Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.07.2009
LSG NRW: auflage, anpassung, gestaltungsspielraum, bindungswirkung, haushalt, erlass, klagegrund, organisation, verschulden, entwertung
Landessozialgericht NRW, L 7 B 224/09 AS
Datum:
20.07.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 224/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 41 AS 17/09
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichtes
Düsseldorf vom 08.06.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu
erstatten.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde der Kläger ist unbegründet.
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1. Gemäß § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit den §§ 114, 115
der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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a) Diese Voraussetzungen liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Das
Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat zu Recht eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint.
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen
Beschluss verwiesen, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs. 2
Satz 3 SGG).
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b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der
Beschwerdebegründung.
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aa) Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die die Gewährung von Prozesskostenhilfe
rechtfertigt (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9.
Auflage 2008, § 73a Rn. 7b), liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die hier
aufgeworfene Rechtsfrage kann Mithilfe der bereits vorhandenen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) geklärt werden. Hinsichtlich der Höhe der Regelleistung
von erwachsenen Hilfebedürftigen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
hat das BSG in mehreren Entscheidungen entschieden, dass keine
verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (Urteil vom 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R,
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BSGE 97, 265; Urteil vom 06.12.2007, B 14/7b AS 62/06 R; Beschluss vom 27.02.2008,
B 14 AS 160/07 B; Urteil vom 22.04.2008, B 1 KR 10/07 R, SozR 4-2500 § 62 Nr. 6;
Beschluss vom 16.12.2008, B 4 AS 69/08 B).
Liegt zu einer Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so ist die
Klärungsbedürftigkeit regelmäßig zu verneinen (BSG, Beschluss vom 09.08.2007, B
11b AS 29/07 B).
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bb) Es ergibt sich nichts anderes daraus, dass die verheirateten Kläger Partner einer
Bedarfsgemeinschaft sind (gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II) und jeweils 90 v.H. der
Regelleistung für alleinstehende Hilfebedürftige beanspruchen können (gemäß § 20
Abs. 3 SGB II), hier in Höhe von jeweils 316 EUR monatlich.
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Denn es ist zur Überzeugung des Senats nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber seinen
Gestaltungsspielraum insoweit überschritten hätte. Der Festsetzung der Regelleistung
für Erwachsene liegt - so das BSG - anders als bei der Festsetzung der Regelleistung
für Kinder ein "empirisch begründete[s] Bedarfskonzept" zugrunde (Beschluss vom
27.01.2009, B 14 AS 5/08 R).
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Der Gesetzgeber geht zudem in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise
davon aus, dass die so genannte Gestellungskosten, die in jedem Haushalt anfallen,
zumindest partiell eingespart werden können, wenn in einem Haushalt mehrere
Personen zusammen leben (BSG, Urteil vom 27.02.2008, B 14/7b AS 32/06 R, SozR 4-
4200 § 20 Nr. 6 (Juris Rn. 34)). Der Gesetzgeber durfte in typisierender Weise
unterstellen, dass Partner infolge ihres gemeinsamen Zusammenlebens gegenüber
Alleinstehenden in der Summe preiswerter wirtschaften können.
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cc) Dies gilt im Ergebnis auch für den Anpassungsmechanismus nach § 20 Abs. 4 SGB
II. Zwar hat das BSG im Urteil vom 27.02.2008 (B 14/7b AS 32/06 R) ausgeführt, dass
die vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfung der Anpassung an die Änderung des
aktuellen Rentenwertes sachwidrig ist; diese Auffassung wird in der Literatur geteilt (vgl.
Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 20 Rn. 56 m.w.N.). Hieraus
folgt jedoch nicht die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Das BSG hat in seiner
Entscheidung darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf einen bestimmten
Mechanismus oder zeitlichen Turnus der Anpassung aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 GG nicht
abgeleitet werden kann und der Anpassungsmechanismus in § 20 Abs. 4 Satz 1 SGB II
vom Gesetzgeber selbst vorgegeben worden ist. Insofern muss ihm auch hierbei der bei
der Festsetzung der Höhe der Regelleistungen zustehende Gestaltungsspielraum
eingeräumt werden. Der Gesetzgeber hat diesen ihm zuzubilligenden
Einschätzungsspielraum nicht in unvertretbarer Weise überschritten.
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Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann zur Überzeugung des Senats erst
dann von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen werden, wenn die vom
Gesetzgeber vorgesehene Anpassung der Regelleistung insgesamt auf Dauer gesehen
unter das von Art. 1 des Grundgesetzes (GG) geforderte existenzsichernde Niveau
absinken würde (vgl. hierzu Spellbrink a.a.O., § 20 Rn. 56). Eine solche Absenkung liegt
unter Berücksichtigung der erfolgten Anpassungen nicht vor; auch hier ist zudem wieder
dem legislativen Gestaltungsspielraum Rechnung zu tragen. Ein verfassungsrechtliches
Postulat, dass mit der Anpassung ein voller Inflationsausgleich zu erfolgen hat, gibt es
nicht, jedenfalls so lange das physiologische Existenzminimum durch eine
inflationsbedingte "Entwertung" der Sozialleistungen nicht tangiert wird. Dies ist weder
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der Fall noch von den Klägern behauptet worden.
dd) Der Entscheidung des Senats steht nicht entgegen, dass bei dem
Bundesverfassungsgericht zur Frage der Höhe der Regelleistungen Verfahren anhängig
sind. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass der Senat nicht von der
Verfassungswidrigkeit der Regelungen überzeugt ist, solange das
Bundesverfassungsgericht die Normen nicht beanstandet hat.
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Auch der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Kläger, das
Bundesverfassungsgericht habe in dem Verfahren 1 BvR 1523/08 Prozesskostenhilfe
bewilligt, führt nicht dazu, dass im vorliegenden Rechtsstreit Prozesskostenhilfe zu
gewähren wäre.
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Ein derartiger Beschluss des Bundesverfassungsgerichts über die Gewährung von
Prozesskostenhilfe für ein dort anhängiges Verfassungsbeschwerdeverfahren bindet
den den erkennenden Senat nicht bei der Entscheidung, ob für ein sozialgerichtliches
Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Denn an der Bindungswirkung des
§ 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nehmen nur
Sachentscheidungen teil, nicht dagegen bloße Prozessentscheidungen (Heusch in:
Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar, 2. Auflage 2005 § 31 Rn.
55 m.w.N.), so dass fraglich ist, ob Prozesskostenhilfe-Entscheidungen überhaupt von §
31 Abs. 1 BverfGG erfasst werden. Dies kann aber dahinstehen. Denn jedenfalls richtet
sich der Umfang der Bindungswirkung nach der konkreten Entscheidung (Heusch
a.a.O., § 31 Rn. 57), die hier ausschließlich darin besteht, dass das
Bundesverfassungsgericht für das dortige Verfassungsbeschwerdeverfahren offenbar
Prozesskostenhilfe bewilligt hat.
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Im Übrigen scheint das Bundesverfassungsgericht das Verfahren 1 BvR 1523/08 als
Musterverfahren für die Verfassungsbeschwerdeverfahren zu führen, die sich gegen die
Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung für Alleinstehende richten. Denn in der
"Übersicht der Verfahren, in denen das Bundesverfassungsgericht anstrebt, im Jahr
2009 unter anderem zu entscheiden" (abrufbar unter
http://www.bundesverfassungsgericht.de/ organisation/erledigungen 2009.html), wird
dieses Verfahren insoweit als einziges Verfahren genannt.
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Soweit der 12. Senat des LSG NRW mit Beschluss vom 29.05.2009 (L 31/09 SO) für das
dortige sozialhilferechtliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe gewährt hat, erfolgte
dies zwar auch unter Bezugnahme auf das vorgenannte bundesverfassungsgerichtliche
Verfahren 1 BvR 1523/08. Der 12. Senat hat die Gewährung der Prozesskostenhilfe
aber auch darauf gestützt, dass sich das SG im Klageverfahren einen persönlichen
Eindruck von der dortigen Klägerin und ihrer Urteilsfähigkeit verschaffen müsse, um
klären zu können, ob ihr ein Verschulden gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) vorzuhalten ist.
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c) Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Klageverfahrens sind ausschließlich die
Regelleistungen für die Kläger als erwachsene Hilfebedürftige. Denn mit dem
streitgegenständlichen Bescheid vom 26.11.2008 (in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.02.2009) sind ausschließlich den erwachsenen
Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit
vom 01.01.2009 bis zum 30.06.2009 gewährt worden.
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Der Erlass des Änderungsbescheides vom 12.02.2009 führt zu keinem anderen
Ergebnis. Zwar setzt dieser Bescheid für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum
30.06.2009 die Leistungen neu fest. Grund hierfür war, dass der Sohn der Kläger am
29.01.2009 geboren und damit zu einem weiteren Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der
Kläger wurde. Dieser Änderungsbescheid vom 12.02.2009 dürfte gemäß § 96 SGG
Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil er den ursprünglich mit der Klage
(allein) angegriffenen Bescheid vom 26.11.2008 abändert; dass dieser
Änderungsbescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2009, aber
vor Klageerhebung am 13.02.2009 erlassen wurde, dürfte an der Anwendung des § 96
SGG im Ergebnis nichts ändern (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Auflage 2008, § 96 Rn. 2 m.w.N.).
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Eine ggf. erfolgte Einbeziehung des Änderungsbescheides vom 12.02.2009 in das
Verfahren gemäß § 96 SGG ändert aber nichts daran, dass Streitgegenstand des
Klageverfahrens weiterhin ausschließlich die Regelleistungen für die Kläger als
erwachsene Hilfebedürftige sind. Denn der Streitgegenstand wird durch den
prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von den Klägern aufgrund eines konkreten
Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende
Begehren sowie den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl.
Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.11.2006, B 11 b 9/06 R, Juris, unter Hinweis
auf BSG SozR 4-2600 § 237 Nr. 2). Die Kläger begehren nach ihrem Klageantrag vom
30.03.2009 die Verurteilung der Beklagten, "den Klägern höhere Leistungen im Rahmen
des SGB II zu gewähren". Die Kläger begehren damit nicht - auch nicht sinngemäß -
eine höhere Regelleistung für ihren zwischenzeitlich geborenen Sohn. Die
Entscheidung der Beklagten über seinen Anspruch auf die Regelleistung im
Änderungsbescheid vom 10.02.2009 stellt hierbei einen eigenständigen Verfügungssatz
gemäß § 31 SGB X dar. Denn die Ansprüche auf die Leistungen nach dem SGB II sind
nach ständiger Rechtsprechung des BSG Individualansprüche. Da die Kläger höhere
Regelleistungen für sich mit der Begründung begehren, der Gesetzgeber habe die
Regelleistungen für erwachsene Hilfebedürftige verfassungswidrig zu niedrig
festgesetzt, wird die Regelleistung ihres Sohnes hierdurch auch nicht mittelbar tangiert.
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Soweit die Kläger auf eine Vorlage des Hessischen Landessozialgerichts (L 6 AS
336/07) verweisen, betrifft dieses Verfahren die Höhe der Regelleistung für Kinder.
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d) Sofern die Kläger ihren Klageantrag erweitern und eine Erhöhung des gesetzlich
festgelegten Regelsatzes auch für ihr Kind begehren sollten, bliebe es ihnen nach
Einbeziehung des Sohnes in den Rechtsstreit unbenommen, einen Antrag auf
Prozesskostenhilfe für ihren Sohn zu stellen.
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2. Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren kraft
Gesetzes nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).
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3. Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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