Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2008
LSG NRW: zwangsarbeit, unterhalt, altersrente, versicherungspflicht, verpflegung, freiwilligkeit, lebensmittel, entgeltlichkeit, dienstpflicht, entschädigung
Landessozialgericht NRW, L 8 R 185/07
Datum:
28.01.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 185/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 53 (51) R 5/05
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 18.05.2007 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin eine Altersrente zu
gewähren hat. Umstritten ist insbesondere, ob die Zeit von Juli 1941 bis Oktober 1942
als Ghettobeitragszeit zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist.
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Die Klägerin ist am 00.00.1919 in Zbaraz (andere Schreibweise: Sbarasch, damals
Polen/heute Ukraine) als polnische Staatsangehörige geboren. Sie ist jüdischen
Glaubens, lebt seit März 1950 in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Sie ist als Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1
Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt für Schaden an Freiheit eine
Entschädigung für den Zeitraum vom 01.08.1941 bis 05.03.1944 (Feststellungsbescheid
C vom 09.01.1958).
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In ihrem Entschädigungsverfahren erklärte die Klägerin am 14.06.1955, Anfang August
1941 sei sie von deutschen Sicherheitsorganen aus der Wohnung gewiesen und unter
Zurücklassung aller Habe in das in Zbaraz errichtete Ghetto verwiesen worden. Das
Ghetto sei abgeschlossen, befestigt gewesen und habe unter deutscher Bewachung
gestanden, assistiert von ukrainischen Polizisten, unter dem Befehl des
Gebietskommandanten E. Flucht sei unter Todesstrafe verboten gewesen. Gestapochef
(des ganzen Kreises Tarnopol) sei ein Offizier N gewesen. Vorsitzender des Judenrates
sei I H gewesen. Mitglied des Judenrates sei ein Rechtsanwalt I gewesen. Sie habe
Zwangsarbeit - unter Tragen des Judenzeichens geleistet, und zwar Reinigungs-
Aufräumarbeiten, hauptsächlich in den Polizeibehörden und in der Ortkommandantur.
Nachdem ihr Ehemann K M vom genannten Ghetto im April 1942 nach Tarnopol-Lager
verbracht worden sei, sei sie dortselbst mit ihrer Tochter G zurückgeblieben, und zwar
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bis Juli 1943. Anlässlich der Liquidierung des genannten Ghettos im Juli 1943 sei sie
mit ihrer genannten Tochter entflohen. Die Zeuginnen M (M) S und S S1 bestätigten am
03.05.1954 den Aufenthalt der Klägerin im Ghetto Zbaraz im Zeitraum von August 1941
bis April 1942.
Am 26.08.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer
Altersrente unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Die Beklagte zog von der Jewish Claims
Conference (JCC) - Art. 2-Fonds - die dort vorliegenden Unterlagen betreffend die
Klägerin bei. Gegenüber der JCC gab die Klägerin an, von 1941 bis 1942 im Ghetto
Zbaraz gewesen zu sein und sich von 1942 bis März 1944 in einem Bunker unter dem
Stall des Hauses einer ermordeten jüdischen Familie aufgehalten zu haben. Angaben
zu verrichteten Arbeiten machte die Klägerin gegenüber der JCC nicht. In zwei
Fragebögen gab die Klägerin jeweils am 05.11.2003 im Verwaltungsverfahren an, im
Ghetto Sbarasch in Polen von Sommer 1941 bis Winter 1942 beschäftigt gewesen zu
sein und sowohl innerhalb als auch außerhalb in der Nähe des Ghettos gearbeitet zu
haben. Sie habe Putz- und Straßenreinigungsarbeiten ausgeführt. Sie habe täglich 10-
12 Stunden gearbeitet. Anstatt monatlichen Geldes habe sie täglich außer der regulären
Verpflegung zusätzlich eine Extraportion an Essen erhalten. Barlohn habe sie nicht
bekommen. Sie habe keine Sachbezüge und außer Essen nichts erhalten. Unbekannt
sei, ob Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden seien. Der
Judenrat des Ghettos habe sie zur Arbeit eingeteilt. Es handelt sich hierbei um die
Antwort der Klägerin zur Frage 5. des von der Beklagten verwendeten Fragebogens für
die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG. Diese
Frage lautet wie folgt:
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"5. Wie kam der Arbeitseinsatz zustande
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a)freiwillig, durch eigene Bemühungen
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b)durch Vermittlung (ggf. welche Stelle vermittelte die Arbeit)
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oder
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c)durch Zuweisung (ggf. welche Stelle ordnete die Arbeit an)?"
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Ihre Antwort fügte die Klägerin unter 5. c) ein.
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Nach Beiziehung und Auswertung der die Klägerin betreffenden Entschädigungsakten
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.07.2004 den Antrag ab. Die geltend
gemachten Arbeitszeiten im Ghetto Sbarasch von Sommer 1941 bis Sommer 1942
seien nicht glaubhaft gemacht, da die Klägerin zur Tätigkeit und zum
Beschäftigungszeitraum unterschiedliche Angaben gemacht habe. Es sei auch nicht
glaubhaft, dass eine entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt worden sei.
Allein die Gewährung von "regulärer Verpflegung und einer Extraportion Essen" stelle
noch kein Entgelt dar.
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Zur Begründung ihres am 06.08.2004 erhobenen Widerspruchs machte die Klägerin
durch ihren Prozessbevollmächtigten geltend, sie sei laut vorliegender eidesstattlicher
Erklärung von Juli 1941 bis Oktober 1942 im Ghetto Sbarasch gewesen und habe sich
über die Arbeitsvermittlung des Judenrates eine Tätigkeit als Reinigungsarbeiterin
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gesucht. Die Tätigkeit sei mit zusätzlichem Essen bzw. Lebensmittel entlohnt worden
und habe die vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte Geringfügigkeitsgrenze
überschritten. Es sei laut Entscheidungen des BSG nicht korrekt, wenn die Beklagte die
Angaben im Entschädigungsverfahren als anspruchsvernichtend ansehe. Alle
Ghettoinsassen hätten sich zwangsweise im Ghetto befunden und dadurch auch die
Tätigkeiten als Zwangsarbeit empfunden. Auch seien genauere Angaben über eine
freiwillige Arbeitsaufnahme gegen Lohn nicht relevant für das Entschädigungsverfahren
gewesen und fehlten daher regelmäßig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie aus, ein Beschäftigungsverhältnis aus eigenem
Willensentschluss im Ghetto Zbaraz sei nicht überwiegend wahrscheinlich; vielmehr
bestünden insoweit begründete Zweifel. Auf die Begründung des angefochtenen
Bescheides werde verwiesen. Bei den Arbeitsverrichtungen der Klägerin im Ghetto
Zbaraz handele es sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung
typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei
Unterbringung im Ghetto und notdürftiger Versorgung. Es gebe keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Klägerin Lohn für diese Zwangsarbeiten erhalten habe. Auch vor dem
Hintergrund der Verordnung vom 26.10.1939 über die Einführung des Arbeitszwangs für
die jüdische Bevölkerung im Generalgouvernement sei ein entgeltliches
Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis im Ghetto Zbaraz nicht überwiegend
wahrscheinlich, wobei hinsichtlich des Entgeltbegriffs von den Ausführungen des BSG
(Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, und vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95)
ausgegangen werde.
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Zur Begründung der am 14.09.2005 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen
Klage hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, dass sie von
Juli 1941 bis Oktober 1942 im Ghetto Sbarasch gewesen sei und sich über den
Judenrat eine Tätigkeit als Reinigungsarbeiterin freiwillig gesucht habe. Arbeitgeber sei
die Stadtverwaltung des Judenrates gewesen. Sie sei für die Tätigkeit entlohnt worden,
wie alle anderen jüdischen Arbeiter. Es könne ihr nicht entgegen gehalten werden, dass
sie im Entschädigungsverfahren von Zwangsarbeit gesprochen habe. Natürlich hätten
Personen, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hätten, ihre Tätigkeiten
als Zwangsarbeit ohne angemessenen Lohn empfunden und dies so beim Antrag auf
Entschädigung angegeben. Hierbei sei zu beachten, dass die damaligen Angaben
davon geprägt gewesen seien, eine Entschädigung nach dem BEG zu erlangen. Die
Beschäftigung sei auch gegen Entgelt ausgeübt worden, denn nach den geltenden
Verordnungen habe es für die beschäftigten Juden einen Lohnanspruch gegeben, der
allein dazu führe, dass sie für den Bereich der Rentenversicherung so zu stellen sei, als
sei ihr das Monatsgehalt tatsächlich ausgezahlt worden. Dem stehe auch nicht
entgegen, dass die angeordneten Lohnzahlungen im Verordnungswege für das Ghetto
an den Judenrat gegangen seien, da die Entgeltzahlung an Dritte das Bestehen eines
sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht vernichte. Zur
"Freiwilligkeit" werde darauf hingewiesen, dass auch Deutsche zur Zeit der NS-Diktatur
Formen des Arbeitszwangs unterworfen gewesen seien. Arbeitskämpfe seien seit 1933
verboten gewesen, in den Folgejahren sei die Vertragsfreiheit bei Arbeitsverhältnissen
eingeschränkt, schließlich 1938 die Dienstpflichtverordnung eingeführt worden. Der
Kriegsbeginn habe weitere Einschränkungen gebracht und der Arbeitsmarkt sei zum
Arbeitseinsatz geworden. Dennoch habe es sich um ein rentenversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis auch dann gehandelt, wenn eine Dienstverpflichtung
Beschäftigungsort und -art bestimmt habe. Der Gleichheitsgrundsatz wäre sicherlich
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verletzt, wenn der Arbeitseinsatz der jüdischen Arbeiter anders bewertet würde als der
Arbeitseinsatz, der nach Inhalt und Aufgabe der Arbeitseinsatzpolitik von Bewohnern
abverlangt worden sei.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005 zu verurteilen, die Tätigkeiten von Juli 1941
bis Oktober 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG
anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, weder nach dem WGSVG noch nach dem ZRBG sei die fiktive
Gewährung eines Entgelts geregelt. Eine andere als die Beitragsfiktion könne § 2 Abs. 1
ZRBG sowie § 12 WGSVG nicht entnommen werden. Eine nach deutschen
Rechtsvorschriften versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit habe nur dann
vorgelegen, wenn der Verfolgte zum Kreis der Versicherungspflichtigen nach § 1226
RVO a.F. gehört habe. Sei für eine Beschäftigung keine Barvergütung bzw. nur freier
Unterhalt gewährt worden oder sei eine Barvergütung gezahlt worden, die 1/3 bzw. 1/6
des seinerzeit maßgebenden Ortslohnes nicht überstiegen habe, habe
Versicherungsfreiheit (§ 1227 RVO a.F.) bestanden. Dass es sich bei den von der
Klägerin als Entlohnung angeführten Sachbezügen um eine der Art und dem Umfang
der Tätigkeit angemessene Entlohnung gehandelt haben solle, sei im Hinblick auf die
neuere Rechtsprechung des BSG vom 07.10.2004 zu bezweifeln. Im Allgemeinen sei
durch die Notdienstverpflichtung kein Beschäftigungsverhältnis begründet worden.
Sozialversicherungspflicht sei nur entstanden, wenn der Einsatz unter Bedingungen
erfolgt sei, die einer Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsvertrages entsprochen hätten.
Ansonsten seien hier die Voraussetzungen eines Ersatzzeittatbestandes zu prüfen
gewesen. Das BSG habe in seinem Urteil vom 26.11.1957 die Anrechnung von Zeiten
des Notdienstes als Ersatzzeiten im Sinne der §§ 1251 RVO und 28 AVG in der
Fassung des Neuregelungsgesetzes vom 23.02.1957 bejaht.
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Das SG hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entschieden und mit Urteil vom 18.05.2007 die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 19.07.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005
verurteilt, der Klägerin ab Antragstellung Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer
Beitragszeit vom 01.07.1941 bis 31.10.1942 sowie Ersatzzeiten nach Maßgabe des
ZRBG zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das
SG im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe sich im Ghetto Sbarasch
aufgehalten, das sich in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich
besetzt gewesen sei. Es sei auch glaubhaft, dass sie eine Beschäftigung gegen Entgelt
ausgeübt habe (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b ZRBG). Über dieses Tatbestandsmerkmal
seien Ghetto-Arbeitszeiten nach dem Typus einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung einerseits von der nichtversicherten Zwangsarbeit andererseits
abzugrenzen. Dabei liege Entgeltlichkeit der Tätigkeit vor, wenn der Betroffene für seine
Arbeit eine Gegenleistung in nennenswertem Mindestumfang erhalten habe. Für die
Qualifizierung als "Entgelt" komme es nicht auf die Art und Höhe, auch nicht auf die
Angemessenheit oder gar auf die Gerechtigkeit der Vergütung an. Unerheblich sei auch,
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in welcher Form die Einnahmen bezogen worden seien, es könnten Geld- oder
Sachbezüge sein. Entscheidend sei nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der
geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgt sei (Bezug auf BSG, Urteil vom
14.12.2006 - B 4 R 29/06 -; Urteile des SG Hamburg vom 09.02.2006 - S 9 RJ 896/03 -
vom 03.05.2006 - S 10 RJ 944/03 -‚ vom 17.06.2003 - S 19 RJ 1061/03 - und vom
02.05.2006 - S 20 RJ 611/04 -). Dies berücksichtigend sei es glaubhaft (§ 1 Abs. 2
ZRBG i.V.m. § 3 WGSVG), dass die Klägerin entgeltlich gearbeitet habe. Sie habe in
den Fragebögen glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tätigkeit im Ghetto eine
Extraportion Essen erhalten habe. Nach der oben aufgeführten Rechtsprechung des
BSG und des SG Hamburg, der sich die Kammer anschließe, seien gerade zusätzliche
Lebensmittel unter Ghettobedingungen besonders wertvoll und oft entscheidend für das
Überleben ganzer Familien gewesen. Weiter habe die von der Klägerin im Ghetto
Sbarasch ausgeübte Arbeit eine freiwillige Arbeitsleistung und nicht Zwangsarbeit
dargestellt. Die Kammer halte es für glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung im
Ghetto Sbarasch aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme
eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass im
Entschädigungsverfahren die Beschäftigung im Ghetto zum Teil als "Zwangsarbeit"
benannt worden sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Furcht vor Deportation und
die wirtschaftliche Not auf die jüdische arbeitsfähige Bevölkerung einen massiven
mittelbaren Druck ausgeübt hätten. Sie hätten sich in einer Zwangslage befunden, die
es begreiflich erscheinen lasse, dass im Entschädigungsverfahren von erzwungenen
Arbeitsleistungen berichtet worden sei. Der gesetzlich geforderte "eigene
Willensentschluss" sei auch dann gegeben gewesen, wenn die Beschäftigung gesucht
und gefunden worden sei, um unter den zunehmend katastrophalen
Lebensbedingungen des Ghettos überleben zu können und der Deportation und
Vernichtung zu entgehen. Auch eine Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit sei
nicht Folge eines Arbeitszwangs aufgrund obrigkeitlicher Anordnung gewesen, sondern
hätte der Durchsetzung des Zwangsaufenthalts im Ghetto gedient.
Gegen das ihr am 06.07.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.07.2007
Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor, das angefochtene Urteil stütze sich in
seinen wesentlichen Aussagen zur Feststellung einer nach § 1 Abs. 1 ZRBG
anzuerkennenden Beschäftigung auf das Urteil des BSG vom 14.12.2006. Die
Rentenversicherungsträger folgten dieser Entscheidung nicht, was insbesondere im
Hinblick auf den weiten, vom 4. Senat des BSG vertretenen Entgeltbegriff gelte, mit dem
der 4. Senat dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R)
entgegen trete. Die vom 13. Senat formulierten Kriterien des Entgeltbegriffs des § 1 Abs.
1 Nr. 1 b) ZRBG erfülle die von der Klägerin angegebene Gegenleistung für ihre Arbeit
nicht. Es sei nach den Angaben im Entschädigungsverfahren außerdem nicht von einer
aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung auszugehen. Mit der
Beschreibung der geltend gemachten Arbeit als Zwangsarbeit oder erzwungener Arbeit
sei im Entschädigungsverfahren zwar nicht unmittelbar auf eine juristische Definition
dieser Begriffe Bezug genommen. Das Wort "Zwang" habe aber einen
allgemeingültigen Sinngehalt dahingehend, dass der Begriff des Zwangs gemeinhin als
Gegenbegriff zur freien Willensentscheidung verstanden werde und das Merkmal der
Freiwilligkeit ausschließe (Bezug auf LSG NRW, Urteil vom 07.05.2007, L 3 R 165/06).
Deshalb spreche hier mehr dafür, dass entsprechend dem üblichen Verständnis zum
Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Klägerin sich dem Arbeitseinsatz nicht habe
entziehen können und zur Arbeit gezwungen worden sei. Nach ständiger
Rechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG und der Senate des LSG NRW sei
auch bei den Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der
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nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in einem Ghetto verrichtet worden seien, eine
von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die
grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliege, von nichtversicherungspflichtiger
Zwangsarbeit abzugrenzen.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.05.2007 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin macht durch ihren Prozessbevollmächtigten geltend, sie habe die
freiwillige Tätigkeit als Reinigungsarbeiterin für die Ghettostadtverwaltung gegen
Entlohnung eidesstattlich erklärt und es gebe keinen Grund, bei ihr Unglaubwürdigkeit
zu unterstellen, zumal die Tätigkeit auch bereits im Entschädigungsverfahren erwähnt
worden sei.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und der über sie beim Amt für
Wiedergutmachung in Saarburg geführten Entschädigungsakte Nr. 000, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in
Abwesenheit der Klägerin und ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil
ihr Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 27.12.2007 gegen
Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden
ist.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.
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Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (z.B. Urteil v.
06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf
Altersrente allein aus dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das
ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v.
26.07.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R).
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur §
35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. §
30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v.
14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
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Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65.
Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf
die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und
Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden
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nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor
Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam
entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten",
d.h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG,
Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mwN).
Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten
zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den
Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden
sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs.
1 Satz 2 SGB VI).
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Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von
Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die
Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom
Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine
Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner
darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der
sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft
gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung
[WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem
Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken
sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei
gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom
08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
35
Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG können die
Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss und die Ausübung
dieser Beschäftigung gegen Entgelt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. a) und b) ZRBG nach
den eigenen Angaben der Klägerin, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass
besteht, nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden.
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Nach wie vor erachtet es der erkennende Senat für erforderlich, den in § 1 Abs. 1 Nr. 1
ZRBG beschriebenen Typus der Beschäftigung von der Zwangsarbeit nach dem Vorbild
des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen (vgl.
Urteile vom 08.06.2007, aaO.; vom 20.06.2007, L 8 R 244/05; vom 04.07.2007, L 8 R
74/05; vom 21.11.2007, L 8 R 98/07; jeweils www.sozialgerichtsbarkeit.de). Maßgebend
hierfür sind die Kriterien, die das BSG in seiner sog. Ghettorechtsprechung (vgl. BSG,
Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95; vom 21.04.1999, B 5 RJ 48/98 R; vom 14.07.1999,
aaO) entwickelt hat (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 07.10.2004, aaO; Senat,
Urteil v. 21.11.2007 aaO.). Danach ist neben der freiwilligen Aufnahme und Ausübung
der Arbeit auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine
versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann.
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Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin die im Verwaltungsverfahren
behaupteten Putz- und Straßenreinigungsarbeiten aus ihrem eigenen Willensentschluss
aufgenommen hatte. Der Senat folgt dabei den Kriterien die vom BSG zur Abgrenzung
von versicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnis und Zwangsarbeit entwickelt
worden sind (vgl. BSG, Urteile vom 14.07.1999 und vom 23.08.2001, aaO). Dass die
Klägerin Arbeiten vorgenannter Art in Zbaraz in dem Zeitraum von August 1941 bis
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Oktober 1942 verrichtet hat, unterliegt keinen durchgreifenden Zweifeln. Sie hatte
bereits im Entschädigungsverfahren angegeben, Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten
hauptsächlich in der Polizeibehörde und Ortskommandantur verrichtet zu haben. Da die
Klägerin im Entschädigungsverfahren den Beginn ihres zwangsweisen Aufenthalts im
Ghetto Zbaraz auf Anfang August 1941 datiert hatte, ist die Ausübung der vorgenannten
Arbeiten schon im Juli 1941 im Ghetto Zbaraz nicht glaubhaft. Ein von ihren Erklärungen
im Entschädigungsverfahren abweichender Beginn des Ghettoaufenthalts wurde im
Übrigen von der Klägerin in einer eigenen persönlichen Erklärung auch nicht behauptet.
Sie gab in ihren eigenen Erklärungen den Beginn mit Sommer 1941 an, was zu ihren
Erklärungen im Entschädigungsverfahren nicht in Widerspruch steht. Nicht iS einer
Glaubhaftmachung kann jedoch festgestellt werden, dass die Klägerin die Putz- und
Straßenreinigungsarbeiten aus eigenem Willensentschluss aufgenommen hat. Es
existiert keine persönliche Erklärung der Klägerin oder eines Zeugen, die hierfür
Anhaltspunkte enthielte. In ihren Erklärungen im Entschädigungsverfahren hat die
Klägerin die von ihr ausgeübten Arbeiten als "Zwangsarbeit" bezeichnet. Hieraus kann
zwar nicht geschlossen werden, dass es sich bei den von der Klägerin ausgeübten
Arbeiten um Zwangsarbeit gehandelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, aaO), ein
eigener Willensentschluss zur Arbeitsaufnahme kann hieraus allerdings ebenso wenig
hergeleitet werden. Nach ihren Angaben zur Begründung ihres Rentenantrags hatte sie
der Judenrat des Ghettos zur Arbeit eingeteilt. Der Inhalt dieser Antwort und deren
Einfügung unter 5. c) des im Tatbestand beschriebenen Fragebogens verdeutlichen,
dass der Arbeitseinsatz der Klägerin nicht freiwillig bzw. durch eigene Bemühungen
zustande gekommen war. Es hätte ansonsten nahe gelegen, diese im Fragebogen unter
5. a) vorgegebene Antwortmöglichkeit zu wählen, wenn die Klägerin sich aus eigenem
Antrieb um die von ihr verrichteten Arbeiten bemüht hätte. Auch Art und Höhe der
Entlohnung der von der Klägerin verrichteten Arbeiten sprechen gegen eine aus
eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung. Denn es ist
charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit
nicht oder nur in geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl. hierzu BSGE 38,
245 = SozR 5070 § 14 Nr. 12; BSG, Urteil vom 20.02.1975 - 4 RJ 15/74 -; BSG SozR
5070 § 14 Nr. 9). Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben für körperliche
anstrengende Putz- und Straßenreinigungsarbeiten, die sie täglich 10 bis 12 Stunden
verrichten musste, neben der regulären Verpflegung eine Extraportion an Essen
erhalten, was zur Dauer und Schwere der verrichteten Arbeiten in keinem Verhältnis
steht.
Ebenfalls nicht glaubhaft gemacht ist, dass die Klägerin eine Beschäftigung gegen
Entgelt ausgeübt hat. Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der
deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom
07.10.2004, aaO). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF).
Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch
Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur
gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber
oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier
Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden
insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO;
Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7
Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des
Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von §
1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur
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unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers
erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören
insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge
müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt
sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art
des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier
Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die
Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte
Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere
dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien
Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber
beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5.
Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw.
Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften
Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem
Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so
kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen
werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein
Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend
mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v.
06.06.2007, aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur
Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn
sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin für ihre Arbeit
mehr als Lebensmittel im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Sie selbst hat
im Verwaltungsverfahren angegeben, außer der regulären Verpflegung zusätzlich eine
Extraportion an Essen als Entlohnung für die von ihr verrichtete Arbeit erhalten zu
haben. Barlohn habe sie nicht erhalten. Außer Essen habe sie keine Sachbezüge
erhalten. Aufgrund dieser Angaben kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie
über eine Verpflegung bei der Arbeit hinaus noch Lebensmittel erhalten hat, die sie zur
freien Verfügung gehabt hätte oder zur Unterstützung von Angehörigen oder anderen
Dritten hätte verwenden können, was sie letztlich auch selbst nicht geltend gemacht hat.
Deutlich wird, dass die Verpflegung, die die Klägerin jeweils erhielt, ausschließlich für
ihren Lebensunterhalt bestimmt war und damit die Gewährung freien Unterhalts auf
niedrigem Niveau darstellte.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht auch das Bestehen eines etwaigen
Entgeltanspruchs nicht aus, um die Entgeltlichkeit der streitgegenständlichen Tätigkeit
glaubhaft zu machen (vgl. Senat, Urteil vom 24.08.2005, L 8 RJ 49/03,
www.sozialgerichtsbarkeit.de). Nichts anderes lässt sich der Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes vom 29.10.1930 (Az: III AV 44/30 B, in: Amtliche
Nachrichten für Reichsversicherung, 1931 IV 34) entnehmen. Zwar hat das
Reichsversicherungsamt der Beitragsbemessung eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses in der genannten Entscheidung das tarifvertraglich
geschuldete, nicht hingegen das tatsächlich gezahlte Entgelt zu Grunde gelegt. Es ist
aber bereits zweifelhaft, ob diese - der Reichsversicherungsordnung (RVO) immanente -
sogenannte "Rechtsanspruchstheorie" auch auf die von der Klägerin behaupteten
Beschäftigung in Zbaraz anwendbar ist; denn anders als in dem der Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes zugrunde liegenden Sachverhalt galt im
Generalgouvernement, in dem sich das Ghetto Zbaraz befand, für die dort beschäftigten
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polnischen Staatsangehörigen im Bereich der Sozialversicherung nicht deutsches,
sondern polnisches Recht (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Letztlich kann dies jedoch offen bleiben. Ein etwaiger Entgeltanspruch des Klägers
vermag die Entgeltlichkeit der streitgegenständlichen Tätigkeit schon deshalb nicht zu
begründen, weil in dem vom Reichsversicherungsamt entschiedenen Fall ein freiwillig
zustande gekommenes, der Versicherungspflicht unterliegendes Arbeitsverhältnis
vorlag bzw. angenommen wurde. Vorliegend fehlt es aber schon an dem für die
Annahme eines solchen Beschäftigungsverhältnisses wesentlichen Element der
Freiwilligkeit bzw. des eigenen Willensentschlusses (s.o.). Im Übrigen spricht die
Nichteinhaltung etwaiger tarifrechtlicher Bestimmungen durch die NS-Gewaltherrscher
gerade gegen eine freiwillige und entgeltliche Beschäftigung i.S. des Typus einer
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Senat aaO).
Von der Klägerin in Zbaraz in dem Zeitraum von August 1941 bis Oktober 1942
verrichtete Arbeiten können auch nicht nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG
bzw. § 17 a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeiten angerechnet werden.
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Die Arbeit der Klägerin im Ghetto Zbaraz unterfiel nicht den
Reichsversicherungsgesetzen, da sie nicht die deutsche Staatangehörigkeit besaß. Die
Stadt Zbaraz lag im damals so genannten Generalgouvernement für die besetzten
polnischen Gebiete, in dem die Reichsversicherungsgesetze für Personen, die nicht die
deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, nicht galten (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B
13 RJ 59/00 R). Eine Anrechnung als Versicherungszeit richtet sich daher nach den §§
15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG. Die Voraussetzungen dieser
Vorschriften liegen jedoch nicht vor, wobei dahinstehen kann, ob die Klägerin dem dSK
angehört hat, wie sie im Rentenantragsformular angegeben hat.
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Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt nicht in Betracht, da
eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht und bereits von der
Klägerin noch nicht einmal behauptet worden ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3
FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, da - wie oben bereits ausgeführt worden ist - ein
nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden
kann. Auch § 16 FRG greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein, da die von ihr ausgeübten
Tätigkeiten nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227, 1228 RVO
n.F.) Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte,
wenn sie im Gebiet der BRD ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären.
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Pflichtbeiträge gelten für die Klägerin auch nicht nach § 12 WGSVG als gezahlt. Nach
dieser Bestimmung gelten als Pflichtbeitragszeiten solche Zeiten, in denen ein
Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat,
für die aus Verfolgungsgründen Beiträge nicht gezahlt sind. Insofern ist in der
Rechtsprechung bereits abschließend entschieden, dass es sich grundsätzlich um eine
Beschäftigung handeln muss, die nach damaligem deutschem Recht konkret
Versicherungspflicht begründet hat (BSG, Urteil v. 14.7.1999, a.a.O.). Das ist aus den
genannten Gründen bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.
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Soweit die Klägerin geltend macht, dass auch Deutsche während der NS-Diktatur
Formen des Arbeitszwangs unterworfen gewesen seien und dabei insbesondere auf die
Einführung der Dienstpflicht im Jahre 1938 (nach der Dritten Verordnung zur
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Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer
Bedeutung - Notdienstverordnung - vom 15.10.1938, RGBl. I 1441) verweist, ist darauf
hinzuweisen, dass in Fällen der Dienstpflicht nach der Notdienstverordnung kein die
Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen ist.
Derartige Dienstpflichtzeiten haben vielmehr - soweit nicht tatsächlich Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind - den Charakter von
Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI i.V.m. § 3 Abs. 1 Buchst. k
Bundesversorgungsgesetz (BVG), nicht hingegen die Qualität auf
versicherungspflichtiger Beschäftigung beruhender Beitragszeiten (vgl. LSG NRW,
Urteil vom 06.11.2006, L 3 R 234/06, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Soweit im Rahmen
des Notdienstes verrichtete Arbeiten mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen
gleichgestellt wurden (vgl. §§ 3, 4 VO vom 10. Oktober 1939, RGBl. I 2018), handelte es
sich um eine Ausnahmeregelung, die einer extensiven Auslegung nicht ohne Weiteres
zugänglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, auch zu den
folgenden Ausführungen). Die Heranziehung zu Arbeiten im Rahmen der Notdienst-
oder Dienstpflicht-VO (= Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben
von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13.02.1939, RGBl. I 206) erfolgte
zudem in einem streng geregelten Verfahren, wobei vor allem das für ein
versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wichtige Merkmal der "Freiwilligkeit"
durch die Zustimmung der Arbeitsverwaltung ersetzt wurde. Im Übrigen sind auch im
NS-System nicht alle Arbeitspflichten einem versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis gleichgestellt worden, so z.B. auch nicht die Dienstpflicht im
Reichsarbeitsdienst. Eine Erstreckung der Ausnahmevorschriften über die Begründung
von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen auf alle Dienstpflichten bzw.
Zwangsarbeiten während des NS-Regimes würde schließlich eine Abgrenzung
zwischen den Typusbegriffen "versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis" und
"Zwangsarbeit" praktisch unmöglich machen (vgl. BSG aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision wegen seiner von dem Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4
R 85/06 R) abweichenden Auslegung der Tatbestandsmerkmale "aus eigenem
Willensentschluss" und "gegen Entgelt", auf der seine Entscheidung beruht, sowie
wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2Nrn.
1 und 2 SGG).
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