Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.07.2010
LSG NRW (private krankenversicherung, ast, krankenversicherung, überwiegende wahrscheinlichkeit, ärztliche behandlung, anordnung, sgg, antrag, erlass, begründung)
Landessozialgericht NRW, L 16 KR 301/10 B ER
Datum:
08.07.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 KR 301/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 44 KR 210/09 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 28.03.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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Streitig ist die Durchführung der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
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Die am 00.00.1966 geborene Antragstellerin (ASt.) war in der Zeit vom 01.07. bis zum
30.09.2009 bei der Antragsgegnerin (AG) gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V
pflichtversichert. Sie beantragte am 06.11.2009 die Feststellung der
Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V ab dem 01.10.2009. Zur
Begründung führte sie aus, sie sei zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen. Ein
Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 8a SGB V liegen nicht vor. Weitere Voraussetzungen
müssten nicht erfüllt werden. Sie gab weiter an, ihr Einkommen liege bei monatlich
941,02 EUR; sie sei derzeit arbeitslos. Wegen der dringend benötigten ärztliche
Behandlung erbat sie eine zeitnahe Entscheidung.
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Mit Bescheid vom 20.11.2009 lehnte die AG eine Weiterversicherung ab dem
01.10.2009 ab. Die Voraussetzungen für eine freiwillige Krankenversicherung gemäß §
9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lägen nicht vor; denn die ASt. sei vor dem 01.07.2009
durchgehend privat krankenversichert gewesen. Einer Pflichtversicherung gemäß § 5
Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V stehe § 5 Abs. 9 SGB V entgegen. Die ASt., deren vorheriger
Vertrag mit dem privaten Krankenversicherungsunternehmen mindestens fünf Jahre
bestanden habe, sei an dieses zu verweisen.
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Parallel zu dem dagegen gerichteten Widerspruch hat die ASt. bei dem Sozialgericht
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(SG) Dortmund einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und im
Wesentlichen zu dessen Begründung ausgeführt, sie sei als Witwe (mit
Pensionsanspruch) ihres verstorbenen Ehemannes, der Polizeibeamter im Land
Nordrhein-Westfalen (NRW) gewesen sei, zwar grundsätzlich beihilfeberechtigt, gehöre
aber - wegen des lediglich abgeleiteten Beihilfeanspruchs - weder zum Personenkreis
des § 6 Abs. 1 noch des § 6 Abs. 2 SGB V. Auch verfüge sie nicht über eine ergänzende
Krankenkostenversicherung bzgl. des von der Beihilfe nicht übernommenen
Kostenanteils und sei - so auch das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände
zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 01.04.2007 - deshalb dem Personenkreis der
Nichtversicherten gleich zu stellen. Wegen der Aufnahme der abhängigen
Beschäftigung zum 01.07.2009 habe sie ihre private Teilabsicherung gemäß § 205 Abs.
2 S. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gekündigt. Sie könne auch nicht auf die
private Krankenversicherung verwiesen werden, da sie lediglich in der Zeit vom
01.02.2009 bis zum 30.06.2009, nicht aber mehr als fünf Jahre, dort Mitglied gewesen
sei. Zuvor habe weder eine gesetzliche noch eine private Absicherung für den Fall der
Krankheit bestanden. Wie die Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V
zeige, habe der Gesetzgeber die neu geschaffene Pflichtversicherung auch nur für den
in § 5 Abs. 8a SGB V beschriebenen Personenkreis, zu dem sie nicht gehöre,
ausschließen wollen. Eilbedürftig sei die Frage der Mitgliedschaft in der gesetzlichen
Krankenversicherung, da sie als Opfer einer Straftat dringend medizinischer
Behandlung bedürfe. Zur Glaubhaftmachung hat die ASt. auf Anlagen (ärztliche Atteste
und Mitgliedsbescheinigung der privaten Krankenversicherung) Bezug genommen, die
ihrem Antrag nicht beigefügt waren und die sie auch nicht nachgereicht hat.
Die ASt. hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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die AG im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für sie ab dem 01.10.2009
bis auf weiteres vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V
durchzuführen.
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Die AG hat schriftsätzlich beantragt,
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den Antrag auf einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
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Sie hat sich zur Begründung auf den ihrer Auffassung nach zutreffenden angefochtenen
Bescheid bezogen. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass die ASt. nicht
glaubhaft, gemacht, geschweige denn nachgewiesen habe, dass sie nur in der Zeit vom
01.02.2009 bis zum 30.06.2009 privat krankenversichert gewesen sei. In einem
Telefonat habe sie vielmehr geäußert "ihr ganzes Leben lang" privat krankenversichert
gewesen zu sein. Sie sei auf die private Krankenversicherung zu verweisen.
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Mit Beschluss vom 28.03.2010 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, es
mangele bereits an einem glaubhaft gemachten Anordnungsgrund. Dass sie dringend
ärztlicher Behandlung bedürfe, habe die ASt. nicht belegt. Im Übrigen sei sie notfalls auf
die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zwölften Buch des
Sozialgesetzbuches (SGB XII) zu verweisen. Die ASt. habe aber auch das Vorliegen
eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Hinsichtlich des Zeitraumes, für
den privater Krankenversicherungsschutz bestanden habe, fehle jede Unterlage. Auch
habe der Gesetzgeber dem Rückkehrrecht in die private Krankenversicherung
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gegenüber der gesetzlichen Auffangversicherung Vorrang eingeräumt. Nach dem Ende
einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sei die Rückkehr in die
private Krankenversicherung bereits dann zulässig, wenn eine freiwillige Weiterführung
in der gesetzlichen Krankenversicherung an der Erfüllung der Vorversicherungszeit
scheitere. Der Gesetzgeber knüpfe mit den Regelungen an die bisherige Zuordnung des
Versicherten zu einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung an.
Gegen den ihr am 08.04.2010 zugestellten Beschluss hat sich die ASt. durch
kommentarlose erneute Übersendung der Antragsbegründungsschrift vom 10.12.2009,
eingegangen bei dem SG am 16.04.2010, an das SG gewandt und auf Rückfrage
mitgeteilt, dass die Weiterleitung an das Landessozialgericht (LSG) gewünscht werde.
Eine weitergehende Begründung hat sie nicht vorgenommen.
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Die ASt. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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den Beschluss des SG Dortmund vom 28.03.2010 zu ändern und die AG im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für sie ab dem 01.10.2009 bis auf weiteres
vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine
Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V durchzuführen.
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Die AG beantragt schriftsätzlich,
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die Beschwerde der ASt. zurückzuweisen.
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Sie erachtet den angefochtenen Beschluss als zutreffend. Neue
entscheidungserhebliche Gesichtspunkte habe die ASt. nicht vorgetragen, auch keine
Nachweise oder ähnliches vorgelegt. Über den Widerspruch der ASt. gegen den
Bescheid vom 20.11.2009 sei noch nicht entschieden worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der
Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozess- sowie die Verwaltungsakte Bezug
genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und
Entscheidung gewesen sind.
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II.
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Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde der ASt., die nach ihrem
ergänzenden Vortrag in der kommentarlosen erneuten Übersendung des Schriftsatzes
vom 10.12.2009 zu sehen sein solle, ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit
Beschluss vom 28.03.2010 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
zurückgewiesen.
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Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen
zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint (Regelungsanordnung). Der Antrag ist gemäß § 86b Abs. 3 SGG schon vor
Klageerhebung zulässig. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass
die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem materiellen
Recht (Anordnungsanspruch) und für besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund)
glaubhaft gemacht werden. Zur Glaubhaftmachung einer Tatsache im Sinne von § 920
Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist eine
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überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend (Keller in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 128 RdNr. 3d m.w.N.).
Ein Anordnungsgrund ist vorliegend, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ebenso
wenig glaubhaft gemacht wie ein Anordnungsanspruch.
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Es fehlt bereits offensichtlich an der in einstweiligen Rechtsschutzverfahren
erforderlichen Eilbedürftigkeit für die von der ASt. angestrebte Regelung
(Anordnungsgrund im Sinne von § 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2
ZPO). Ihre bereits bei Antragstellung bei der AG mit Schreiben vom 05.11.2009 geltend
gemachte dringende ärztliche Behandlungsbedürftigkeit hat sie bislang in keiner Weise
konkretisiert und erst Recht nicht glaubhaft gemacht. Falls sie tatsächlich Opfer einer
Straftat geworden sein und sich aus diesem Umstand eine Behandlungsbedürftigkeit
herleiten sollte, wäre sie ohnehin auch auf Ansprüche nach dem
Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz
(BVG) zu verweisen, die auch Krankenbehandlung umfassen, vgl. § 10 BVG. Im
Übrigen steht der ASt., von dieser unbestritten, ein Beihilfeanspruch gegen das Land
NRW zu, der zumindest einen Teil der Krankenbehandlungskosten umfasst. Dass die
private Krankenversicherung die zumindest bis zum 30.06.2009 bestandene
Teilversicherung ab dem 01.10.2009 nicht hat fortsetzen wollen, hat die ASt. ebenfalls
weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Welche ungedeckten Kosten einer
ärztlichen Behandlung schließlich entstanden sein sollten oder noch entstehen werden,
die ASt. nicht aus eigenen Mitteln decken und warum ihr unzumutbar sein sollte, eine
Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, hat sie in keiner Weise dargelegt.
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Ebenfalls mit dem SG vermag der Senat auch keinen Anordnungsanspruch zu
erkennen. Die Rechtsfrage, ob der ASt. ein Anspruch auf Mitgliedschaft bei der AG im
Rahmen einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V zusteht, ist
allenfalls als offen zu bezeichnen. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug, § 153 Abs. 2 SGG in
entsprechender Anwendung. Dies aber reicht bei einer Vorwegnahme der Hauptsache,
wie vorliegend, nicht aus, um einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Regelung
zu begründen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass für die Intention des
Gesetzgebers, die Versicherten nach Beendigung einer Pflichtversicherung, wenn die
Vorversicherungszeit des § 9 SGV nicht erfüllt ist, wieder dem System zuzuführen, dem
sie - im Rahmen einer privaten oder gesetzlichen Versicherung - zuvor angehört haben,
auch die Regelung des § 5 Abs. 5a SGB V spricht. Insoweit hat der Gesetzgeber in §
193 Abs. 3 SGB V die Verpflichtung der Versicherten normiert, sich privat gegen
Krankheit zu versichern (vgl. Beschluss des erkennenden Senates vom 31.05.2010, Az.:
L 16 KR 132/10 B ER). Dem Versicherten steht auch kein Wahlrecht zu, ob er sich privat
oder gesetzlich versichern möchte.
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Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.
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