Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.03.2006
LSG NRW: wohnung, eigentumsübergang, selbsthilfe, eigentümer, verwaltung, erlass, mietvertrag, verwertung, hauptsache, grundstück
Landessozialgericht NRW, L 20 B 64/05 SO ER
Datum:
03.03.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 64/05 SO ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 29 SO 25/05 ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.10.2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Beschluss
vom 15.12.2005), ist unbegründet.
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Das SG hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Der Senat nimmt zur Begründung Bezug auf die Ausführungen des SG in der
angefochtenen Entscheidung, denen er sich nach eigener Überzeugung und
Überprüfung der Sach- und Rechtslage weitestgehend anschließt (§ 142 Abs. 2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
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Im Beschwerdeverfahren haben sich keine anderen Gesichtspunkte gezeigt, die zu
einer anderen Beurteilung führen können. Nach wie vor sind weder der
Anordnungsanspruch und insbesondere ein Anordnungsgrund für den Erlass der
begehrten Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) nicht in der erforderlichen Weise glaubhaft gemacht.
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Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs kann auch zur Überzeugung des Senats
dahinstehen, ob der Antragsteller, seine Ehefrau und deren Söhne I und D eine
Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 36 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)
mit der Folge der Vermutung der gegenseitigen Bedarfsdeckung bilden. Zwar spricht
nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Prüfungsdichte
mehr für ein gemeinsames Wirtschaften. Der Antragsteller selbst hat nämlich zu keiner
Zeit bestritten, mit den genannten Personen in einer Wohnung zu leben. Noch im Jahre
2003 wurde im Rahmen des Antrages auf Bewilligung von Wohngeld ausdrücklich
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ausgeführt, der Antragsteller und seine Familie bewohnten gemeinsam eine 108 m²
große Wohnung. Dass zuvor und in der Folgezeit die Angaben des Antragstellers zur
Größe der gemeinsam genutzten Wohnung und auch der den einzelnen
Familienmitgliedern zuzuordnenden Wohnanteile differierten, ist ohne Belang.
Insbesondere unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin im Rahmen der
Wohnungsbegehung vom 26.08.2005 erhobenen tatsächlichen Umstände sind die
Angaben des Antragstellers im Rahmen einer persönlichen Anhörung vom 28.06.2005,
in der Wohnung bestünden abgeschlossene (eigene) Wohn- und Schlafbereiche, nicht
ohne Weiteres nachvollziehbar, jedenfalls aber nicht geeignet, die Vermutung der
Bedarfsdeckung des § 36 SGB XII zu entkräften, zumal zahlreiche weitere Umstände für
ein gemeinsames Wirtschaften sprechen (Abwicklung sämtlicher Angelegenheiten der
Verwaltung des Hausgrundstücks durch den Antragsteller, das Eingehen vertraglicher
Verpflichtungen in diesem Zusammenhang durch den Antragsteller und seine Ehefrau
etc., die Finanzierung besonderer Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel durch
die Söhne). Entgegen der Ankündigung des Antragstellers vom 29.10.2005, ab dem
01.01.2006 mit seiner Ehefrau aus der gemeinsam mit seinen Söhnen bewohnten
Wohnung auszuziehen, hat sich angesichts der Neuvermietung der zum 31.12.2005 frei
gewordenen Wohnung nichts an den Wohnverhältnissen geändert.
Die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben
der Söhne des Antragstellers dürfte die Vermutung des § 36 SGB XII derzeit nicht
widerlegen. Ob angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Söhne Leistungen an
den Antragsteller erwartet werden können, kann und muss aber ebenso wie die
abschließende Klärung der Wohnverhältnisse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben.
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Das SG hat nämlich mit zutreffender Begründung dargelegt, dass der Antragsteller (und
seine Ehefrau) ihren jeweiligen Bedarf (Regelsatz von 345 EUR bzw. 276 EUR,
Mehrbedarfe von 58,65 EUR - Schwerbehinderung und Merkzeichen - sowie
Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung des Antragstellers in Höhe von 51,13
EUR) aus der Altersrente der Ehefrau (396,63 EUR) und den aus dem Nießbrauch
gezogenen Früchten (der Miete in Höhe von 660 EUR bis zum 31.12.2005, 330 EUR im
Januar 2006 und 650 EUR ab Februar 2006) decken können.
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Bezüglich des Nießbrauchsrechts teilt der Senat die Auffassung des SG, der
Antragsgegnerin und zuletzt auch des Antragstellers, dass dieses dem Antragsteller und
seiner Ehefrau wirksam eingeräumt wurde. Ausweislich des aktenkundigen
Grundbuchauszuges des Amtsgerichts Leverkusen für Opladen besteht es weiterhin.
Dass bei Einräumung des Nießbrauchs die Verpflichtungen des Antragstellers und
seiner Ehefrau als Nießbrauchnehmer nach § 1047 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
abbedungen wurden (Ergänzung des Übertragungsvertrages vom 14.10.1996 durch
notariellen Vertrag vom 30.12.1997: "alle Betriebs- und Nebenkosten sind vom Erwerber
bzw. Eigentümer zu tragen"), ist unstreitig. Welche Motive ursprünglich mit dieser
Regelung verfolgt werden sollten, ist unmaßgeblich. Neben der Absicherung des seit
1995 im Sozialhilfebezug stehenden Antragstellers, der im Übrigen - collorandi causa -
als ehemaliger Eigentümer bereits zu diesem Zeitpunkt und bis heute fortdauernd die
(komplette) Verwaltung des Objekts innehatte und hat (etwa incl. Mitgliedschaft im
Haus- und Grundbesitzerverein), und seiner Ehefrau erscheint es nahe liegend, dass
das Grundstück dauerhaft für die Söhne gesichert und eine (wirtschaftliche) Verwertung
zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit verhindert werden sollte. Die mietvertraglichen
Verpflichtungen dienten in diesem Fall dann letztlich der Teilfinanzierung (ggf.
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bestehender Rest- aber auch nach Eigentumsübergang neu begründeter
Verbindlichkeiten) durch Leistungen des Sozialhilfeträgers, der vom
Eigentumsübergang auf die Söhne im Übrigen erst Jahre nach erfolgter
Grundbuchänderung Kenntnis erlangte.
Der Senat braucht auch nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob die vom
Antragsteller vorgelegten Mietverträge überhaupt rechtliche Verpflichtungen zwischen
den Vertragsparteien entfalten sollten und überhaupt Bestand haben können. Jedenfalls
handelt es sich bei der Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses
angesichts der beschriebenen dinglichen Absicherung nicht um nach § 29 SGB XII zu
erstattende angemessene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Im Übrigen hätte
der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Selbsthilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) längst durch
Kündigung des Mietvertrages Rechnung tragen können. Denn zur Selbsthilfe gehört
auch, dass der Hilfe Suchende Ausgaben vermeidet, welche die ihm zur Verfügung
stehenden und in erster Linie für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes
einzusetzenden Mittel mindern könnten. Unnötige Verpflichtungen sind so schnell wie
möglich rückgängig zu machen und freiwillig eingegangene Verpflichtungen nicht zu
erfüllen (vgl. Brühl in: LPK-SGB XII, 7. Auflage, RdNr. 11 m.w.N.). Die Rechtsauffassung
des Antragstellers, es könne nicht zu seinem Nachteil gereichen, dass er nicht mit
einem Dritten, sondern mit seinen Söhnen einen Mietvertrag abgeschlossen habe,
verfängt daher nicht. Auch des Abschlusses eines Mietvertrages mit einem Dritten hätte
es angesichts des eingeräumten Nießbrauchrechts nämlich nicht bedurft.
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Die bei Nießbrauch üblichen mietähnlichen Pauschalzahlungen haben die
Nießbrauchnehmer gerade nicht zu leisten. Dies entspricht dem Interesse der
Vertragsbeteiligten insoweit, als offenbar beabsichtigt war und ist, die Früchte
(Mietzahlungen für die übrigen Wohnungen) zur Tilgung der von den Söhnen
übernommenen Verbindlichkeiten einzusetzen.
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Dem Antragsteller wird im Übrigen im Hauptsacheverfahren - auch seinem Interesse an
einer zügigen Klärung Rechnung tragend - Gelegenheit haben, die zahlreichen weiteren
Ungereimtheiten - von der Antragsgegnerin etwa im Widerspruchsbescheid vom
20.10.2005 dargestellt - aufzuklären (etwa durch Vorlage sämtlicher Kontoauszüge, des
von ihm verwalteten "Vermieterkontos" seines Sohnes I über einen längeren Zeitraum,
Angabe weitere Konten, Ermöglichung einer erneuten Wohnungsbegehung, Vorlage
sämtlicher Vereinbarungen und Mietverträge mit seinen Söhnen seit
Eigentumsübergang etc.). Auch die zeugenschaftliche Vernehmung der Söhne des
Antragstellers und dessen Frau wird ggf. - abhängig vom weiteren Vortrag - zu erwägen
sein.
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Schließlich fehlt es auch weiterhin an einem Anordnungsgrund. Trotz der angespannten
finanziellen Situation auch der Söhne des Antragstellers hält der Senat unter
Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der gesamten Haushaltsgemeinschaft
mit dem SG ein Abwarten der Entscheidung der Hauptsache für zumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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