Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2006

LSG NRW: abfindung, missbrauch, wechsel, gerichtsakte, eingriff, veranlagung, pauschalierung, begünstigung, familie, arbeitslosenhilfe

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 132/05
Datum:
26.04.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 132/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 4 AL 170/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
16.03.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch
im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist im Berufungsverfahren noch, ob bei der Berechnung des der Klägerin ab
26.06.2004 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) statt der Leistungsgruppe D die
Leistungsgruppe A zugrunde zu legen ist.
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Die 1947 geborene, verheiratete Klägerin war seit 01.09.1966 als Fachkraft für Verkauf
bei der M AG in L beschäftigt gewesen. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch den
am 16.06.2003 geschlossenen Vertrag zur Frühpensionierung am 30.09.2003, wonach
der Klägerin eine Abfindung in Höhe von 123.380,97 EUR gezahlt und diese auf ihren
ausdrücklichen Wunsch im Januar 2004 nach Abführung der anfallenden Lohnsteuer in
Form eines Einmalbetrags auf ein von ihr angegebenes Konto überwiesen wurde. Auf
der Lohnsteuerkarte der Klägerin für das Jahr 2003 war zunächst die Steuerklasse V
ohne Kinderfreibetrag und ab 01.08.2003 die Steuerklasse IV mit Kinderfreibetrag
eingetragen. Nach der Arbeitslosmeldung zum 01.10.2003 gab die Klägerin in ihrer
Erklärung zum Steuerklassenwechsel vom 17.10.2003 dazu an, dass ihr
Bruttoarbeitsentgelt im August 2003 3.422,21 EUR und das ihres Ehemannes 6.062,55
EUR betragen habe.
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Mit Bescheiden vom 20.02.2004 stellte die Beklagte zum Einen wegen Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses und Herbeiführung von Arbeitslosigkeit den Eintritt einer
Sperrzeit vom 01.10.2003 bis 23.12.2003 und zum Anderen wegen Zahlung einer
Entlassungsentschädigung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung
einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist das
Ruhen das Anspruchs auf Alg der Klägerin bis 25.06.2004 fest. Mit einem dritten und
vierten Bescheid vom 20.02.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 26.06.2004
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Alg nach Leistungsgruppe D und stellte fest, dass es trotz Wechsels der
Lohnsteuerklasse zum 01.08.2003 bei der Zuordnung zur Leistungsgruppe D verbleibe,
weil die neuen Lohnsteuerklassen nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte
beider Ehegatten entsprächen. Auch gegen die letztgenannten Bescheide erhob die
Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die gültige tatsächlich eingetragene
Steuerklasse IV müsse bei der Berechnung des Alg berücksichtigt werden.
Mit ihrem dritten Widerspruchsbescheid vom 10.05.2004 wies die Beklagte diesen
Widerspruch mit der Begründung zurück, die ab 01.08.2003 eingetragene Steuerklasse
könne nicht berücksichtigt werden, weil der Steuerklassenwechsel nicht zweckmäßig
gewesen sei. Die neu eingetragenen Steuerklassen hätten nicht dem Verhältnis der
monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprochen. Bei den monatlichen
Bruttoeinnahmen von 3.422,21 EUR und 7.572,00 (richtig: 6.062,55) EUR führe die
gewählte Steuerklassenkombination zum höchsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug.
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Am 07.06.2004 hat die Klägerin auch gegen die Bescheide vom 20.02.2004 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004, mit denen Alg ab 26.06.2004
unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe D bewilligt worden war, vor dem
Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der
Steuerklassenwechsel zu berücksichtigen sei. Zweck des ab 01.01.2005 aufgehobenen
§ 137 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) sei offensichtlich das Ersparen
von Leistungsentgelten zugunsten der Beklagten. Die Vorschrift sei wegen Verstoßes
gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Artikel 6 Abs. 1, 12 und 14
Grundgesetz (GG), nicht anwendbar. Im Übrigen habe sie (die Klägerin) im Hinblick auf
die hohe Abfindung im Jahre 2003 ein weitaus höheres lohnsteuerpflichtiges
Einkommen als ihr Ehemann erzielt.
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Die Klägerin hat im vom SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbundenen Klageverfahren beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 (Widerspruchsnummer: 1577/04), des
Bescheides vom 20.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
10.05.2004 (Widerspruchsnummer: 1578/04) sowie Abänderung des Bescheides vom
20.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004
(Widerspruchsnummer: 1379/04) zur Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem
01.02.2004 nach der Leistungsgruppe A zu verurteilen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung festgehalten.
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Mit Urteil vom 16.03.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung der
Abweisung der Klage betreffend der Nichtberücksichtigung der Leistungsgruppe A bei
der Berechnung des Alg hat es ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin zu Recht Alg
ab 26.06.2004 nach der Leistungsgruppe D (entsprechend Steuerklasse V) bewilligt.
Der ab 01.08.2003 vorgenommene Steuerklassenwechsel der Klägerin von der
Steuerklasse V in IV könne gemäß § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III nicht berücksichtigt
werden, weil die neuen Steuerklassen nicht dem Verhältnis der monatlichen
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Arbeitsentgelte der Ehegatten entsprochen hätten. Bei monatlichen Arbeitsentgelten in
Höhe von 3.422,21 EUR (Klägerin) und 7.572,00 (richtig: 6.062,55) EUR (Ehegatte)
hätte nämlich die Kombination der Steuerklassen V (Klägerin) und III (Ehegatte) zu dem
geringsten steuerlichen Abzug geführt. Entscheidend für die Beurteilung der
Zweckmäßigkeit eines Steuerklassenwechsels sei das Verhältnis der monatlichen
Arbeitsentgelte der Ehegatten. Unerheblich sei daher, dass die Steuerklassen offenbar
im Hinblick auf die Abfindung der Klägerin gewechselt worden seien. Im Gegensatz zu
deren Auffassung habe das Gericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich
des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB III. Entscheidend hierfür sei, dass der
Steuerklassenwechsel vorliegend auf einer freien Willensentscheidung der Ehegatten
beruhe, auf die die Beklagte keinen Einfluss habe und die auch nicht etwa durch eine
unzutreffende Beratung durch die Beklagte beeinflusst worden sei. Lediglich in
derartigen Fällen habe das Bundessozialgericht (BSG) verfassungsrechtliche Bedenken
an der genannten Regelung geäußert. Nach Auffassung des SG sei die
unterschiedliche Beurteilung eines Steuerklassenwechsels durch das
Arbeitsförderungs- und das Steuerrecht arbeitsförderungsrechtlich geboten, um eine
Änderung (Manipulation) des im maßgebenden Zeitpunkt der Entstehung des
Anspruchs erzielten und zu ersetzenden Leistungsentgelts durch einen steuerrechtlich
zulässigen Lohnsteuerklassenwechsel der Ehegatten zu vermeiden. § 137 Abs. 4 Satz
1 SGB III sei auch nicht etwa ersatzlos aufgehoben worden, sondern finde sich ab dem
01.01.2005 in § 133 Abs. 3 SGB III (neu gefasst durch das Gesetz vom 23.12.2003 -
BGBl. I 2848) wieder.
Gegen das ihr am 04.05.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31.05.2005
Berufung eingelegt, mit der sie sich nicht mehr gegen den Eintritt einer Sperrzeit und
gegen das Ruhen des Anspruchs wegen der ihr gezahlten Entlassungsentschädigung
wendet. Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des SG im Hinblick auf die
Nichtanerkennung des Lohnsteuerklassenwechsels sei rechtsfehlerhaft und daher
aufzuheben. Zunächst sei festzustellen, dass ihr Lohnsteuerklassenwechsel jedenfalls
für das Jahr 2004 mehr als sinnvoll, steuerlich sogar geboten gewesen sei. Aufgrund der
von der M AG gezahlten Abfindung habe sie ausweislich der Lohnsteuerkarte des
Jahres 2004 knapp 30.000,00 EUR mehr als ihr Ehemann verdient. Wenn die
angegriffene Vorschrift von den monatlichen Arbeitsentgelten beider Ehegatten spreche,
sei das Gesetz ihrer Ansicht nach so auszulegen, dass das Jahresgehalt durch 12 zu
teilen sei, denn daran orientiere sich auch der Lohnsteuerjahresausgleich und die
steuerliche Veranlagung auf die die Nr. 1 des § 137 Abs. 4 SGB III Bezug nehme.
Einkommensschwankungen über das Jahr hinweg dürften jedenfalls eine zulässige
Lohnsteuerwahlmöglichkeit nicht einschränken und auch arbeitsförderungsrechtlich
nicht zum Nachteil gereichen. Die Nichtgewährung von Leistungen nach
Leistungsgruppe A im Falle eines Ehegatten verstoße gegen Artikel 6 Abs. 1 und Artikel
3 GG. Eine Nichtwahrnehmung der Leistungsgruppe A treffe nur Ehegatten,
Alleinstehende könnten so gar nicht benachteiligt werden. Der Eingriff in die
Schutzbereiche von Artikel 12 und 14 GG durch die Nichtanerkennung des
Steuerklassenwechsels könne auch nicht durch die bisherige Rechtsprechung des BSG
als ausgeräumt angesehen werden. Die streitgegenständliche Norm sei nicht aus
Verwaltungspraktikabilitätsgründen eingeführt worden, sondern um Missbrauch zu
vemeiden. Ein Missbrauch ihrerseits sei nicht zu erkennen. Dass sie mit dem
Steuerklassenwechsel nur das begehre, was jeder Alleinstehende erhalte, der genau
die gleichen Beiträge eingezahlt habe wie sie, könne kein Missbrauch sein. Die
Rechtsfrage zu § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III in den Fällen, in denen der
Steuerklassenwechsel offensichtlich nicht rechtsmißbräuchlich war, sei vom BSG bis
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heute noch nicht geklärt worden.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.03.2005 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung der Bescheide vom 20.02.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab
26.06.2004 nach Leistungsgruppe A zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil auch im Hinblick auf den verbliebenen
Streitgegenstand für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte
der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist,
wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide vom 20.02.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004, mit denen die Beklagte der Klägerin ab
26.05.2004 Alg nach Leistungsgruppe D bewilligte, sind rechtmäßig und beschweren
die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Beklagte hat, was allein noch streitig ist, das materielle Leistungsrecht auch
insoweit richtig angewandt, als sie der Berechnung des der Klägerin zustehenden Alg
die auf ihrer Lohnsteuerkarte zu Beginn des Jahres 2003 eingetragene
Lohnsteuerklasse V (Leistungsgruppe D) zugrunde gelegt hat.
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Welche Steuerklasse für die Zuordnung zu den Leistungsgruppen maßgebend ist, ergibt
sich aus § 137 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung (nunmehr § 133 SGB
III). Nach dem Grundsatz des § 137 Abs. 3 SGB III richtet sich die Zuordnung nach der
Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden
ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (vgl. BSG SozR 4100 §
113 Nr. 8 S. 49; BSG-Urteil vom 31.03.2002 - B 7 AL 46/01 R -). Maßgebend für die Alg-
Bewilligung ab 26.06.2004 war danach die am 01.01.2003 auf der Lohnsteuerkarte der
Klägerin eingetragene Lohnsteuerklasse V, weil der Anspruch der Klägerin auf Alg
bereits am 01.10.2003 entstanden war und lediglich wegen der Sperrzeit und des
Erhalts der Abfindung ruhte. Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse
werden gemäß § 137 Abs. 3 Satz 2 SGB III mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an
dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderungen vorlagen. Für den
Steuerwechsel bei Ehegatten gilt § 137 Abs. 4 SGB III. Danach werden die neu
eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tag an berücksichtigt, an dem sie wirksam
werden, wenn 1. die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der
monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder 2. sich aufgrund der
neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergibt, das geringer ist als das Alg, das
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sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.
Im Falle der Klägerin lag keine dieser beiden Alternativen vor. Die Voraussetzungen der
Nr. 2 sind - bezogen allein auf die Klägerin - ersichtlich nicht gegeben, weil der Wechsel
von der Lohnsteuerklasse V zur Lohnsteuerklasse IV nicht zu einem niedrigeren,
sondern zu einem höheren Alg der Klägerin führen würde. Die Voraussetzungen der Nr.
1 sind ebenfalls nicht erfüllt. Die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen entsprechen
nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte der Klägerin (3.422,21 EUR) und
ihres Ehemannes (6.062,55 EUR). Bei diesen Bruttoarbeitsentgelten führt die
Lohnsteuerklassenkombination IV/IV auch nicht, was aber zumindest erforderlich wäre
(vgl. BSG-Urteil vom 04.09.2001 - B 7 AL 84/00 R -), zu einem geringeren
Lohnsteuerabzug als die Lohnsteuerkombination III (Ehemann)/V (Klägerin). Die der
Klägerin im Januar 2004 gezahlte Entlassungsentschädigung in Höhe von 123.380,97
EUR führt dabei zu keinem anderen Ergebnis, denn sie ist nicht zu berücksichtigen.
Zwar entspräche die im Januar 2004 in den Lohnsteuerkarten eingetragene
Steuerklassenkombination IV/IV insoweit möglicherweise noch dem Verhältnis der
Arbeitsentgelte der Ehegatten, als sie zumindest zu einem geringeren gemeinsamen
Lohnsteuerabzug führen würde (vgl. BSG, a.a.O.), obwohl die Klägerin im Jahre 2004
aufgrund der Abfindungszahlung sogar ein weit höheres lohnsteuerpflichtiges
Einkommen als ihr Ehemann hatte. Jedoch sind mit den ins Verhältnis gesetzten
"monatlichen Arbeitsentgelten" zum Einen nicht nur nicht monatliche Arbeitsentgelte im
Jahresdurchschnitt gemeint, sondern zum Anderen auch nicht die Arbeitsentgelte eines
späteren Zeitpunkts als dem des Wirksamwerdens der neuen Lohnsteuerklassen. Denn
das Zusammenfallen der nach dem SGB III leistungsrechtlichen Berücksichtigung der
geänderten Steuerklassen mit ihrem steuerrechtlichen Wirksamwerden folgt nicht nur
aus dem eindeutigen Wortlaut des § 137 Abs. 4 Satz 1 SGB III (" ..., so werden die neu
eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, ab dem sie wirksam
werden, ... "), sondern ergibt sich auch daraus, dass eine zeitnahe leistungsrechtliche
Berücksichtigung und damit ein im Interesse des Leistungsempfängers liegender
zeitnaher Erhalt der Leistung häufig nicht möglich wäre, wenn zunächst ein
Monatsdurchschnittsentgelt zu ermitteln wäre. Insbesondere kommt aber auch eine
zeitlich spätere Berücksichtigung als im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des
Steuerklassenwechsels deshalb nicht in Betracht, weil es für die Massenverwaltung der
Beklagten vom Verwaltungsaufwand her ausgeschlossen ist, Monat für Monat erneut zu
überprüfen, ob die Zweckmäßigkeit der neuen Lohnsteuerklassenkombination
inzwischen eingetreten ist.
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Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 137 Abs. 4 SGB III werden
auch vom Senat nicht geteilt. Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die dazu
vom SG in den Entscheidungsgründen gemachten Ausführungen, denen er sich
anschließt. Ein von der Klägerin geltend gemachter Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG mit der Formulierung "eine Nichtwahrnehmung
der Leistungsgruppe A trifft nur Ehegatten, Alleinstehende können so gar nicht
benachteiligt werden", ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil nicht ersichtlich ist
und auch nicht dargelegt wird, warum eine Gleichbehandlung von Ehegatten mit
Alleinstehenden für erforderlich gehalten wird. Zudem können auch Ehegatten
Leistungen unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse I oder IV)
erhalten, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass nämlich die
Lohnsteuerklassenkombination IV/IV für die Ehegatten zweckmäßig ist, also dem
Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte entspricht, was vorliegend - wie dargelegt -
aber eben nicht der Fall ist. Ebensowenig ersichtlich ist ein Verstoß gegen Artikel 14
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GG. Denn weder aus Artikel 3 GG noch aus Artikel 14 GG lässt sich ableiten, dass
"durch Beiträge erkaufte Leistungen voll zu gewähren" sind. Zwar fällt der Anspruch auf
Alg jedenfalls dann, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen für dessen Bezug
vorliegen, unter den Schutzbereich des Artikel 14 GG. Da sich der Gesetzgeber aber
aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und im Hinblick auf eine zügige Feststellung
der Leistungshöhe für eine Pauschalierung entscheiden kann und das
Bundesverfassungsgericht es demgemäß im Grundsatz gebilligt hat, dass Lohnabzüge
für die Berechnung des Nettolohnes nicht individuell ermittelt werden, geht der Senat
davon aus, dass § 137 Abs. 4 SGB III verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist und
auch keiner einschränkenden - verfassungskonformen - Auslegung bedarf (vgl. BSG-
Urteil vom 28.11.2002 - B 7 AL 36/01 R - zu § 113 Abs. 2 AFG). Schließlich bestehen
auch im Hinblick auf Artikel 6 und Artikel 12 GG verfassungsrechtlich keine Bedenken.
Dass die Leistungsgruppenzuordnung bei der Bewilligung von Alg oder
Arbeitslosenhilfe vom Schutzbereich des Grundrechts der freien Wahl und Ausübung
des Berufs nach Artikel 12 Abs. 1 GG erfasst wird, ist weder ersichtlich noch von der
Klägerin dargelegt. Auch der Schutzbereich des Artikel 6 GG, wonach Ehe und Familie
unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt sind, geht jedenfalls nicht
so weit, dass der Schutzbereich schon dann verletzt ist, wenn Ehepaaren und Familien
nicht jedwede denkbare Begünstigung zugute kommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§
160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG).
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