düsseldorf
hiergegen blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.3.1992; Urteil vom 13.10.1994
(S 26 An 60/92).
Im Oktober 2000 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte geltend, die
Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 6. Teil - SGB VI - sei verfassungswidrig,
soweit sie dazu führe, dass selbständige Tennislehrer in die Versicherungspflicht
einbezogen würden. Die Beitragsbescheide seien gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch
10. Teil - SGB X - zurückzunehmen. Der Kläger stützte sich auf ein Rechtsgutachten des
Prof. em. Dr. Dr. H vom 31.7.2000. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom
22.11.2000 ab. Bei der Erteilung des Bescheides vom 7.8.1991 sei weder das Recht
unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden.
Im September 2001 stellte der Kläger einen Befreiungsantrag gemäß § 231 Abs. 6 SGB VI
und führte dazu aus: Er habe zwar am Stichtag Kenntnis von seiner Versicherungspflicht
gehabt. Die Stichtagsregelung werde der Interessenlage der Betroffenen jedoch nicht
gerecht. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 28.9.2001 ab, weil der
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Kläger bereits seit 1989 Kenntnis von der Versicherungspflicht gehabt habe.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, die gesetzliche Regelung sei
zu eng. Befreiungswürdig müsse unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zu §
231 Abs. 6 SGB VI derjenige sein, der davon habe ausgehen können, dass er keiner
Versicherungspflicht unterliege und sich im Vertrauen darauf für eine private Altersvorsorge
entschieden habe. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 22.01.2002 (abgesandt am
25.01.2002) zurückgewiesen: Die Befreiungsmöglichkeit des § 231 Abs. 6 SGB VI beziehe
sich auf selbständig Tätige, die am 31.12.1998 in ihrer Tätigkeit der Versicherungspflicht
unterlagen und glaubhaft machen, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der
Versicherungspflicht hatten. Bereits mit Bescheid vom 7.8.1991 sei aber die
Versicherungspflicht des Klägers als selbständiger Tennislehrer zutreffend festgestellt
worden, sodass schon vor dem 1.1.1999 entsprechende Kenntnis beim Kläger bestanden
habe.
Mit der am 27.2.2002 beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhobenen Klage hat der Kläger
sein Begehren weiterverfolgt. Er hat geltend gemacht, die Vorschrift des § 2 SGB VI sei
verfassungswidrig und verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz - GG -. Es sei willkürlich, dass
nur wenige Berufsgruppen in die gesetzliche Versicherungspflicht einbezogen würden.
Jedenfalls aber sei er gemäß § 231 Abs. 6 SGB VI von der Versicherungspflicht zu
befreien. Die Stichtagsregelung sei nicht sachgerecht. Abzustellen sei vielmehr darauf, ob
er vor der Aufnahme einer privaten Altersvorsorgemaßnahme Kenntnis von der
Versicherungspflicht gehabt habe, denn geschützt werden solle derjenige, der im Vertrauen
auf das Nichtbestehen von Versicherungspflicht Vermögensdispositionen getroffen habe.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 7.1.2003 abgewiesen: Der Kläger unterliege als
selbständiger Tennislehrer der Versicherungspflicht. Seinen Befreiungsantrag habe die
Beklagte zu Recht abgelehnt.
Das Bestehen von Versicherungspflicht ergebe sich aus § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Insoweit
hat das SG auf das rechtskräftige Urteil vom 13.10.1994 Bezug genommen. Die Regelung
des § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sei nicht verfassungswidrig. Insoweit sei der Entscheidung des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.10. 2000 (B 12 RA 2/99 R) zu folgen. Demgemäß
habe keine Veranlassung bestanden, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG
auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, gemäß § 231 Abs. 6 SGB VI von der
Versicherungspflicht befreit zu werden. Die Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift
erfülle er bereits deswegen nicht, weil er vor dem 31.12.1998 Kenntnis von seiner
Versicherungspflicht gehabt habe. Die Kenntnis habe spätestens seit der Rechtskraft des
im Oktober 1994 ergangenen Urteils bestanden. Der Kläger habe in der Folgezeit auch
tatsächlich laufend Beiträge entrichtet.
Anlass dazu, die Übergangsregelung erweiternd so auszulegen, dass auch der Kläger
darunterfalle, bestehe nicht. Die Übergangsregelung sei geschaffen worden, weil viele
Selbständige erst im Zuge der Schaffung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI von ihrer eigentlich
bereits seit Jahren bestehenden Versicherungspflicht erfahren hätten (vgl. Kasseler
Kommentar/Gürtner, Sozialversicherungsrecht, RdNr. 18 zu § 231 SGB VI). Der Kläger sei
indes bereits Anfang 1991, also relativ zeitnah nach Aufnahme der
versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit im Juli 1989, erstmals auf das Bestehen
der Versicherungspflicht hingewiesen worden. Nach der von ihm mit dem Befreiungsantrag
vorgelegten Bestätigung der B Lebensversicherung habe die Lebensversicherung im
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übrigen bereits im Februar 1988, also geraume Zeit vor der Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit bestanden. Schließlich bestehe die Versicherungspflicht inzwischen seit mehr als
10 Jahren. Aus welchem Grunde dem Kläger gleichwohl eine Anpassung an die
Verhältnisse nicht möglich gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich.
Gegen das am 29.1.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.2.2003 Berufung
eingelegt. Er begehrt weiterhin die Befreiung von der Versicherungspflicht und wiederholt
und vertieft zur Begründung sein bisheriges Vorbringen: Grundsätzlich sei zunächst die
Frage zu stellen, ob er versicherungspflichtig sei. Insoweit sei festzustellen, dass das
bisherige System mit der Ausklammerung bestimmter Berufsgruppen aus der
Versicherungspflicht bei Mitgliedschaft in berufsständischer Versorgung ebenso wenig mit
Art. 3 GG vereinbar sei wie die Tatsache, dass die Großzahl der Selbständigen überhaupt
nicht der Versicherungspflicht unterliege. Die Verfassungsmäßigkeit des jetzigen
Versicherungssystems sei noch nicht geklärt. Die Rechtsprechung des BSG ( B 12 RA 2/99
R) und des LSG NRW ( L 4 RA 56/02) berücksichtigten nicht die gesellschaftlichen
Veränderungen. Ein selbständiger Tennislehrer sei nicht schutzbedürftiger als ein
selbständiger Kioskbesitzer. Durch die Privilegierung anderer Berufsgruppen wie Ärzte,
Apotheker und Rechtsanwälte sei eine erhebliche Schieflage entstanden. Seinem
Begehren müsse daher stattgegeben oder die Frage der Versicherungspflichtigkeit seiner
Tätigkeit dem BVerfG vorgelegt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.01.2003 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 28.09.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.01.20002 zu verurteilen, den Kläger von der
Versicherungspflicht zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der
Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Nachdem über die Versicherungspflichtigkeit der Tätigkeit des Klägers in zwei
vorangegangenen Verfahren entschieden worden war, war Gegenstand der Bescheide der
Beklagten, wie auch deren Verfügungssatz deutlich macht nur, ob dem Antrag des Klägers
zu entsprechen war, ihn von der Versicherungspflicht zu befreien.
Das hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend abgelehnt. Denn der
Kläger erfüllt die Voraussetzungen der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht
kommenden Vorschrift des § 231 Abs. 6 SGB VI nicht. Er hatte nämlich seit mehreren
Jahren vor dem in § 231 Abs. 6 SGB VI genannten Stichtag Kenntnis von seiner nach § 2
SGB VI bestehenden Versicherungspflicht als selbständiger Tennislehrer.
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Es besteht auch weder die Möglichkeit, noch die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, den
Anwendungsbereich des § 231 Abs. 6 SGB VI erweiternd so auszulegen, dass jeder
versicherungspflichtige selbständige Tennislehrer von der Versicherungspflicht zu befreien
ist, der schon vor Aufnahme der versicherungspflichtigen Tätigkeit eine andere
Altersvorsorge getroffen hatte.
Wegen der näheren Begründung nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug. Auch der Senat ist nicht
überzeugt, dass die Einbeziehung des Personenkreies der selbständigen Tennislehrer in
die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VI ohne eine solche Möglichkeit, bei
Nachweis einen anderen ( ggf. vorbestehenden) ausreichenden Alterssicherung von der
Versicherungspflicht befreit zu werden, verfassungswidrig ist, sodass die Voraussetzungen
für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht erfüllt sind. Wie das SG und das
BSG, das die Versicherungspflicht der selbständigen Lehrer ebenfalls für
verfassungsgemäß gehalten hat (BSG, Urt.v. 12.10.2000 B 12 RA 2/99 R, SozR 3-2600 §
2 Nr 5), hält der Senat einen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine
Handlungsfreiheit ebensowenig für gegeben wie eine gleichheitsatzwidrige
Ungleichbehandlung. Letztere wird auch nicht dadurch bedingt, dass ein nach § 2 Abs. 1
Nr 1 SGB VI versicherungspflichtiger selbständiger Lehrer trotz seit langem getroffener
privater Vorsorge außer unter den engen Voraussetzungen des § 231 Abs. 6 SGB VI keine
Möglichkeit hat, sich befreien zu lassen ( vgl. auch LSG NRW , L 8 RA 66/03 , Urt. v.
19.5.2004). Insoweit ist insbesondere ein Tennislehrer wie der Kläger, der mit der
Aufnahme der selbständigen Tätigkeit versicherungspflichtig geworden ist, nicht in einer
wesentlich anderen Situation als ein Arbeitnehmer, der unabhängig von etwaigen früheren
versicherungsfreien Tätigkeiten und unabhängig von einer anderen Altersversorgung,
Vermögen o.ä. bei Aufnahme einer nicht geringfügigen abhängigen Beschäftiung
pflichtversichert ist. Einen Verstoß gegen Art. 6, wie ihn Prof Dr. H in dem vom Kläger
angeführten Rechtsgutachten annimmt, vermag der Senat hier schließlich ebenfalls nicht
zu erkennen (vgl. Senatsurteil vom 25.2.2005 L 13 RA 25/03; vgl. auch LSG NRW Urt. v.
5.9.2003, L 14 RA 65/03).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlaß zur Revisionszulassung hat nicht bestanden.