Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 01.09.2008
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Landessozialgericht NRW, L 7 B 171/08 AS
Datum:
01.09.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 171/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 43 AS 220/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 23.04.2008 geändert. Dem Kläger wird
Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens unter
Beiordnung von Rechtsanwalt X aus N für die Zeit ab Antragstellung
bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren unter Beiordnung eines
Rechtsanwaltes.
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1. Prozesskostenhhilfe wird nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in
Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) gewährt, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint
und der Beteiligte nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann.
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2. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
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Der Kläger erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Kosten der Prozessführung kann er nach seinen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen damit nicht aufbringen. Die
Rechtsverfolgung des Klägers bietet auch hinreichend Aussicht auf Erfolg und erscheint
nicht mutwillig.
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a) Bei der Verwirklichung des gerichtlichen Rechtsschutzes ist die Situation von
bemittelten der Situation von unbemittelten Parteien bzw. Beteiligten weitgehend
anzugleichen. Dieses Gebot der Rechtsschutzgleichheit folgt aus Art. 3 Satz 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Die einfach-rechtlichen Vorschriften
über die Prozesskostenhilfe konkretisieren diese verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl.
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BVerfGE 81, 347 (357 f.)).
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt eine hinreichende Erfolgsaussicht der
Rechtsverfolgung (oder -verteidigung) voraus (§ 114 ZPO). Die Prüfung der
Erfolgsaussicht im Rahmen der Prozesskostenhilfe darf jedoch nicht dazu dienen, die
Rechtsverfolgung (oder -verteidigung) selbst in das Nebenverfahren der
Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens
treten zu lassen. Schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen dürfen deshalb im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht "durchentschieden" werden; dies würde die
verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit verletzten (BVerfGE 81, 347
(359)).
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b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund war dem Kläger Prozesskostenhilfe für die
Durchführung des Klagerverfahrens zu bewilligen. Denn dieses Verfahren wirft eine
schwierige und - jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfeantrages - noch nicht geklärte Rechtsfrage auf, die im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht durchentschieden werden durfte.
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Leistung für Mehrbedarf für den
Lebensunterhalt gemäß § 21 Abs. 4 SGB II. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II (in der
aktuellen Fassung) erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürfte einen Mehrbedarf
von 35 v.H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn ihnen Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
IX) sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes im
Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1Nr. 1 -3 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) erbracht werden.
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Das SG hat in dem angegriffenen Beschluss zu Recht ausgeführt, dass die Deutsche
Rentenversicherung Rheinland dem Kläger mit Bescheid vom 24.02.2006 eine
Zusicherung i.S.d. § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur Gewährung eines
Eingliederungszuschusses gewährt hat. Die Regelung des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II
verweist, wie erwähnt, auf die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 33
SGB IX. Zu diesen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gehören auch die
Leistungen an Arbeitgeber gemäß § 34 SGB IX. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IX
können die Rehabilitationsträger insbesondere Eingliederungszuschüsse an
Arbeitgeber erbringen. Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland hat mit dem
Bescheid vom 24.02.2006 dem Kläger zugesichert, unter den dort genannten
Voraussetzungen einem (zukünftigen) Arbeitgeber des Klägers einen
Eingliederungszuschuss gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IX zu gewähren.
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Dem Kläger ist diese besondere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben damit in Gestalt
einer Zusicherung bewilligt worden. Eine tatsächliche Erbringung der Leistung erfolgt
jedoch - noch - nicht, weil der Kläger kein neues Arbeitsverhältnis eingegangen und
noch kein Eingliederungszuschuss an einen neuen Arbeitgeber gezahlt worden ist.
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Es ist umstritten, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einen Anspruch auf
eine Leistung für Mehrbedarf zum Lebensunterhalt gemäß § 21 Abs. 4 SGB II
begründen zu können (vgl. die Übersicht bei Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB
II, 2. Auflage 2008, § 21 Rdnr. 41). Vereinzelt wird vertreten, dass Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben bereits dann "erbracht werden" i.S.d. § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB
II, wenn die entsprechenden Leistungen bewilligt worden sind (so Münder in: LPK-SGB
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II, 2. Auflage 2007, § 21 Rdnr. 21). Dem wird entgegengehalten, dass der Wortlaut des §
21 Abs. 4 Satz 1 SGB II eine derartige Interpretation nicht decke; erforderlich sei also
(auch) die tatsächliche Leistungserbringung (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-
Westfalen (NRW), Urteil vom 12.03.2006, L 19 AS 41/06, Juris (Rdnr. 24); LSG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.03.2006, L 8 As 11/05, Juris (Rdnr. 60);
Behrend in: JurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21 Nr. 39). Vor dem Bundessozialgericht
(BSG) war u.a. zu dieser Frage ein Revisionsverfahren anhängig (B 11 b AS 35/06 R -
Vorinstanz: LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.). Über diese Revision hat das BSG
am 25.06.2008 entschieden (vgl. Terminbericht Nr. 33/08 vom 25.06.2008, abrufbar
unter www.bundessozialgericht.de - die Urteilsgründe lagen zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung des erkennenden Senats noch nicht vor).
Da es sich um eine schwierige, jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfeantrages noch nicht geklärte Rechtsfrage handelt, hat der Kläger
Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des
Klageverfahrens.
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c) Der Senat weist am Rande darauf hin, dass es bei der Beantwortung der Frage, ob
der Kläger eine Leistung gemäß § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II beanspruchen kann,
maßgeblich auf den Sinn und Zweck dieser Regelung ankommen dürfte. Die Regelung
des § 21 Abs. 4 SGB II verfolgt - ebenso die weiteren in § 21 SGB II nomierten
Mehrbedarfe - den Zweck, bestimmte, typisierte Bedarfe auszugleichen (vgl.
Lang/Knickrehm a.a.O., Rdnr. 4). Sie sollen beim Vorliegen einer Behinderung die
daraus folgende Beeinträchtigung des Hilfesuchenden bei der Teilhabe am Arbeitleben
kompensieren (Lang/Knickrehm a.a.O., Rdnr. 38). Es sollen, wenn auch in
pauschalierter Form, nur die tatsächlichen, zusätzlich entstandenen Aufwendungen
durch die Teilnahme des behinderten Hilfebedürftigen an Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben gedeckt werden (Lang/Knickrehm a.a.O., Rdnr. 41). Es könnte fraglich
sein, ob im Falle des Klägers derartige zusätzliche Aufwendungen tatsächlich bereits
entstanden sind. Soweit er auf die Fahrtkosten hinweist, die anlässlich seiner Suche
nach einem Arbeitsplatz entstanden seien, dürfte die Beklagte zu Recht darauf
hingewiesen haben, dass diese Aufwendungen bereits nach §§ 45 ff. Drittes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 SGB II abgedeckt werden
können (vgl. auch Lang/Knickrehm a.a.O., § 21 Rdnr. 44 ; zur Unterstützung in Form der
Beratung und Vermittlung gemäß §§ 45 ff. SGB III Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.
Auflage 2008, § 16 Rdnrn. 71 ff.).
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3. Kosten sind nicht zu erstatten (73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
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4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
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