Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.03.2009
LSG NRW: private vorsorge, ernährung, anerkennung, erlass, krankengymnastik, sozialhilfe, schwimmbad, konzept, rechtsgrundlage, rheuma
Landessozialgericht NRW, L 19 B 54/09 AS
Datum:
12.03.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 54/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 19 AS 172/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung im Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf
vom 19.12.2008 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde gegen die
Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwalt C im Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom
19.12.2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch
im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
1
Der Antragsteller begehrt die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur
Erbringung weiterer Leistungen nach dem SGB II zwecks Deckung seiner
gesundheitsbezogenen Aufwendungen.
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Der am 00.00.1948 geborene Antragsteller bezieht fortlaufend
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Er leidet an vielfältigen Erkrankungen
und ist seit 1991 als Schwerbehinderter anerkannt (ab 02.10.2006 GdB von 70, G, RF).
Ein am 16.08.2007 gestellter Antrag auf Zuerkennung einer gesetzlichen Rente wegen
voller Erwerbsminderung wurde nach Durchführung einer stationären Behandlung in der
Rheumaklinik B vom 06.05.2008 bis 27.05.2008, aus der der Antragsteller
arbeitsunfähig, nicht jedoch erwerbsunfähig entlassen wurde, mit Bescheid vom
10.09.2008 abgelehnt.
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Gegen die mit Bescheid vom 12.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.08.2007 abgelehnte Anerkennung eines Anspruches auf Deckung eines
Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen Gründen hat der
Antragsteller in dem Verfahren S 19 AS 98/07 Klage erhoben, über die bislang nicht
entschieden worden ist.
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Erneut mit seinem Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 08.10.2007
beantragte der Antragsteller am 02.11.2007 die Anerkennung eines Anspruches auf
Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen Gründen. Diesen
Antrag hat die Antragsgegnerin nicht förmlich beschieden, vielmehr unter Hinweis auf
die bereits vorliegende Ablehnung behandelt.
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Erneut am 14.03.2008 beantragte der Antragsteller eine Anerkennung eines
Anspruches auf Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen
Gründen.
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Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Frau Dr. W lehnte die
Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 04.06.2008 ab und wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2008 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Antragsteller am 14.11.2008 Klage im Verfahren S 19 AS 173/08
erhoben, über die bislang nicht entschieden worden ist.
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Erneut am 31.10.2008 beantragte der Antragsteller die Anerkennung eines Anspruches
auf Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung aus medizinischen Gründen unter
Vorlage eines radiologischen Befundberichtes vom 26.09.2008 zu einer bildgebenden
Untersuchung seiner unteren Lendenwirbelsäule, in der der Verdacht auf eine
Geschwulsterkrankung im unteren Abschnitt der Rückenmarkshülle geäußert wird.
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Daraufhin hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Änderungsbescheid vom
04.11.2008 für die Zeit vom 01.11.2008 bis 30.04.2009 Leistungen nach dem SGB II
unter Anerkennung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger Ernährung aus
medizinischen Gründen in Höhe von 25,56 EUR bewilligt.
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Den zugleich mit Klageerhebung im Verfahren S 19 AS 173/08 im vorliegenden
Verfahren gestellten Antrag auf einstweiligen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur
Erbringung von gesundheitsbezogenen Mehrleistungen (Ernährungsmehrbedarf wegen
Rheuma, Prostataerkrankung, Krebserkrankung, Finanzierung von Antibiotika, Sauna,
Schwimmen, Krankengymnastik) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 19.12.2008,
auf dessen ausführliche Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt und den für
dieses Verfahren gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung von Rechtsanwalt C wegen nicht vorliegender hinreichender
Erfolgsaussicht abgelehnt.
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Gegen den am 30.12.2008 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des
Antragstellers vom 28.01.2009, für die er Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung von Rechtsanwalt C beantragt hat. Mit seiner Beschwerde begehrt der
Antragsteller weiterhin die Anerkennung eines Mehrbedarfes in Höhe von 50 % der
Regelleistungen im Hinblick auf die bei ihm bestehenden Erkrankungen. Ein
Mehrbedarf bestehe bei ihm wegen Rheuma, Prostataerkrankung, Asthmaerkrankung,
hals-nasen-ohrenärztlichem Krankheitsbild, Magenerkrankung, Lebererkrankung,
allergischen Hautverhänderungen, Harnsäurestoffwechselstörung,
Schilddrüsenvergrößerung. Hierbei bezieht sich der Antragsteller auf die Empfehlung für
die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für
öffentliche und private Vorsorge, Stand 1997. Im Beschwerdeverfahren hat der
Antragsteller einen Behandlungsbericht seiner behandelnden Fachärztin für Psychiatrie
und Psychotherapie Dr. medic (Ro) C vom 17.07.2008 und Aufzeichnungen seines
Internisten und Rheumatologen I vom 08.12.2008 eingereicht.
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Die Antragsgegnerin sieht nach wie vor keine Belege für konkrete ernährungsbezogene
Mehraufwendungen und weist daraufhin, dass sie ab dem 01.11.2008 ohne Nachweis
einen ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen des geäußerten Verdachts auf eine
Krebserkrankung anerkannt hat.
12
Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten und beigezogenen Akten Bezug
genommen.
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Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.
14
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf einstweilige Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Anerkennung (weiteren) Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger
Ernährung aus medizinischen Gründen nach § 21 Abs. 5 SGB II.
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Der Senat nimmt auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Beschlusses
gemäß § 142 Abs. 2 Satz 2 SGG Bezug.
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Soweit der Antragsteller sich in der Beschwerdebegründung zum Beleg eines
bestehenden Mehrbedarfes für kostenaufwendige Ernährung aus medizinischen
Gründen auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins aus 1997 beruft, ist auf
Folgendes hinzuweisen:
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Die Empfehlungen des Deutschen Vereins haben auch nach der aktuellen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den Charakter einer 0rientierungshilfe. Sie
können im Regelfall zur Feststellung des angemessenen Mehrbedarfes i.S. von § 21
Abs. 5 SGB II herangezogen werden (Urteile des BSG vom 27.02.2008 - B 14/7b AS
64/06 R- sowie B 14/7b AS 32/06 R -, Urteil des BSG vom 25.04.2008 - B 14/11b AS
3/07 R -).
18
Die Empfehlungen gelten dann nicht, wenn im Einzelfall anzustellende Ermittlungen
Hinweise auf einen von den Empfehlungen abweichenden Mehrbedarf ergeben (BSG,
Urteil vom 27.02.2008, a.a.0.). Abweichungen von den Empfehlungen sind auch nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründungsbedürftig (Beschluss
vom 20.06.2006 -1 BvR 2673/05 -, Beschluss des erkennenden Senats vom 12.11.2008
- L 19 AS 47/08 -).
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Die vom Antragsteller in Bezug genommene Empfehlungen des Deutschen Vereins aus
1997 sind im Hinblick auf Veränderungen des medizinischen Kenntnisstandes
überarbeitet worden und gelten nun als "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur
Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe in der Fassung der 3., völlig neu
bearbeiteten Auflage 2008 vom 01.10.2008 (zugänglich unter www.deutscher-
verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen08).
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Nach diesen neuen Empfehlungen kommt ernährungsbedingt ein Mehrbedarf
regelmäßig (nur noch) bei verzehrenden Erkrankungen mit erheblichen körperlichen
Auswirkungen wie z.B. fortschreitendem/fortgeschrittenem Krebsleiden, HIV/Aids,
multipler Sklerose sowie schweren Verläufen entzündlicher Darmerkrankungen wie
Morbus Crohn und Collitis ulcerosa, Glutenunverträglichkeit und Niereninsuffizienz, die
eiweißdefinierte Kost oder Dialyse erforderlich machen, in Betracht (4.2 folgende der
neuen Empfehlungen).
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Ansprüche auf Krankenkostzulagen bedürfen zur ihrer Begründung der Vorlage eines
ärztlichen Attestes, in der Regel des behandelnden Arztes, der unter genauer
Bezeichnung des Gesundheitsschadens die Notwendigkeit einer Krankenkost darlegen
muss (6.0 der neuen Empfehlungen).
22
Nach diesen Maßstäben ist gegenwärtig kein ernährungsbedingter Mehrbedarf des
Antragstellers belegt. Es liegt keine ärztliche Bescheinigung eines solchen Bedarfes
vor. Die ärztlich bescheinigten Krankheitsbilder gehören nicht zu den Krankheitsbildern,
bei denen nach den neuen Empfehlungen des Deutschen Vereines regelmäßig ein
Mehrbedarf anzunehmen ist.
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Dass die Antragsgegnerin auf die Verdachtsdiagnose einer tumorösen Erkrankung hin
einen Mehrbedarf anerkannt hat, ändert hieran nichts.
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Gegenwärtig ist, was für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auf
Zuerkennung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger Ernährung Voraussetzung
ist, ein Anordnungsanspruch i.S. eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die
begehrte Leistung nach § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4 SGG nicht glaubhaft gemacht.
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Soweit der Antragsteller darüber hinaus von der Antragsgegnerin Zusatzleistungen für
Sauna, Schwimmbad, Krankengymnastik und Medikamentenbeschaffung begehrt, gibt
es keine Rechtsgrundlage im SGB II.
26
Ein Anspruch auf die Finanzierung auch aus medizinischen Gründen für erforderlich
gehaltener Schwimmbad- und Saunabesuche besteht nicht. Insbesondere ist eine
Erhöhung der Regelleistungen nach § 20 SGB II zur Abdeckung von Mehrbedarfen
ausgeschlossen. Dies entspricht dem Konzept des Gesetzgebers bei Einführung des
SGB II und wurde durch Einfügung der Passage "Die nach diesem Buch vorgesehene
Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in
einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine hiervon abweichende Feststellung
des Bedarfes ist ausgeschlossen" in § 3 Abs. 1 SGB II durch das Gesetz zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (BGBl I 1706) klargestellt (vgl.
Gesetzesbegründung in BTDrs. 16/1696, S. 26 zu Nr. 2). Die höchstrichterliche
Rechtsprechung hat dieses Konzept des Gesetzgebers gebilligt (zuletzt Urteil des BSG
vom 26.06.2008 - B 11b AS 19/07 R).
27
Auch für die Abdeckung der im engeren Sinne "medizinischen" Aufwendungen des
Antragstellers für Krankengymnastik und Beschaffung von Medikamenten bietet das
SGB II keine Rechtsgrundlage.
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Bezieher von Leistungen nach dem SGB II sind gesetzlich krankenversichert und haben
wie gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf die nach dem Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch - Krankenversicherung - vorgesehenen Leistungen.
Darüberhinausgehende Kosten für medizinisch nicht notwendige Arzeneimittel werden
von den Regelleistungen umfasst (BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R).
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Bei der Bemessung der Regelleistungen wurde (Abteilung G, Gesundheitspflege) ein
Anteil von 3,7 % an gesundheitsbezogenen Aufwendungen in den Regelsatz
eingerechnet.
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Nach der Gesetzesbegründung hierzu (Bundesrats-Drucksache 206/04, Seite 8 zu § 2)
sollten hiermit Einschränkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen
werden.
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Die grundsätzlich in Betracht kommende Gewährung ergänzender Darlehen nach §§ 23
Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. 37 SGB X scheitert an der fehlenden Darlegung eines
unabweisbaren Bedarfes durch den Antragsteller und wird von ihm auch nicht
angestrebt, da er Zuschussleistungen beantragt.
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Danach hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung insgesamt zutreffend abgelehnt.
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Erfolglos bleibt auch die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren sowie der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das
Beschwerdeverfahren, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus vorstehenden
Gründen weder zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts noch aktuell
hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO aufwies bzw. aufweist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
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