Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.06.2009

LSG NRW: vorläufiger rechtsschutz, trennung, ausbildung, zuschuss, heizung, hauptsache, unterkunftskosten, bedürftiger, anteil, verfügung

Landessozialgericht NRW, L 7 B 397/08 AS ER
Datum:
08.06.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 397/08 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 11 AS 101/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 17.11.2008 geändert. Die Antragsgegnerin hat
die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Ausgangsverfahren
zu 1/2 zu tragen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Bezüglich des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin die
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in vollem Umfang zu
tragen.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist lediglich hinsichtlich der
Kostenentscheidung des Sozialgerichts (SG) teilweise begründet, im Übrigen
unbegründet.
2
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige
Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des
materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können
ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren
nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der
Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu
entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5,237 =
NVwZ 2005, Seite 927).
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Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat das SG zu Recht die Antragsgegnerin
verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 einen
Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von
monatlich 144,60 Euro zu zahlen. Der Antragstellerin stehen Leistungen nach dem
Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) gemäß § 22 Abs. 7 SGB II. Hinsichtlich
der genauen Berechnung wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Beschluss
vom 17.11.2008 verwiesen, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs.
2 Satz 3 SGG).
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In Übereinstimmung mit dem SG sind die Vorgaben zur Berücksichtigung von
Einkommen im SGB II, insbesondere § 11 SGB II, im Rahmen der Berechnung der zu
gewährenden Leistungen gemäß § 22 Abs. 7 SGB II nicht zu berücksichtigen und
insbesondere gewährtes Kindergeld nicht als Einkommen anzurechnen (vgl. hierzu LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.03.2009, L 19 AS 79/08; Hessisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 27.03.2009, L 6 AS 340/08 B ER und Beschluss
vom 02.08.2007, L 9 AS 215/07 ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 07.02.2008, L 14 B 133/08 AS ER jeweils m.w.N.; Sozialgericht
Schwerin, Beschluss vom 29.03.2007, S 10 ER 49/07 AS, Rn. 24; a.A. unter anderem
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2009, L 5 AS 74/08, anhängig
beim Bundessozialgericht -B 14 AS 23/09 R-). Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien
entnehmen, dass der Gesetzgeber den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II davon
abhängig machen wollte, dass dem Auszubildenden selbst überhaupt Kosten für
Unterkunft und Heizung entstehen und das diese nach Berücksichtigung von
Einkommen und Vermögen ungedeckt sind. Daraus folgt aber nicht, dass der
Gesetzgeber von einer Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach den
Vorschriften des SGB II ausgegangen ist. Da sowohl Leistungen nach dem BAföG als
auch nach dem SGB II bedürftigkeitsabhängige Leistungen sind, auf die regelmäßig
Einkommen und Vermögen angerechnet wird und im Übrigen nicht ersichtlich ist, dass
der Gesetzgeber abweichend von den den Bestimmungen des BAföG zu Grunde
liegenden Wertungen eine Verschlechterung der Situation von BAföG-Empfängern, die
mit Hilfesuchenden nach dem SGB II bzw. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe
- (SGB XII) in Bedarfsgemeinschaft lebten, gegenüber anderen BAföG-Empfängern
beabsichtigt hat, ist § 22 Abs. 7 SGB II dahingehend auszulegen, dass die ungedeckten
Unterkunftskosten ohne erneute Prüfung des (Gesamt-) Bedarfs und Anrechnung des
Einkommens zu ermitteln sind. Diese Auslegung entspricht auch der Intention des
Gesetzgebers, der ergänzend zu der pauschalierenden Regelungen der
Ausbildungsförderungsvorschriften Leistungen insbesondere für diejenigen erbringen
wollte, die mit Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben und ihren eigenen Anteil
an den Unterkunftskosten nicht bzw. nicht vollständig erstattet bekommen. Beabsichtigt
ist nur die Aufstockung der Unterkunftsleistungen bis zur Bedarfsdeckung. Dass
Leistungen nur nach vorheriger Ausschöpfung auch des nach dem BAföG
anrechnungsfreien Einkommens erbracht werden sollten, kann der
Gesetzesbegründung nicht entnommen werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der
Wertung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II wird deutlich, dass der Gesetzgeber bewusst
verschiedene Leistungssysteme zur Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse
bedürftiger Bürger zur Verfügung stellen wollte. Während in schulischer, betrieblicher
oder universitärer Ausbildung befindliche Hilfebedürftige grundsätzlich dem
Leistungssystem des BAföG bzw. dem der Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III
unterfallen, beziehen sonstige erwerbsfähige Hilfebedürftige, welche sich nicht in einer
Ausbildung befinden, grundsätzlich Leistungen nach dem SGB II. Der Gesetzgeber hat
damit bewusst sich grundsätzlich gegenseitig ausschließende Leistungssysteme
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geschaffen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 06.09.2007, Az.: B 14/7 B AS 36/06
R, m.w.N.). Für die Ausbildungsförderung hat er ein spezialgesetzliches
Leistungssystem etabliert. Die im BAföG und SGB III vorgesehenen
Ausbildungsförderungsmöglichkeiten sind nach der gesetzgeberischen Konzeption des
Gesamtsozialleistungssystems abschließend. Auch das Arbeitslosengeld II soll nicht
dazu dienen, subsidiär die Ausbildung in solchen Fällen zu fördern, in denen die
Leistungsvoraussetzungen nach dem BAföG oder dem SGB III nicht vorliegen (BSG,
Urteil vom 06.09.2007, Az.: B 14/7 B AS 28/06 R, m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Überzeugung, dass der Gesetzgeber auch im
Rahmen der Durchbrechung der Trennung dieser Leistungssysteme nach § 7 Abs. 5
Satz 2, Abs. 6 SGB II sowie insbesondere vorliegend gemäß § 22 Abs. 7 SGB II an
seiner Grundentscheidung, der Trennung der Leistungssysteme, im Grundsatz
festhalten wollte. Danach sind Auszubildende, welche Leistungen nach dem BAföG
oder Berufsausbildungs-beihilfe nach dem SGB III beziehen, vorrangig nach den im
Rahmen der Konzeption dieser Leistungssysteme geltenden Grundregeln und
grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers zu behandeln, nicht hingegen nach
den Regelungen des SGB II, auch wenn die zusätzlich von ihnen bezogenen
Leistungen - insbesondere solche nach § 22 Abs. 7 SGB II - durch den Gesetzgeber -
wohl systemwidrig im Rahmen des SGB II nicht hingegen im BAföG oder SGB III
normiert wurden. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber - auch soweit
er eine Normierung im SGB II vorgenommen hat - von seiner grundsätzlichen
Entscheidung, der strikten Trennung dieser Leistungssysteme, absehen und abweichen
wollte. Daher muss vorliegend die vom Gesetzgeber getroffene Grundentscheidung
hinsichtlich der Nichtanrechenbarkeit von bezogenem Kindergeld als Einkommen im
Rahmen der Leistungsgewährung nach dem BAföG bzw. nach dem SGB III auch bei
Bezug von Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II Geltung finden und Bestand haben.
Durch den ergänzenden Bezug von Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II wird die
Klägerin nicht zur Bezieherin von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
sondern bleibt als vorrangige Bezieherin von Berufsausbildungsbeihilfe dem SGB Ill-
Leistungssystem der Ausbildungsförderung unterworfen.
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Zu Unrecht hat jedoch das SG der Antragsgegnerin 3/4 der außergerichtlichen Kosten
der Antragstellerin auferlegt. Unter Berücksichtigung, dass die Antragstellerin mit ihrem
Antrag im Ausgangsverfahren nur teilweise Erfolg gehabt hat und den
Fortzahlungsantrag für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.03.2008 erst am
29.10.2008 gestellt hat, hält der Senat es für angemessen, der Antragsgegnerin lediglich
die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im Ausgangsverfahren aufzuerlegen. Der
Abänderung der Kostenentscheidung des SG durch den Senat steht § 172 Abs. 3 Nr. 3
SGG nicht entgegen. Danach ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen
Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG. Die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3
Nr. 3 SGG liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin wendet sich insgesamt gegen die
Entscheidung des SG und begehrt nicht eine isolierte Überprüfung der
Kostenentscheidung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Von einer Quotelung für das
Beschwerdeverfahren hat der Senat abgesehen, weil die Antragsgegnerin lediglich
bezüglich der Kostenentscheidung des SG teilweise Erfolg gehabt hat.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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