Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2005

LSG NRW: werbung, juristische person, arbeitsentgelt, sozialversicherungsrecht, arbeitslohn, steuerrecht, versicherungspflicht, einkünfte, krankenversicherung, beitragspflicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 11 (16) KR 46/02
16.03.2005
Landessozialgericht NRW
11. Senat
Urteil
L 11 (16) KR 46/02
Sozialgericht Münster, S 16 (4) RA 88/00
Krankenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 19.11.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten über die Beitragspflicht von Prämien für die Werbung neuer Abonnenten an
Zeitungsausträger.
Die Beigeladene zu 1) war von 1989 bis 2001 als Zeitungsausträgerin für die Klägerin in
einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig. Im Rahmen einer
Betriebsprüfung im Jahre 1999 bei der Klägerin stellte die Beklagte auf dem Entgeltkonto
der Beigeladenen zu 1) die Zahlung eines Betrages von 600,00 DM für Werbeprämien fest,
für den keine Beiträge entrichtet worden waren. Dies entsprach der Übung der Klägerin,
nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 22.11.1996 - VI R 59/96 - BFHE
181, 488 entschieden hatte, dass Prämien für die Werbung neuer Abonnenten an
Zeitungsausträger kein Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommenssteuergesetzes (EStG) seien.
Mit Bescheid vom 15.09.1999 und Widerspruchsbescheid vom 29.06.2000 machte die
Beklagte eine Beitragsforderung in Höhe von 255,00 DM gegenüber der Klägerin geltend.
Sie vertrat die Auffassung, die der Beigeladenen zu 1) gewährten Prämien für die Werbung
neuer Abonnenten seien als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt anzusehen, so
dass die Klägerin hierfür Beiträge zu den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung zu
entrichten haben.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, die Werbung neuer Abonnenten sei eine
Nebentätigkeit zur Tätigkeit einer Zeitungsausträgerin, die steuerlich als selbständige
Tätigkeit anzusehen sei. Das entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid vom 15.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
29.06.2000 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die der Beigeladenen zu 1) gezahlten Prämien seien
beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Trennung
zwischen Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäftigung könne bei der Beurteilung der
Versicherungspflicht nicht vorgenommen werden.
Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu 1) zu den Umständen der Tätigkeit im Rahmen
der Werbung neuer Abonnenten gehört und sodann mit Urteil vom 19.11.2001 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach § 28p Abs. 1 S. 1 des 4. Buchs
Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist die Beklagte befugt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob
diese ihre Meldepflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem
Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Im Rahmen dieser
Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur
Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 28p Abs. 1 S. 5 SGB
IV). Aus der Bestimmung des 28p SGB IV ergibt sich die generelle Befugnis der Beklagten,
Beitragsnachforderungen gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin, die nach § 28e Abs. 1
S. 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen hat, geltend zu machen.
Die Klägerin ist verpflichtet, für die der Beigeladenen zu 1) gezahlten Werbeprämien
Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Die Beigeladene zu 1) stand unstreitig in einem
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin. Daher sind für das
von der Beigeladenen zu 1) erzielte Arbeitsentgelt Beiträge zu entrichten. Dies ergibt sich
für die Rentenversicherung aus § 162 Nr. 1 des 6. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI), für
die Krankenversicherung aus § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des 5. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB
V), für die Pflegeversicherung aus § 57 Abs. 1 des 11. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI)
und für die Arbeitslosenversicheurng aus § 342 des 3. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III).
Sämtliche Vorschriften stellen für die Beitragsentrichtung auf die Erziehung von
Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV ab. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen
Legaldefinition sind Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer
Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter
welcher Bezeichnung sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung
oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Steuerfreie Aufwandsentschädigungen und
die in § 3 Nr. 26 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) genannten steuerfreien
Einnahmen gelten nicht als Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV).
§ 14 SGB IV definiert in Abs. 1 einheitlich für alle Versicherungszweige der
Sozialversicherung den Begriff des Arbeitsentgelts. Dabei ist die bis zum Inkrafttreten des
SGB IV am 01.01.1977 bestehende prinzipielle Bindung des Sozialversicherungsrechts an
das Steuerrecht aufgegeben worden, weil Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
unterschiedliche Funktionen haben (Seewald in Kasseler Kommentar, 34.
Ergänzungslieferung, § 14 SGB IV Anm. 2). Demgemäß hat das Bundessozialgericht
(BSG, Urteile vom 03.02.1994, Aktenzeichen: 12 RK 18/93, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 8
und vom 26.03.1998, Aktenzeichen: B 12 KR 17/97 R, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 15)
Einnahmen als im Zusammenhang mit einer Beschäftigung erzielt und damit als
Arbeitsentgelt angesehen, die den Versicherten aus einer selbständigen Tätigkeit im
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Rahmen eines sogenannten einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses zufließen. Ein
einheitliches Beschäftigungsverhältnis wird dann angenommen, wenn eine selbständige
Tätigkeit mit einer abhängigen Beschäftigung in dem Sinne verbunden ist, dass sie nur
aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und insgesamt wie ein Teil
der abhängigen Beschäftigung erscheint (BSG, a.a.O.).
Nach Auffassung der Kammer hat die Beigeladene zu 1) die Prämien für die Werbung
neuer Abonennenten im Zusammenhang mit ihrer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung als Zeitungsausträgerin erzielt. Auch wenn es sich steuerrechtlich bei der
Werbung neuer Abonnenenten um eine selbständige Tätigkeit handelt, so ist diese
selbständige Tätigkeit sozialversicherungsrechtlich jedoch im Rahmen eines einheitlichen
Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden. Für die Annahme eines einheitlichen
Beschäftigungsverhältnisses ist es nicht erforderlich, dass die selbständige Tätigkeit
weitgehend in dem Sinne mit der abhängigen Beschäftigung verbunden ist, dass sie in
diese zeitlich, örtlich, organisatorisch oder inhaltlich eingebunden ist. Es reicht vielmehr
aus, dass die selbständige Tätigkeit aufgrund der im Rahmen der abhängigen
Beschäftigung gewonnen Kenntnisse ausgeübt wird und der Arbeitgeber hieraus Nutzen
zieht (BSG, Urteil v. 26.03.1998, Aktenzeichen: B 12 KR 17/97 R, SozR 3-2400 § 14 SGB
IV Nr. 15).
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Beigeladene zu 1) konnte die Werbung neuer
Abonnenten nur aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Klägerin
vornehmen, da durch diese Tätigkeit der Kontakt zur Klägerin als Zeitungsverlag hergestellt
wurde. Die Klägerin hat durch die Erhöhung der Abonnentenzahl auch Nutzen durch die
selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang,
dass die Beigeladene zu 1) aufgrund des Arbeitsvertrags mit der Klägerin nicht verpflichtet
war, für die Klägerin neue Abonnenten zu werben bzw. die entsprechenden Wünsche an
die Klägerin weiterzuleiten.
Die Annahme der Sozialversicherungspflicht der Prämien für die Werbung neuer
Abonnenten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen
zu 1) die vom BFH (Urteil v. 22.11.1996), Aktenzeichen: 6 R 59/96, BFHE 181, 488)
aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Die steuerliche Beurteilung als Arbeitslohn oder als
Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 SGB
IV) ist für die Beurteilung der Arbeitsentgelteigenschaft dieser Zahlungen im
Sozialversicherungsrecht nicht maßgebend oder vorgreiflich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie tritt der Auffassung des
Sozialgerichts entgegen. Sowohl im Sozialversicherungsrecht wie im Steuerrecht sei für
die Beitragspflicht darauf abzustellen, ob ein Entgelt im Rahmen einer abhängigen
Beschäftigung gezahlt worden sei. Die von der Beigeladenen zu 1) bezogenen
Werbeprämien seien kein Arbeitslohn, sondern Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Um
eine solche habe es sich bei der Gewinnung neuer Abonnenten durch die Beigeladene zu
1) gehandelt. Kein einziges Merkmal einer abhängigen Beschäftigung habe vorgelegen.
Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts, auf die sich das Sozialgericht beziehe,
unterschieden sich im Tatbestand vom vorliegenden Fall gravierend.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.11.2001 abzuändern und die Bescheide der
Beklagten vom 15.09.1999 und 29.06.2000 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Weitere Einzelheiten, auf des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den
Prozessakten und den Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Bezug genommen wird.
Weiterhin waren beigezogen die Prozessakten S 11 RJ 1030/01 Sozialgericht Gotha und S
9 RA 105/00 Sozialgericht Münster.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.11.2001 ist
statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen
Bescheide nicht beschwert, denn diese sind rechtmäßig. Die Klägerin ist verpflichtet, für die
der Beigeladenen zu 1) im Juni 1998 gezahlten Werbeprämien
Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Auch hierbei handelt es sich um Arbeitsentgelt
im Sinne des § 14 SGB VI. Das hat das Sozialgericht im Einzelnen mit ausführlicher und
zutreffender Begründung entschieden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung
seiner Entscheidung nimmt der Senat auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils Bezug, weil er die Berufung aus diesen Gründen zurückweist, § 153
Abs. 2 SGG. Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt zu keinem anderen Ergebnis. In
der mündlichen Verhandlung ist ausführtlich erörtert worden, dass der vorliegende
Sachverhalt gerade mit dem der Entscheidung des BSG vom 15.02.1989 - 12 RK 34/87 -
SozR 2200 § 165 Nr. 95 zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar ist. Auch die
Beigeladene zu 1) hat nach den Feststellungen des Sozialgerichts, denen sich der Senat
anschließt, keine für eine selbständige Tätigkeit kennzeichnende Werbeinitiative erkennen
lassen, sondern lediglich Wünsche von Interessenten an ihre Arbeitgeberin weitergeleitet.
Damit stellt diese werbende Tätigkeit - wenn es sich überhaupt um eine auf Erzielung von
Entgelt gerichtete Tätigkeit handeln sollte - jedenfalls keinen von ihrer Beschäftigung als
Zeitungszustellerin abtrennbaren und einer eigenen rechtlichen Beurteilung fähigen Teil
der Gesamttätigkeit dar. Desweiteren kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin - wie in
der mündlichen Verhandlung vorgetragen - möglicherweise ständig ihrer Zeitungsausträger
zur Werbung neuer Abonnenten aufgerufen oder dazu bestimmte Aktionen durchgeführt
hat. Jedenfalls hat sich nicht ergeben, dass die Beigeladene zu 1) im Rahmen solcher
Aktionen oder infolge solcher Aufrufe überhaupt tätig geworden ist. Ebensowenig lässt sich
erkennen, dass die Beigeladene zu 1) Verkaufstalent entwickelt oder
Überzeugungsvermögen eingesetzt habe, um in den Erhalt der Prämie zu gelangen.
Gerade diese beiden Gesichtspunkte sind nach Auffassung des Senates aber für den
Bundesfinanzhof ausschlaggebend gewesen, eine von einer abhängigen Beschäftigung
abgrenzbare selbständige Tätigkeit für den Arbeitgeber im Sinne des
Einkommenssteuerrechts annehmen zu können. Letztlich ist nach Auffassung des Senates
der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem des ruhenden Verfahrens S 9 RA 105/00 SG
Münster vergleichbar. Dort ist die Prämie an die Zeitungsausträger durch einen Dritten,
nämlich von der Arbeitgeberin unabhängige juristische Person gezahlt worden. Ein solcher
Sachverhalt liegt hier nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Der Senat entscheidet aufgrund der Würdigung der Umstände des Einzelfalls in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Aufgrund der völlig
anderen Fallgestaltung liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofes nicht vor.