Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.08.2006

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Landessozialgericht NRW, L 10 KA 33/05
Datum:
09.08.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 10 KA 33/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 17 KA 251/04
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 17.08.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen
Berichtigung für die Quartale III und IV/03. Gegenstand des Rechtsstreits ist noch die
Frage, ob die Klägerin, deren Inhaber als Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe in
I zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, berechtigt war, die Sachkosten für
Endobag-Bergebeutel abzurechnen.
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Mit den Bescheiden vom 06.11.2003 (Quartal III/03) und 04.02.2004 (Quartal IV/03)
lehnte es die Beklagte u.a. ab, die in Ansatz gebrachten Sachkosten für Ballonkatheter,
Urinbeutel und Endobag-Bergebeutel abzurechnen und zu vergüten. Ballonkatheter und
Urinbeutel seien Hilfsmittel und im Bedarfsfall patientenbezogen zu verordnen. Die
Sachkosten für Endobag-Bergebeutel zählten zu den Kosten, die in den Allgemeinen
Bestimmungen A I.2. des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) aufgeführt und mit
der Gebühr für dir ärztliche Leistung abgegolten seien.
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Mit ihren Widersprüchen machte die Klägerin geltend, der Prüfungsausschuss habe im
Rahmen des Sprechstundenbedarfs festgestellt, dass die Artikel als Sachkosten
abzurechnen seien. Die Kosten eines Endobag-Bergebeutels in Höhe von 34,92 Euro
könnten schwerlich mit der Gebührennummer (GNR) 1150 EBM in Höhe von 1700
Punkten - ca. 75 Euro abzüglich Fachgruppenquote - für eine einstündige
endoskopische Operation abgegolten sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2004
wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Mit ihrer am 17.09.2004 erhobenen Klage hat die Klägerin ergänzend zu ihrem
Vorbringen im Widerspruchsverfahren u.a. hinsichtlich der von ihr verwendeten
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Endobag-Bergebeutel vorgetragen, diese seien entwickelt worden, um bei einer
laparoskopischen abdominalen Operation beispielsweise Adnextumore
kontaminationsfrei zu bergen. In dem von ihren ebenfalls vor dem Sozialgericht (SG)
Düsseldorf geführten Rechtsstreit S 33 KA 222/01, in dem es um die Verordnung von
Endobag-Bergebeutel als Sprechstundenbedarf gegangen sei, habe das Gericht
deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich dabei nicht um Sprechstundenbedarf
handele. Danach habe sie die Endobag-Bergebeutel als Sachkosten auf dem
Behandlungsschein abgerechnet.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter entsprechender Abänderung der Bescheide vom 06.11.2003 und
04.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2004 zu
verurteilen, die Sachkosten für Endobags-Bergebeutel und Ballonkatheter mit
Urinbeutel abzurechnen und zu vergüten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat u.a. vorgetragen, bei den Endobag-Bergebeuteln handele es sich zwar nicht um
verordnungsfähigen Sprechstundenbedarf. Allerdings seien die Kosten für die
Bergebeutel auch nicht über den Behandlungsausweis abrechnungsfähig. Die
Bergebeutel zählten vielmehr zu den Kosten, die in den Allgemeinen Bestimmungen A I,
Teil A 2 EBM aufgeführt und somit mit der Gebühr für die ärztliche Leistung abgegolten
seien. Es handele sich um Kosten, die durch die Anwendung von ärztlichen
Instrumenten entstünden.
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Das SG hat mit Urteil vom 17.08.2005 die Beklagte unter Abänderung der
angefochtenen Bescheide verurteilt, die Sachkosten für Endobag-Bergebeutel
abzurechnen und zu vergüten, weil es sich dabei nicht um Kosten handele, die durch
die Anwendung von ärztlichen Instrumenten und Apparaturen entstanden seien. Die
Endobag-Bergebeutel würden zwar jeweils mit dem Endoskop in den Körper eingeführt.
Jedoch handele es sich dabei um zusätzliche Gegenstände, die nicht zwangsläufig mit
dem Einsatz des Endoskops verbunden seien. Es handele sich vielmehr um Kosten, die
unter die Allgemeinen Bestimmungen A I Teil A 2 EBM fielen. Denn die Bergebeutel
seien nach Anwendung verbraucht und könnten nicht mehrmals verwendet werden. Im
übrigen, d.h. soweit um die Streichung der Sachkosten für Ballonkatheter und Urinbeutel
gestritten worden ist, hat das SG die Klage abgewiesen.
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Gegen das am 02.09.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.09.2005 Berufung
eingelegt und vorgetragen, entgegen der Auffassung des SG entstünden die Kosten für
die Endobag-Bergebeutel gerade durch die Anwendung von ärztlichen Instrumenten.
Denn ohne Endoskop könnten die Bergebeutel nicht verwendet werden. Sie seien ein
zusätzlicher Bestandteil des Endoskops. Somit handele es sich um Kosten, die durch
die Anwendung von ärztlichen Instrumenten - in diesem Falle eines Endoskops -
entstanden und entsprechend den Allgemeinen Bestimmungen A I Teil A 2 EBM in den
berechnungsfähigen Leistungen enthalten seien.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.08.2005 insoweit abzuändern, als sie
zur Abrechnung und Vergütung der Sachkosten für Endobag-Bergebeutel verurteilt
worden ist.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom
17.08.2005 zurückzuweisen.
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Sie hat ergänzend zur Verwendung der Endobag-Bergebeutel vorgetragen, der aus
Kunststoff bestehende nur einmal verwendbare Bergebeutel werde über ein Trokar, eine
Hohlnadel, in den Bauchraum eingeführt und öffne sich dort zu einer Schüssel, in der
die Operation durchgeführt und ausfließende Flüssigkeit oder Material gesammelt
werde. Dadurch werde verhindert, das bösartiges oder chemisch belastendes Material
in den Bauchraum gelange. Der Beutel werde anschließend aus der Nabelwunde
gezogen. Bei Operationen an gutartigen Geschwülsten im Bauchraum (z.B. Myome), bei
denen auch die GNR 1150 EBM zur Abrechnung kommen könne, würden Endobag-
Bergebeutel nicht eingesetzt.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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Das SG hat zu Recht festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet ist, die Sachkosten für
Endobag-Bergebeutel abzurechnen und zu vergüten. Insoweit sind die Bescheide vom
06.11.2003 und 04.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
18.08.2004 rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Beklagte ist zur sachlich-rechnerischen Berichtigung von Honorarabrechnungen
befugt, wenn Leistungen in Ansatz gebracht werden, deren Normsetzungen nicht erfüllt
sind oder die aus anderen Gründen nicht in Ansatz gebracht werden dürfen. Dieses
Recht der Beklagten ist in § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) bzw.
34 Abs. 2 Ersatzkassenvertrag Ärzte (EKV-Ä) geregelt. Danach obliegt der Beklagten
die Prüfung der von Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen
Leistungen hinsichtlich ihrer sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die Beklagte berichtigt
ggf. die fehlerhafte Honorarforderung des Vertragsarztes.
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Die Voraussetzungen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung sind vorliegend nicht
gegeben. Die Klägerin hat die Kosten für Endobag-Bergebeutel zu Recht auf den
Behandlungsscheinen der Patientinnen abgerechnet. Denn bei den Endobag-
Bergebeuteln handelt es sich weder um Mittel, die unter die ab dem 01.07.2002
geltenden zwischen der Beklagten und den gesetzlichen Krankenkassen geschlossene
Sprechstundenbedarfsvereinbarung fallen, noch sind ihre Kosten bereits in den
Leistungssätzen der vertragsärztlichen Gebührentarife enthalten.
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Nach Abschnitt III Ziffer 1 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung sind nur die unter
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Abschnitt IV der Vereinbarung aufgeführten Mittel verordnungsfähig. Die Endobag-
Bergebeutel sind in der Vereinbarung nicht aufgeführt. Insbesondere handelt es sich bei
den unter Abschnitt IV Ziffer 5 aufgeführten Auffangbeutel ("Einmal-Punktionsbestecke
für Pleura-, Leber- u. Ascitespunktionen incl. Auffangbeutel") nicht um die in Rede
stehenden Endobag-Bergebeutel.
Ebenso wenig ist den Leistungslegenden der im Falle der Klägerin in Betracht
kommenden GNRn zu entnehmen, dass die Kosten für Endobag-Bergebeutel von den
entsprechenden Leistungssätzen mitumfasst sind. Auf gynäkologischem Fachgebiet
werden Endobag-Bergebeutel bei Adnex- bzw. Gebärmutteroperationen verwendet, die
nach der GNR 1150 (Operation an den Adnexen einer Seite und/oder an der
Gebärmutter durch vaginale oder abdominale Eröffnung der Bauchhöhle oder durch
Laparoskopie/Pelviskopie), ggf. nach den Zuschlagsnummern 1151 (Zuschlag zu den
Leistungen nach den Nrn.1128,1138 oder 1150 bei zusätzlichen Operationen an den
Adnexen der anderen Seite und/oder ei Appendektomie und/oder für zusätzlich
durchgeführte Sterilisation mittels Eingriffs an den Eileitern) und 1160 EBM (Zuschlag
zu den Leistungen nach den Nrn.1110,1111,1150 und1187 bei Durchführung mittels
Laser) abgerechnet werden.
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Eine ausdehnende Auslegung der Leistungsbeschreibungen oder -bewertungen im
EBM ist unzulässig. Den Gerichten ist bei der Auslegung von Vorschriften über die
Vergütung vertragsärztlicher Leistungen Zurückhaltung auferlegt. Sie haben sich an den
Wortlaut des Bewertungsmaßstabs zu halten. Eine systematische Interpretation dürfen
sie nur im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden
vergleichbaren oder ähnlichen GNRn vornehmen (BSG, Urteil vom 01.08.1999 - 6 RKa
15/90 -, BSGE 69, 166 ff.; LSG NRW, Urteil vom 05.04.2006 - L 11 KA 45/04 -).
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Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt auch nicht aus den unter der Ziffer 2 der
Allgemeinen Bestimmungen A I Teil A I des EBM enthaltenen Regelungen, dass die
Kosten für die Endobag-Bergebeutel in den berechnungsfähigen Leistungen enthalten
sind. Insbesondere ergibt sich dies nicht für die unter dem 2. Spiegelstrich genannten
Kosten, nämlich "Kosten, die durch die Anwendung von ärztlichen Instrumenten und
Apparaturen entstanden sind". Weder ist der Endobag-Bergebeutel ein zusätzlicher
Bestandteil des Endoskops bzw. des Trokars noch können diese ohne Bergebeutel
nicht verwendet werden. Der Endobag-Bergebeutel dient vorrangig dazu, zu verhindern,
dass bei Operationen bösartiges oder chemisch belastendes Material in den
Körperhohlraum gelangt und diesen Bereich kontaminiert. Er ist kein Material, das nötig
ist, damit das Instrument "Endoskop" bzw. "Trokar" erst seine Funktion erfüllen kann,
wie z. B. die Papierstreifen für EKG oder das Gel bei Sonographiegeräten
(Wezel/Liebold, EBM, Allg. Bestimmungen A I, S. 8-8). Denn Endoskop bzw. Trokar
finden auch ohne Endobag-Bergebeutel Verwendung: Das Endoskop - ohne Endobag-
Bergebeutel - wird benutzt, um in eine Körperhöhle oder ein Hohlorgan
"hineinzuschauen", oder - ebenso wie der Trokar -, um mittels Einführen von
Instrumenten (z. B. eine Zange zum Entnehmen von Gewebeproben) operative Eingriffe
durchzuführen.
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Das wird auch durch die - unwidersprochene - Erklärung der Klägerin belegt, dass
Endobag-Bergebeutel bei Operationen an gutartigen Geschwülsten im Bauchraum (z.B.
Myome) nicht vwerendet werden, bei denen also die Gefahr einer Kontamination mit
bösartigem Material nicht gegeben ist und auch die GNR 1150 EBM zur Abrechnung
kommen kann.
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Endobag-Bergebeutel zählen auch nicht zu den unter dem 3. Spiegelstrich der Ziffer 2
der Allgemeinen Bestimmungen A I Teil A I des EBM aufgeführten Instrumenten, deren
Kosten ebenfalls in den berechnungsfähigen Leistungen enthalten sind (Kosten für
Einmalspritzen, Einmalkanülen, Einmaltrachealtuben, Einmalabsaugkatheter,
Einmalhandschuhe, Einmalrasierer, Einmalharnblasenkatheter, Einmalskalpelle,
Einmalproktoskope, Einmaldarmrohre, Einmalspekula und Einmalküretten). Zwar sind
die Endobag-Bergebeutel nur einmal verwendbar. Indes gehören hierzu die Kosten nur
für die Einmalartikel, die als Einmalinstrumente an die Stelle von mehrfach gebrauchten
Instrumenten getreten sind, wie Küvetten, Skalpelle, Specula, Proktoskope,
Rasierapparate. Darüber hinaus sind lediglich noch die Kosten für die expressis verbis
genannten Einmalartikel, wie Harnblasenkatheter, Handschuhe, Darmrohre, mit den
entsprechenden Gebühren für die ärztlichen Leistungen mit abgegolten (Wezel/Liebold,
a.a.O., S. 8-9).
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Die Kosten für Endobag-Bergebeutel fallen vielmehr unter die in den Allgemeinen
Bestimmungen A I Teil A I Nr. 4, erster Spiegelstrich EBM gesondert berechenbaren
Kosten. Denn nach dieser Vorschrift sind in den berechnungsfähigen Leistungen die
Kosten für Arzneimittel, Verbandmittel, Materialien, Instrumente, Gegenstände und
Stoffe, die nach der Anwendung verbraucht sind oder die der Kranke zur weiteren
Verwendung behält, enthalten, soweit dies nicht an anderer Stelle ausgeschlossen ist.
Dazu zählen die nach einmaligem Gebrauch nicht wieder verwendbaren Endobag-
Bergebeutel. Eine Regelung, auf Grund derer die gesonderte Berechnung
ausgeschlossen ist, besteht nicht. Insbesondere ist - wie oben erörtert - ein Fall der
Allgemeinen Bestimmungen A I. 2. Spiegelstrich 3 hier nicht gegeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1,
§ 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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