Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2004
LSG NRW: unternehmen, unfallversicherung, sachliche zuständigkeit, unfallverhütung, krankheitsverhütung, genossenschaft, erlass, anfang, prävention, nummer
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 4 (2) U 6/03
24.09.2004
Landessozialgericht NRW
4. Senat
Urteil
L 4 (2) U 6/03
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 10 U 200/01
Unfallversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 09.12.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch
im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Überweisung des Unternehmens der Klägerin an die Beigeladene.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Sie verleiht die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter nach ihren Angaben als Schlosser,
Schweißer, Vorrichter, Rohrleitungsbauer, Maschinenbauschlosser und Stahlbauschlosser
ausschließlich an Firmen, die selbst bei der Beigeladenen versichert sind. Als Mitglied der
Beklagten beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 05.11.1999 unter Bezugnahme auf
ein Gutachten von Prof. Dr. T vom 24.11.1998 die Zuweisung ihres Unternehmens "an die
zuständige Fachberufsgenossenschaft". Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid
vom 09.12.1999). Ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin sei von Anfang an
richtig gewesen. Sie sei für Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung der zuständige
Unfallversicherungsträger. Den mit Schreiben vom 14.12.1999 eingelegten Widerspruch
wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 02.07.2001).
Mit der am 02.08.2001 erhobenen Klage hat die Klägerin die Überweisung ihres
Unternehmens an die Beigeladene begehrt. Sie hat Auszüge aus dem Rechtsgutachten
des Prof. T vom 24.11.1998 vorgelegt und die Auffassung vertreten, es fehle an einer
Zuweisung der Zeitarbeitsunternehmen an die Beklagte durch den Gesetz- oder
Verordnungsgeber. In einem solchen Falle seien die Unternehmen derjenigen
Berufsgenossenschaft zuzuordnen, der die jeweilige Unternehmensart nach Art und
Gegenstand am nächsten stehe. Das sei die Berufsgenossenschaft, bei der die für die
jeweilige Unternehmensart zweckmäßigste, fachspezifische und leistungsfähigste Unfall-
und Krankheitsverhütung betrieben werden könne. Die Unfall- und Krankheitsverhütung für
die entliehenen Arbeitnehmer müsse sich an den im Entleihbetrieb herrschenden Gefahren
orientieren. Soweit ein Unternehmen dauerhaft und zielgerichtet überwiegend an Betriebe
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verleihe, die einer bestimmten Berufsgenossenschaft zugeordnet seien, sei auch das
Zeitarbeitsunternehmen dieser Berufsgenossenschaft zuzuordnen. Bei solchen
monostrukturellen Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung könnten auf der Grundlage
der in den entleihenden Unternehmen genutzten Fertigungsabläufe und
Betriebseinrichtungen die spezifischen Unfall- und Krankheitsgefahren ermittelt werden,
denen die Leiharbeitnehmer ebenso wie die dauerhaft dort beschäftigten Arbeitnehmer
ausgesetzt seien. Die von der Beklagten geleistete Unfallverhütung sei nicht sachgerecht,
da sie keine speziellen technischen Aufsichtsbeamten für die Unternehmen der
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vorhalte. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen
Artikel 3 Grundgesetz (GG) darin, dass solche Zeitarbeitsunternehmen von einer
Fachberufsgenossenschaft anderer Gewerbearten erfasst würden, die früher Betriebsteil
eines bei einer anderen Fachberufsgenossenschaft versicherten Unternehmens gewesen
seien und sich dann durch sog. "outsourcing" rechtlich verselbständigt hätten.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und sich selbst als
den zuständigen Unfallversicherungsträger für die Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung angesehen.
Die Beigeladene hat die Auffassung vertreten, der Antrag der Klägerin auf Überweisung an
sie dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben.
Das Sozialgericht (SG), hat die Klage abgewiesen (Urteil ohne mündliche Verhandlung
vom 09.12.2002; zugestellt am 18.12.2002).
Mit der am 14.01.2003 eingelegten Berufung trägt die Klägerin unter Wiederholung ihres
Vorbringens aus dem ersten Rechtszug gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. T und
Urteile des Bundessozialgerichts (BSGE 39, 112, 113; 71, 85, 86) weiterhin vor, es fehle an
einer Zuweisung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber für die
Zeitarbeitsunternehmen. Die Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich weder aus
Gewohnheitsrecht noch aus Regelungen, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes galten.
Die Zeitarbeitsbranche habe sich erst ab 1949 entwickelt. Ihre Neuzuweisung an die
Beigeladene habe nach § 136 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternative, Siebtes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VII) zu geschehen. Die Zuständigkeitszuweisung sei "eindeutig"
im Widerspruch zu den Zuständigkeitsregelungen erfolgt. Mit dem Begriff "eindeutig" in
dieser Regelung sei nicht gemeint, dass die Beantwortung der Rechtsfragen einfach sein
müsse, sondern nur, dass tatsächliche Zweifelsfragen, also Feststellungen des
Sachverhalts und Beweiswürdigungen, eindeutig möglich seien. Zudem führe das
Festhalten an der bisherigen Zuweisung zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten im Sinne
von § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, da die Beitragsbelastung bei der Beigeladenen maximal
50 % des Beitrages bei der Beklagten betragen würde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 09.12.2002 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung der Bescheide vom 09.12.1999 und 02.07.2001 zu verurteilen, sie ab
17.11.1999 an die Beigeladene zu überweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide und das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt
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vor, das Fehlen einer Rechtsverordnung nach § 122 Abs. 1 SGB VII sei ohne
Auswirkungen auf die bestehenden Zuständigkeiten der Berufsgenossenschaften für
einzelne Unternehmensarten. Von der Kann-Vorschrift des § 122 Abs. 1 SGB VII habe das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bisher keinen Gebrauch gemacht. Dies
habe zur Rechtsfolge, dass jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensart sachlich
zuständig bleibe, für die sie bisher zuständig gewesen sei. Die derzeitigen Zuständigkeiten
der Berufsgenossenschaften beruhten auf dem Bundesratsbeschluss vom 22.05.1895 und
späteren Zuweisungen durch Bundesrat, Reichstag, Reichsarbeitsministerium und
Reichsversicherungsamt. Danach erstrecke sich ihre Zuständigkeit seit 1942 auf solche
Unternehmen, für die keine andere Berufsgenossenschaft sachlich zuständig sei. Auf der
Grundlage dieser Klausel sei ihre Zuständigkeit u.a. für Unternehmen bei Zeitarbeit
begründet worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe sie die notwendige
Kompetenz in Fragen der Unfallverhütung in der Zeitarbeitsbranche. Sie habe technische
Aufsichtsbeamte mit der erforderlichen Qualifikation eingestellt. Auf ihre Anregung sei über
den HVBG im Fachausschuss Verwaltung ein Sachgebiet "Arbeitnehmerüberlassung" mit
der Aufgabe eingerichtet worden, bei der Erstellung und Bearbeitung des Regelwerkes der
Unfallversicherungsträger zu einem wirksamen Arbeitsschutz für den Bereich der
Arbeitnehmerüberlassung beizutragen. Die Federführung für diesen Fachausschuss liege
bei ihr. Sie habe einschlägige Schriften erarbeitet, systematisch Unfalluntersuchungen in
den Entleihbetrieben durchgeführt und auf Grund deren Ergebnisse Maßnahmen und
Strategien zur Verbesserung des Arbeitsschutzes für Leiharbeitnehmer eingerichtet,
modellhafte Maßnahmen zum Arbeitsschutz eingeführt, branchenbezogene Seminare für
die Zeitarbeit angeboten und in den Aufsichtsbezirken ihrer Bezirksverwaltungen
Schwerpunkt- TAB n für die Zeitarbeit eingesetzt. Zudem würden die Entleihbetriebe
bereits von den zuständigen Fachberufsgenossenschaften im Bereich der Unfallverhütung
betreut. Eine unbillige Härte in Form von unzureichender Unfallverhütung und Prävention
liege somit nicht vor. Die Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft allein
aufgrund einer anderen Beitragsbelastung sei nach der Rechtssprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) nicht zulässig (BSGE 15, 282, 291). Auch ein Verstoß gegen
den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG sei nicht zu erkennen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, die Ausführungen der Beklagten für zutreffend
und die Auffassung der Klägerin, der Beitragssatz bei ihr würde sich nur auf 50 % des
Beitrages bei der Beklagten belaufen, für nicht erklärlich gehalten. Bei einer Zuordnung zu
ihr sei ein höherer Beitrag als der von der Beklagten festgesetzte zu erwarten. Sie
beobachte vermehrt, das Unternehmen die Überweisung von ihr zu der Beklagten
begehren.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten sowie die Streitakten des SG Gelsenkirchen zu
den Aktenzeichen S 13 U 90/99, S 10 U 206/99 und S 13 U 45/01 sowie des LSG NRW
zum Aktenzeichen L 17 U 159/01 einschließlich der Beiakten beigezogen. Die Klägerin hat
eine Gewerbe-Ummeldung (07.12.1993) vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sach- und Streitstandes im
Einzelnen wird auf den Inhalt der Streitakten und der beigezogenen Akten, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Rechtmäßig hat es die Beklagte abgelehnt, das
Unternehmen der Klägerin an die Beigeladene zu überweisen.
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Die Beklagte hat durch Aufnahme der Klägerin in ihr Unternehmerverzeichnis über deren
Mitgliedschaft nach § 664 Abs. 1 Reichsversicherungsordung (RVO) bindend entschieden
und der Klägerin bestätigt, dass sie ihr Mitglied sei (28.09.1993). Unabhängig davon wird
mit der Aufnahme unternehmerischer Tätigkeiten die Zwangszugehörigkeit des
Unternehmens zu der für dieses zuständigen Berufsgenossenschaft begründet, sie beginnt
automatisch kraft Gesetzes. In diesem Sinne ist die Beklagte der zuständige
Unfallversicherungsträger für die Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung (vergleiche LSG NRW, Urteil vom 11.05.2004 - L 15 U 40/01 -
mit weiteren Nachweisen).
Gemäß § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII kommt eine Überweisung dann in Betracht, wenn die
Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig war oder sich
die Zuständigkeit für ein Unternehmen ändert. Die Feststellung der Zuständigkeit war von
Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder
das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde (§
136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Diese Regelung übernimmt die zu § 664 Abs. 3 RVO
ergangene Rechtssprechung, wonach die Berichtigung der Eintragung eines
Unternehmens in das Unternehmerverzeichnis einer Berufsgenossenschaft nur dann
zulässig war, wenn sie seinerzeit aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt war, dass die
weitere Belassung des Betriebes bei der formal zuständig gewordenen
Berufsgenossenschaft der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig widerlaufen
würde oder wenn schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar wären, welche die
Belassung des Betriebes bei der Berufsgenossenschaft als unbillige Härte erscheinen
ließe (vergleiche BSG, Urteil vom 12.12.1985 - 2 RU 57/84 -). Diese Forderung hatte das
BSG unter Berücksichtigung des seit jeher im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung
anerkannten Grundsatzes der Katasterstetigkeit für notwendig gehalten (vergleiche BSG,
Urteil vom 11.08.1998 - B 2 U 31/97 R -).
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, ist
dann gegeben, wenn das Unternehmen grundlegend und auf Dauer umgestaltet worden
ist. Diese Voraussetzungen sind seitens der Klägerin nicht erfüllt. Die Beklagte war und ist
für ihr Unternehmen der zuständige Unfallversicherungsträger. Eine wesentliche Änderung
der Verhältnisse ist nicht eingetreten. Die Klägerin betreibt nach wie vor ein Unternehmen
der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, für das die Beklagte zuständiger Träger
der gesetzlichen Unfallversicherung war und ist.
Weder das SGB VII noch die RVO in ihrer bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung
enthalten eine eigenständige Regelung hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der
gewerblichen Berufsgenossenschaften. Nach § 122 Abs. 2 SGB VII bleibt jede
Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie bisher
zuständig war. Eine Rechtsverordnung zur Regelung der sachlichen Zuständigkeit ist
weder auf der Grundlage des § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB VII noch der Vorgängervorschrift
des § 646 Abs. 2 RVO erlassen worden. Nach Artikel 4 § 11 des Gesetzes zur
Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (UVNG) vom 30.04.1963
blieb jeder Träger der Unfallversicherung für die Unternehmen zuständig, für die er bisher
zuständig war.
Der die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften regelnde
Bundesratsbeschluss vom 22.05.1885 (AN 1885, 143) gilt als vorkonstitutionelles Recht
weiter (ständige Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, vergleiche Urteil
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vom 13.10.1993 - 2 RU 23/92). Dieser Beschluss führt - entsprechend dem damaligen
Stand des Berufs- und Erwerbslebens - den Gewerbezweig der Arbeitnehmerüberlassung
noch nicht auf. Er ist als solcher auch nicht in dem vom früheren Reichsversicherungsamt
(RVA) aufgestellten "alphabetischen Verzeichnis der Gerwerbezweige, welche zu den bis
zum 1. Oktober 1885 gebildeten Berufsgenossenschaften gehörten" und seinen vom RVA
vorgenommenen Fortschreibungen vermerkt. Auch das übrige, die Zuständigkeit der
gewerblichen Berufsgenossenschaften regelnde vorkonstitutionelle Recht enthält keine
ausdrückliche Zuweisung der Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung. Jedoch weist es der Beklagten die Zuständigkeit für alle
überwiegend büromäßig betriebenen Unternehmen sowie eine Auffangzuständigkeit für
alle die Unternehmen zu, für die die Zuständigkeit eines anderen Versicherungsträgers
nicht gegeben ist.
Die ursprünglich als "Versicherungsgenossenschaft der Privatfahrzeuge- und
Reittierbesitzer" errichtete Beklagte erlebte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts
zahlreiche Änderungen in ihrer Zuständigkeit und erhielt 1929 den Namen
"Genossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft 68)".
Einen grundlegenden Wandel in der gesetzlichen Unfallversicherung brachte das Sechste
Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 09.03.1942 (RGBl. I, Seite 107).
Hing der Versicherungsschutz des Einzelnen bis dahin davon ab, dass der jeweilige
Betrieb versichert war, so war Anknüpfungspunkt nunmehr allein die Verrichtung einer
versicherten Tätigkeit. Zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes vom 09.03.1942
konnte der Reichsarbeitsminister (RAM) im Einvernehmen mit den beteiligten
Reichsministern Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen. Der RAM traf mit Erlass
vom 16.03.1942 - II a 2660/42 - (AN 1942, II 201) eine Regelung dahingehend, dass
versicherte Personen in Banken, Krediteinrichtungen, Versicherungsunternehmen,
Verbänden, Kanzleien und ähnlichen Unternehmen, in Verwaltungen, die nicht zu einem
anderweitig versichertem Unternehmen gehören sowie Hausbesorger bei der
Genossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft 68)
versichert sind. Nummer 10 des Erlasses ermächtigte das RVA näheres insbesondere
auch über die Abgrenzung der Zuständigkeit von Versicherungsträgern zu bestimmen.
Nach den Ausführungsbestimmungen des RVA vom 22.04.1942 (AN 1942, II 287) war die
Genossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung unter anderem auch zuständig für
die Versicherten in allen überwiegend büromäßig betriebenen Unternehmungen sowie in
Unternehmen, für welche die Zuständigkeit eines anderen Versicherungsträgers nicht
gegeben ist. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Berufsgenossenschaft unter ihrer alten
Bezeichnung neu organisiert und erhielt 1954 den von ihr heute geführten Namen
(vergleiche LSG Sachsen, Urteil vom 07.03.2001 - L 2 U 151/99 - und LSG NRW, Urteil
vom 16.09.2003 - L 15 U 16/01 - mit weiteren Nachweisen).
Ist eine bestimmte Unternehmensart im Reichsunfallversicherungsrecht noch nicht
ausdrücklich einer Berufsgenossenschaft zugeordnet worden, so ist in entsprechender
Anwendung der genannten Rechtsquellen das umstrittene Unternehmen derjenigen
Berufsgenossenschaft zuzuweisen, der es nach Art und Gegenstand am nächsten steht.
Maßgeblich kommt es darauf an, bei welcher Berufsgenossenschaft die für das betreffende
Unternehmen zweckmäßigste Unfall- und Krankheitsverhütung gewährleistet ist (BSG,
Urteil vom 04.08.1992 - 2 RU 5/91 -). Die vom RAM getroffene Zuständigkeitsregelung ist
auch nach dem zweiten Weltkrieg von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung
weiter praktiziert worden und vom Bundesgesetzgeber mit dessen Willen übernommen
worden. Dies ergibt sich daraus, dass sowohl Artikel 4 § 11 UVNG als auch § 122 Absatz 2
SGB VII die vorbestehenden Zuständigkeiten, die auf vorkonstitutionellem Recht beruhten,
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übernommen haben. Der RAM-Erlass vom 16.03.1942 und die dazu ergangenen
Ausführungsbestimmungen des RVA sind damit bei der Prüfung der Frage, welcher
Berufsgenossenschaft ein Unternehmen nach "Art und Gegenstand nahesteht", zu
beachten (vergleiche LSG NRW, Urteil vom 11.05.2004 - L 15 U 40/01 - mit weiteren
Nachweisen).
Die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung bilden einen
Gewerbezweig im Sinne des unfallersicherungsrechtlichen Organisations- und
Zuständigkeitsrechts. Dies ergibt sich - insoweit folgt der Senat dem Urteil des BSG vom
24.06.2003 - B 2 U 21/02 R - zum einen daraus, dass die Unternehmen der
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung eine besondere Art von Unternehmen mit
einem besonderen Unternehmensgegenstand darstellen, weil sie im Unterschied zu
anderen Unternehmen keine Waren herstellen oder vertreiben bzw. Dienstleistungen
erbringen, sondern Arbeitskräfte gegen Entgelt "verleihen", mit denen andere Unternehmen
solchen Zwecken dienen. Für einen eigenen Gewerbezweig spricht ferner die gesetzliche
Regelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), die die typischen Strukturen einer
spezialgesetzlichen Regelung für einen besonderen Gewerbezweig aufweist.
Aus der besonderen Natur der Arbeitnehmerüberlassung ergibt sich, dass Arbeitnehmer in
eine Vielzahl von Unternehmen "verliehen" werden, die unterschiedlichen
Berufsgenossenschaften angehören. Kennzeichnend für die Unternehmen der
Arbeitnehmerüberlassung ist nicht die Tätigkeit der von ihnen "verliehenen" Arbeitnehmer
im "entleihenden" Betrieb. Deren Tätigkeitsfelder sind nach Arbeitsverfahren, Werkstoffen,
Arbeitsprodukten und Betriebseinrichtungen derart mannigfaltig, dass die Zuordnung des
Gewerbezweigs zu einer anderen Berufsgenossenschaft als der Beklagten nicht in
Betracht kommen kann. Gemeinsames den Gewerbzweig kennzeichnendes Merkmal aller
Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ist vielmehr die
überwiegend verwaltend bzw. kaufmännisch betriebene Einholung von Aufträgen, die
Einstellung und Entlassung von Leiharbeitnehmern und die Planung, Lenkung,
Koordination und Abrechnung von deren Einsatz. Insoweit handelt es sich um eine die
Zuständigkeit der Beklagten begründende überwiegend büromäßige Tätigkeit (vergleiche
LSG NRW, Urteile vom 11.05.2004 - L 15 U 40/01 - und vom 16.09.2003 - L 15 U 16/01 -
mit weiteren Nachweisen).
Auch der Gesichtspunkt der Unfall- und Krankheitsprävention spricht für die Zuständigkeit
der Beklagten. Die Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung sind von
ihrem Betriebsgegenstand her durch eine ihnen gemeinsame gewerbetypische
Unfallgefahr gekennzeichnet, die sich aus dem häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes mit
der Folge, sich in eine neue Arbeitsumwelt eingewöhnen zu müssen und der damit auch
verbundenen Wegeunfallgefahr ergibt. Soweit die Leiharbeitnehmer den zusätzlichen
betriebsspezifischen Gefährdungen im "entleihenden" Unternehmen ausgesetzt sind, hat
der Gesetzgeber das Problem der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und
arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren in den §§ 16, 17 SGB VII praktikabel und effizient
gelöst. So gelten die Unfallverhütungsvorschriften eines Unfallversicherungsträgers auch,
soweit in dem oder für das Unternehmen Versicherte tätig werden, für die ein anderer
Unfallversicherungsträger zuständig ist. Entsprechendes gilt für die Überwachung und
Beratung. Die Klägerin hat im übrigen auch keine konkreten Beispiele für eine mangelhafte
Prävention seitens der Beklagten aufgezeigt. Diese hat vielmehr dargelegt, dass sie
umfangreiche Maßnahmen im Bereich der Unfallprävention getroffen hat und maßgeblich
zu einem wirksamen Arbeitsschutz für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung beiträgt.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist in einer - unterstellt - höheren Beitragsbelastung
eines Unternehmens keine schwerwiegende Unzuträglichkeit im Sinne von § 136 Abs. 2
Satz 1 SGB VII zu sehen (vergleiche BSG, Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - und Urteil
vom 12.12.1985 - 2 RU 57/84 -, jeweils zu § 664 Abs. 3 RVO; Ricke in Kasseler
Kommentar, § 136 Randnummer 19; Bereiter-Hahn/Mertens, § 136 Randnummer 5).
Deshalb ist nicht entscheidungserheblich, ob entsprechend dem Sachvortrag der
Beigeladenen bei dieser für die Klägerin ein höherer Beitrag als bei der Beklagten zu
erwarten ist.
Der im Gutachten von Prof. T vertretenen Auffassung folgt der Senat nicht, weil dieser die
historisch gewachsene Zuständigkeit der Beklagten nicht in Gänze berücksichtigt und sich
insbesondere nicht mit dem RAM-Erlass vom 16.03.1942 und den dazu ergangenen
Ausführungsbestimmungen des RVA auseinandergesetzt hat. Auch sieht der Senat keinen
Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 GG. Selbst wenn einzelne
Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Mitglied anderer
Berufsgenossenschaften sein sollten, so ist dies entweder durch sachliche Unterschiede in
der Fallgestaltung gerechtfertigt oder rechtsfehlerhaft. Für die Klägerin ist jedenfalls die
Beklagte zuständig, auch wenn es sich um ein sogenanntes "monostrukturelles
Unternehmen" handeln sollte, also ein solche, dass ausschließlich oder ganz überwiegend
Arbeitnehmer an Mitgliedsunternehmen einer einzigen Berufsgenossenschaft "verleiht".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nummer 1 oder 2
SGG sind nicht erfüllt.