Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.03.2011

LSG NRW: verfahrensmangel, beratung, zuschuss, auflage, revisionsgrund, zivilprozessordnung, gerichtsakte, darlehen, einverständnis, obsiegen

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 22.03.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Duisburg S 39 AS 317/10
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 6 AS 3/11
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20.07.2010 aufgehoben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Duisburg zurückverwiesen. Dem Sozialgericht bleibt
die Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit ihrer am 27.10.2010 beim Sozialgericht Duisburg erhobene Klage hat sich die Klägerin gegen einen Bescheid des
Beklagten vom 15.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2010 gewandt und begehrt, den
Beklagten zur Übernahme restlicher Heizkostennachforderungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
in Höhe von 572,47 EUR für das Jahr 2008 als Zuschuss und nicht, wie vom Beklagten mit Bescheid vom 27.11.2009
zuerkannt, als Darlehen zu verpflichten.
Das Sozialgericht hat am 20.07.2010 mit Einverständnis der Beteiligten eine Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung getroffen, die ausweislich der von allen Richtern der erkennenden Kammer unterschriebenen
Niederschrift lautet:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Die schriftliche Entscheidung des Sozialgerichts in identischer Kammerbesetzung, die den Beteiligten am 04.08.2010
zugestellt worden ist, hat hingegen folgende Urteilsformel:
1.Die Beklagte wird unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 15.06.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.01.2010 verpflichtet, der Klägerin für die Heizkostenperiode vom 01.01.2008 bis
31.12.2008 insgesamt Heizkosten in Höhe von 765,00 EUR zu bewilligen.
2.In Höhe der Differenz des unter Ziffer 1 genannten Betrages und der bereits ausgezahlten Beträge der Klägerin für
die Heizkosten 2008 (= 124,40 EUR) ist die mit Bescheid vom 27.11.2009 bewilligte Darlehenssumme in einen
Zuschuss umzuwandeln.
3.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.Die Beklagte trägt ¼ der außergerichtlichen Kosten der Klägerin; eine Kostenerstattung im Übrigen findet nicht statt.
In den Entscheidungsgründen wird das teilweise Obsiegen/Unterliegen im Einzelnen begründet; die Berufung hat das
Sozialgericht nicht zugelassen.
Auf die dagegen am 20.08.2010 von der Klägerin beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) erhobene
Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 29.12.2010 die Berufung gegen das Urteil des
Sozialgerichts Duisburg vom 20.07.2010 zugelassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen;
dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das am 04.08.2010 zugestellte Urteil vom 20.07.2010 ist im Sinne der Aufhebung und
Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet.
Der Senat hat ausnahmsweise von der in § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehenen Möglichkeit
der Zurückverweisung Gebrauch gemacht, da das angefochtene Urteil an einem wesentlichen Verfahrensmangel
leidet, auf dem die Entscheidung nicht nur beruhen kann, sondern nach der besonderen Eigenart des Mangels auch
tatsächlich beruht.
Das wirksam gewordene Urteil vom 20.07.2010, so wie es den Beteiligten am 04.08.2010 zugestellt worden ist, ist
nicht von der 6. Kammer des Sozialgerichts Duisburg in der vorgeschriebenen Besetzung mit zwei ehrenamtlichen
Richtern ergangen (§ 12 Abs. 1 SGG). Dieses Urteil hat der Vorsitzende vielmehr allein ohne Mitwirkung
ehrenamtlicher Richter getroffen. Denn nach der aktenkundigen Niederschrift über die Beratung hat die Kammer in
vorschriftsmäßiger Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern am 20.07.2010 die Entscheidung gefasst, die Klage in
vollem Umfang abzuweisen. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass die Kammer sich in dieser oder anderer
Besetzung - was grundsätzlich bis zur Verlautbarung der ohne mündliche Verhandlung getroffenen Entscheidung
möglich gewesen wäre (vgl. BSG Urteil vom 14.12.1978 - 2 RU 23/77 - SozR 1500 § 124 Nr. 5) - noch einmal mit der
Angelegenheit befasst und ihre Auffassung geändert hätte. Eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts im
Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), der über § 202 SGG entsprechend anwendbar ist (s
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 179 Rn 4 und § 162 Rn 10a mwN), liegt nicht nur
dann vor, wenn ein zahlenmäßig richtig besetzter Spruchkörper sachlich nicht zur Entscheidung berufen war oder
einzelne Richter nicht hätten mitwirken dürfen, sondern auch dann, wenn ein einzelner Richter statt des Kollegiums
entschieden hat (zu vergleichbaren Fällen fehlerhafter Besetzung bereits BSG Beschluss vom 18.11.1980 - GS 3/79 -
juris Rn 26 mwN). Da dieser Verfahrensmangel einen absoluten Revisionsgrund darstellt, beruht das angefochtene
Urteil schon kraft gesetzlicher Anordnung (§ 202 SGG in Verbindung mit § 547 Nr. 1 ZPO), angesichts des
abweichenden Beratungsergebnisses aber auch tatsächlich auf dem Verfahrensmangel.
Das Sozialgericht wird im weiteren Verfahren bei der Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG auch über die
Kosten der Berufung zu befinden haben.
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 , Nr. 2 SGG).